Protocol of the Session on October 10, 2014

Und weiter: Bei regelhaft durchgeführter Mutterschaftsvorsorge sind Risiken weit vor der Geburt bekannt und beginnen nicht erst auf dem Transport zur Klinik.

2011 lag Schleswig-Holstein im Qualitätsindex der Frühgeborenenversorgung auf Platz 13 von 16. 2012 hatte sich die Quote zwar verbessert, aber trotzdem ist Schleswig-Holstein auf Platz 14 abgerutscht. Die anderen Bundesländer hatten sich in den Versorgungsstrukturen deutlicher verbessert. Warum? - Sie haben sich zum Beispiel an Portugal und an Finnland orientiert, wo man nämlich genau diese Konzepte schon umgesetzt hat, nämlich die Geburtskliniken stärker zu zentralisieren und damit die Anzahl der Geburten in einer Klinik und somit die Ergebnisqualität zu steigern. Das kann

(Katja Rathje-Hoffmann)

natürlich auch längere Anfahrtswege bedeuten selbstverständlich. Aber es ist doch wiederum Sache der Frauen zu entscheiden, wie sie entbinden möchten. Die Zahlen zeigen uns ganz deutlich, dass sie auch schon heute längere Anfahrtswege in Kauf nehmen, um eine höhere Sicherheit zu haben. Das ist übrigens auch der Grund gewesen, dass man Oldenburg geschlossen hat, weil dort zum Schluss eben nur noch 180 Geburten im Jahr stattgefunden haben.

Frau Abgeordnete Pauls, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung der Frau Abgeordneten Katja Rathje-Hoffmann?

Wenn Sie die Zeit anhalten.

Ja, die halten wir an, wir geben die drei Sekunden auch wieder drauf. - Bitte schön.

Liebe Frau Pauls, wir waren gemeinsam beim vdek am vergangenen Montag.

Nein, ich war da nicht.

- Na ja, aber Sie haben mitschreiben lassen. Jedenfalls finden sich die Fakten, die wir dort gehört haben, alle in Ihrem Beitrag wieder.

- Ja.

(Zuruf Anita Klahn [FDP])

Geben Sie den Protagonisten des vdek recht, wenn sie sagen: Geburtskliniken sind nur noch gut, wenn sie mehr als 1.500 Geburten pro Jahr haben? - Das bedeutet, dass wir in Schleswig-Holstein nur noch vier Geburtskliniken haben werden!

- Ich glaube, das haben Sie meiner Rede nicht entnehmen können. Ich laufe auch nicht blind dem hinterher, was uns Krankenkassen vorgeben wollen. Das ist nicht meine Art von Politik. Aber ich höre es mir gern an, genauso wie ich mir gern die Meinung von Fachärzten anhöre, die sich zu dem Thema äußern, und die Meinung von Hebammen, die sich zu dem Thema äußern. Dann muss ich feststellen, dass ich eine unterschiedliche Einschätzung ha

be. Die muss ich bewerten. Das ist meine Aufgabe als Politikerin.

(Beifall SPD, Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch einmal auf meinen Anfangssatz zurückkommen, denn ich glaube, das ist das, was für alle Entscheidungen grundlegend ist: Die Sicherheit und Gesundheit von Mutter und Kind haben absoluten Vorrang. Wie man sieht, müssen diese ganzen vielen Parameter und auch die ganzen Ideen, die wir hier diskutieren, und die ganzen Kriterien, die wichtig sind - Anfahrtswege, die demografische Entwicklung, dazu gehören unsere regionalen Besonderheiten, dazu gehört aber auch eine wissenschaftliche und medizinische Entwicklung -, das alles muss in ein Konzept gepackt werden. An diesem Konzept wird gearbeitet.

(Volker Dornquast [CDU]: Aber viel zu lan- ge schon!)

Da möchte ich lieber gründliche Ergebnisse haben. Wir haben vor den Sommerferien die Landesregierung beauftragt, mit Fachexperten dieses Konzept zu erarbeiten - vor den Sommerferien!

(Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

Daran wird jetzt gearbeitet.

Frau Abgeordnete, kommen Sie zum Schluss!

Ja. - Ich würde mich sehr freuen, wenn wir jetzt nicht irgendwelche Ergebnisse vorwegnähmen, sondern unsere Ideen zusammen mit den Ergebnissen der Experten bewerten und dann anschließend unsere Entscheidung treffen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und Burkhard Peters [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Frau Abgeordnete Dr. Marret Bohn das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Etwa 20.000 Kinder erblicken pro Jahr in Schleswig-Holstein das Licht der Welt

(Birte Pauls)

20.000-mal die Aussicht auf ein gutes Leben im schönsten Bundesland der Welt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- einzelt SPD und SSW)

Die Geburtshilfe - darauf hat die Schwangere einen Anspruch - gehört für uns Grüne zur Daseinsvorsorge. Wir sind davon überzeugt, dass sie nicht in die Hände privater Kliniken gehört.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Wolf- gang Dudda [PIRATEN] und Flemming Meyer [SSW])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Geburtshilfe darf es keine blinden Flecken geben. Das gilt fürs flache Land, und das gilt ausdrücklich auch für die Inseln und Halligen. Jede Schwangere hat nach dem Sozialgesetzbuch das Recht auf Leistungen vor, während und nach der Geburt. Das beinhaltet Schwangerschaftsvorsorge, Geburtshilfe und Wochenbettnachsorge. Die Leistungen von Hebammen und Frauenärzten können ambulant und stationär in Anspruch genommen werden. So weit der theoretische Anspruch.

In der Praxis haben wir allerdings einige Probleme - da muss ich der Kollegin Rathje-Hoffmann ausdrücklich recht geben -, um die sollten wir uns gemeinsam kümmern. Die Bevölkerung schrumpft, weniger Menschen bekommen weniger Kinder. Paare gründen später eine Familie. Unterm Strich gibt es immer weniger Geburten, und der Anteil an Risikoschwangerschaften nimmt zu. Inzwischen ist er bei sage und schreibe 75 % angelangt. Das liegt unter anderem daran, dass die Schwangeren über 35 als Risikogebärende gelten, und es liegt daran, dass chronische Erkrankungen und starkes Übergewicht leider deutlich zunehmen.

Weil viele Eltern auf Nummer sicher gehen, gehen sie in ein Perinatalzentrum mit maximaler medizinischer Sicherheit und maximaler medizinischer Betreuung, weil das Ziel aller Eltern - da bin ich mir ganz sicher - ein gesundes Kind und eine gesunde Mutter ist.

Die Geburtenzahlen in reinen Geburtshilfeabteilungen ohne Perinatalzentren sinken allerdings. Dann kommt der Dominoeffekt in Gang, den die Kollegin gerade aufgezählt hat. Es sind in den letzten Jahren in Schleswig-Holstein eine ganze Reihe von Geburtshilfeabteilungen geschlossen worden. Für Sylt und Oldenburg haben wir die Entwicklung hier im letzten Jahr ausführlich diskutiert. Die Geburten reichten nicht aus. Es gibt einen ausgeprägten Fachkräftemangel. Der trifft diese Kliniken be

sonders. Denn je höher die Geburtenzahlen, desto besser die Facharztweiterbildung. Es ist eine ganze Kette, die diese Entwicklung nach sich zieht.

Eines ist nach dem Gespräch am Montag ganz klar geworden: Es ist gut und richtig, dass der Verband der Ersatzkassen ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, um das einmal von unabhängigen Experten beleuchten zu lassen. Ich sage ganz deutlich: Der Kollege, der Sozialmediziner, der das vorgetragen hat, ist für mich ein unabhängiger Experte.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und PIRATEN)

Er hat deutlich gemacht, dass wir uns einmal darüber Gedanken machen müssen, was oberste Priorität ist. Es darf nicht nur darum gehen, einen kurzen Weg zu haben, sondern oberste Priorität ist die Qualität, die Sicherheit für Mutter und Kind.

(Beifall)

Das bedeutet für uns alle, dass wir kritisch hinterfragen müssen, wie wir mit den Vokabeln „flächendeckend“ und „wohnortnah“ umgehen.

(Beifall Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Dr. Heiner Garg [FDP] und Flemming Meyer [SSW])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen brauchen wir für Schleswig-Holstein ein Konzept. Wir brauchen eine Idee, wie es aus einem Guss funktionieren kann. Auf der anderen Seite müssen auch regionale Besonderheiten berücksichtigt werden.

(Beifall)

Deswegen finde ich es gut und richtig, dass Ärztinnen, Hebammen, Krankenkassen, Klinikträger, alle vom Ministerium mit ins Boot geholt werden. Wir müssen alle gemeinsam an einem Strang ziehen. Dann kann es funktionieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind Montag ausführlich darüber informiert worden. Ich gebe der Kollegin Pauls recht: Wir müssen selber entscheiden, wie wir das letztendlich alles bewerten. Aber eines sollte uns klar sein: Die jetzige Lage ist ernst genug, wir müssen uns auf zu neuen Wegen machen. Für uns Grüne gibt es dabei keine Denkverbote.

Wenn es um Boardingkonzepte geht, sagen wir nicht: nein, auf gar keinen Fall, das geht nicht, sondern wir sagen: Ja, wenn wir Boardingkonzepte brauchen, dann müssen sie aber auch gut gemacht werden.

(Dr. Marret Bohn)

(Beifall Karsten Jasper [CDU] und Wolfgang Dudda [PIRATEN])

Wenn es um die Einbindung des Rettungsdienstes geht, können wir nicht sagen: Nein, auf gar keinen Fall darf sich der Rettungsdienst um Schwangere kümmern, das müssen immer Hebammen und Frauenärzte machen. Nein, wir müssen den Rettungsdienst mit einbeziehen, aber dann muss das Personal auch darauf eingestellt sein.

(Beifall)