Protocol of the Session on January 23, 2015

Wenn man den Atomkonsens jetzt aufkündigt, dann wird man in dieser Frage nie eine friedliche und gemeinsame Lösung finden. Deshalb ist der Ruf nach Gorleben hier nur eine Scheinlösung.

Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Garg?

An dieser Stelle nicht, Herr Kollege. - Dass diese Frage so kompliziert ist, hat sich niemand von uns ausgesucht, aber - und so viel Respekt muss man tatsächlich aufbringen - die Landesregierung vertagt das Problem nicht, sondern bekennt sich dazu, dass eine Lösung her muss. Dass die vom Umweltminister jetzt erlassene Duldung für Atommüll bis 2018 für sich genommen keine Lösung sein kann, wissen alle hier im Raum. Von daher: Machen wir uns auf den Weg, gemeinsam eine tragfähige Lösung zu suchen!

Wie bekommen wir das Lagerungsproblem langfristig in den Griff? - Funktionieren kann das nur, indem man mit den Fachleuten genau diskutiert, wie nach aktuellem Stand von Wissenschaft und Technik der geeignetste Standort gesucht und gefunden werden kann. Wir PIRATEN haben zu diesem schwierigen Thema einen konstruktiven Ansatz: Egal wo und wie wir den Atommüll zukünftig lagern, er muss zurückholbar sein. Das lehrt uns die Asse, die nicht mehr weit von einer Havarie entfernt ist. Nicht einmal 30 Jahre hat dort die vielbeschworene Sicherheit gehalten. Auch die rottenden Atommüllfässer in Brunsbüttel zeigen, dass es ein Endlager in diesem Sinne überhaupt nicht geben kann. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall PIRATEN)

Für die Abgeordneten des SSW hat Herr Abgeordneter Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ablehnung des Bundesverwaltungsgerichts einer Revision im Verfahren um das Standortzwischenlager Brunsbüttel hat zur Konsequenz, dass das Urteil des OVG Schleswig in dieser Angelegenheit rechtskräftig ist. Wie der Minister schon sagte: Es wurde nicht festgestellt, dass das Zwischenlager unzureichend gesichert sei gegen Terrorangriffe oder Airbusse, bemängelt wurde der Umfang der Ermittlungen im Genehmigungsverfahren, die seinerzeit vom Bundesamt für Strahlenschutz durchgeführt wurden. Dem OVG Schleswig wurde seinerzeit der Einblick in die durchgeführten Sicherheitsprüfungen verwehrt. Das Strahlenschutzamt durfte aufgrund von Geheimhaltungsverpflichtungen nicht in Detailtiefe gehen. Unter dem Strich bedeutet das, dass der aus dem Jahr 2003 stammende Genehmigungsbescheid, Brunsbüttel

als Kernbrennstoff-Zwischenlager zuzulassen, rechtswidrig ist.

Dieser in der Geschichte der deutschen Atompolitik einmalige Vorgang stellt uns, aber insbesondere die Kraftwerksbetreiber, vor ganz neue Herausforderungen. Der Minister hat es dargestellt, er hat unmittelbar auf die Ablehnung des OVG reagiert und als Konsequenz eine atomrechtliche Anordnung getroffen: Die Lagerung des Kernbrennstoffs im Zwischenlager Brunsbüttel wird bis Anfang 2018 geduldet. Damit wurde die notwendige Rechtssicherheit wieder hergestellt. Wohin sonst hätte der Müll auch gesollt? Aber zufriedenstellend ist diese Situation sicher nicht.

Wir stehen vor dem Problem, dass es in Deutschland kein Endlager für Atommüll gibt. Aus diesem Grund wurden die Zwischenlager im Atomgesetz festgelegt und danach eingerichtet. Neben den drei zentralen Einrichtungen Ahaus, Lubmin und Gorleben gibt es zwölf Zwischenlager an Kernkraftstandorten. Genau wie in Brunsbüttel hat es dort umfangreiche Genehmigungsverfahren zur Errichtung eines Zwischenlagers gegeben. Ab dem Zeitpunkt der ersten Einlagerung beginnt die Laufzeit des jeweiligen Zwischenlagers von 40 Jahren. Für Brunsbüttel hätte dies eine Laufzeit bis zum Jahre 2047 bedeutet. Das gilt aber jetzt nicht mehr.

Das könnte bedeuten, dass die Behälter woanders zwischengelagert werden müssen. Dabei stellt sich die Frage: Wer soll den Müll dann nehmen? Außerdem widerspricht es dem Gedanken: Wer Atommüll produziert, der muss ihn auch zwischenlagern. Die politische Bewertung kann daher nur sein, der Betreiber ist hier in der Verantwortung, eine neue Lagerung für die Castorbehälter in Brunsbüttel als Zwischenlager zu beantragen. Dabei muss gewährleistet sein, dass den Anforderungen des OVG Schleswig Rechnung getragen wird. Betreiber, Strahlenschutzamt und Bundesumweltministerium sind in der Pflicht, hierfür eine haltbare Lösung zu finden.

Es lässt tief blicken, wenn sogar einem deutschen Gericht aus Geheimhaltungsgründen der Einblick in Genehmigungsprüfungen verwehrt wird. Wo sind wir eigentlich, wenn die Geheimhaltung von behördlicher Seite höher bewertet wird als das Vertrauen in Gerichte? Das macht wieder einmal sehr deutlich, wie gefährlich diese Form der Energiegewinnung und die dazugehörige Lagerung sind.

(Vereinzelter Beifall PIRATEN und Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD])

Einige von uns waren in der letzten Woche in Gorleben in der heißen Zelle, in der Pilotkonditionierungsanlage. Wie klein und hilflos fühlte man sich plötzlich, wie mulmig wird einem, wenn man sieht, was wir dort auf zukünftige Generationen losgelassen haben.

(Beifall SSW und vereinzelt SPD - Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das hat Herr Magnussen noch nicht verstanden!)

Nein, wir müssen unbedingt weiter am Atomausstieg festhalten. Wir müssen ganz klar erkennen, dass diese Form der Energiegewinnung unbeherrschbar und risikobehaftet ist. Damit ist sie auch unverantwortlich.

(Vereinzelter Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als es seinerzeit um die Bereitschaft ging, den Atommüll aus Sellafield und La Hague zu übernehmen, um ihn zwischenzulagern, geschah es aus einer politischen Verantwortung heraus zu sagen, wir tragen zu einer Lösung bei, um in der Endlagerfrage einen Schritt weiterzukommen. SchleswigHolstein hat sich dieser Verantwortung gestellt. Das Projekt atomares Endlager ist eine nationale Aufgabe, der sich hier wirklich keiner mehr entziehen kann. Darum müssen alle ihren Beitrag leisten, damit in Deutschland ergebnisoffen nach einem Endlager gesucht werden kann.

Bei dieser Suche darf es keine Freifahrtscheine für bestimmte Bundesländer geben, denn mit einer solchen Vogel-Strauß-Politik kommen wir weiß Gott nicht weiter. - Jo tak.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat der Herr Abgeordnete Dr. Heiner Garg.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Matthiessen, wenn ich an die Diskussionen in den vergangenen Legislaturperioden zurückdenke, dann sind wir die Letzten, die sich von Ihnen vorhalten lassen müssen, wir würden zum Erhalt der Kernenergiepolitik beitragen. Ich möchte einmal daran erinnern, dass es der Landesverband der FDP Schleswig-Holstein war, der schon lange, bevor die Bundesregierung den Ausstieg wollte - damals gab es noch eine ganz andere

Bundesregierung als heute -, am rot-grünen Ausstieg festhalten wollte. Dies hat er auch entsprechend beschlossen. - Punkt eins.

Punkt zwei. Ihr Vorwurf der Überheblichkeit in Richtung des Kollegen Kumbartzky fällt auf Sie zurück. Von uns hat niemand in der letzten Legislaturperiode in Verbindung mit einer Kernkraftdebatte von Pommesbuden oder anderen Einrichtungen gesprochen. Das war vielmehr der damalige Oppositionsführer und heutige stellvertretende Ministerpräsident Robert Habeck.

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Drittens. Es trifft zu, Herr Kollege Matthiessen: 1959 wurde das Atomgesetz in der Bundesrepublik verkündet. Damals gab es eine schwarz-gelbe Bundesregierung, obwohl Sie als Experte dies sicherlich wissen, will ich Sie nicht darüber im Unklaren lassen, dass die meisten Kernkraftwerke unter sozialdemokratischen Bundeskanzlern genehmigt worden und ans Netz gegangen sind. Deswegen hat mich der frenetische Beifall der Sozialdemokraten an der Stelle des Beitrags des Kollegen Matthiessen durchaus etwas verwundert.

(Beifall FDP und CDU)

Dies zu sagen, gehört zu Ehrlichkeit und Transparenz auch dazu.

(Zuruf Martin Habersaat [SPD])

- Selbstverständlich, Herr Kollege Habersaat. Sie haben die Philippika des Kollegen Matthiessen ja vielleicht auch gehört. Darauf beziehe ich mich.

Herr Kollege Breyer, von Ihnen als ausgebildetem Volljuristen hätte ich zumindest erwartet, dass Sie den Antrag der FDP nicht nur zur Kenntnis genommen, gelesen, sondern vielleicht auch verstanden haben. Von Ihnen hätte ich darüber hinaus erwartet, dass Ihnen der Unterschied zwischen einem Zwischen- und einem Endlager bekannt ist. Ganz offensichtlich - das wäre jetzt meine Frage gewesen - muss ich jedoch davon ausgehen, dass Ihnen dieser Unterschied nicht bekannt ist. Wäre er Ihnen bekannt, dann hätten Sie nicht so getan, als ob der Salzstock auch das Zwischenlager wäre. - Herzlichen Dank.

(Beifall FDP und CDU)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Herr Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.

(Flemming Meyer)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, dass sich Menschen bei manchen Themenfeldern vor Jahrzehnten noch geirrt haben, obwohl einen das erstaunen könnte. Sogar einer meiner Amtsvorgänger, Jochen Steffen, wollte mehrere Atomkraftwerke bauen, weil man solche Atomkraftwerke damals für einen Fortschritt hielt. Trotzdem war der Landesverband der Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein der erste in der Bundesrepublik, der den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen hatte, auch noch weit vor der FDP und anderen. Damals war die Partei der Grünen noch gar noch gegründet.

(Beifall SPD - Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Aber das ist nicht der Punkt, um den es mir geht. Der Punkt, um den es mir geht und der mich wirklich erschreckt, ist, mit welcher Leichtfertigkeit über die Folgen, die eine solche Technik nach sich ziehen kann, hier geredet wird. Die Unbelehrbarkeit des Kollegen Magnussen verschlägt mir schon die Sprache; das muss ich ganz ehrlich sagen. Jemandem, der sich hier hinstellt als jemand, der noch vor Kurzem den Neubau von Atomkraftwerken in Schleswig-Holstein gefordert hat und dann so auftritt, dem kann ich nicht folgen.

(Zuruf Jens-Christian Magnussen [CDU])

- Ach, hören Sie doch auf! Es ist doch bekannt, wofür Sie eingetreten sind. Ich muss ehrlich sagen: Die Unbelehrbarkeit ist doch hier der Punkt. Dass Menschen Fehler machen, trifft zu. Aber Dummköpfe wiederholen ihre Fehler. Das ist das, was man hierzu feststellen muss.

Herr Kollege Garg, einen Hinweis muss ich auch noch machen. Herr Matthiessen hat sich darauf bezogen: Wenn das schon alles so ist. Deshalb muss man doch mit der Frage, wie man mit den Hinterlassenschaften umgeht, die für Jahrtausende die Menschheit verstrahlen, was zulasten unserer Enkel und Urenkel gehen wird, in der Tat ein bisschen weniger salopp umgehen, als dies der eine oder andere in seinem Redebeitrag getan hat. Insofern hat der Kollege Matthiessen durchaus recht, und insofern verstehe ich auch die Emotionen, die damit verbunden sind. Denn da ist etwas angerichtet worden, was wirklich nicht vertretbar ist. Es ist moralisch nicht vertretbar und politisch nicht vertretbar. Da wünscht man sich mindestens einen Kenntnisstand der Dinge, der dem Jahr 2015 entspricht.

Herr Abgeordneter Dr. Stegner, gestatten Sie eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten Magnussen?

Da ich ihn angegriffen habe, gern.

Ich habe mich nicht zu Wort gemeldet, weil Sie mich angegriffen haben. Ich möchte Sie nur bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass nicht der Kreisverband Dithmarschen einen Antrag auf Neubau gestellt hat, sondern der Kreisverband Steinburg. Da ich aus Dithmarschen komme, können Sie mir nicht vorwerfen, ich hätte den Antrag auf Neubau eines Kernkraftwerks gestellt. Würden Sie dies endlich einmal zur Kenntnis nehmen? Wenn ja, dann vielen Dank.

- Wenn Sie auf die Verantwortlichkeit Ihres parlamentarischen Geschäftsführers hinweisen wollten, dann muss ich zugeben, dass ich dem nicht widersprechen kann. Gleichwohl habe ich der Logik Ihrer Einlassungen hier zugehört. Um den Teil ging es mir eher. Ich finde es schlimm genug, dass es überhaupt einen Kreisverband der Union in Schleswig-Holstein gibt, der so etwas Unsinniges beschließt, egal um welchen Kreisverband es sich handelt

Aber im Ernst: Ich glaube wirklich, dass wir aus dieser Atomdebatte gelernt haben. Lassen Sie mich das einmal in Richtung des Umweltministers Habeck sagen, weil wir darüber ja auch diskutiert haben. Ich halte es aller Ehren wert, dass diejenigen, die immer gegen die Atomenergie gewesen sind, nicht davonlaufen, wenn es darum geht, die Konsequenzen zu tragen. Das, finde ich, ist aller Ehren wert, und das verdient Respekt.

(Beifall SPD und SSW)

Herr Breyer, das mit der Volksbefragung ist ja ein tolles Ding. Wenn Sie eine Volksbefragung machen, dann gibt es das nirgendwo in Deutschland, das ist doch klar. Wo soll denn die Verantwortung eigentlich liegen? Das ist doch nun wirklich großer Unfug. Sie können doch nicht ernsthaft meinen, man könne doch einmal einen Volksentscheid machen, um herauszufinden, wo man so etwas macht, das ist doch wirklich ein Sankt-Florians-Prinzip im populistischen Gewand. Das kann man wirklich nicht tun.

Herr Abgeordneter Dr. Stegner, nunmehr wünscht der Abgeordnete Dr. Breyer, eine Bemerkung zu machen. Gestatten Sie dies?

Ausnahmsweise ja.

Herr Dr. Stegner, wenn Sie es den Bürgerinnen und Bürger in unserem Land nicht zutrauen, einer Lösung, die gerecht und fair ist, zuzustimmen, würden Sie mir dann wenigstens zustimmen, dass sich selbst die Brunsbütteler unter bestimmten Bedingungen aufgeschlossen gezeigt haben, auch der Kreis Dithmarschen, zusätzliches Einlagerungsmaterial aufzunehmen, sodass sie sehr wohl Verantwortungsbewusstsein gezeigt haben?

- Entschuldigen Sie! Ich weise die Unterstellung, die in Ihrer Frage steckt, zurück. Ich habe nicht gesagt, die Bevölkerung sei nicht in der Lage, darüber zu befinden, was gerecht und fair ist, sondern ich habe einen gesunden Menschenverstand, und den darf man ja gelegentlich benutzen. Ich weiß doch, wie das bei einer Volksabstimmung ausgeht, wenn man gefragt wird: „Willst du Atommüll in deiner Nachbarschaft haben?“ Ich nehme an, da würde Herr Magnussen wahrscheinlich auch Nein sagen, weil er das nicht in seinem Garten haben will. So etwas käme dabei doch heraus. Ich sage Ihnen: Die repräsentative Demokratie dient auch dem Zweck, dass man gelegentlich Verantwortung für Dinge übernehmen muss, die eben nicht populär sind.