Protocol of the Session on November 12, 2014

Meine Damen und Herren, wir gehen die Probleme des Landes an, und zwar jedes Problem. Das haben wir uns vorgenommen, daran halten wir uns. Debatten mit den Bauern, Demos gegen Fracking, Proteste in Lauenburg oder entlang der Stromleitungen es ist ja nicht so, dass alle nur klatschen, wenn wir Lösungen präsentieren oder suchen. Aber der Protest kommt daher, dass Probleme da sind und dass sie endlich, endlich, angegangen werden - mit Offenheit, mit Engagement und mit Mut.

Gerade in den Politikfeldern, in denen eine Lösungssuche nicht erfolgt ist, dem Erhalt der Natur und der Wälder, den Folgen der Energiewende, bei dem kommunalen Finanzausgleich und den Herausforderungen des demografischen Wandels, müssen wir uns besonders anstrengen. Das ist manchmal laut, mitunter auch hart und kräftezehrend, aber wir ducken uns nicht weg. „Aus den Augen, aus dem Sinn“, das funktioniert nicht. Wir schauen hin, selbst wenn es so unangenehm ist wie bei den verrotteten Atommüllfässern in Brunsbüttel oder bei Lebensmittelskandalen.

Meine Damen und Herren, wir sind vieles angegangen, aber wissen auch genau: Das Land ist noch nicht zukunftsfest. Unsere Arbeit ist noch lange nicht getan. Wir haben noch ein volles Regierungsprogramm.

Der demografische Wandel fordert schwierige und schmerzliche Entscheidungen, ob zum Beispiel kleine Grundschulen erhalten bleiben können, wie wir allen schwangeren Frauen ausreichende Hilfe bei der Geburt zukommen lassen können, wie wir gerade im ländlichen Raum die Gesundheitsversorgung und die Pflege sicherstellen können. Es ist gut, dass die Regierung die Zukunftsthemen angeht und eine Landesentwicklungsstrategie erarbeitet.

Der demografische Wandel betrifft nicht nur den ländlichen Raum, in Form des Fachkräftemangels trifft er uns schon jetzt. Deshalb brauchen wir neben der Zuwanderung Chancen für jedes Kind und jeden Jugendlichen, mit besseren und günstigeren Kitas, mit guten Schulen und mit Unterstützung beim Übergang in Ausbildung und Beruf, wie wir es zum Beispiel mit den Jugendberufsagenturen angehen werden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Wir brauchen natürlich auch exzellente Hochschulen.

(Beifall Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

Meine Damen und Herren, wir können im Klimaschutz besser werden, wenn wir auch im Wärmebereich den Anteil erneuerbarer Energien erhöhen. Ich begrüße ausdrücklich, dass der Klimaschutz jetzt zum neuen Schwerpunkt des MELUR wird. Wir werden auch ein neues Naturschutzgesetz erarbeiten. In dieser Regierung ist Naturschutz kein Fremdwort.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

(Eka von Kalben)

Wir wollen den Breitbandausbau vorantreiben, weil das die maßgebliche Infrastruktur für das digitale Zeitalter ist und für Innovation und Kreativität steht. Wir brauchen Datenautobahnen in SchleswigHolstein und digitale Erreichbarkeit auch auf abgelegenen Flächen. Auch das ermöglicht Mobilität.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Meine Damen und Herren, wir haben im Bereich der Bürgerrechte schon viel erreicht, zum Beispiel die abgesenkten Quoren bei der Bürgerbeteiligung. Das ist gut, aber nicht gut genug. Die Fraktionsvorsitzenden haben gerade einen Antragsentwurf entwickelt, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Ich unterstütze alle vorgelegten Punkte.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Klar ist aber auch: Bürgerrechte, transparente Politik, Informationsrechte, all das sind Punkte, die auch etwas damit zu tun haben, wie gut sich die Menschen von uns vertreten fühlen. Hier gilt es, noch einiges aufzusatteln.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Jetzt ist leider meine Stimme weg, und jetzt kommt für mich der wichtigste Punkt. Deshalb trinke ich erst noch einmal etwas. - Meine Damen und Herren, wir sollten nicht aufhören, von hier aus für Europa zu arbeiten, und die Flüchtlingspolitik zu einer echten friedenspolitischen Einmischung werden lassen. Auch wenn wir heute Nachmittag noch einmal über Flüchtlingspolitik sprechen, ein Gedanke vorweg: Ich war stolz und froh, dass wir hier im Haus in dieser Legislaturperiode eine große Einigkeit hatten, was die Flüchtlingspolitik und den Schutz der Minderheiten angeht. Dafür stand auch die Aufnahme der Roma und Sinti in die Verfassung. Der anhaltende Anstieg des Antiziganismus in Deutschland in den vergangenen Jahren zeigt, wie wichtig es war und ist, den besonderen Schutz der Sinti und Roma grundlegend zu verankern. Ich bitte die CDU eindringlich, nein, ich fordere sie auf, sich von der jetzt scheinbar eingeleiteten neuen Richtung gleich wieder zu verabschieden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Streiten Sie sich gern mit uns auf Ihren konservativen Spielwiesen - bei Bürgerrechten, in der Landwirtschaft oder beim Autobahnneubau -, aber lassen Sie uns nicht Bevölkerungsgruppen, die uns alle hier willkommen sind, gegeneinander ausspielen.

Das ist schädlich für Sie - was nicht so schlimm wäre -, aber das ist auch schädlich für dieses Land.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW - Dr. Ralf Stegner [SPD]: So ist das!)

Meine Damen und Herren, ich sage nicht, dass alles glänzend gelungen ist. Wir haben handwerkliche und kommunikative Umwege in Kauf nehmen müssen, die wir manchmal auch selbst verschuldet haben. So wenig ich sage, dass bei Ihnen alles falsch und schlecht war, so wenig sage ich, dass bei uns alles immer perfekt und jederzeit in Ordnung war. Aber wenn ich gefragt werde, womit ich zur Halbzeit der ersten Küstenkoalition wirklich zufrieden bin, dann damit, dass wir mutig genug sind, die Dinge beim Namen zu nennen, und fair genug, auch andere Meinungen in ihrem Recht stehen zu lassen. Wir haben dieses Land besser gemacht, und ich muss sagen - Entschuldigung, liebe Koalitionspartner -, wir haben es auch grüner gemacht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir können hier inhaltliche Debatten führen und uns über die Parteigrenzen hinweg verständigen.

(Zurufe)

Das haben wir bewiesen bei der Verfassung und ganz neu bei unseren Vereinbarungen zur Erhöhung der Wahlbeteiligung. Die Redeschlachten zum Gottesbezug waren für manche spannender als jeder Blockbuster. Die Menschen goutieren es, wenn wir in der Sache und nicht um des Streitens willen streiten. Ich sehe deshalb auch keine Krise des Parlaments, wie man das manchmal liest. Denn obwohl wir manchen Rückfall in alte Zeiten erleben, sehe ich doch eindeutig, wie klug und besonnen die Parlamentarier aller Parteien zuweilen zusammenarbeiten.

Wir als Koalition setzen den eingeschlagenen Weg fort, und, lieber Herr Ministerpräsident, meine Fraktion und ich stehen Ihnen und Ihrem gesamten Kabinett weiterhin unterstützend zur Seite. Wir freuen uns auf eine zweite Halbzeit in guter Zusammenarbeit. - Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Meine Damen und Herren, der Landtag hat Gäste, deshalb müssen wir pünktlich um 13 Uhr die Sitzung beenden. Ich möchte jetzt keinen weiteren

(Eka von Kalben)

Redner aufrufen. Wir werden die Sitzung um 15 Uhr fortsetzen. Ich unterbreche die Sitzung.

(Unterbrechung: 12:42 bis 15:04 Uhr)

Meine Damen und Herren, ich wiedereröffne die Sitzung.

Begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne Mitglieder der Berufsakademie WAK Kiel und der Senioren in Rendsburg. - Seien Sie herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Folgende Redezeiten stehen für die Regierungserklärung noch zur Verfügung: Für die CDU und die SPD jeweils 17 Minuten 30 Sekunden, für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 28 Minuten, für die Fraktionen FDP, PIRATEN und Südschleswigscher Wählerverband jeweils 53 Minuten. Wir steigen wieder in die Debatte ein.

Für die FDP-Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meinen Beitrag mit einem begrenzten Lob beginnen. Die Rede des Fraktionsvorsitzenden der SPD Ralf Stegner war deutlich besser als die Rede des Ministerpräsidenten.

(Vereinzelter Beifall FDP)

- Das ist kein Grund zu klatschen. Da wir Zensuren nicht mehr vergeben wollen, will ich nur sagen: Sie hatte deutlich mehr Drive als die Rede des Ministerpräsidenten. Sie hätte mit Sicherheit noch mehr Wirkung entfaltet, Herr Dr. Stegner, wenn Sie Ihre Polemik, die Sie ständig ausgießen, etwas feiner dosiert hätten. Denn es gilt der Satz von Gustav Heinemann: Wer dauernd mit dem Finger auf andere zeigt, zeigt mit drei Fingern auf sich selbst.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Bei allem, was Sie beschrieben haben, muss man daran erinnern, dass in den letzten 24 Jahren Schleswig-Holstein 22 Jahre lang von Sozialdemokraten regiert wurde. Alles, was wir jetzt beklagen, hat zumindest zu 90 % etwas mit der Sozialdemokratie dieses Landes zu tun.

Herr Ministerpräsident, zunächst einmal darf ich Sie trotz allem zu dieser Regierungserklärung ganz herzlich beglückwünschen. Ich muss anerkennen,

dass Sie wieder einmal den ernsthaften Versuch unternommen haben, mit einer blumig-pastoralen Rede von den eigentlichen Problemen im Land abzulenken. Geschafft haben Sie das nicht. Ich knüpfe an Aussagen von Peer Steinbrück und Gerd Walter in Richtung Heide Simonis an: Das war eine Rede auf Pepita-Niveau.

Grundsätzlich ist auch meine Fraktion der Auffassung, dass die Menschen in Schleswig-Holstein nach den vergangenen turbulenten Wochen und Monaten eine klare Richtungsweisung vom Ministerpräsidenten verdient hatten. Das Dumme dabei ist nur: Erstens hat Ihre Regierungserklärung diese Richtung nicht vorgegeben, und zweitens kommt sie nach meiner Auffassung zu spät. Sie hätten nach meiner Auffassung direkt nach den Rücktritten der Minister Wende und Breitner die Möglichkeit - ich finde vielmehr, die Pflicht - gehabt, der schleswigholsteinischen Öffentlichkeit zu erklären, wie Sie den weiteren Weg bis 2017 gestalten wollen.

(Beifall FDP und CDU)

Mittlerweile wissen wir alle, wie sehr die Unklarheit über den künftigen Kurs dieser Landesregierung unter der Oberfläche geschwelt hat. Der Vertrauensverlust, den Sie bei den Menschen in Schleswig-Holstein erleiden mussten, ist erheblich. Laut NDR-Umfrage Sie sind mittlerweile nach Klaus Wowereit, der gestern sein Rücktrittsschreiben überreicht hat, der unbeliebteste Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes. Für jemanden, der mit der Erklärung gestartet ist, er wolle SchleswigHolstein zu neuen, großen Zielen führen, ist das ein beschämendes Ergebnis.

(Beifall FDP und CDU)

Es ist offensichtlich: Die Menschen im Land sind Ihre Art zu regieren leid, Ihre Art zu kommunizieren leid, Ihre Art zu reden leid. Für die Menschen wird immer unklarer, wofür Sie eigentlich stehen, welche politischen Ziele sie verfolgen und vor allen Dingen, wie Sie Schleswig-Holstein wirtschaftlich, bildungspolitisch oder auch verkehrspolitisch nach vorne bringen wollen. Die Menschen sehen keine Ideen, keine Ziele, vor allen Dingen keinen Esprit. Die Menschen sehen bei Ihnen ganz viel Nichts. Nach dieser Regierungserklärung muss man sagen: vollkommen zu Recht!

(Beifall FDP und CDU)