Protocol of the Session on July 9, 2014

Rahmen allen staatlichen Seins zugrunde gelegt. Damit bekennen wir uns zum ersten Mal gemeinsam als Mehrheit und Minderheiten zu einem gemeinsamen Schleswig-Holstein als gemeinsame Basis für unser gemeinsames Land.

Ich betone das deshalb, weil dies auch minderheitenpolitisch in unserem Land nicht immer selbstverständlich war und in anderen Ländern immer noch nicht selbstverständlich ist. Wir schreiben also schon ein wenig europäische Geschichte, indem wir die kulturelle Vielfalt der Deutschen, der Dänen, der Friesen sowie der Sinti und Roma sowie die sprachliche Vielfalt, die mit diesen Bevölkerungsgruppen verbunden ist, als gemeinsame Grundlage in der Präambel festschreiben und diese Grundlage auch gemeinsam bewahren wollen.

(Beifall SSW, vereinzelt SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Überhaupt ist die neue Landesverfassung minderheitenpolitisch ein riesiger Fortschritt nicht nur für die Minderheiten im Land, sondern auch als Vorbild in Europa. Der besondere Status der Schulen der dänischen Minderheit wird in der Landesverfassung festgeschrieben, und die finanzielle Gleichbehandlung in Bezug auf öffentliche Schulen wird in den Verfassungsrang erhoben. Grundlage hierfür ist das, was wir schon einfachgesetzlich in den §§ 121 und 124 des Schulgesetzes zu den dänischen Schulen festgelegt haben. Damit wird eine Frage auch verfassungsrechtlich geklärt, die im Prinzip in den letzten fast 70 Jahren immer wieder umstritten war. Das ist ein großer minderheitenpolitischer Schritt, der nicht unterschätzt werden darf.

Wir orientieren uns bei diesem Schritt im Übrigen auch an dem, was für die sorbischen Schulen in Brandenburg und Sachsen gilt. Die dortigen sorbischen Schulen sind öffentliche Schulen und somit automatisch dem deutschen Schulsystem gleichgestellt. Die dänischen Schulen sind formal privatrechtlich organisiert, dienen aber ausdrücklich als Regelschulen für den dänischen Bevölkerungsteil im Land. Diese Sonderstellung führt zu der Regelung, die wir nun auch in der Landesverfassung verankern wollen. Das grenzt die Minderheitenschulen auch von freien Schulen ab, die eben nicht diesen völkerrechtlichen Sonderstatus haben.

Im Übrigen muss man hier auch noch einmal anmerken, dass wir bei den Beratungen zur Landesverfassung immer davon ausgegangen sind, welche Forderungen und Wünsche die Minderheiten selbst an uns als Staat haben. Das heißt, dass andere Minderheiten - in diesem Fall die Friesen sowie

(Lars Harms)

die Sinti und Roma - durchaus anders behandelt werden können. Gleichwohl müsste man, wenn diese Minderheiten ebenfalls eigene Schulen betreiben wollten, die Verfassungsbestimmung zu den dänischen Schulen entsprechend anwenden - das sieht das Gleichbehandlungsprinzip vor - oder den Verfassungsartikel eines Tages anpassen. Zumindest ist das die breite Meinung unserer juristischen Berater gewesen. Aber, wie gesagt, haben wir uns am Hier und Jetzt orientiert und nicht an dem, was sein könnte. Deshalb sind die Sinti und Roma überhaupt nicht im Schulartikel erwähnt; denn es gibt vonseiten der Sinti und Roma keine Bestrebungen, eigene Schulen zu gründen, und sie lehnen es auch ab, dass ihre Sprache in öffentlichen Schulen gelehrt wird. Das ist anders als bei der friesischen Volksgruppe. Diese Minderheit wünscht Friesischunterricht an den öffentlichen Schulen. Deshalb werden hier der Schutz und die Förderung des Friesischunterrichts festgeschrieben.

(Beifall SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Dieser Schutz und die Förderung beziehen sich hier logischerweise nur auf Nordfriesland und Helgoland, wo die friesische Sprache beheimatet ist. Hier muss also in Zukunft etwas getan werden. Hier wird ja auch durch die Landesregierung schon etwas getan, indem in Wyk und in Niebüll Schwerpunktunterricht an weiterführenden Schulen eingerichtet wird. Von diesen Minderheitenrechten profitiert nun auch die Regionalsprache Niederdeutsch, für die ebenso der Schutz und die Förderung des Unterrichts in der Landesverfassung festgeschrieben werden. Auch hier sind wir ja als Koalition mit der konkreten Förderung schon angefangen.

Noch ein Wort zur Gleichstellung als Grundprinzip. Es ist das erste Mal, dass die Gleichstellung oder Gleichbehandlung als Grundlage für die Ausrichtung eines wichtigen Bereichs der Minderheitenpolitik explizit genannt wird. Wir als SSW verbinden damit die Hoffnung, dass die Sichtweise, dass Mehrheit und Minderheit in allen Lebenslagen gleich behandelt werden sollten, auch auf die anderen Bereiche des täglichen Lebens ausgeweitet wird. Hier hat nicht nur das Land, sondern auch die kommunale Ebene natürlich eine große Verantwortung. Unser Schritt hier im Parlament in einem wichtigen Feld, nämlich in dem Feld der Schulen, soll auch ein Anstoß dafür sein, dass man diesem Schritt auf anderen Ebenen entsprechend folgt.

(Beifall SSW)

Wenn wir heute über die Landesverfassung debattieren, dann will ich nicht verhehlen, dass ein Bereich nach unserer Auffassung fehlt. Es fehlt ein Verfassungsartikel zum Bereich Wirtschaft und Arbeit.

(Vereinzelter Beifall CDU)

Die natürlichen Grundlagen des Lebens, die Kultur und auch die Grundrechte sind schon Teil unserer Verfassung. Aus den grundlegenden Lebensbereichen der Menschen fehlt nur noch der Bereich Wirtschaft und Arbeit, der noch nicht in der Verfassung genannt wird. Die CDU hatte einen Vorschlag in die Beratungen eingebracht, den wir als SSW unter Zustimmung der CDU ergänzt haben. Aber leider hat dieser Vorschlag keine entsprechende Mehrheit finden können. Der Vorschlag enthielt das Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft, zu den selbständigen Betrieben, zur Arbeitskraft als persönliche Leistung und grundlegender Wirtschaftsfaktor, zur genossenschaftlichen Selbsthilfe und zur Weiterentwicklung der Daseinsvorsorge.

(Beifall SSW und vereinzelt CDU)

Für uns als SSW ist die soziale Marktwirtschaft der Gegenentwurf zum radikalen Marktliberalismus und ein Bekenntnis hierzu eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Auch hätten wir es gern gesehen, dass die menschliche Arbeitskraft als Wert an sich und als Grundlage jeden Wirtschaftens anerkannt wird. Vor dem Hintergrund der Mindestlohndebatten und der Debatten zur Tariftreue fehlt es nämlich oft auch gerade an der Anerkennung der Arbeitsleistung.

(Beifall SSW und vereinzelt CDU)

Auch das Genossenschaftswesen ist bei der Frage nach bezahlbarem Wohnraum unverzichtbar. Die Daseinsvorsorge darf auch nicht aus Kostengründen immer wieder infrage gestellt werden. Hier hätten wir uns ein breites politisches Signal gewünscht. Aber leider ließ sich das nicht machen.

Kommen wir aber doch noch zu weiteren wichtigen Bestimmungen, die in die neue Landesverfassung aufgenommen werden sollen. Da ist zum einen die Inklusion, die nun Verfassungsrang erhält. Wichtig ist hierbei festzuhalten, dass sich die Inklusion nicht nur auf den Schulbereich bezieht, sondern auf alle Lebensbereiche. Deshalb ist der Artikel zur Inklusion auch bewusst nicht in Nachbarschaft zum Schulartikel aufgeführt. Trotzdem verweise ich natürlich darauf, dass wir gerade im Schulbereich Vorbildliches leisten, wenn wir nun 314 Assistenzstellen an Schulen einrichten, durch die genau die

(Lars Harms)

ses Verfassungsziel dort besser umgesetzt werden soll. Gleichwohl ist es dann mit der Inklusion noch nicht zu Ende; vielmehr stehen wir hier erst am Anfang zur Lösung einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, die wir immer wieder weiterentwickeln müssen.

Die Menschen in Schleswig-Holstein bekommen wesentlich umfangreichere Beteiligungsrechte. Hier setzen wir einen Beschluss der Koalition konkret um. Wir haben auch hier eine parteiübergreifende Einigkeit. So braucht es jetzt weniger Stimmberechtigte, um ein Volksbegehren zu initiieren. Auch das Zustimmungsquorum für Volksentscheide wird markant von 25 % auf 15 % gesenkt. Das heißt in Zahlen, dass bei diesem Quorum nicht mehr rund 520.000, sondern nur noch 330.000 Stimmberechtigte notwendig sind. Das ist ein riesiger Schritt für mehr Bürgerbeteiligung.

(Beifall SSW und vereinzelt SPD)

Die Regelungen für Verfassungsänderungen bleiben dabei gleich, obwohl der SSW auch hier einen Kompromissvorschlag eingebracht hatte. Vom Grundsatz her werden Verfassungsänderungen aber in Zukunft mit höheren Anforderungen unterlegt, weil erstens dies für das Parlament auch gilt und zweitens die Grundlagen des Staates nicht ständig Änderungen und Stimmungen unterworfen sein sollten.

Doch was nützen all diese ausgeweiteten Rechte, wenn es an der Information hapert? Wir haben deshalb in diesen Gesetzentwurf eine Bestimmung aufgenommen, die die Behörden des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände grundsätzlich verpflichtet, amtliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Im bisherigen Informationsfreiheitsgesetz ist die Freigabe von Informationen grundsätzlich nicht möglich, es sei denn, bestimmte Kriterien werden erfüllt. Durch die neue Verfassungsbestimmung würde es zu einer Beweislastumkehr zugunsten der Bürgerinnen und Bürger kommen. Das seinerzeit vom SSW initiierte Informationsfreiheitsgesetz müsste dementsprechend angepasst werden. Wir hätten also auch hier eine konkrete Verbesserung für die Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall SSW, Dr. Patrick Breyer [PIRA- TEN] und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das gilt im Übrigen auch für die digitalen Basisdienste von Behörden und Gerichten, also das Vorhandensein von digitalen Informationen und Plattformen. Der Aufbau, die Weiterentwicklung und auch die Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an

digitalen Basisdiensten werden durch den Staat gewährleistet.

Hier entsteht ein Mehr an Beteiligungs- und Informationsmöglichkeiten. Gleichzeitig - das war dem SSW sehr wichtig - sollen die Bürgerinnen und Bürger, die sich auf herkömmliche Weise an Behörden und Gerichte wenden, nicht benachteiligt werden.

Meine Damen und Herren, der Verfassungsentwurf aller im Landtag vertretenen Parteien beinhaltet eine Verfassung mit mehr Bürgernähe und mehr Einflussmöglichkeiten für unsere Bürgerinnen und Bürger. Er setzt Meilensteine in der Minderheitenpolitik, die nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Ländern Beachtung finden werden, und er hat seine Grundlage in Spezifika, die es nur hier bei uns in Schleswig-Holstein gibt. Der Verfassungsentwurf ist ein ausgewogener Verfassungsentwurf, der auf breit getragenen Kompromissen beruht, für die ich mich bei allen hier im Hohen Haus bedanke.

Als Letztes: Der Verfassungsentwurf ist ein echtes Stück Schleswig-Holstein und damit auch identitätsstiftend für unser ganzes Land. - Vielen Dank.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag hat Herr Abgeordneter Dr. Andreas Tietze.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich das Gefühl habe, hier in dieser Debatte und bei dem angesprochenen Gottesbezug als einer von 69 sprechen zu dürfen. Ich empfinde das als einen Gewinn für mich persönlich, aber auch für den Parlamentarismus, weil es bei dieser Frage auch eine gewisse Freiheit in der Abstimmung gibt, als Abgeordneter meine Stimme in die eine oder andere Richtung zu setzen.

Der Gottesbezug, wie wir ihn diskutieren, baut auf eine Tradition auf, die im Grundgesetz verankert ist; er ist nicht ohne eine intensive Debatte überhaupt in das Grundgesetz hineingekommen. Ich finde es wichtig, zu sagen, dass es keine religiöse oder weltanschauliche Bevormundung war und auch keine Verletzung des Prinzips der Trennung von Staat und Kirche und auch keine Beeinträchtigung des Artikels 4, nämlich der Glaubens-, Gewissens- und

(Lars Harms)

Bekenntnisfreiheit. Das heißt, hier ist etwas im Grundgesetz enthalten, was für uns in der Frage, die hier diskutiert worden ist, eben keine Bevormundung ist. Alle Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheiten sind eingehalten.

Bei uns gab es auch in der Familie eine Diskussion: „Papa, warum bist du eigentlich dafür? Du bist doch altmodisch.“ Ich habe mich dazu bekannt, dass ich in dieser Frage gern altmodisch bin. Deshalb möchte ich begründen, warum ich das so sehe. Die Werte, die heute in der Verfassung stehen, sind für mich nicht irgendwie vom Himmel gefallen, sondern es sind Werte, die gewachsen sind, gerade die für mich wichtigen Werte der Menschenwürde. Es sind Werte, die ich mit der Grundlage der zehn Gebote verbinde, die ich mit der Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott verbinde und die ich auch mit den im Neuen Testament vorgetragenen Thesen der Nächsten- und Feindesliebe verbinde.

Ich will an dieser Stelle sagen - das ist mir sehr ernst -, dass die Tradition, für die wir stehen, etwas ist, was ich nicht entreißen kann. Ich kann diese Werte nicht von der Tradition und der Geschichte reißen, aus der sie kommen. Deshalb bin ich dafür und glaube, dass es wichtig ist, dass jede Ethik, die wir haben - wir kommen als Staat immer wieder an Grenzsituationen; ich denke nur an die pränatale Diagnostik -, und Gewissensfragen nicht zerrissen oder von Traditionen entbunden werden; denn sonst liefe etwas falsch. Denn eine so vollständige Säkularisierung bedeutet das für mich.

Modernität und Säkularisierung würden bedeuten, dass ich meine eigenen Wurzeln ausrisse. Daher bin ich mit meinem eigenen Gewissen in einem Konflikt. Deshalb finde ich es richtig, dass mir die Gelegenheit gegeben wird, meine Gewissensentscheidung in dieser Abstimmung hier in diesem Hohen Haus deutlich zu machen. Ich empfinde das als ein Geschenk. Ich bin stolz als Parlamentarier, dass ich das genau in dieser Debatte tun kann. Ich finde, dass wir das in der Fraktion respektvoll miteinander ausgetragen haben.

Ich möchte mit einem Satz von Thomas Morus schließen, den ich für meine Begründung richtig und wichtig finde:

„Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.“

Ich glaube, dass wir es als Schleswig-Holsteiner gut und richtig machen, wenn wir uns für diesen Verfassungsgrundsatz aussprechen. Ich werde in den nächsten Wochen vielleicht für den einen oder an

deren Kompromiss werben. Lars, ich fand es gut, dass du das erwähnt hast. Ich finde es wichtig, dass wir als gemeinsames Parlament in einer qualitativ hochwertigen Debatte einsteigen, dass vielleicht nicht die Formulierung der CDU, vielleicht aber doch eine andere Formulierung möglich ist. Ich möchte jedenfalls mit meinem konstruktiven Handeln dazu beitragen, dass es zu einer solchen Formulierung kommt. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit, dass ich das hier sagen konnte. Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und vereinzelt CDU)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat Frau Abgeordnete Anke Erdmann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Tietze, meines Erachtens taugt die Verfassung nicht zur Gretchenfrage.

(Beifall PIRATEN und FDP)

„Nun sag, wie hälst du’s mit der Regilion?“ - Mein Abstimmungsverhalten auf diese Frage, bezogen auf den Gottesbezug in der Verfassung, wird nichts damit zu tun haben, wie ich persönlich glaube. Ich stehe hier als Christin, und ich bin gegen den Gottesbezug.

(Beifall PIRATEN und FDP)