Protocol of the Session on July 10, 2014

(Beifall FDP)

Nach einer aktuellen Statistik von Eurostat - das ist das Statistische Amt der Europäischen Union - sind die Löhne im verarbeitenden Gewerbe durchschnittlich um ein Viertel höher als beispielsweise im Dienstleistungsgewerbe. Die Industrie erzielt die höchste Wertschöpfung und sorgt mit ihrer Nachfrage nach Vorleistungen dafür, dass auch in den unternehmensnahen Dienstleistungen, wie zum Beispiel Wirtschaftsprüfung, Finanzgewerbe, Unternehmensberatung und so weiter, eine hohe Zahl gut bezahlter Beschäftigungsverhältnisse erhalten bleibt beziehungsweise neu geschaffen wird.

Meine Damen und Herren, die Landespolitik darf dem Prozess der schleichenden Deindustrialisierung nicht tatenlos zusehen. Das ist natürlich eine schwierige Aufgabe. Deshalb fordern wir in unserem Antrag die Landesregierung auf, gemeinsam mit den Kommunen, den Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften sowie den Hochschulen im Land ein industriepolitisches Konzept zu erarbeiten, das darauf ausgelegt sein soll, dass wir bis 2030 bei den entsprechenden wirtschaftlichen Kennzahlen wieder mindestens den Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer erreichen können.

Ich habe gestern auch mit dem Vorsitzenden des DGB Nord gesprochen. Auch der sagt, dass die Gewerkschaften bereits an einem ähnlichen Konzept arbeiten und sich schon Gedanken gemacht haben. Er sagte auch, dass sie das in einem norddeutschen Zusammenhang machen wollen. Auch das halte ich für einen sinnvollen Ansatz.

Meine Damen und Herren, niemand erwartet, dass wir in den nächsten zehn bis 15 Jahren die Bundesländer an der Spitze überholen werden. Aber es ist, glaube ich, zumindest nicht komplett unrealistisch, dass wir wieder zurück ins Mittelfeld kommen.

Herr Abgeordneter Vogt, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Tietze?

Mit größter Freude.

Vielen Dank, Herr Kollege. Entschuldigen Sie bitte, dass ich so spät aufgestanden bin. Aber ich musste den Gedanken, den Sie vorhin geäußert haben, erst noch ein bisschen nachwirken lassen.

Sie haben den Bezug zur industriellen Entwicklung und zu der Frage der Arbeitsplätze und zu den billigen Löhnen festgestellt. Sind Sie mit mir der Meinung, dass es auch eine Folge des industriellen Wandels ist, dass die Arbeitsplätze nicht in Deutschland bleiben? Wir beide hatten ja das Vergnügen, Herrn Ministerpräsidenten im vergangenen Jahr nach China zu begleiten, und haben dort feststellen können, dass es immer mehr mittelständische, aber auch industrielle Betriebe gibt, die eben gerade in China ihre Produktion aufbauen. Glauben Sie, dass eine der Folgen dessen, was wir durch die Globalisierung in der Industriepolitik erleben, eben auch ist, dass wir diese Entwicklung in Westeuropa und eben auch in Deutschland gar nicht auffangen können, weil wir gegen diese Billiglohnkonkurrenz gar nicht „anstinken“ können? Sie wissen, was ich meine.

- Ja, ich weiß, was Sie meinen; ich habe das verstanden.

Herr Dr. Tietze, das ist natürlich eine spannende Frage. Aber ich glaube, hier muss man ein bisschen unterscheiden. Es gibt natürlich einen internationa

(Christopher Vogt)

len Wettbewerb, wonach es nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa eine Tendenz zur Deindustrialisierung gibt, sodass sich dort wieder einiges verlagert. Es kommen allerdings auch viele Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes wieder zurück nach Deutschland und nach Mitteleuropa.

Ich glaube, es geht um die Rahmenbedingungen. Ich meine, wir brauchen uns nicht mit Billigproduzenten in China vergleichen. Das haben wir ja auch gesehen, Herr Ministerpräsident. Es gibt Bereiche, in denen wir nicht konkurrenzfähig sein können, aber ich glaube, dass auch die Hochschulen, was innovative Produkte angeht, was den technischen Vorsprung angeht, vieles leisten. Hiergegen kann Deutschland sehr wohl ankommen, umso zumindest diesen schleichenden Prozess der Deindustrialisierung abzubremsen und zu verändern.

Deswegen hatte ich ja auch den Vergleich zu anderen Bundesländern hergestellt. Ich glaube, dies ist auch genau die richtige Vergleichsgröße. Denn ich glaube, es macht wenig Sinn, sich mit der Region Zhejiang zu vergleichen, die so viele Einwohner hat wie Frankreich und die in China eine Boomregion ist. Nach meiner Auffassung macht es aber durchaus Sinn, sich mit westdeutschen Flächenländern zu vergleichen, wie zum Beispiel mit Rheinland-Pfalz, wo es ähnliche Rahmenbedingungen gibt wie in Schleswig-Holstein. Da muss man eben gucken, was man im Verkehrsbereich, im Hochschulbereich und in anderen Bereichen bei den Rahmenbedingungen für die Unternehmen tun kann. Wie kann man Unternehmen anwerben und die Rahmenbedingungen für diese Unternehmen verbessern?

Herr Abgeordneter Vogt, der Herr Abgeordnete Dr. Tietze hat das Bedürfnis zu einer weiteren Frage. Gestatten Sie diese?

Das hatte ich schon befürchtet. Gern.

Vielen Dank für die sehr interessante Antwort.

Sie haben in Ihrer Rede den Eindruck erweckt, dass der Standort Schleswig-Holstein in den letzten Jahren möglicherweise ein schlechterer Standort geworden ist. Würden Sie denn mit mir konform gehen, dass wir auch durch die Energiewende und die Pro

duktion der regenerativen Energien, die wir in Schleswig-Holstein im Gegensatz zu anderen Bundesländern gerade durch den Ausbau der Windenergie en masse haben, ein sehr attraktives Bundesland für Industrieansiedlungen sind? Das Thema Energie ist ja heute durchaus ein sehr wichtiger Faktor bei der Frage der Ansiedlung von Industrie.

- Ja, natürlich. Es geht darum, die Stärken, die man hat, weiter zu stärken, Cluster zu bilden. Wenn man sich zum Beispiel die erneuerbaren Energien anschaut, dann haben wir natürlich einen Vorteil. Wenn man aber danach guckt, wo in dem Bereich auch produziert wird, dann müssen wir feststellen, dass die süddeutschen Bundesländer vielleicht am Anfang noch einen kleinen Rückstand gehabt haben. Aber auch insoweit muss man sagen: Wenn alles in Schleswig-Holstein produziert werden würde, was in diesem Bereich boomt, dann wäre das für Schleswig-Holstein sehr schön. Das ist aber nicht durchweg der Fall. Ich glaube, wir haben im Bereich der erneuerbaren Energien ohne Frage eine gewisse Stärke. Dies ist ein Punkt, auf den man durchaus stärker setzen müsste. Auch die Gesundheitswirtschaft ist eine Stärke von Schleswig-Holstein.

Wenn Sie sich die maritime Wirtschaft anschauen, dann gibt es hier - die Werftenkrise ist nach dem Strukturwandel größtenteils vorüber - die Situation, dass viele Werften sozusagen von Auftrag zu Auftrag kämpfen. Aber wenn Sie sich das anschauen, dann stehen wir logischerweise hier an der Küste am Ende der Wertschöpfungskette - allein schon aus geografischen Gründen. Aber was den ganzen Maschinenbau angeht, was die ganzen Vorleistungen angeht, das wird oftmals auch im Bereich der maritimen Wirtschaft im Süden produziert. Ich denke, da muss man schauen, ob man das nicht auch in Schleswig-Holstein, stärker hier vor Ort, haben kann.

Meine Damen und Herren, es gibt also keinen plausiblen Grund dafür, dass Schleswig-Holstein dauerhaft - wie der DGB sagt - der „Lohnkeller der Republik“, der westdeutschen Flächenländer, bleiben muss. Wer die Situation konkret verbessern will, muss sich darüber Gedanken machen. Die Landesregierung kann und sollte natürlich nicht neue Industrieunternehmen gründen, aber gerade bei den Fragen, wie Studienplätze, in welchen Bereichen, finanziert werden, bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung, bei den Ausgaben für Infrastruktur, wo wir leider eine sehr niedrige Investitionsquote haben - darüber wollen wir gleich auch noch

(Christopher Vogt)

sprechen -, beim Thema Gründungsintensität - also bei dem Thema, wie viele junge Leute gründen ein Unternehmen und wie kann man sie dabei unterstützen -, oder auch beim Thema unternehmerisches Engagement insgesamt gibt es Punkte, über die man diskutieren kann.

Wir müssen uns finanziell konsolidieren, aber das sollten wir nicht auf Kosten der Zukunft machen. Wir müssen genau gucken, wo wir das Geld im Land einsetzen.

Meine Damen und Herren, insofern ist die Verbesserung der Rahmenbedingungen unser Ziel. Es sollte dort ein entsprechender Masterplan, ein Konzept, erarbeitet werden. Ich denke, an dieser Stelle macht es Sinn, das Thema im Ausschuss weiter zu vertiefen und weiter auf den Weg zu bringen. - Ich danke ganz herzlich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP)

Das Wort für die CDU hat Herr Abgeordneter Volker Dornquast.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Wirtschaft brummt, die Auftragsbücher der deutschen Industrie sind gut gefüllt - zumindest zurzeit noch. Zugleich ist der Arbeitsmarkt sehr stabil - und das auf einem hohen Niveau. Das ist die erfreuliche Situation in Gesamtdeutschland. Am mittelständisch geprägten Schleswig-Holstein geht die besonders florierende industrielle Wertschöpfung allerdings freilich fast vollständig vorbei. Schleswig-Holstein ist industriepolitisch der Schwachpunkt oder zumindest ein Schwachpunkt Deutschlands.

Die Industrie in Deutschland hat 7,2 Millionen Beschäftigte bei einem Gesamtumsatz von 2 Billionen €. Gemessen an der Bevölkerung müssten wir also fast dreimal so viele industrielle Arbeitsplätze in unserem Land haben, um den Durchschnitt der Bundesrepublik zu erreichen. Wir haben 3,5 % der Bevölkerung und nur 1,3 % der Industriearbeitsplätze.

In Schleswig-Holstein arbeiten 101.000 Beschäftigte in 537 Industriebetrieben. Das sind gegenüber dem Basisjahr 2010 lediglich 3 % Arbeitsplätze mehr, die in diesem Bereich entstanden sind. Das zeigt, dass Schleswig-Holstein von der boomenden Wirtschaft und den hervorragenden Exportzahlen

zwar auch profitiert, im Verhältnis zu anderen Bundesländern jedoch etwas an Boden verliert. Das um eine Million Menschen kleinere Hamburg hat im gleichen Zeitraum 4.000 Industrie-Arbeitsplätze geschaffen - und das bei bekanntermaßen erheblich geringeren Flächen, die für solche Betriebe dort angeboten werden können.

Herr Abgeordneter Dornquast, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Matthiessen?

Ich möchte keine Zwischenfragen zulassen, nein. Als Flächenland sollte man meinen, dass wir mit Flächen für Industrieprojekte werben könnten. Stattdessen bekommen wir zunehmend Probleme mit den Flächen. Dafür gibt es vielerlei Gründe, die uns allen bekannt sind. Herr Wirtschaftsminister, diese Landesregierung muss sich mehr um diese Chance der Wertschöpfung kümmern. Die industrielle Produktivität ist die Quelle von Wachstum und Wohlstand in Deutschland.

Die industrielle Produktion und die produktbezogene Dienstleistung, die da dranhängen, finden meist in recht enger räumlicher Nähe zueinander statt. Dienstleister folgen der sich verlagernden Industrie an andere Standorte. Das ist negativ, aber wenn es mal zu uns hin passiert, kann das auch positiv sein. Die Industrie hat damit einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der unternehmensnahen Dienstleister. Deshalb unterstützt die CDUFraktion den Vorschlag der FDP hinsichtlich der Erarbeitung eines industriepolitischen Konzeptes des Landes ausdrücklich.

Herr Ministerpräsident, in Ihrer Regierungserklärung haben Sie gesagt, dass sich Ihre Regierung daran messen lassen wird, ob sie dieser historischen Aufgabe gerecht geworden ist.

(Zuruf SPD: Dann ist ja alles gut!)

Heute kann ich allerdings nicht erkennen, dass Sie sich überhaupt auf den Weg machen wollen, geschweige denn bereits gemacht haben.

(Beifall Johannes Callsen [CDU] - Martin Habersaat [SPD]: Liegt das an uns oder an Ihnen?)

Nach Auffassung der CDU darf die Windindustrie nicht die einzige Hoffnung für Schleswig-Holstein bleiben.

(Christopher Vogt)

Herr Ministerpräsident, gemäß Ihrer Regierungserklärung haben Sie auch angekündigt, SchleswigHolstein attraktiv machen zu wollen für internationale Unternehmen und neue Arbeitskräfte. Das ist jetzt über zwei Jahre her. Nach meiner Meinung ist bisher nicht viel, ich meine sogar gar nichts passiert, was in diese Richtung deutet. - Schönen Dank.

(Beifall CDU)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Olaf Schulze.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Industriepolitik und Sozialdemokratie haben eine lange gemeinsame Geschichte. Daher hätte Ihr Antrag eigentlich besser ins letzte Jahr gepasst, als die SPD ihr 150-jähriges Bestehen gefeiert hat.

(Lachen Johannes Callsen [CDU] - Christo- pher Vogt [FDP]: Wir waren nicht eingela- den!)

Allerdings haben wir auch nach 151 Jahren dazu einiges zu sagen. Industriepolitik ist nämlich auch in Schleswig-Holstein ein Punkt, den wir im Fokus haben. Wenn Sie sich ansehen, welchen Strukturwandel Schleswig-Holstein in den letzten zwei Jahrzehnten zu bewältigen hatte, ist völlig klar: So wie vorher wird es in Schleswig-Holstein nicht mehr werden. Es wird anders, und das schon seit langer Zeit.

Auch deshalb ist die Schwerindustrie eines der Themen, die vom Flensburger Institut für schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalgeschichte erforscht werden. Ein Schwerpunkt ist dabei der Schiffsbau. Der Wandel gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Strukturen ist in unserer industriellen und unserer postindustriellen Gesellschaft der Normalfall. Ihn sollten wir gestalten, und das tun wir in Schleswig-Holstein seit nunmehr 125 Jahren.

Meine Damen und Herren, neu sind diese Notwendigkeiten nicht. Als sich der Landtag 1991 einen Raumordnungsbericht vorlegen ließ, wurde deutlich, dass die Bedeutung der Beschäftigung im produzierenden Gewerbe in den zurückliegenden Jahrzehnten bereits erheblich abgenommen hatte. Schleswig-Holstein hatte von 1970 bis 1987 20 % seiner Arbeitsplätze in diesem Wirtschaftszweig verloren. Die Veränderungen waren und sind auch Chance. Richtig ist nämlich, dass Schleswig-Hol

stein nicht so riesige Industrieanlagen hat wie andere Bundesländer, sondern eher von kleinen und mittleren Unternehmen geprägt ist. Falsch ist dagegen, dass das ein Nachteil ist. Ich glaube, wir haben es in der letzten Weltwirtschaftskrise auch gesehen, dass gerade unsere Struktur dazu beigetragen hat, dass bei uns nicht wie in anderen Bundesländern die Zahlen bei den Arbeitslosen und bei der Kurzarbeit erheblich gestiegen sind, sondern wir hatten dadurch eher Vorteile.