Durch die inzwischen unüberschaubare Vielzahl von Situationen, in denen Einwanderer rechtlich stecken können, ergibt sich automatisch eine Ungleichbehandlung von oft sehr ähnlichen Fallkonstellationen, und am Ende haben wir eine riesige Bürokratie, die eigentlich keiner braucht. Wenn uns also ein neues Einwanderungsrecht von dieser Bürokratie befreit, dann wäre das schon Grund genug, um hier tätig zu werden. Der Antrag der FDP macht dies auch deutlich, und in der Grundtendenz geht er auch in die richtige Richtung. Die Idealvorstellung muss doch sein, dass das Recht, hier bei uns zu le
ben, die Gewährung von Sozialleistungen, die Hilfe bei der Aufnahme von Arbeit, der Familiennachzug und so weiter vollständig aus einer Hand administriert werden können und auf Basis derselben rechtlichen Grundlage erfolgen.
Ich glaube, schon alleine das politische Signal, dass sich aus einem neuen Einwanderungsrecht ergeben würde, wäre wichtig. Es ist wichtig, dass die oft negativ besetzten Begrifflichkeiten wie Zuwanderer, Gastarbeiter, Asylbewerber oder Geduldeter nicht mehr das Bild eines Migranten prägen, sondern diese Menschen zuallererst als willkommene Menschen angesehen werden.
Das kann sich auch durch die Gesetzgebung ausdrücken. Die eben genannten Begriffe haben alle eines gemeinsam: Sie definieren den Menschen fremder Herkunft als jemanden, der irgendwann nach Ablauf einer zeitlichen Frist wieder geht. Er ist Gast, er ist geduldet, aber er soll hier auf gar keinen Fall Wurzeln schlagen. - Das ist die Diktion, die hinter den alten Begriffen des derzeitigen Zuwanderungsrechts steht. Das zieht sich sogar bis in die zweite, dritte und sogar vierte Generation dieser Einwanderer. Selbst Menschen, die oft schon einen deutschen Pass haben und deren Bindung eng mit Deutschland verknüpft ist, werden als Menschen angesehen, die irgendwie hier nicht hergehören. Das geht - mit Verlaub - völlig an der Realität vorbei, und wir wollen das auch gar nicht.
Deswegen geht es bei einem Einwanderungsrecht auch erst einmal darum, dass durch die Diktion eines solchen gesamten Einwanderungsgesetzbuches deutlich gemacht wird, dass jeder hier willkommen ist und jeder hier eine Chance bekommt. Der große Gewinn wäre, wenn ein solches Regelungswerk die Möglichkeit schaffen würde, dass Menschen, die beispielsweise als Flüchtlinge zu uns kommen, leichter einen dauerhaften Aufenthaltsstatus erhalten können und sogar zu einem „normalen Einwanderer“ mit allen damit verbundenen Möglichkeiten werden können. Das muss das Ziel eines großen Einwanderungsgesetzbuches sein. Dann hätten wir wirklich ein modernes Einwanderungsrecht.
Wenn wir nun betrachten, wer kommen soll, muss, kann oder darf, ist festzustellen, dass - glaube ich schon vieles vorher festgelegt ist. In der EU gibt es Freizügigkeit, sodass wir hier nicht darüber diskutieren müssen, ob jemand aus Portugal kommen darf oder nicht. Er darf nämlich kommen. Für den SSW steht es darüber hinaus auch außer Frage, dass
diejenigen, die als Flüchtlinge zu uns kommen und nicht wieder in ihr Ursprungsland zurückreisen können, ebenfalls ohne Einschränkungen bei uns bleiben können sollten. In der Realität ist es im Übrigen sowieso schon in einem großen Umfang so. Allerdings legen wir diesen Menschen eine Vielzahl von Steinen in den Weg und beschweren uns danach auch noch über diese Menschen. Wenn wir also davon ausgehen, dass EU-Bürger und Flüchtlinge bei uns bleiben, dann kann das angedachte Punktesystem nur noch auf die Menschen angewandt werden, die über diese beiden Gruppen hinaus zu uns kommen wollen.
Ich wage ebenso wie der Kollege Garg vorauszusagen, dass dies eine vergleichsweise kleine Gruppe sein wird. Deswegen eignet sich eine solche Debatte, wie wir sie heute führen, auch nicht unbedingt dazu, dieses Mittel als eine Möglichkeit zur Begrenzung von Einwanderung anzusehen, wie es manch einer draußen tut. Vielmehr geht es hier um eine Art Reststeuerung. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das wirklich funktioniert. Ich glaube, auch die Kanadier und andere traditionelle Einwanderungsgesellschaften diskutieren darüber, zweifeln möglicherweise auch und ändern ihre Gesetze. Da muss man sehen, wie die entsprechende Entwicklung dort ist, um das bewerten zu können.
Eigentlich muss sich auch durch ein neues Einwanderungsgesetz eher das ausdrücken, was wir alle wissen, nämlich dass wir in naher Zukunft einen Fachkräftemangel haben werden. Deshalb brauchen wir rechtliche Regelungen, die es insbesondere Fachkräften attraktiv erscheinen lassen, sich bei uns niederzulassen. Derzeit ist es nicht attraktiv. Selbst der Handwerker geht nach Irland oder England, weil Deutschland inzwischen als Niedriglohnland angesehen wird und es nicht mehr attraktiv ist, nach Deutschland zu kommen. Das ist unser eigentliches Problem.
Dabei denke ich nicht nur wie bisher an Hochschulabsolventen - die haben ja die Chance, mit irgendwelchen Green Cards oder Blue Cards zu uns zu kommen -, sondern an ganz normale, gut ausgebildete Fachkräfte, sei es im Pflegebereich, sei es in der Metallverarbeitung oder in einem anderen Lehrberuf, und selbstverständlich auch an diejenigen, die einfachere Tätigkeiten verrichten können. Auch da haben wir einen großen Bedarf.
Wenn ein Einwanderungsgesetz Erfolg haben soll, muss es eines sein, das einerseits Recht formuliert und andererseits auch die Erwartungen der Gesellschaft widerspiegelt. Da sind wir bei einem Paradoxon angekommen: Die Gesellschaft erwartet,
dass die Menschen Deutsch lernen, aber gleichzeitig verweigern wir denjenigen, die es am nötigsten brauchen, das Recht dazu. Wenn wir hier klare Ansprüche der Betroffenen hätten und damit die Erwartungen verknüpfen würden, dass man diese Sprach- und Integrationskurse auch besucht, hätten wir einen riesigen Schritt hin zu mehr Integration getan. Das setzt aber voraus, dass hierfür auch die Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden. Man kann sich sicher sein, dass sich dies um ein Vielfaches wieder auszahlt.
Der zweite Bereich, der für die Integration wichtig ist, ist der Bereich des Berufs. Ja, wir müssen Berufsausbildungen wieder besser anerkennen. Selbst zwischen Deutschland und Dänemark hat es immer wieder Schwierigkeiten gegeben. Wie muss es da erst bei der Anerkennung von Abschlüssen aus Kasachstan, dem Iran oder Honduras sein? Hier muss Stück für Stück immer wieder nachgearbeitet werden.
Allerdings nützt die beste Anerkennung eines Berufsabschlusses oder eines Studiums nichts, wenn sich dann ein ausländischer Mitbürger - trotz bester Qualifikation - hinten anstellen muss. Erst kommen deutsche Staatsbürger, dann EU-Bürger, und erst dann darf die Arbeitsvermittlung auf die weiteren Einwanderer zurückgreifen. Ein völlig irres System, wenn man daran denkt, dass die Leute gerade durch Arbeit und auf ihrer Arbeitsstätte integriert werden. Flüchtlinge sind sogar für eine Zeit lang ganz vom Arbeitsleben ausgeschlossen. Es wirkt fast so, als wollten wir nicht, dass die Menschen Arbeit finden, damit sie auch ja wieder gehen. Genau das ist aber die falsche Sichtweise. Sie müssen Arbeit bekommen, damit sie bleiben können.
Erst danach ist es für die Menschen relevant, ob sie ein Ausländerwahlrecht bekommen oder ihnen irgendwann eine Mehrfachstaatsbürgerschaft ermöglicht wird. Wir als SSW wollen beides. Aber elementar sind vor allem die Fragestellungen rund um das Aufenthaltsrecht, die Deutschkurse und die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Im Kern geht es immer wieder darum, dass die Menschen, die zu uns kommen, mit den Einheimischen rechtlich gleichgestellt werden. Es darf nicht zweierlei oder dreierlei Maßstäbe geben, wie eine Sachlage bewertet wird. Es darf auch nicht unterschiedliche Rechtsfolgen geben. Die Sozialleistungen und die Ansprüche auf Leistungen müssen in allen Fällen gleich sein oder zumindest auf der glei
chen Rechtsgrundlage beruhen. Hier gibt es noch viel Spielraum. Je einheitlicher der Rechtsrahmen ist, desto leichter und unbürokratischer lässt sich das Ganze administrieren. Erst dann werden diese Entscheidungen auch wirklich objektivierbar und gerechter. Wer Bürokratieabbau will, der braucht einheitliche Einwanderungsregelungen.
Letztlich geht es bei einem Einwanderungsrecht darum, dass deutlich gemacht wird, dass hier jeder willkommen ist und eine Chance bekommt. Hierfür brauchen wir ein neues Einwanderungsrecht, und das gern aus einer Hand. Wir wollen ein offenes Deutschland, in dem jeder an unserer gemeinsamen Zukunft mitarbeiten kann. Dafür müssen wir gemeinsam arbeiten.
Vielen Dank. - Zu einem Dreiminutenbeitrag hat sich der Kollege Dr. Heiner Garg gemeldet, dem ich jetzt das Wort erteile.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte noch einmal drei Punkte aufgreifen. Erstens. Herr Kollege Dr. Stegner, selbstverständlich gilt für uns - das wird aus unserem Antrag hoffentlich auch deutlich -, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Für die FDP-Fraktion gilt wie vermutlich für alle Fraktionen in diesem Haus: Wir fühlen nicht nur eine humanitäre Verpflichtung, wir kommen dieser Verpflichtung auch gern nach, weil wir ihr nachkommen können und nachkommen wollen. Das ist mehr als nur Verpflichtung.
Zweitens. Das kanadische Punktesystem gibt es seit den 60er-Jahren. Das ist seit den 60er-Jahren weiterentwickelt und immer wieder angepasst worden. Da kann man sich über die Flexibilität unterhalten. Es hat allerdings zum Jahresbeginn ein kompletter Philosophiewandel stattgefunden. Denn die Kanadier wollen das, was die Freien Demokraten stolz als Jobseeker-Visum gefeiert haben, jetzt nicht möglich machen. Es gibt in Kanada im Moment fast keine Möglichkeit mehr, ohne Arbeitsangebot eines kanadischen Arbeitgebers auf die notwendige Punktezahl zu kommen. Das wollen wir explizit nicht. Wir wollen versuchen, den anderen
Drittens. Trotz des Appells, über die doppelte Staatsbürgerschaft nicht diskutieren zu wollen, möchte ich weiter über die doppelte Staatsbürgerschaft diskutieren, weil sie integraler Bestandteil beispielsweise der kanadischen Integrationspolitik ist. In Kanada sind 85 % der Einwanderer kanadische Staatsbürger geworden, weil man es wollte, weil man die Identifikation mit dem neuen Heimatland explizit will. Ich finde das richtig.
Wenn Sie mit einer Amerikanerin oder einem Amerikaner verheiratet sind, haben Sie nach drei Jahren die Möglichkeit, die amerikanische Staatsbürgerschaft anzunehmen - im Übrigen ohne die deutsche Staatsbürgerschaft abgeben zu müssen, wenn Sie das vorher angeben. Ich finde das richtig. Wenn Sie das Glück nicht haben, müssen Sie fünf Jahren in den Vereinigten Staaten leben, um Staatsbürger werden zu können, selbstverständlich unter gewissen Voraussetzungen. Diese Voraussetzungen sind richtig. Sie müssen sich mit der Geschichte des Landes auseinandersetzen. Das ist richtig; wir wollen doch, dass uns die Menschen, die zu uns kommen, auch verstehen, und zwar nicht nur unsere Sprache, sondern auch, warum wir so sind, wie wir sind.
Selbstverständlich müssen sie Sprachkenntnisse nachweisen. Ich finde es ziemlich schlau, dass man jedenfalls ansatzweise auch ein bisschen vom politischen System des Landes versteht, in dem man in Zukunft leben möchte.
Liebe Kollegin Damerow, ich möchte die Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft, weil ich das für einen cleveren Ansatz von Integrationspolitik halte und der Auffassung bin, dass uns das nicht schadet, sondern dass uns das explizit guttut.
Herr Abgeordneter, zunächst weise ich Sie darauf hin, dass Ihre Redezeit von 3 Minuten abgelaufen ist.
Dann frage ich Sie, ob Sie eine Bemerkung des Abgeordneten Dr. Stegner zulassen, auf die Sie noch reagieren können.
Lieber Kollege Garg, Sie haben dargelegt, was uns das nützt. Ich möchte das unterstreichen und will darauf hinweisen, dass dazu natürlich auch der umgekehrte Teil gehört: Menschen mit ihrer Sprache, mit ihrer Kultur und all dem Reichtum, den sie an Vielfalt einbringen, können auch uns mehr bereichern als das, was wir in der globalisierten Welt sonst weniger gut erfahren würden.
- Absolut, das muss ich nicht weiter kommentieren, ich teile das zu 100 %, Herr Kollege Stegner. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. - Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich das Wort der Frau Kollegin Astrid Damerow von der CDU-Fraktion.
Während sie zum Rednerpult kommt, darf ich Sie bitten, mit mir gemeinsam Schülerinnen und Schüler des Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Gymnasiums aus Barmstedt auf der Tribüne zu begrüßen. Seid uns herzlich willkommen im Kieler Landeshaus!
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich noch einmal gemeldet, um einiges zu verdeutlichen. Herr Kollege Stegner, Schubladendenken führt manchmal zu selektiver Wahrnehmung. Ich habe hier mit keinem Wort gesagt, dass wir gegen Zuwanderung sind. Ich habe explizit auch nicht gesagt, dass wir kein Einwanderungsgesetz brauchen.
Ich verstehe manchmal die Welt nicht mehr. Wir diskutieren und gehen sorgfältig mit den Fragen um. Ich schlage genau das vor, und dann unternimmt der Kollege Stegner als Allererstes reflexhaft den Versuch, uns in irgendeine Ecke zu drücken.
- Ja, das tue ich gerade. - Darum geht es genau nicht. Ich habe zu Beginn meiner Rede sehr deutlich gemacht, dass wir als CDU wie alle anderen auch wissen, dass wir Zuwanderung brauchen. Das steht überhaupt nicht zur Debatte.