Protocol of the Session on June 19, 2014

Insofern tut es mir leid, wenn es Ihnen Angst macht. Aber festzuhalten ist, dass es sich hier um ein Instrument handelt, das den Bürgern Sicherheit geben soll, weil dadurch Straftaten verhindert werden.

(Beifall SPD, SSW und CDU)

Vielen Dank. - Das Wort für die FDP-Fraktion hat nun der Abgeordnete Wolfgang Kubicki.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der Bildungsdebatte scheint es so, dass jetzt durch die Rechtsdebatte die Emotionen relativ hochkochen, obwohl man die zugrundliegenden Fragen doch relativ rational und emotionslos diskutieren kann, weil es uns hier darum geht, die Abwägung zwischen Freiheitsrechten, Bürgerrechten und Eingriffsbefugnissen des Staates zu treffen.

Herr Dr. Stegner, in diesem Zusammenhang finde ich es wirklich unangemessen und mittlerweile auch nicht mehr erträglich,

(Beifall PIRATEN)

(Simone Lange)

dass Sie der Meinung sind, Menschen, deren Auffassung Sie nicht teilen, in ihrer Persönlichkeit diskreditieren zu dürfen, indem Sie beispielsweise erklären, Sie glaubten nicht, dass aufgrund der herausragenden Argumentation von Herrn Dr. Breyer das Verfassungsgericht eine Entscheidung getroffen habe. Ich glaube schon, dass es auf das Argument ankommt und nicht darauf, von wem es kommt. Sie mögen das anders sehen, denn Sie sind der Meinung, dass Argumente immer, wenn sie von Ihnen kommen, durchschlagend seien. Das ist mit Sicherheit nicht der Fall.

(Beifall FDP und PIRATEN)

Die Diskussionen, die wir in den Jahren 2006 und 2007 im Innen- und Rechtsausschuss geführt haben, waren doch sehr ausgewogen. Unsere Haltung von damals hat sich nicht geändert, da es keine neuen Erkenntnisse gegenüber damals gibt, dass dieses Instrument, von dem Sie, Frau Lange, sagen, dass es für die Polizei sehr wirksam sei, überhaupt eine Wirkung erzielt hätte. Wenn dem so wäre, dass die Bürger völlig unbesorgt sein müssten, dann könnten Sie ganz Schleswig-Holstein mit Anhalte- und Sichtkontrollen versehen, was Sie damals ausgeschlossen und auf bestimmte Gebiete begrenzt haben.

Das deutet darauf hin, dass Ihnen jedenfalls seinerzeit bewusst gewesen war, dass diese Form einen Eingriff in die Grundrechte darstellt, der begrenzt werden muss. Jetzt müssen wir uns fragen: Hat diese Maßnahme irgendeinen Sinn? - Ich kann mich an Debatten über die Rasterfahndung erinnern, wobei in Schleswig-Holstein aufgrund unserer damaligen gemeinsamen Initiative von Sozialdemokraten und Liberalen die zeitliche Dimension eine Rolle gespielt hat. Wir haben seinerzeit das Gesetz auf fünf Jahre begrenzt. Damals wurde auch argumentiert, wenn wir die Rasterfahndung nicht bekommen, würden die Terroristen uns überlaufen und Schleswig-Holstein würde explodieren. Wir wären das einzige Bundesland, das dann ausscheren würde, und die Kriminalität könnte nicht mehr bekämpft werden. Und nach fünf Jahren stellten wir fest: Es gab nicht eine einzige Anordnung, und es war völlig sinnlos.

(Beifall FDP und PIRATEN)

Ich sage Ihnen, gerade wenn wir abwägen wollen und deshalb freue ich mich, was selten der Fall ist, dieses Mal auf die Ausschussberatung, an der ich teilnehmen werde -, geht es darum zu dokumentieren, welchen Wert das Bürgerrecht als Abwehrrecht hat. Dann müssten wir uns nach der Effizienz

einer Maßnahme fragen und nicht mit so ganz allgemeinen und inhaltsleeren Behauptungen, es diene der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger,

(Beifall FDP und PIRATEN)

etwas verteidigen, was aus meiner Sicht nicht verteidigt werden kann.

Über einzelne Formulierungen, Herr Dr. Breyer, werden wir noch streiten. Aber in der Tendenz sind wir der gleichen Auffassung. Dieser § 180 Absatz 3 gehört abgeschafft. - Herzlichen Dank.

(Beifall FDP und PIRATEN)

Das Wort für die Kollegen des SSW hat der Abgeordnete Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin eigentlich ganz froh darüber, dass die Kollegin Lange gerade noch einmal deutlich gemacht hat, dass wir hier nicht über Gebiete reden, die in einer großen Karte aufgeführt sind. Das ist nicht wirklich das, was zielführend ist. Herr Kollege Breyer, es geht nicht darum, dass wir hier ein Maßnahmepaket haben, das im Gesetz festgelegt ist und das nach gesetzlichen Kriterien abgearbeitet wird. Es ist mitnichten so, dass in drei Vierteln des Landes Schleswig-Holstein die Menschen flächendeckend, dauerhaft, millionenfach durch die Polizei überwacht werden und wir alle, wenn wir heute Abend alle nach Hause fahren, befürchten müssen, in mindestens drei Polizeikontrollen hineinzugeraten, in denen man uns die Kofferräume aufmacht und diese von Polizisten durchsucht werden. Das ist völliger Blödsinn. Wir reden über eine Maßnahme, die in den vergangenen 12 Monaten viermal in Schleswig-Holstein stattgefunden hat. Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Also ganz in Ruhe.

(Wortmeldung Dr. Patrick Breyer [PIRA- TEN])

- Herr Kollege Breyer, ich lasse keine Zwischenfrage zu. - Es geht darum, dass diese Maßnahmen nur in Abwägung von Grundrechten überhaupt durchgeführt werden: Das heißt, körperliche Unversehrtheit, möglicherweise auch Eigentumsrechte sowie die informationelle Selbstbestimmung und all das, was dazugehört, spielen eine Rolle. Und nur dann, wenn diese nicht überwiegen, wird man prüfen können, ob man diese Maßnahme anwenden

(Wolfgang Kubicki)

kann. Es ist so, dass dieses Instrument derzeit unter weiteren erheblichen Einschränkungen steht. Es gibt einmal die Grundrechteabwägung, ob man das überhaupt machen darf, und dann aber auch die einzelgesetzliche Abwägung, ob das überhaupt eine erhebliche Straftat ist, die dort möglicherweise zum Tragen kommen kann.

Bevor das nicht geklärt ist und bevor das nicht auch Tatsache ist, muss dies im Einzelfall in der Abwägung geprüft werden. Das schreibt uns das Bundesverfassungsgericht ins Stammbuch und wird von der Polizei bereits so angewendet. Erst dann ist man überhaupt in der Lage, solche Kontrollen durchzuführen. Das sind sehr, sehr hohe Höhen.

Deswegen sagen wir von unserer Seite trotz aller Kritik, die uns entgegenschlägt, und aller Vorsicht, mit der wir dieses Instrument angegangen sind: Wir haben dieses im Gesetz verankerte Instrument. Jetzt müssen wir betrachten, ob das, was wir dort tun, richtig ist. Eventuell müssen andere Maßnahmen dazukommen, und möglicherweise müssen wir das Gesetz verändern. Erst müssen wir aber sehen, ob man Elemente einbauen kann, wie man dieses alles überprüfen kann. Diese scheinen wir derzeit noch nicht zu haben. Da nützt es uns nichts, wenn vonseiten der PIRATEN die Forderung kommt, wir müssten am besten vorher alles ankündigen. Wenn ich beispielsweise einen Gangster verfolgen will und sage: „Lieber Gangster, vorher durchsuche ich deinen Kofferraum“, dann wird er schon schlau genug sein, nicht mehr mit dem Auto zu kommen, sondern vielleicht mit dem Fahrrad. Das ist völliger Blödsinn.

(Wortmeldung Dr. Patrick Breyer [PIRA- TEN])

- Dr. Breyer, ich bleibe weiterhin dabei, ich lasse keine Zwischenfrage zu. - Wir können jedoch ernsthaft darüber diskutieren, ob man nachträglich über diese Gebiete informiert und ob man nachträglich darüber informiert, unter welchen Kriterien diese Maßnahmen durchgeführt worden sind. Denn das macht wirklich Sinn.

Herr Kollege, Sie müssen nun zum Schluss kommen.

Es macht Sinn, dass man nachträglich schaut und die Argumentation tatsächlich politisch bewertet und prüft, ob man da in irgendeiner Weise ein

schreiten muss. Ich denke, das ist der klügere Weg, als im Vorfeld alles in Bausch und Bogen zu verdammen.

(Beifall SSW und SPD)

Nun liegt mir keine weitere Wortmeldung mehr vor. Ich schließe daher die Beratung. Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache 18/ 1995 (neu) an den Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer das so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Damit ist dies einstimmig so beschlossen.

Meine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:

Gerechtigkeit schaffen - Alleinerziehende steuerlich entlasten

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/1965

Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 18/2037

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Daher eröffne ich die Aussprache und erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg von der FDPFraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es ist eine Binsenweisheit, dass sich Alleinerziehende ganz besonderen Herausforderungen gegenübersehen. Da ist zum einen der Aspekt der Kinderbetreuung. Die Organisation der Kinderbetreuung ist immer eine ganz besondere Herausforderung für Alleinerziehende. Zum anderen gibt es auch den finanziellen Aspekt. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge fast 40 % der Alleinerziehenden in Deutschland auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen sind - um es deutlicher auszudrücken: auf Hartz IV angewiesen sind -, während es bei Familien mit zwei Elternteilen nur circa 8 % sind, die auf die Grundsicherung angewiesen sind, dann besteht ganz offensichtlich ein bedauerlicher Zusammenhang auch zwischen Kinderarmut und Familienstatus.

(Lars Harms)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Familienministerin, Frau Alheit, hat vor diesem Hintergrund etwas Vernünftiges getan, sie hat die Problematik nicht nur erkannt, sondern sie hat für Schleswig-Holstein auf der Jugend- und Familienministerkonferenz im Mai 2014 - also gerade vor einem Monat - eine entsprechende Initiative federführend und gemeinsam mit den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, MecklenburgVorpommern und dem Saarland eingebracht.

(Beifall Beate Raudies [SPD])

Vor diesem Hintergrund, den ich gerade geschildert habe, wurde eben dies gefordert: eine Erhöhung des Entlastungsbeitrags, die Prüfung einer automatischen Dynamisierung und die Berücksichtigung der Anzahl der Kinder. Frau Alheit, das ist nicht nur in der Sache richtig und vernünftig, sondern das ist auch politisch mutig, weil Sie genau das Gegenteil dessen tun,

(Beifall FDP)

was uns Herr Stegner hier seit Jahren erzählt, der sich vehement gegen jede Form der Entlastung, gerade auch der steuerlichen Entlastung, ausgesprochen hat. Deswegen herzlichen Glückwunsch zu so viel Mut und zu Ihrer Initiative. Wir möchten Sie gerne dabei unterstützen, dass es nicht nur bei einer Initiative der JFMK bleibt, die eine Prüfbitte an die Bundesregierung formuliert, um getreu den Buchstaben des Koalitionsvertrages weiterzumachen, sondern wir meinen schon, dass die Initiative, die Sie federführend gestartet haben, für die Sie eine gewaltige Zustimmung mit 13:0:3 auf der JFMK erhalten haben, unmittelbar in die Tat umgesetzt wird. Das erreicht man am besten durch eine Bundesratsinitiative zu diesem Punkt.

Vor diesem Hintergrund habe ich den Alternativ-, Ergänzungs- oder wie auch immer gearteten Antrag der Koalitionsfraktionen nicht verstanden. Darin stehen keine anderen inhaltlichen Forderungen als in unserem Antrag. Sie begnügen sich allein damit, die Initiative der Landesregierung zu begrüßen.

Ein Vorgehen der Landesregierung bestünde jetzt darin, eine Bundesratsinitiative auf der Basis des JFMK-Antrag Schleswig-Holsteins auszuarbeiten und nicht einfach die Initiative zu begrüßen. Möglicherweise kann man in einer Ausschussberatung miteinander klären, in welcher Form man das, was völlig richtig ist, umsetzen will.

Steuerliche Entlastungen und die Anhebung des entsprechenden Freibetrages sind aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur ein Teil. Der andere, aus

meiner Sicht viel wirksamere Teil wäre im Zweifel, dass man sich endlich konsequent das System der Finanzierung der Sozialversicherungssysteme anschaut. Das belastet nämlich Alleinerziehende noch sehr viel mehr als die Steuerlast, die sie im Zweifel zu tragen haben.

Hierbei, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, haben Sie gerade zwei komplett falsche und kontraproduktive Entscheidungen in Berlin getroffen.

Erstens lassen Sie die gesellschaftspolitisch richtigen Entscheidungen bei der Rentenreform, beispielsweise die sogenannte Mütterrente, von den Beitragszahlern finanzieren, anstatt sie als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu sehen und sie durch Steuern zu finanzieren. Denn Sozialversicherungsbeiträge und nicht so sehr die Steuerlast belasten gerade Alleinerziehende ganz besonders.