Bürgerbusse in Schleswig-Holstein verlässlich fördern - Verkehrliche Grundversorgung in der Fläche gewährleisten
Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mit mir Schülerinnen und Schüler des Carl-Maria-vonWeber-Gymnasiums in Eutin und den Vorsitzenden des Bürgerbusvereins Malente, Ingo Wagner. Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!
Es geht um die Drucksache 18/2623. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die antragstellende Piratenfraktion der Abgeordnete Dr. Patrick Breyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir PIRATEN beantragen, Bürgerbusse in Schleswig-Holstein verlässlich zu fördern, um die verkehrliche Grundversorgung unserer Bürgerinnen und Bürger in der Fläche zu gewährleisten.
der Schülerverkehr zurückgeht. Gleichzeitig haben wir eine sich verstärkende Zentralisierung, eine Fokussierung auf einige Einrichtungen. Daher müssen viele Einrichtungen in der Fläche leider schließen. Ältere Menschen, mobilitätseingeschränkte Menschen, aber auch jüngere Menschen werden dadurch verstärkt abgehängt von der Versorgung, vom Zugang zu Einrichtungen.
Angesichts dieser Situation halten wir PIRATEN an unserem Ziel fest, ein Modellprojekt zur Erprobung eines fahrscheinlosen, von allen finanzierten Nahverkehrs durchzuführen. Aber auch für die Regionen, in denen es keine Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr gibt, braucht man eine Lösung. Eine Lösung könnten die Bürgerbusse sein.
Bürgerbusse bedeuten: Bürger fahren für Bürger. Das heißt, eine Busverbindung wird von Bürgerinnen und Bürgern ehrenamtlich organisiert und bedient. Das bedeutet, dass der Nahverkehr sozusagen von unten organisiert wird. Ein solches Angebot bedeutet für Menschen, die keinen eigenen Pkw haben, wirklich einen Gewinn an Lebensqualität. So können sie sich in ihrem Umfeld bewegen. Das ist ein bezahlbares, umweltfreundliches und barrierefreies Verkehrsangebot. Bürgerbusse ermöglichen aber auch die Vernetzung der Bürger vor Ort. Sie tun sich zusammen, um gemeinsam ehrenamtlich an einem Projekt mitzuarbeiten. Ein solches Projekt trägt, insgesamt gesehen, dazu bei, den ländlichen Raum, die Region zu erhalten und vor dem Aussterben zu bewahren. Das heißt, ein solches Verkehrsangebot ist auch ein Wirtschafts- und Standortfaktor.
In Schleswig-Holstein gibt es schon zwei Buslinien, die von Bürgerbusinitiativen ehrenamtlich betrieben werden. Drei weitere Initiativen streben an, solche Buslinien zu betreiben; eine Initiative aus Malente haben wir gerade begrüßt. Ich möchte diesen Menschen, die die Verkehrsversorgung vor Ort ehrenamtlich organisieren, meine Anerkennung für ihren großen Einsatz zum Ausdruck bringen. - Meine herzliche Anerkennung!
Leider müssen wir feststellen, dass wir in Schleswig-Holstein hinsichtlich dieses Angebots noch hinterherhinken. In Rheinland-Pfalz gibt es über 20 Bürgerbuslinien, in Niedersachsen über 40 und in Nordrhein-Westfalen sogar über 100. Wenn es
Deswegen beantragen wir die Einrichtung eines Kompetenzteams Bürgerbusse. Wir wollen, dass ein Team fachkundige Beratung anbietet, wenn es um die Einrichtung von Bürgerbussen geht, einen Leitfaden herausgibt und die einzelnen Initiativen vernetzt.
Zweitens beantragen wir eine verlässliche Finanzierung beziehungsweise Förderung von Bürgerbussen. Es gibt dafür Mittel, zum Beispiel EU-Mittel zur Förderung des ländlichen Raums und Mittel für innovative Verkehrsangebote. Wir müssen auch sehen, dass es, gemessen an dem, was wir für Schienenverkehr oder Busverkehr ausgeben, um verhältnismäßig wenig Geld geht. Ein Großteil der Kosten entsteht ja gar nicht, weil Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich arbeiten. Die Kosten, die man zum Beispiel für die Anschaffung der Busse, den laufenden Betrieb und die Organisation braucht, sind verhältnismäßig gering. Bei diesem Thema müssen wir mehr tun. Andere Länder zeigen uns, dass wir mehr tun können.
Die Mittel der Förderinitiative AktivRegion, die es dafür gibt, reichen nicht aus; das ist von Region zu Region unterschiedlich. Nach dem Vorbild von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz müssen wir ein landesweites Förderprogramm auflegen, um eine wirklich verlässliche Finanzierung zu organisieren. Die Initiativen dürfen nicht alle paar Jahre wieder vor demselben Problem stehen und sich fragen: Wie können wir den nächsten Bus finanzieren?
Wir PIRATEN und die Bürgerinitiativen für Bürgerbusse in unserem Land wünschen uns, dass wir in den Beratungen über diesen Antrag gemeinsam einen fraktionsübergreifenden Weg finden, um Bürgerbusse in Schleswig-Holstein verlässlich zu fördern und die verkehrliche Anbindung, die Grundversorgung in der Fläche zu gewährleisten. Ich freue mich darauf, diesen Antrag mit Ihnen in den Fachausschüssen zu beraten und eine Fördermöglichkeit zu finden. Ich glaube, das ist machbar. Und es ist wichtig, dass wir alle uns hinter die Initiativen und dieses Programm stellen. Ich freue mich darauf, gemeinsam mit Ihnen einen Konsens zu finden. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch mein Lob und das Lob meiner Fraktion gelten den Bürgerinitiativen, den Bürgervereinen, die solche Busverbindungen ehrenamtlich organisieren. Das hilft den Menschen sehr, aber auch dem Ansehen unseres Landes. - Herzlichen Dank für Ihr Engagement!
Warum machen die Menschen das? Sie organisieren solche Verbindungen, weil es in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein viele unerschlossene Räume gibt. Ich selber weiß, wie es ist, wenn man am Sonntag aus Wacken nach Itzehoe mit dem Bus fahren möchte, um Verwandte, Freunde oder Bekannte zu besuchen, und sei es nur im Krankenhaus. Man hat gar keine Chance, weil es keine Busverbindung gibt.
- Herr Kollege Kubicki, das wollte ich gerade sagen. Das ist das nächste Problem: Wir können nicht einmal mehr auf die Taxen verweisen, weil gerade im ländlichen Raum viele Taxiunternehmen ihre Lizenzen zurückgeben. Das heißt, wir haben generell ein großes Problem in Sachen Mobilität in der Fläche.
Insofern ist der Antrag von Herrn Dr. Breyer und den PIRATEN gut, aber man ist damit zu kurz gesprungen. Es geht nicht allein um die Frage, wie wir Bürgerbusse organisieren können, sondern es geht darum - darüber wird auch in anderen Bundesländern diskutiert - zu fragen, wie wir Mobilität überhaupt organisieren können. Wie schaffen wir es, Menschen aus den Dörfern in die Städte zu bringen, damit sie weiter miteinander in Verbindung bleiben können? Dabei geht es nicht unbedingt um eine 24-Stunden-Versorgung. Wir alle wissen, dass der demografische Faktor gerade im ländlichen Raum eine große Rolle spielt: Die demografische Entwicklung hat zum Beispiel zur Folge, dass der Wert der Häuser fällt. Viele können ihr Haus nicht mehr verkaufen, weil es keine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr gibt. Wenn die Menschen älter werden, werden die Probleme noch größer. Deshalb müssen wir, Herr Dr. Breyer, generell über
das Thema Mobilität reden und nicht nur über das Thema Bürgerbusse, auch wenn es ehrenwert ist, über Bürgerbusse zu diskutieren.
Bei der Frage der Finanzierung sind wir vielleicht unterschiedlicher Auffassung. Viele von uns sagen: Das ist eine wichtige Aufgabe der kommunalen Selbstverwaltung, bei der das Land allenfalls helfen kann. Hier wird die Idee vertreten, etwas von unten nach oben entstehen zu lassen. Es geht also nicht darum, von oben etwas aufzudrücken, seitens des Landes.
Die Menschen vor Ort sollen und müssen allein entscheiden können. Von mir aus kann es dafür eine Unterstützung geben, aber wir müssen das schön voneinander trennen. Ob man dafür ÖPNV-Mittel oder andere Mittel einsetzen kann, diese Frage lassen wir einmal dahingestellt. Ich weiß, dass man mit der Frage nach der Finanzierung jedes Projekt zerstören kann; deshalb sollten wir dieses Thema nachrangig behandeln.
Wir sollten erst einmal grundsätzlich über Mobilität reden, auch über Car-Sharing und was da sonst noch alles möglich ist. Im Moment wird ein Entwicklungsplan für Hamburg erarbeitet, und zwar unter Berücksichtigung der verschiedenen Verkehrssysteme. Es soll eine App geben, in der man eingeben kann: Hier bin ich, und da will ich hin. Das Programm zeigt Ihnen dann, wie Sie möglichst günstig oder möglichst schnell - das sind ja manchmal zwei unterschiedliche Dinge - dorthin kommen.
Wir müssen uns in Schleswig-Holstein über dieses Thema austauschen, und zwar mit Vertretern aller Verkehrsträger. Wir dürfen dabei niemanden ausschließen. Wir dürfen auf keinen Fall sagen: Der auf gar keinen Fall. Und wir dürfen auch nicht sagen: Die müssen unbedingt dabei sein. - Alle, die heute am Markt sind, müssen einbezogen werden. Schleswig-Holstein kann Vorbild sein, wenn wir diese Herausforderung bewältigen. Wir dürfen nicht übersehen, dass die Herausforderungen in diesem Bereich noch sehr viel größer werden.
Deshalb bitte ich Sie, diesen Antrag im Verkehrsausschuss zu diskutieren. Ich bitte aber auch darum, dass man umfänglich darüber diskutiert, dass man die Diskussion breit anlegt. Wir müssen alle einbeziehen, die davon betroffen sind. Dann werden wir gemeinsam, hoffentlich, zu einer Lösung kommen, die langfristig trägt und nicht nur kurzfristige Effekte auslöst. Natürlich wollen wir die Bürgerbusse unterstützen - wir finden das Thema gut -, aber es
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wahrscheinlich hat es Sie verwundert, dass sowohl Kollegen der Fraktion der Grünen als auch ich bei dem Beitrag des Kollegen Arp Beifall bekundet haben. Es ist sehr vernünftig, was Sie gesagt haben.
Sehr geehrter Herr Kollege Breyer, wir sind Ihnen dankbar, dass Sie ein Thema aufgreifen, das wir bereits 2012 im Koalitionsvertrag erwähnt haben, weil uns damals bereits bewusst war, dass der heute thematisierte Bürgerbus in einzelnen Regionen Schleswig-Holsteins eine sinnvolle Ergänzung darstellen kann. In unserem Koalitionsvertrag steht, dass im Bereich der individuellen Mobilität die Landesregierung das Thema Innovationen im ÖPNV, wie Rufbus- und Ruftaxisysteme und ehrenamtliche Bürgerbusse, aufgreifen wird. Bürgerbusse können eine hervorragende Einrichtung sein. Es handelt sich um bedarfsbezogene Bediensysteme, die geringe Grundkosten haben und soziale Anbindung im ländlichen Raum mit Mobilität und Ehrenamt verknüpfen.
Dieses Mobilitätsinstrument gibt es schon in Ansätzen seit den 80er-Jahren. Herr Breyer hat bereits darauf hingewiesen: Engagiert sind vor allem Regionen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hessen und weiteren Bundesländern. In Schleswig-Holstein gibt es mit dem im Sommer 2014 hinzugekommenen Angebot in Ladelund nur wenige Bürgerbusse.
Aufgrund einiger Studien gibt es inzwischen brauchbare Erkenntnisse darüber, was Bürgerbusse leisten können und was nicht, und das Internet ist voll von Erfahrungsberichten. Es ist allerdings nicht so, dass Bürgerbusse ein Allheilmittel für mangelnden ÖPNV sind, da immer genau vor Ort entschieden werden muss, welches Angebot dort von den Menschen benötigt wird. Der Bürgerbus ist also kein Patentrezept. Grundsätzlich können Bürgerbusse eine vernünftige Ergänzung zu professionel
len Angeboten im Nahverkehr sein. Allerdings hat ihre Einsatzmöglichkeit auch Grenzen. Wir sollten nicht zu kurz denken, indem wir bei Älteren oder bei bewegungseingeschränkten Menschen einfach ein Verkehrsmittel durch ein anderes ersetzen und sonst alles beim Alten belassen. Mobilität kann beispielsweise auch bedeuten, dass unter Berücksichtigung der Bedarfe der Menschen die Angebote zu den Menschen kommen, dass mehr dezentral gedacht und lokal gehandelt wird.
(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Hans-Jörn Arp [CDU] - Hans-Jörn Arp [CDU]: Sie wundern sich, dass ich klat- sche, aber das mache ich hin und wieder, wenn Sie etwas Vernünftiges sagen!)
Ein Bürgerbus darf nicht isoliert stehen. Im optimalen Fall ist er in ein kombiniertes professionelles und ehrenamtliches Netzwerk eingebunden, zum Beispiel mit einem Treff für Bürgerinnen und Bürger. Organisatorische Fragen und Vernetzungen sind zu klären. Hierzu zählen insbesondere die Schnittstellen zum Angebot des öffentlichen Personennahverkehrs. Zu vermeiden ist eine weitere Reduzierung der ÖPNV-Anbindung im ländlichen Raum. Bürgerbusse können unter bestimmten Umständen bestehende Busverkehre ergänzen. Sie sollten jedoch nicht an deren Stelle treten und den öffentlichen Sektor verdrängen.
Wenn der Erwachsene beispielsweise für eine Fahrt mit dem Bürgerbus in Ladelund ein Entgelt von 1 € oder 1,50 € zahlt und gleich westlich davon mit dem öffentlichen NVB für eine vergleichbare Strecke 2,85 € oder 3,90 € gezahlt werden, muss die Frage der Konkurrenz erlaubt sein.