Protocol of the Session on July 10, 2014

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Christopher Vogt für die FDP-Fraktion.

(Zuruf Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke dem Minister und seinen Mitarbeitern für den erfrischend offenen, aber im Ergebnis leider wirklich erschreckenden Bericht zum Zustand unseres Straßennetzes. Der Minister hat eben eigentlich schon alle wichtigen Zahlen vorgetragen, sodass ich nur noch einmal kurz drei Punkte aufgreifen möchte.

Erstens. Über 30 % aller Landesstraßen sind in einem maroden Zustand, und weitere 22,2 % haben einen Warnwert überschritten, wie es so schön heißt, bei dem eine intensivere Beobachtung geboten ist. Das heißt im Ergebnis, dass mittlerweile über 50 % der Landesstraßen mehr oder weniger sanierungsbedürftig sind.

Zweitens. Derzeit sind im Landesstraßennetz über 500 Verkehrsbeschränkungen angeordnet. Es ist also in vielen Regionen so, dass man aus seinem Ort herausfährt und von einer 50-km/h-Zone innerorts in eine 30-km/h-Zone außerorts fährt. Das betrifft mittlerweile eine Strecke von über 800 km, was in etwa einem Fünftel des Gesamtnetzes entspricht.

Drittens. Es wurde spätestens seit Anfang der 90erJahre zu wenig in den Erhalt des Straßennetzes investiert. Der Minister hat es eben noch einmal sehr deutlich gesagt. Die Erhaltungsinvestitionen sind seit 1990 um insgesamt 280 Millionen € hinter dem tatsächlichen Bedarf zurückgeblieben. Wir können die übliche Vergangenheitsbewältigung und die gegenseitigen Schuldzuweisungen an dieser Stelle lassen,

(Vereinzelter Beifall)

denn wer die Hauptschuld an der Misere trägt, ist aus dem Bericht deutlich genug geworden. Insofern muss ich auch da sagen, Herr Kollege Tietze, dass der Bericht sehr eindeutig gezeigt hat, woran und an wem es lag. Aber lassen wir das. Man sollte den Bericht aus meiner Sicht jetzt vielmehr dazu nutzen, aus den gemachten Fehlern zu lernen, es zumindest nicht noch schlimmer werden zu lassen. Ich glaube, das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall FDP - Zuruf Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Doch, leider, Herr Dr. Tietze, die genannten Zahlen verdeutlichen jedem, dass es beim Erhalt des Straßenverkehrsnetzes nicht einfach um das gele

(Minister Reinhard Meyer)

gentlich ungeliebte Verbauen von Beton oder Asphalt geht, sondern um die Sicherung der täglichen Mobilität von fast drei Millionen Menschen in unserem Bundesland.

(Beifall FDP und Hans-Jörn Arp [CDU])

Weil wir die Diskussion nicht zum ersten Mal führen: „Freie-Fahrt-für-freie-Bürger“-Polemik ist fehl am Platze. Herr Kollege Tietze, Sie dürfen sich angesprochen fühlen.

(Heiterkeit - Zuruf Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

In dem Bericht ist sehr schön dargelegt - ich weiß nicht, ob Sie ihn gelesen haben, Herr Dr. Tietze -, dass auf über 85 % der Landesstraßen Buslinien verkehren. Ohne ein leistungsfähiges Landesstraßennetz ist also auch kein funktionierender öffentlicher Personennahverkehr denkbar.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber keine Schienen!)

Denjenigen, die immer lautstark die Forderung erheben, dass man lieber stärker in den ÖPNV und weniger in den Straßenbau investieren sollte, sollte der Bericht sehr stark zu denken geben.

Der Minister hat in seinem Bericht nicht nur den katastrophalen Zustand des Straßennetzes schonungslos aufgezeigt, er hat auch beschrieben, was notwendig wäre, um das Desaster zumindest einzudämmen. Der Verkehrsminister hat in dem Bericht eine derzeitige strukturelle Deckungslücke von über 30 Millionen € pro Jahr errechnet, und das nur für den Fall - das muss man sich immer wieder vor Augen führen -, dass das Landesstraßennetz in dem derzeit miserablen Zustand verbleibt, also noch keine Verbesserung, selbst wenn man 30 Millionen € draufpackte. Wer das Verkehrsnetz weiter verkommen lässt, der raubt dem Land Zukunftschancen.

(Beifall FDP und CDU)

Es muss also deutlich mehr Geld für den Erhalt bereitgestellt werden.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Ich freue mich, dass die Finanzministerin anwesend ist. Es wurde eben schon angesprochen: Die Zensusmillionen wurden zum Teil für die Landesstraßen ausgegeben, aber dieses Sondervermögen ist, wenn man die Zahl richtig einordnet, natürlich nur ein Tropfen auf einen sehr, sehr großen heißen Stein. Sie haben auch, das wollen wir auch nicht vergessen, erst gekürzt und sozusagen erst auf den Druck reagiert. Weitergehende Anträge wurden ab

gelehnt. Insofern ist es kein Ruhmesblatt für diese Landesregierung. In Zukunft muss deutlich mehr getan werden.

Es ist nicht nur verkehrspolitisch mehr als geboten, es ist auch ganz konkret finanzpolitisch das einzig Vernünftige: Das Landesstraßennetz stellt ja im Wesentlichen den Großteil des Anlagevermögens des Landes dar. Wie bei jedem baulichen Vermögen muss das natürlich auch entsprechend instand gehalten werden. Wer das unterlässt, lässt nicht nur sein eigenes Vermögen verkommen, sondern belastet auch die kommenden Generationen zusätzlich ganz massiv.

Auf Seite 21 findet sich der entscheidende Satz:

„Demzufolge steht der ‚Einsparung‘ an Erhaltungsmitteln … in Höhe von rund 280 Millionen € ein tatsächlicher Werteverzehr mit einem Wiederherstellungsvolumen von rund 900 Millionen € gegenüber.“

Wer 280 Millionen € einspart, muss am Ende 900 Millionen € bezahlen. Da geht es munter weiter, meine Damen und Herren. Das muss endlich aufhören. Da müssen wir gegensteuern. Die Investitionsquote des Landes ist zu gering. Da müssen wir bei den anstehenden Haushaltsberatungen ansetzen.

(Beifall FDP, Hans-Jörn Arp [CDU] und To- bias Koch [CDU])

Herr Minister Meyer, nun laufen in den letzten Tagen lustige Debatten über die Pkw-Maut für Ausländer. Herr Dobrindt ist ja nicht doof, das muss man ihm lassen. Er hat gemerkt: Die Unterstützung ist zu gering, dann erweitert man einfach den Kreis der Empfänger. Er hat bei Landes- und Kommunalstraßen, auf die er eigentlich gar keinen Zugriff hat, darauf verwiesen, dass es dort auch ausgewiesen werden soll - und zack, kommt auch Kritiker Meyer um die Ecke und sagt: Na ja, wir sind immer noch skeptisch, aber das Geld nehmen wir natürlich gern.

(Minister Reinhard Meyer: Ich nehme immer gern Geld!)

Kommen Sie bitte zum Ende.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Herr Minister Meyer, ich muss abschließend noch sagen: Die europarechtlichen Probleme sind das eine, das verheerende europapolitische Signal ist etwas ande

(Christopher Vogt)

res. Die Landesregierung muss sich dagegenstellen und darf nicht klammheimlich die Hand aufhalten, damit Herr Dobrindt das Problem löst. - Vielen Dank.

(Beifall FDP und Rainer Wiegard [CDU])

Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Hans-Jörn Arp das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch Ihnen, Herr Meyer, einen herzlichen Dank an Ihr Haus für den Bericht, der uns ganz offensichtlich zeigt, in welchem Zustand unsere Straßen sind. Sie und auch der Kollege Vogt haben darauf hingewiesen.

Auch ich will hier keine Geschichtsklitterei betreiben, aber ich will daran erinnern, dass die SPD in den letzten 30 Jahren bis auf eine kurze Unterbrechung von zweieinhalb Jahren immer in Regierungsverantwortung war und deshalb natürlich auch an dem jetzigen Zustand mit eine Verantwortung trägt.

(Vereinzelter Beifall CDU)

Reden wir nicht darüber. Das war insbesondere die Zeit, seitdem die Grünen dabei sind, aber auch schon unter Frau Simonis, die immer gesagt hat: Wir müssen in Köpfe und nicht in Beton investieren. - Das Ergebnis haben wir heute.

(Zuruf: Betonköpfe! - Heiterkeit)

Wenn Sie sich wie heute Mittag im Hotel Atlantic hinstellen und beim Bauwirtschaftstag sagen: „Wer heute nicht investiert, hat morgen den Schaden“, dann sage ich Ihnen: Wer vor 20 Jahren nicht investiert hat, hat ab jetzt den Schaden. Den haben wir hier. Wenn Sie heute einmal die Zeitung aufschlagen und den Pressespiegel sehen, sehen Sie nur heute, was ich mit Ihrer Erlaubnis zitiere, Herr Präsident: „Marode Straßen im Lauenburgischen“, heute erschienen in den „Lübecker Nachrichten“, in der „Dithmarscher Zeitung“ beziehungsweise im „sh:z“-Verlag „Marode L 138: Vollsperrung droht“ - ganz nebenbei: Das ist die Hauptzufahrt zum Industriegebiet Brunsbüttel, über die wir eben diskutiert haben. Der Unternehmensverbandstag gestern stand unter der Überschrift: „Wir beginnen, im Stau zu ersticken“. Das sind alles Nachrichten von einem Tag. Das sind alles Nachrichten und Signale an die Wirtschaft. Wenn die Wirtschaft eines

braucht - sowohl die Arbeitnehmer als auch die Arbeitgeber, das sind überwiegend mittelständische Unternehmen -, dann ist das eine vernünftige Infrastruktur in diesem Land. Wenn wir die in einem Flächenland nicht haben, werden wir das bei den Arbeitsplätzen, bei den Einnahmen und bei unseren Sozialsystemen merken.

(Vereinzelter Beifall CDU)

Wenn wir überhaupt für irgendwas verantwortlich sind, Herr Meyer, dann ist das eine vernünftige Infrastruktur in diesem Land, und dafür ist nun mal der Wirtschaftsminister verantwortlich und darf sich dann auch nicht darauf berufen -

(Olaf Schulze [SPD]: Wer war denn 2005 da- für verantwortlich?)

- Nun seien Sie einmal ruhig. Einfach mal ruhig sein und zuhören, das hilft. Das interessiert im Moment überhaupt keinen Unternehmer, wer vor zehn oder sieben Jahren hier Wirtschaftsminister war.

(Olaf Schulze [SPD]: Genau das ist es ja: Wir fahren auf den maroden Straßen, die Sie uns hinterlassen haben! - Lachen CDU)

- Ein bisschen mehr Inhalt und ein bisschen mehr Substanz, wir sind hier nicht im Karnevalsklübchen.