Protocol of the Session on September 11, 2014

Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die Sitzung und begrüße Sie alle sehr herzlich heute Morgen hier im Plenarsaal. Zunächst bitte ich die Kolleginnen und Kollegen der Medien, ihre Plätze einzunehmen.

Ich teile Ihnen zunächst mit, dass sich der Kollege Hauke Göttsch sowie die Frau Abgeordnete Dr. Marret Bohn krankgemeldet haben. - Wir wünschen ihnen beiden von dieser Stelle aus alles Gute und vor allem schnelle Genesung!

(Beifall)

Auf der Tribüne sehe ich bisher noch keine Schülerinnen und Schüler, die mir angekündigt worden sind. Vielleicht kommen diese etwas später. Deshalb warten wir mit deren Begrüßung noch ein wenig ab. Ich kann auf der Tribüne aber Torsten Döhring vom Flüchtlingsbeauftragten SchleswigHolstein begrüßen, der sicherlich auch wegen unseres ersten Tagesordnungspunkts am heutigen Tage diese Landtagstagung verfolgt.

(Beifall)

Ich rufe also die Tagesordnungspunkte 12 und 43 auf:

Gemeinsame Beratung

a) Entwicklung der Zuwanderung, der Einreise von Flüchtlingen und von Asylbewerbern in Schleswig-Holstein

Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU Drucksache 18/2160

b) Menschenwürdige Unterbringung sichern! Gemeinsames Konzept von Land und Kommunen zur Unterbringung von Flüchtlingen im Land Schleswig-Holstein

Bericht der Landesregierung Drucksache 18/2190

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Zur Beantwortung der Großen Anfrage erteile ich Herrn Minister Andreas Breitner das Wort.

5526 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 68. Sitzung - Donnerstag, 11. September 2014

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Flüchtlingszahlen steigen weiterhin deutlich an. Dies gilt insbesondere für den Personenkreis der Asylsuchenden. Für das laufende Jahr ist mit einem Zugang von mindestens 6.500 neuen Asylbewerberinnen und Asylbewerbern in Schleswig-Holstein gegenüber 3.904 in 2013 zu rechnen, also mit einer Steigerung um rund 66 %.

Die Situation nähert sich allmählich und kontinuierlich der zu Beginn der 90er-Jahre. Sie bringt für das Land und die Kommunen erhebliche Heraus-forderungen bei der Unterbringung der Schutzsuchenden mit sich. Die Landesregierung hat angesichts dieser Entwicklung zahlreiche Maßnahmen im Zusammenhang mit der Flüchtlingsunterbringung getroffen. Der Bericht der Landesregierung „Menschenwürdige Unterbringung sichern! Gemeinsames Konzept von Land und Kommunen zur Unterbringung von Flüchtlingen im Land Schleswig-Holstein“ gibt hierüber umfassend Auskunft.

Ich sage aber auch deutlich: Patentrezepte und Universallösungen gibt es nicht. Das zeigen auch die Erfahrungen der anderen Bundesländer. Ebenso sollte die Frage der Unterbringung von Flüchtlingen keinen Anlass für parteipolitische Scharmützel und überflüssige Schuldzuweisungen bieten.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Der Vorwurf, der Anstieg der Flüchtlingszahlen sei schon Anfang des Jahres erkennbar gewesen, ist daher nicht nur falsch, sondern ist auch kontraproduktiv. Rückwärtsgerichtete Diskussionen über angebliche Versäumnisse helfen niemandem, schon gar nicht den in Not geratenen Menschen.

Stattdessen sollte uns die gemeinsame humanitäre Verpflichtung einen, Menschen in Not umfassend, Menschen in Not schnell und Menschen in Not angemessen zu helfen. Dies gilt umso mehr, als Bund und Länder vor den gleichen Herausforderungen stehen - unabhängig von der Farbe der jeweiligen politischen Führungen.

Ich freue mich darüber, dass mein Integrationskollege aus Hessen, der dortige Sozialminister Grüttner, heute aktuell auch meinen Vorstoß aufgegriffen hat, dass wir in dieser nationalen Frage auch nationale Vereinbarungen brauchen. Er hat heute dazu aufgefordert, dass sich die Bundeskanzlerin dem Thema Flüchtlinge stärker annimmt und Berlin zu einem Flüchtlingsgipfel einlädt.

Die aktuellen Diskussionen um die Kapazitäten der Erstaufnahmeeinrichtungen haben wir nicht nur in Schleswig-Holstein, wir haben sie auch in Bayern und in Baden-Württemberg. Ich glaube, dies sind Beispiele dafür, dass wir nicht alleine stehen.

Mit Blick auf unseren Bericht möchte ich Ihnen gern einige Aspekte näherbringen. Zunächst zum Thema Erstaufnahme:

Die Erhöhung der Unterbringungskapazitäten des Landes, die sich zurzeit auf regulär 400 Plätze beläuft, zuletzt aber immer öfter deutlich überschritten wurde, ist eine wesentliche Voraussetzung für die Verbesserung der Situation in der Flüchtlingsunterbringung im Lande. Bei einem monatlichen Zugang von 700 bis 750 Asylsuchenden können die Flüchtlinge derzeit längstens drei Wochen in der Erstaufnahmeeinrichtung Neumünster bis zur anschließenden Verteilung auf die Kreise und kreisfreien Städte untergebracht werden.

Wesentliche Aufgaben der Erstaufnahme, wie zum Beispiel die Asylanhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, können während der derzeitigen kurzen Aufenthaltszeit in der Landesunterkunft nicht oder nur sehr eingeschränkt durchgeführt werden. Um die im Asylverfahrensgesetz vorgesehene Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahmeeinrichtung von bis zu sechs Wochen zu realisieren, benötigt das Land sehr zeitnah insgesamt 800 zusätzliche Unterbringungsplätze. Bis dahin haben wir uns entschlossen, zur Abfederung von Engpässen auch die kurzfristige Unterbringung in Zelten durchzuführen. Diese sind beheizbar, aber nicht winterfest. Das ist daher keine Dauer-, aber eine akzeptable Übergangslösung. Bei steigenden Zugangszahlen kann es auch zu weiteren Zeltunterbringungen kommen. Der Jahreszeit angemessen wird das dann in der Folge in winterfesten Zelten passieren müssen.

Neben der Erweiterung der Liegenschaft in Neumünster prüft die Landesregierung dazu aktuelle Unterbringungsmöglichkeiten an anderen Standorten. Ins Auge gefasst haben wir insbesondere die Nutzung frei werdender Bundeswehrliegenschaften. Dazu zählen die Rantzau-Kaserne in Boostedt, das Gelände des ehemaligen Marinefliegergeschwaders 5 in Kiel-Holtenau und die Schill-Kaserne in Lütjenburg. Bei allen dreien fehlt übrigens noch die Einverständniserklärung des Eigentümers. Das heißt, wir planen im Moment parallel an allen drei Standorten. Wir fragen uns: Welche Auswirkungen hat das auf Schule, welche Auswirkungen hat das auf Polizei? Aber die Antwort auf diese Fra

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gen kommunizieren wir zurzeit nicht vor Ort; denn zuvor benötigen wir das Einverständnis des Eigentümers. Dies ist erforderlich, bevor wir die Leute vor Ort noch stärker einbinden.

Insbesondere die Rantzau-Kaserne in Boostedt böte aufgrund der räumlichen Nähe zur Erstaufnahmeeinrichtung Neumünster optimale Rahmenbedingungen für eine Aufnahme von Flüchtlingen. Verhandlungen sind geführt. Die Erweiterung der Erstaufnahmemöglichkeiten wird von der Landesregierung mit großem Nachdruck betrieben. Vor allem die Flüchtlinge, aber auch die später für die Aufnahme und Unterbringung zuständigen Kommunen werden hiervon profitieren.

Daneben ist das Programm zur Wohnraumförderung für Flüchtlinge auf großes Interesse gestoßen. Für den Bau, den Umbau und die Modernisierung von Wohnungen und Projekten des gemeinschaftlichen Wohnens für Flüchtlinge im Rahmen der Erstaufnahme stellen wir ab dem kommenden Jahr 20 Millionen € an Darlehen zur Verfügung. Anfragen und Informationswünsche gab es hierzu bislang von 18 Kommunen.

Konkret zeichnet sich zum jetzigen Zeitpunkt die Entwicklung von drei Modellprojekten ab. Durch eine Neuregelung, die erstmals auch Unterbringungsstandards formuliert, konnte in Lübeck eine Gemeinschaftsunterkunft anerkannt werden. In Kürze werden zwei weitere Anerkennungen erfolgen.

Meine Damen und Herren, aufgrund der hohen Zugangszahlen stehen bei der Flüchtlingsaufnahme gegenwärtig quantitative Aspekte eindeutig im Vordergrund. Es geht zunächst einmal darum, die zu uns kommenden Flüchtlinge überhaupt mit einem Dach über dem Kopf zu versorgen. Wir werden aber auch die Qualität der Unterbringung dabei nicht aus den Augen verlieren.

Die Arbeitsgruppe „kommunale Aufnahme“ hat einen Leitfaden entwickelt. Er wird die Grundlage für weitere Überlegungen und Maßnahmen zur Optimierung der Flüchtlingsaufnahme darstellen. Konkret prüft die Landesregierung derzeit Maßnahmen zur Verbesserung der sprachlichen Förderung von Flüchtlingen und die Anhebung der Kostenpauschale für dezentrale Betreuung. Außerdem soll die Migrationssozialberatung neu ausgerichtet und verstärkt in die Beratung von Flüchtlingen eingebunden werden. Es sollte uns dabei allen klar sein: Die Unterbringung der Flüchtlinge, aber auch die Verbesserung der Aufnahmebedingungen werden er

hebliche Haushaltsmittel in Anspruch nehmen und den Landeshaushalt in Zukunft merklich belasten.

Die Aufnahme von Flüchtlingen kann - dies gilt in Zeiten hoher Zugangszahlen natürlich ganz besonders - nur dann gelingen, wenn alle hieran beteiligten Akteure zusammenwirken. Deshalb befindet sich das Innenministerium mit den kommunalen Landesverbänden, den Kreisen und kreisfreien Städten, einzelnen Gemeinden und Ämtern sowie den in der Flüchtlingsarbeit aktiven Verbänden und dem Flüchtlingsbeauftragten in einem ständigen Dialog über die Flüchtlingsunterbringung. Diesen werden wir fortsetzen, und wir werden ihn ausbauen. Dazu werde ich in den kommenden Wochen alle Landräte und Bürgermeister der kreisfreien Städte besuchen, um mit ihnen die Unterbringung der Flüchtlinge zu erörtern. Anfang November ist auch der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Kiel zu Gast.

Auf der Grundlage dieser Gespräche beabsichtige ich dann, zu Beginn des kommenden Jahres zu einer landesweiten Unterbringungskonferenz einzuladen. Es geht darum, trotz der angespannten Situation in enger Abstimmung mit den Kreisen und Kommunen Wege zu finden, um den Schutzsuchenden in Schleswig-Holstein eine menschenwürdige Unterbringung und gute Startbedingungen bieten können. Dazu müssen alle Beteiligten und alle Verantwortlichen an einen Tisch kommen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine Damen und Herren, der zweite Tagesordnungspunkt betrifft die Beantwortung der Großen Anfrage zur Entwicklung der Zuwanderung, der Einreise von Flüchtlingen und von Asylbewerbern in Schleswig-Holstein. Bevor ich kurz noch einige Bemerkungen dazu mache, möchte ich zunächst den sechs Ministerien, einem Landesamt und den 15 Ausländerbehörden in den Kreisen und kreisfreien Städten sowie nicht zuletzt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Innenministerium ausdrücklich dafür danken. Sie waren sehr intensiv mit der Beantwortung beschäftigt.

Der Umfang der Antwort zeigt deutlich, wie komplex das Migrationsrecht und seine praktische Umsetzung in allen betroffenen Bereichen geworden sind. Aus Zeitgründen gestatte ich mir, auf die Lektüre des Berichts zu verweisen.

Lassen Sie mich nur so viel sagen: Die Antworten der Landesregierung stellen eine aufschlussreiche Informationsquelle für viele migrationspolitische Fragen dar. Sie zeigen deutlich auf, was bisher ge

(Minister Andreas Breitner)

schafft wurde, was uns erwartet und auch, was von uns erwartet wird. Dabei wird deutlich, dass es schwierig ist, allen Erwartungen, die an die Landesregierung gerichtet werden, gleichzeitig zu entsprechen. Selbst aus tiefster Überzeugung formulierten Handlungsempfehlungen kann nicht immer sofort und in vollem Umfang gefolgt werden. Nicht selten gibt es rechtliche oder praktische Grenzen. Diese zu verschieben, erfordert gerade im Föderalismus einen langen Atem.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Flüchtlingsfragen sind nicht allein in SchleswigHolstein zu beantworten. Flüchtlingspolitik ist eine nationale Aufgabe. Wir sitzen mit dem Bund und allen anderen Ländern in einem Boot. Dieses Thema ist auch kein politisches Schlachtfeld wie jedes andere. Wir brauchen für unsere besondere humanitäre Handschrift einen gesellschaftlichen Konsens. Dieser wäre gefährdet oder gar gescheitert, wenn es uns nicht gelingt, bei diesem Thema eine gemeinsame Haltung zu finden. Ich finde, die Ausgangsbasis in diesem Haus dafür ist gut. In allen Debatten, Publikationen und Programmen gibt es unter Ihnen und auch zu uns den gemeinsamen Nenner der Humanität. Auch wenn wir, Frau Damerow, nicht in jedem Detail übereinstimmen, halte ich fest: Im Umgang mit den Menschen, die sich hierher flüchten, weil sie um ihr Leben und ihre Gesundheit fürchten, sind wir uns einig: Sie sind uns willkommen.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Noch einmal: Lassen Sie uns bei allen Unterschieden in Einzelfragen Flüchtlingspolitik weiterhin gemeinsam denken. Widerstehen Sie dem oppositionellen Reflex, die Einigkeit in der Grundfrage durch Detailkritik zu relativieren. Bei dem Thema wollen wir das Gleiche: ein weltoffenes und tolerantes Schleswig-Holstein.

Gerade bei dem Thema müssen wir aufpassen, dass wir keinen Zweifel an der gemeinsamen Haltung der demokratischen Parteien zulassen. Ressentiments, Vorurteile und Fremdenangst stärken uns nicht, sondern sie schwächen uns. Sie stärken andere, und das würde Schleswig-Holstein nicht guttun. Nur gemeinsam wird es uns gelingen, den Menschen in Schleswig-Holstein glaubhaft zu vermitteln, dass wir zusammenrücken und in unserem Land Platz schaffen müssen.

Für die Landesregierung darf ich versichern, dass wir in Schleswig-Holstein im Interesse der Migranten, aber auch im Sinne eines guten gesellschaftli

chen Zusammenlebens nicht nachlassen werden, alle Möglichkeiten für eine erfolgreiche Integration auszuschöpfen und auch das bisher Erreichte weiter auszubauen. Wir, meine Damen und Herren, denken Integrations- und Flüchtlingspolitik zusammen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Vielen Dank, Herr Minister. - Bevor wir zur Aussprache kommen, teile ich Ihnen mit, dass der Minister seine Redezeit um 7 Minuten überzogen hat. Diese stehen Ihnen allen jetzt natürlich auch zur Verfügung.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Abgeordneten Astrid Damerow von der CDU-Fraktion.