Protocol of the Session on September 10, 2014

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Schon gar nicht müssten schwer belastete Eltern künftig noch von Pontius zu Pilatus rennen, um Hilfe zu beantragen. Meine Damen und Herren, Inklusion auf Antrag, das gibt es nicht.

Viertens stellt der Bericht fest, dass das Prinzip der inklusiven Beschulung immer dann Einschränkungen erfahren muss, wenn dadurch das Wohl eines Kindes mit Behinderung gefährdet werden könnte. Dasselbe gelte grundsätzlich auch in den Fällen, in denen eine erhebliche Gefährdung für das Wohl anderer Kinder bestehe.

Förderzentren bleiben auch deshalb mit drei klar definierten Aufgaben erhalten, die man gar nicht anders als ein großes Bekenntnis zur Zukunft der Förderzentren lesen kann: Als Unterstützung für die inklusiv unterrichtenden allgemeinbildenden Schulen, als besonders ausgestattete Kompetenzzentren und als Zentren für inklusive Bildung mit einem neuen Dienstleistungsprofil auch für die Beratung von beratungssuchenden Eltern. Wir brauchen ja auch neue Lösungen für die Zusammenarbeit der verschiedenen Kostenträger, das ist wahr. Das ist nichts, was diese Regierung verschuldet hat. Das ist bundesweit ein Problem, aber hoffentlich eines, das wir in Schleswig-Holstein lösen können. Da hoffe ich hoffentlich mit Ihnen.

Ich bleibe dabei: Inklusion kann nur gelingen, wenn wir sie als Aufgabe aller verstehen. Das meine ich einerseits ganz menschlich, das meine ich aber auch politisch-technisch als Aufgabe aller politischen Ebenen; Bund, Länder und Kommunen sind gefordert. Mit diesem gesamtgesellschaftlichen Blick möchte ich besonders positiv hervorheben, dass der Übergang von der Schule ins Berufsleben in diesem Bericht mitgedacht wurde. Wir wollen an diesem Bericht weiterarbeiten. Wir stellen uns vor, dass es

parallel zum Dialogprozess des Ministeriums eine Anhörung zu diesem Bericht gibt, in dem gute Ideen weiter eingebracht werden können.

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Meine Damen und Herren, für diesen Dialog gilt, wie für die Inklusion insgesamt: Dabei sein ist nicht alles. Es muss auch gut sein. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun die Frau Abgeordnete Anke Erdmann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um wen geht es heute? - Es geht um 16.000, wahrscheinlich eher 20.000 Kinder, wenn man auch die Kinder in den Kitas und die nicht diagnostizierten Kinder mit einbezieht, die einen Förderbedarf haben, es geht um deren Eltern, um deren Mitschülerinnen und Mitschüler sowie um die Lehrkräfte, die sich um diese vielen Kinder kümmern. Wir haben viele Beteiligte in Schleswig-Holstein, und wir haben unglaublich vielfältige Strukturen. Das ist teilweise von Kreis zu Kreis und auch von Schule zu Schule unterschiedlich und oft nicht mehr vergleichbar.

Dem Bericht und dem Konzept der Landesregierung werden vorgeworfen, sie seien unfertig. Ich kann für mich selber sagen, je größer meine eigenen Fragezeichen bezogen auf ein komplexes Thema sind, desto dringender wünsche ich mir eine klare Ansage, eine klare Formel. Wir müssen aber sicher alle eingestehen, dass die Frage Schule und Inklusion so komplex ist, dass es eine vermessene Erwartung an ein Konzept ist, mit einer Formel alles klarzuziehen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Hier gibt es keine einfache Formel, weil sie auch meines Erachtens nicht existiert. Natürlich gibt es viele offene Fragen. Aber die Formeln, die Sie zum Beispiel beschrieben haben, bringen vielleicht einmal kurz Applaus, lassen sich in der Presse viel

(Martin Habersaat)

leicht auch gut abdrucken, aber in der Praxis bringen sie uns nicht weiter.

Schlagwörter waren: Inklusion entschleunigen, dritter Weg und Förderzentren erhalten. Darauf möchte ich nun kurz eingehen: Inklusion entschleunigen. Seit 20 Jahren steigt die sogenannte Inklusionsquote stetig. In den letzten zehn Jahren hat sie sich mehr als verdoppelt, von 31 auf 64 %. Wenn man sich das anschaut, waren es immer drei bis vier Prozentpunkte pro Jahr. Der Zuwachs der Inklusionsquote hat keine parteipolitische Farbe.

Das hat auch einen Grund. Wir sind uns ja alle einig, dass die Integration und Inklusion von Kindern mit Handicap und Förderbedarf in die Regelschule so weit wie möglich erfolgen soll. Und Einigkeit besteht hier auch, dass es gilt, Qualität statt Quote zu implementieren. Ich bin sehr dankbar, Sie haben das ja auch noch einmal deutlich angesprochen, Frau Ministerin, dass es darum gehen muss: Qualität statt Quote.

Was Sie aber mit dem Schlagwort Entschleunigung meinen, Frau Franzen, findet man auch in Ihrem dreiseitigen „Inklusions-Dünnbrettbohrpapier“ leider überhaupt nicht.

Auf Ihre Frage: Was wurde in den letzten zwei Jahren gemacht?, kann ich nur entgegnen: Frau Franzen, was haben Sie in den neun Jahren gemacht? Dieses dreiseitigen Inklusionspapier ist eine Situationsbeschreibung, keine Ressourcenhinterlegung, und es beinhaltet viele offene Fragen. Wenn das alles ist, was auf diesem dreiseitige Inklusionspapier steht, dann zeigt das möglicherweise auch, dass wir an ganz vielen Punkten wirklich gemeinsam an den Fragen und an den komplexen Themen arbeiten müssen. Das ist eben nicht so einfach. Und, Frau Franzen, wenn Sie hier die pädagogischen Mitarbeiter ansprechen, dann muss ich sagen, diese Ministerin hat das Problem zwar nicht endgültig beseitigt, aber sie hat wesentliche Schritte getan, auf die die Gewerkschaften vorher jahrelang gewartet haben. Das muss ich hier einmal so sagen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Der dritte Weg der FDP gefällt mir sehr gut. Er ist auch im Konzept enthalten. Er ist einer von mehreren Wegen, die man gehen kann. In der Schule in Ellerbek wird das so durchgeführt. Manchmal wird es so nicht funktionieren, ich denke darauf wird es hinauslaufen, aber dieser dritte Weg, auch wenn er im Konzept anders genannt wird, bleibt geöffnet.

In Ihrem Konzept kann man jedenfalls das Bemühen erkennen, dass Sie die Ressourcenfrage ernsthaft aufgreifen möchten. Das kann ich bei der CDU überhaupt nicht feststellen.

Ein drittes Schlagwort war Förderzentren erhalten. Das war in diesem Haus sowieso nicht strittig. Man muss zu diesem Konzept sagen: Die Förderzentren werden erhalten, genauso wie die Förderschulen, in die Kinder regelmäßig hingehen. Sogar die Förderschulen in dem Bereich Lernen, von denen es aus Expertenkreisen hieß, diese könne man als erste abschaffen, werden in diesem Konzept erhalten. Es gibt noch Leerstellen in dem Konzept der Landesregierung. Es gibt offene Fragen, aber es gibt kein Basta.

Ich möchte gern wissen, wie die Stimmung heute in diesem Haus wäre, wenn das Ministerium und die Landesregierung ganz klare Ansagen gemacht hätten. Dann würde nämlich der Ideologievorwurf in Richtung Regierungsbank fliegen. Und so müssen Sie sich jetzt etwas anderes suchen.

Diese Offenheit in dem Bericht und in dem Konzept ermöglicht es, dass die vielfältige Struktur dafür sorgt, dass sich viele Schulen, viele Beteiligte im Land, in diesem Konzept wiederfinden. Das ist eine Stärke des Konzepts und keine Schwäche.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Mir gefallen zwei Punkte an dem Bericht und an dem Konzept besonders gut, insbesondere vor dem Hintergrund des schon zitierten Berichtes, der vor drei Jahren präsentiert wurde. Es ist kein glatter Bericht. Es werden Baustellen ganz ehrlich und das erste Mal von Regierungsseite benannt. Es ist ein redlicher Bericht statt glatter „Weiter-so-Parolen“, wie es vor drei Jahren noch der Fall war. Das ist ein wirklicher Fortschritt. Und Inklusion, das sagt diese Landesregierung, gibt es nicht zum Nulltarif.

Frau Franzen, wenn Sie sagen, Schulassistenz ist ja ganz schön, dann kann ich Ihnen nur entgegnen: Diese 13 Millionen € hätte ich gern in Ihren Haushaltsanträgen von damals gesehen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich möchte mich selber da gar nicht ausnehmen. Vor drei Jahren war ich selber noch an vielen Stellen viel optimistischer, was die Umsetzung von Inklusion in den Schulen anbelangt. Und was wir heute als Erfolg bei dem Bericht und dem Konzept festhalten können, ist, dass die kollektive Realitätsverweigerung bei dem Thema Inklusion in Schule

(Anke Erdmann)

wirklich der Vergangenheit angehört, und das eint uns hier heute alle.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Wir als Grüne haben an einer Stelle einen Diskussionsbedarf. Vielleicht ist der gar nicht so kontrovers. Aber auf Seite 21 - Frau Franzen hat es bereits erwähnt - stehen zuerst die Unterrichtsversorgung und dann die Sonderpädagogen. Wir denken, dadurch, dass in dem Bereich ein strukturelles Defizit von 150 Lehrkräften besteht, müssen wir auch das angehen. Wir brauchen neben den Schulassistenten peu à peu das Schließen dieser strukturellen Lücke. Ich bin ganz optimistisch, auch wenn Sie, Frau Ministerin, nicken, was die Nachschiebeliste bringen wird.

Zum Thema Schulassistenz möchte ich noch kurz erwähnen: Mir ist eine Regierung viel lieber, die hier ganz klar sagt: Hier sind 13 Millionen €, und macht euch auch aufgrund der vielfältigen Struktur im Land darüber Gedanken, wie das am besten umgesetzt werden kann, statt eines hermetisch super durchdachten pädagogischen Konzeptes und einem Finanzminister und einem Kabinett, die auf den Mitteln herumhocken und sie nicht herausgeben. So ist es mir als Bildungspolitikerin durchaus lieber.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Es gibt zweifellos offene Fragen. Schulassistenz habe ich genannt. Wie kann man Schulbegleitung und Schulassistenz perspektivisch zusammenführen? Das hängt aber auch von den Kommunen ab, das gehört zur Wahrheit dazu. Wie gehen wir mit der flexiblen Eingangsphase und dem Förderbedarf, der dort entsteht, um? Was ist mit verhaltensoriginellen Kindern? Im Bericht wird das nur gestreift. Wie beziehen wir die Gymnasien ein, sowohl was die Beschulung aber auch was die Unterstützung betrifft? Bei der Erziehungshilfe sind die Gymnasien momentan außen vor, obwohl sie das zum Teil genauso brauchen. Was ist mit verlässlichen Förderschulen G? Was ist mit der Inklusion im Ganztag? Momentan hört der Ganztag mittags auf, und das können wir so nicht weiter betreiben. Und auch die Frage, ob künftig die Sonderlehrkräfte an Förderzentren oder an Regelschulen angesiedelt sein sollen, ist noch offen.

Ich muss aber sagen: Dieser Bericht ist eine wirklich gute und ehrliche Grundlage. Außerdem freue ich mich auf intensive Beratungen und eine gute Anhörung im Ausschuss.

Inklusion - das muss uns allen klar sein - gibt es nicht zum Nulltarif. Inklusion kommt nicht von alleine. Inklusion ist auch nicht bequem, auch nicht für Abgeordnete.

Frau Abgeordnete, kommen Sie bitte zum Schluss.

Da bin ich schon.

Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif. Inklusion das muss uns allen klar sein - ist ein Konzept, das nicht ohne Rest aufgeht. Wir müssen alle daran beteiligt sein, dieses Konzept besser zu machen. Ich sehe das als Gesprächsangebot an. - Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Anita Klahn das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Frage, wie Inklusion zukünftig an unseren Schulen zu organisieren ist, ist eine der zentralen bildungspolitischen Aufgaben in Schleswig-Holstein. Ich nehme erfreut zur Kenntnis, dass wir uns darin fraktionsübergreifend einig sind.

Der vorliegende Bericht beschränkt sich jedoch auf die Beschreibung von Bestehendem, Absichtserklärungen, der Erarbeitung von Aufgabenstrukturen, Trägerstrukturen sowie Förderkonzepten, die Einrichtung von Arbeitsgruppen und Expertenrunden, Verweise auf die Zukunft und langfristige Perspektiven. Gleichwohl richte ich an dieser Stelle meinen Dank an die Mitarbeiter, die diesen Bericht erstellt haben.

Ich finde es schön, dass Sie zu Beginn des Berichts darauf hinweisen, dass nicht die Quote das Wichtigste sei, sondern die Qualität der individuellen Förderung der inklusiv beschulten Kinder. Im weiteren Verlauf des Berichts ist allerdings zu lesen, dass vorrangig die Quote von Bedeutung sei. Das finde ich irritierend.

Positiv ist, dass Förderzentren erhalten bleiben sollen, genauso wie der Aufbau von Zentren für inklusive Bildung geplant ist. Es gibt aber leider

(Anke Erdmann)

keine zusätzliche Lehrerstelle an den Förderzentren. Das finde ich bezeichnend.