Protocol of the Session on September 27, 2012

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Herr Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.

(Johannes Callsen)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einer der Gründe, warum uns die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein die Regierungsverantwortung übertragen hat, ist, dass wir ihnen Wertschätzung und Anerkennung vermittelt haben,

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Wertschätzung für ihre Qualifikationen und Potenziale, Wertschätzung für ihre Arbeit. Den Kampf um Mindestlohn und gegen Lohndumping, für gute Arbeitsbedingungen und eine gerechte Besteuerung führen wir mitnichten - wie Sie sagen - aus ideologischen Gründen, sondern weil wir die Arbeit der Menschen in diesem Land wertschätzen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir konnten doch sehen, wie in den letzen Jahren der Niedriglohnbereich zugenommen hat, der Anteil prekärer Beschäftigung mehr und mehr wurde und die Konkurrenzsituation für die regionale Wirtschaft, die vernünftige Löhne gezahlt hat und vernünftige Arbeits- und Weiterbildungsmöglichkeiten bot, immer schwerer wurde. Was Sie nicht verstanden haben, Herr Kollege Callsen, ist, dass das Handwerk vor Dumpingkonkurrenz geschützt werden will. Das ist der Punkt, um den es hier geht, sehr verehrter Herr Kollege Callsen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich empfehle Ihnen, nicht nur mit Parteikollegen darüber zu reden, sondern mit denen zu reden, die dadurch bedroht werden, dass andere Niedriglöhne zahlen.

(Lachen Abgeordneter Christopher Vogt [FDP])

Lohndumping und niedrige Löhne sind keine neuen Probleme. Deswegen hatten wir bereits 2003 ein Tariftreuegesetz verabschiedet. Es sind übrigens auch keine Probleme, die auf Schleswig-Holstein beschränkt wären. Nun ist Schleswig-Holstein wieder einmal eines der wenigen Länder, die unter Schwarz-Gelb eine vernünftige Lösung verschlafen oder bewusst nicht ergriffen haben.

(Christopher Vogt [FDP]: Ach, Herr Steg- ner!)

Das alte Tariftreuegesetz wurde durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes gekippt. Schnell

wurde jedoch klar, dass man sehr wohl europarechtskonforme Lösungen finden kann.

Wir waren vor Kurzem in Kopenhagen in der deutsch-dänischen Handelskammer. Dort sagte man, es sei doch prima, Schleswig-Holstein sei Niedriglohnland. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen nicht Niedriglohnland sein, sondern wir wollen durch gute Arbeit und entsprechend ordentliche Löhne in den Wettbewerb gehen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Niedrige Löhne heißt niedrige Steuereinnahmen, heißt geringe Finanzausstattung des Landes, heißt unattraktive Standortbedingungen für qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist der Sachverhalt.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Griechenland!)

Vielleicht haben Sie wie ich auch am Dienstag die Meldungen in einer schleswig-holsteinischen Zeitung gelesen, wonach nirgendwo in Westdeutschland so schlecht verdient wird wie hier in Schleswig-Holstein.

(Christopher Vogt [FDP]: Ja, nach 20 Jahren SPD!)

Das ist eine tolle Wirtschaftspolitik, Herr Kollege Ex-Mittelstandsbeauftragter, für die Sie hier stehen, wenn Sie der Meinung sind, dass das mit den Niedriglöhnen gut ist. Wir sind ganz anderer Meinung.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir meinen auch nicht die Lotterieunternehmen, wie Sie, Herr Arp; wir meinen ganz normale Handwerksbetriebe, für die wir hier tätig werden wollen.

(Zuruf CDU)

Ich will dem Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds im Norden, Uwe Polkaehn, ausdrücklich zustimmen, der gesagt hat: Es wird Zeit, dass Arbeitnehmerinteressen wieder im Mittelpunkt unserer Politik stehen. Das wird in der Tat Zeit, und das ändert sich auch mit dieser Koalition.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Zuruf Christopher Vogt [FDP])

Auch die Diskussion um Altersarmut und die Gefahr gerade für Schleswig-Holstein zeigt, dass wir handeln müssen. Wir sind ein Land, das viel stärker als andere davon bedroht ist, weil niedrigen Löhnen auch eine Armutsrente folgt. Was ist das für ein Umgang mit der Lebensleistung von Menschen, die

unseren Wohlstand hier erarbeiten, meine sehr verehrten Damen und Herren?

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Besonders empörend ist, dass ohne Tarif- und Sozialstandards ausgerechnet der Staat, also unser Gemeinwesen, durch seine Auftragsvergaben die weitere Erosion des Tarifvertragssystems beschleunigt, da er gezwungen ist, nicht-tarifgebundenen Unternehmen einen strukturellen Wettbewerbsvorteil einzuräumen, teilweise noch ermuntert durch Rechnungsprüfungsämter und Landesrechnungshöfe. Die Erkenntnis ist derart weit verbreitet, dass man schon sehr rückwärtsgewandt und ideologisch verbohrt sein muss, um sich so intensiv dagegen zu wehren, wie Sie, Herr Kollege Callsen, es mit Ihren Kollegen von der FDP gemeinsam in diesem Hause immer noch tun.

(Zuruf Christopher Vogt [FDP])

Ich frage mich ganz ernsthaft - Herr Kollege Vogt, weil Sie dazwischen rufen -: Was für ein tolles Verständnis von sozialer Marktwirtschaft ist das eigentlich, dass Sie hier im Hause immer noch dafür eintreten, Dumpinglöhne staatlich zu subventionieren? Was ist daran eigentlich Marktwirtschaft? Das ist Misswirtschaft und keine Marktwirtschaft.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Bürger wissen das und deswegen haben Sie 28 von 69 Sitzen in diesem Haus. 28 von 69; tun Sie nicht immer so, als hätten Sie 68 von 69. 28 sind es, Herr Kollege Kubicki.

(Christopher Vogt [FDP]: Sie haben die Ka- mera angesprochen! Sie reden nicht mit uns, Sie reden mit der Kamera!)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Ich will ihm auch am frühen Morgen wieder Gelegenheit geben zu lernen, dem Herrn Alterspräsidenten, gern.

(Heiterkeit SPD - Christopher Vogt [FDP]: Herr Stegner, Sie waren doch gestern fast nett!)

Sehr verehrter lieber Herr Kollege Stegner,

(Zurufe von der SPD: Oi!)

sehr verehrter lieber Herr Dr. Stegner, da Sie die FDP immer beschimpfen, dass sie Aufstockungslöhne befürwortet. Ist Ihnen bekannt, dass der erste Vorschlag dazu, Niedriglöhne aufzustocken, von einem Sozialdemokraten gekommen ist, nämlich von Herrn Gerster aus Rheinland-Pfalz?

(Zuruf: Florian Gerster!)

- Ich bin in dieser Frage völlig anderer Auffassung als Florian Gerster.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ja, gut!)

Das will ich deutlich bekennen. Das Problem ist nur, die FDP beschließt so etwas mehrheitlich und die SPD macht das Gegenteil, sehr verehrter Herr Kollege. Das ist der Unterschied.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir haben auch Menschen in unserer Partei, die eine andere Auffassung vertreten, aber wir beschließen nicht mehrheitsmäßig einen solchen Mist.

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zehn Länder haben bereits europakonforme Tariftreuegesetze verabschiedet. Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt haben solche Gesetze im Verfahren; nur Hessen, Bayern und Sachsen fehlen noch. Man lernt, wir brauchen auch dort einen Politik- und Regierungswechsel. Dann wird es auch dort besser werden, und wir bekommen dort dann auch Mehrheiten dafür.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Schleswig-Holstein wird endlich folgen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, es gibt sehr viele Bausteine für gute Arbeit und eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung: Investitionen in Bildung, ein Umfeld, in dem sich Unternehmen gern ansiedeln, in dem sie aber auch qualifizierte Menschen finden, die dort wohnen und arbeiten wollen - Kultur, Kinderbetreuung und so weiter -, mehr Chancen für Frauen. Dafür sind faire Löhne und faire Wettbewerbsbedingungen essentiell. Wir haben jetzt mindestens die Chance, für den öffentlichen Bereich diese Chancen zu verbessern und zu verstärken. Wir werden die Rahmenbedingungen für unsere heimische Wirtschaft und unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit diesem Gesetz deutlich verbessern.