Protocol of the Session on September 10, 2014

(Beifall PIRATEN, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Kollege Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Antisemitische Äußerungen weisen wir als SSW auf das Schärfste zurück. Es macht uns sehr betroffen, wenn diese geäußert werden, besonders wenn dies vor unserer Haustür geschehen sollte. Hasspredigen und öffentliche Hetze gegen bestimmte Gruppen sind uns zuwider. Solche Handlungen sind einfach nur unerwünscht, ungenießbar und nicht tolerierbar. So viel sollte an dieser Stelle klar sein.

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und PIRATEN)

An diesem Punkt sollten wir jedoch nicht zu viele Sachen miteinander vermischen. Wir stehen zum Recht auf Demonstration. Die freie Meinungsäußerung ist ein hohes Gut, welches im Versammlungsrecht definiert ist und die Demokratie stärkt und lebendig macht. Es gehört aus unserer Sicht zu den besonders schützenswerten Grundrechten. Genau an dieser Stelle müssen wir unterscheiden zwischen Kritik an dem Handeln eines Staates und Antisemitismus im Allgemeinen. Die Kritik an einem Staat und dessen Regierung ist kein Antisemitismus. Bei allem, was wir formulieren, sollten wir darauf achten, nicht Dinge in Meinungskundgebungen hineinzuinterpretieren, die nicht im Sinne der Demonstranten sind. Allerdings hat auch ein Demonstrant eine gewisse Verantwortung. Auch seine Äußerungen könnten schlichtweg falsch aufgefasst werden; falsch im Sinne von zu verallgemeinernd. Von daher müsste man ganz genau abwägen und definieren, von was in einer Demonstration man sich konkret distanzieren möchte. Es ist deshalb auch in unserem Sinne, einen klaren und unmissverständlichen Antrag auf den Weg zu bringen.

In der Sache sind wir uns, glaube ich, einig. Zudem bin ich davon überzeugt, dass jegliche Straftaten verfolgt werden - unabhängig von ihrem sogenannten Hintergrund. Ferner kann allein das Androhen von Gewalt als Straftat verfolgt werden, und dies wird von unserer unabhängigen Justiz auch so ausgeführt. Die Rahmenbedingungen bestehen also.

Noch einmal zur Verdeutlichung: Wir vom SSW wollen nicht verbieten, Kritik an einem Staat und dessen Politik, unabhängig davon, ob dieser kriegerische Handlungen unternimmt, zu äußern. Im Gegenteil, es ist begrüßenswert, wenn sich Menschen zusammenfinden und ihre politische Meinung kundtun wollen. Doch natürlich ist nicht immer al

(Angelika Beer)

les schwarz oder weiß. Es gibt viele Grauzonen, mit denen wir vorsichtig umgehen müssen.

Im Antrag ist darüber hinaus von präventiven Maßnahmen die Rede. Das hört sich im ersten Moment sehr vernünftig an. Jedoch muss man an dieser Stelle auch sagen, dass im Präventionsangebot ganz unterschiedliche Programme bestehen, die in der letzten Zeit von uns als Regierung aufgestockt und überarbeitet wurden.

Wir vom SSW wünschen uns in dieser Hinsicht ein Denken, das sich möglichst nicht zu stark an irgendwelche Eingruppierungen und Schubladen bindet. Denn schließlich geht es grundlegend darum, Demokratie, Toleranz und Respekt gegenüber dem anderen zu fördern. Somit erscheint es uns logisch, dass in diesem Bereich auch Themen wie Antisemitismus, Radikalismus jedweder Art, Rassenhass oder auch Islamismus analysiert werden. Antisemitismus kann nur ein Teil des Fokusses der Präventionsarbeit sein. Sie sollte sich nicht gänzlich auf eine Thematik beschränken, sondern möglichst vielfältig aufgestellt sein.

Neueste bundesweite Studien bestätigen, dass erhebliche Vorurteile und abgrenzende Tendenzen gegenüber Einzelgruppen bestehen. Dies ist erschreckend. Doch es ist auch ein Weckruf, ein Weckruf, der ein genaues Hinsehen und Zuhören verlangt.

Daher bestärkt es uns, uns noch besser um die Präventionsarbeit im Land zu kümmern und diese weiterzuentwickeln. Wir wissen die Präventionsarbeit zu schätzen und sollten diese Wertschätzung auch nach außen tragen, dort wo sie ihren Platz hat, nämlich in der Mitte unserer Gesellschaft. Präventionsarbeit ist kein Selbstgänger. Präventionsarbeit ist eine Herausforderung, der wir uns als Vertreter im Landtag stellen wollen, gemeinsam mit den durchführenden Akteuren. Dies ist unsere Aufgabe, und hier haben wir ein Stück Verantwortung zu tragen, auch als Parlament.

Wir als SSW bekennen uns zu dieser Verantwortung, und wir freuen uns, dass wir diesen gemeinsamen Antrag hinbekommen haben. In SchleswigHolstein ist kein Platz für Hetze und Antisemitismus, und dabei bleibt es auch.

(Beifall)

Vielen Dank. - Für einen Dreiminutenbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki von der FDP das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, dass wir eine in diesem Hohen Haus angemessene Debatte in einer sehr grundsätzlichen Frage führen, was ja nicht so häufig vorkommt, unabhängig von der Gemeinsamkeit, die wir in dieser Frage haben.

Frau Kollegin Beer, ich möchte kurz darauf hinweisen, warum Islamophobie und Antisemitismus nicht auf der gleichen Erkenntnis- und Ablehnungsstufe stehen. Ich selbst bin fest davon überzeugt, dass es keine rechtliche Grundlage dafür gibt, dass Leute - egal, wie verzweifelt sie sind - wie die Hamas oder andere berechtigt sind, auf unschuldige Menschen in Israel mit Raketen oder Granaten zu schießen. In gleicher Weise bin ich fest davon überzeugt, dass es keine Berechtigung für die israelische Führung gibt, Gaza plattzumachen, sodass Menschen dort auf absehbare Zeit nicht mehr leben können. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit ist hier nicht gewahrt. Das muss man sagen.

Das ist kein Antisemitismus und hat auch nichts mit Israel zu tun. Das könnte jede andere Nation treffen. Es gibt im Völkerrecht das Prinzip, angemessen zu reagieren. Was wir erleben müssen, ist, dass unglaublich viele Zivilisten auf absehbare Zeit kein vernünftiges Leben mehr fristen können wegen Aktionen, für die sie selbst gar nicht verantwortlich sind, sondern die von einer kleinen Gruppe und Clique in ihrem Herrschaftsbereich ausgeübt worden sind.

(Thomas Rother [SPD]: Das ist dummes Zeug!)

- Das ist kein dummes Zeug.

(Thomas Rother [SPD]: Natürlich ist das dummes Zeug!)

- Es ist dummes Zeug, dass die Bevölkerung von Palästina dafür verantwortlich ist, was die Hamas macht? Sollen die jetzt einen Aufstand machen?

(Tobias Koch [CDU]: Wer hat die Hamas denn gewählt?)

Dann müsste vielleicht auch die israelische Bevölkerung einen Aufstand gegen die israelische Regierung vornehmen. Ich versuche zu erklären, dass das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben muss. Herr Kollege Koch, sich darüber zu streiten, halte ich für extrem unangemessen.

Der Antisemitismus hat seine Grundlage seit Hunderten von Jahren darin, dass immer versucht worden ist, eine Menschengruppe aufgrund ihrer religi

(Lars Harms)

ösen Überzeugung und ihrer Abgeschlossenheit für alles Böse dieser Welt verantwortlich zu machen. Immer haben Regierungen versucht, Juden dafür verantwortlich zu machen, dass es Versagen in der eigenen Gesellschaft gegeben hat. Antisemitismus ist ein Hass auf Menschen. Islamophobie ist kein Hass auf Menschen, sondern die Furcht davor, dass aufgrund von religiöser Verblendung Islamisten, Salafisten oder Leute von ISIS bereit sind, Gewalttaten zu begehen, um ihre Interessenlagen durchzusetzen. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe auf verschiedenen Ebenen.

Ich kenne einige Menschen, die aus persönlicher innerer Verzweiflung und weil sie nicht selbstbewusst genug sind, dabei sind, Menschen wegen anderer Hautfarbe oder anderer religiöser Überzeugung zu diskreditieren. Das finden wir in allen Gesellschaften immer wieder. Das sind bedauernswerte Menschen. Aber dass es in Deutschland eine Furcht davor gibt, dass sich Konflikte, die außerhalb unseres Landes stattgefunden haben, bei uns gewalttätig wiederfinden, müssen wir ernst nehmen und diskutieren. Das können wir nicht einfach als Islamophobie wegdiskutieren. Dann werden wir einen wesentlichen Teil der Bevölkerung nicht mehr erreichen.

Wir müssen uns schon mit der Frage auseinandersetzen, wie wir in absehbarer Zeit damit umgehen, dass Menschen auch bei uns, Deutsche mit Migrationshintergrund, bereit sind, alle kulturellen Errungenschaften, die wir kennen, nämlich gewaltfrei zu demonstrieren, zu opponieren, sich zu äußern, zu vergessen und Gewalttaten zu begehen, um ihre Überzeugung durchzusetzen. Dieses Problem müssen wir angehen. Sonst verlieren wir den Kontakt zu wesentlichen Teilen unserer Bevölkerung, was wir als Parlamentarier nicht wollen können.

Frau Kollegin Beer, deshalb können wir das nicht auf die gleiche Stufe stellen. Deshalb bin ich froh, dass wir das im Ausschuss noch einmal diskutieren können. - Herzlichen Dank.

Für die Landesregierung hat Innenminister Andreas Breitner das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin den Fraktionen - und damit Ihnen allen - außerordentlich dankbar, dass Sie sich auf einen gemeinsamen Antrag verständigt haben. Das ist ein wichtiges Signal der Geschlossenheit, um den Menschen

in unserem Lande glaubhaft unsere gemeinsame eindeutige Position gegen jedwede Art von Antisemitismus zu verdeutlichen. Für die Landesregierung habe ich dies zuletzt im Juli 2014 angesichts antisemitischer Parolen bei Demonstrationen im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern im Gazastreifen noch einmal ausdrücklich öffentlich bekräftigt.

Es gibt inzwischen eine Reihe von Maßnahmen, die diese Haltung unterstreichen. Bereits am 22. Juli 2014 hat die Polizeiführung Leitlinien für die Einsatzkräfte bei einschlägigen Demonstrationen erlassen. Darin wird insbesondere beim Skandieren von antisemitischen, rassistischen oder volksverhetzenden Parolen oder dem Zeigen von entsprechenden Schriftbändern oder einschlägigen Symbolen ein konsequentes und niedrigschwelliges Einschreiten verlangt.

Das Innenministerium hat weiter die Versammlungsbehörden des Landes gebeten, bereits bei der Anzeige entsprechender Versammlungen sorgfältig zu prüfen, ob und inwieweit das Zeigen und Mitführen einschlägiger Embleme sowie entsprechende Wortbeiträge und Parolen durch strikte Auflagen untersagt werden können. Für die versammlungsrechtlichen Kooperationsgespräche sind die Behörden zudem gebeten worden, in Abstimmung mit der Polizei deutlich zu machen, dass Veranstalter und Versammlungsleitungen mäßigend auf die Versammlung einzuwirken haben. Den Veranstaltern und Versammlungsleitungen soll deutlich vor Augen geführt werden, dass die Einschreitschwelle gerade bei volksverhetzenden und rassistischen Parolen, Symbolen und Wortbeiträgen sehr niedrig ist und umgehende versammlungs- und strafrechtliche Maßnahmen zur Folge hat.

Diese unmissverständliche Linie hat Wirkung gezeigt. Die Demonstrationen und Versammlungen, die in Schleswig-Holstein seither im Zusammenhang mit dem Gazakonflikt stattgefunden haben, sind allesamt friedlich verlaufen.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung engagiert sich überaus intensiv, um allen Formen des Antisemitismus mit Entschiedenheit entgegenzutreten und mit präventiven Maßnahmen zu begegnen.

Dass die Landesregierung zugleich ein wachsames Auge auf alle extremistischen Phänomenbereiche hat, habe ich in der Juni-Tagung des Landtags bereits deutlich gemacht. Unsere Sicherheits- und Ermittlungsbehörden gehen entschieden und professionell gegen alle extremistischen Strömungen in

(Wolfgang Kubicki)

unserem Land vor. Dabei schöpfen sie die rechtlichen Möglichkeiten umfassend aus.

Dies gilt gleichermaßen für das Potenzial außerhalb des rechtsextremistischen Spektrums, das sich mit antisemitischer und israelfeindlicher Haltung auf die Seite extremer Palästinenser- und Unterstützergruppen schlägt. Das sind vor allem islamistische, salafistische Kreise sowie vereinzelt auch Angehörige des linksextremistischen Lagers.

Wenngleich es in Schleswig-Holstein keine Anzeichen für ein spürbares Aufwachsen von Islamophobie gibt, müssen wir anderenorts durchaus heikle Provokationen beobachten, wie es uns die Geschehnisse um die sogenannte „Scharia-Polizei“ in Wuppertal gezeigt haben. Selbst derartige Auswüchse dürfen aber nicht dazu führen, Muslime in Deutschland insgesamt als salafistische Extremisten zu verdächtigen.

(Beifall)

Die klare Distanzierung aller muslimischen Verbände in Deutschland gegenüber der „Scharia-Polizei“ spricht für sich.

Gleichwohl hält es die Landesregierung für erforderlich, den Kampf gegen den Extremismus mit der Entwicklung eines Konzepts zur Salafismus-Prävention weiter auszuweiten. Hintergrund ist vor allem die zunehmende Rekrutierung junger Islamisten in Deutschland für die Teilnahme an Kampfhandlungen in Syrien und dem Irak. Konzeptioneller Kern des Präventionsprogramms werden die Einrichtung gestufter Beratungs- und Betreuungsangebote sowie die Förderung sozialraumbezogener Projekte sein.

Das Konzept orientiert sich strukturell am Bundesprogramm „TOLERANZ FÖRDERN - KOMPETENZ STÄRKEN“ und dem Landesprogramm zur Demokratieförderung und Rechtsextremismusbekämpfung in Schleswig-Holstein. Die Umsetzung liegt in den bewährten Händen der Landeskoordinierungsstelle im Innenministerium. Dabei teilt die Landesregierung ausdrücklich Ihren Hinweis, dass dieses neue Präventionsprogramm in keinem Fall zulasten bestehender Programm durchgeführt werden darf, Herr Abgeordneter von Pein.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt PIRATEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, genauso wie Sie es in Ihrem gemeinsamen Antrag formulieren, sind

in Schleswig-Holstein alle Bürgerinnen und Bürger, alle gesellschaftlichen und politischen Akteure und natürlich auch die Landesregierung aufgerufen, frühzeitig, nachhaltig und konsequent antisemitischen Bestrebungen und allen Formen des Extremismus mit größter Entschiedenheit entgegenzutreten. Antisemitismus hat bei uns nicht nur keinen Platz, mehr noch: Wir werden in unserem Land jüdisches Leben schützen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, SSW, vereinzelt CDU, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)