Protocol of the Session on May 15, 2014

Anlasslos werden in den USA und in Großbritannien ohne jede Einschränkung im Dienste des allgemeinen wirtschaftlichen Wohlstands beziehungsweise der nationalen Sicherheit Milliardenetats dafür eingesetzt, Telekommunikationsdaten von Bürgerinnen und Bürgern, egal welchen Staates, in unglaublichem Ausmaß zu durchsuchen und zu horten. Noch einmal zur Erinnerung ein paar Zahlen, die ich der letzten Ausgabe der „Zeit“ entnommen habe: 40.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der NSA - 40.000! -, 10,6 Milliarden $ Etat im Jahr und Billiarden von Datensätzen.

Die von Edward Snowden aufgedeckten Tatsachen haben das Vertrauen in die Integrität und Vertrauenswürdigkeit der elektronischen Massenkommunikation weltweit zutiefst erschüttert. Bei unserer gestrigen eCall-Debatte wurde dies deutlich. Was vor zwei Jahren noch als Hirngespinst eines irren Verschwörungstheoretikers abgetan worden wäre, ist inzwischen Gewissheit geworden.

Unter diesen Umständen wäre eine Reaktion der Bundesregierung unbedingt erforderlich. Herr

(Dr. Kai Dolgner)

Dr. Bernstein, es erschüttert mich doch sehr, dass Sie sagen, im Sinne der bismarckschen Politikweisheit wäre es völlig egal, welche Daten unsere Geheimdienste hier für ihre eigenen Zwecke benutzen, es sei egal, ob sie illegal erworben seien, ob sie unter unsäglichen datenschutzrechtlichen Verletzungen, unter Verletzung des Völkerrechts zu unseren Informationsbehörden kommen. Das finde ich sehr erschreckend.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Das zeigt allerdings auch, dass Ihre Partei genau in dieser Frage offenbar keine Veranlassung sieht, sich in den USA entsprechend zu verhalten.

Herr Abgeordneter Peters, erlauben Sie eine Zwischenbemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Bernstein?

Natürlich.

Bitte schön.

Verehrter Kollege Peters, wären Sie so freundlich, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich in der Antwort auf die Frage des Kollegen Breyer gesagt habe, dass wir bei den nachrichtendienstlichen Erkenntnissen, die wir nutzen, nicht wissen können, aus welchen Quellen sie kommen, nicht, dass es egal sei, wo sie herkommen?

Gut, aber wenn man unterstellt, dass man es nicht wissen kann, es aber trotzdem nutzt, dann muss man sich diese Unkenntnis dann auch zurechnen lassen.

Zum Komplex NSA/PRISM. Liebe Piratenfraktion, Ihr Antrag kommt insoweit zu spät, als sich bereits im letzten Jahr die grüne Bundestagsfraktion an das Beschwerdeorgan der Vereinten Nation gewandt und die Rechtsverletzungen geltend gemacht hat. Die Frage ist vom Menschenrechtsausschuss nun umfassend beantwortet worden. Der Ausschuss der Vereinten Nationen hat in seinem Vierten Staatenbericht zu den USA festgestellt, dass das systematische und umfassende Abhören der Telekom

munikation nicht mit dem Recht auf Privatsphäre vereinbar ist.

Sowohl die unvorstellbare Verletzung der Privatsphäre als auch das Fehlen jedweder Abwehrmechanismen für die Betroffenen auf der ganzen Welt ist nicht nur besorgniserregend, wie der Bericht des Menschenrechtsausschusses konstatiert, sondern es ist ein Skandal.

Die seitens der USA angekündigten Reformschritte sind unzureichend, auch das hat der Menschenrechtsausschuss bereits festgestellt. Natürlich wäre es schön, wenn sich die Bundesregierung in dieser Frage positioniert und die Verletzung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte gerügt hätte. Das ist aber nicht geschehen. Die Entscheidung des Menschenrechtsausschusses würde wohl auch bei einer erneuten Beschwerde nicht anders ausfallen.

(Zuruf: Unglaublich!)

Jetzt zu GCHQ und Tempora. Die großflächige Überwachung der elektronischen Kommunikation, die das Vereinigte Königreich betreibt, geht letztlich noch einen deutlichen Schritt weiter. Sie erfolgt in einem europäischen Raum, der sich explizit in Verträgen auf gemeinsame Werte und Rechte festgelegt hat. Das ist eine andere Qualität. Wir teilen die rechtliche Auffassung, dass mit dem Ausspähprogramm des Vereinigten Königsreichs nicht nur Völkerrecht, sondern auch Unionsrecht verletzt wird.

(Beifall PIRATEN)

Wenn Deutschland und Europa in dieser Frage untätig bleiben, ist das Projekt Freiheit der Europäischen Union nicht mehr viel wert. Denn die großflächige Überwachung, wie sie vom Vereinigten Königreich offensichtlich praktiziert wird, beeinträchtigt unser aller Freiheit. Sie verletzt den Grundrechtsschutz aller europäischen Bürgerinnen und Bürger, die nicht im Vereinigten Königreich leben.

(Beifall PIRATEN und Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie beschädigt das Fundament der Freiheit, auf dem Europa gebaut ist. Es darf nicht sein, dass die Kommission in dieser so wichtigen Angelegenheit untätig bleibt.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Liebe PIRATEN, aber auch in diesem Fall folgt der Antrag dem Schreiben der grünen Bundestagsfrak

(Burkhard Peters)

tion, die bereits am 28. März 2014 eine Bitte um Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen das Vereinigte Königreich an die Kommission geschickt hat.

Selbstverständlich fordern wir ebenfalls weiterhin, dass sich die Bundesregierung persönlich für die Rechte der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und Europa einsetzt und den Mut hat, sich gegen das international angelegte Überwachungsprogramm der Geheimdienste einzusetzen. Die andauernde Untätigkeit der Bundesregierung spricht Bände und ist in der Tat ein Skandal. Das werden wir im Ausschuss weiter diskutieren. Ich bin Kai Dolgner sehr dankbar, dass er hier schon die Weichen dafür gestellt hat, wie wir diesen Antrag noch besser machen können, wie wir ihn anschärfen können und wie wir ihn in diesem Zusammenhang zu einem wirklich vernünftigen Instrument machen können. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Europäische Parlament hat am 12. März ein bemerkenswertes Votum abgegeben. Das an diesem Tag mit klarer Mehrheit beschlossene Datenschutzpaket wurde gerade im Hinblick auf die vorangegangene monatelange Diskussion über die Ausspähungspraktiken der Vereinigten Staaten oder Großbritanniens zum Teil auch als ein sehr deutlicher Fingerzeig in Richtung Washington und London verstanden. Andere, wie etwa der Präsident des Europaparlaments Martin Schulz, hoben allerdings eher die „Verbindung der wirtschaftlichen Chancen der digitalen Revolution mit dem Grundrecht von allen Bürgern“ hervor.

Grundsätzlich können wir sagen, dass wir, die Bundesrepublik, sowie andere Mitgliedstaaten mit dieser Entscheidung einen guten Rahmen dafür haben, wie wir den Datenschutz künftig bei uns gestalten. Ich hoffe sehr, dass die deutsche Bundesregierung nun endlich ihre Blockade- und Verzögerungstaktik im Ministerrat aufgibt und mit dazu beiträgt, dass dieses Datenschutzpaket alsbald verabschiedet wird.

(Beifall PIRATEN und Wolfgang Kubicki [FDP])

Der Richtigkeit halber muss ich hinzufügen, dass diese Blockade- und Verzögerungstaktik vor allem aus der Ecke der Unionsparteien, also dem Unionsteil der Großen Koalition auf Bundesebene, kommt, und in diesem Fall nicht von den Sozialdemokraten, die sich in der Vergangenheit - das Thema Vorratsdatenspeicherung ist schon erwähnt worden - auch nicht nur mit Glanz und Gloria hervorgetan haben.

Die NSA-Affäre hat gerade in der Bundesrepublik zu Recht heftige Diskussionen darüber ausgelöst, wie weit der Eingriff staatlichen Interesses in den geschützten Grundrechtsbereich des Einzelnen tatsächlich geht, gehen darf und gehen sollte. Seit den Snowden-Enthüllungen sollen laut Umfragen mittlerweile 20 % der Deutschen bereit sein, für einen besseren Schutz der eigenen Daten auch etwas mehr Geld aufzuwenden.

Wir müssen uns aber auch klarmachen, das bloße Sammeln von Daten ist zunächst weder gut noch schlecht. Es kann ja durchaus angenehm und hilfreich sein, wenn uns zum Beispiel bei Amazon CDs oder DVDs angeboten werden, die uns auch interessieren könnten. Das macht im Übrigen auch ein guter Mitarbeiter in einem Einzelhandelsgeschäft. Er speichert es allerdings in seinem Kopf und ist zugleich im besten Falle diskret.

Es ist natürlich auch nützlich und spart Zeit, wenn wir durch Google Maps einen Stau umgehen können, um mit dem Auto schneller ans Ziel zu kommen. Ich sage es aber ganz deutlich: Dieser Komfort ist oft teuer erkauft, weil ebendiese Daten genutzt werden können, um Persönlichkeitsprofile zu erstellen. Das aber können wir nicht wollen, und das wollen wir auch nicht. Natürlich ist es ein erheblicher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte eines jeden Einzelnen, wenn von staatlichen Stellen anlasslos Daten gesammelt werden, nur für den Fall, derjenige könnte vielleicht irgendwann Verdächtiger in einem Strafverfahren werden. Denn damit wird die Unschuldsvermutung, die Grundlage unseres Rechtswesens, unseres Rechtsstaats ist, faktisch umgekehrt.

(Beifall FDP und PIRATEN)

Jeder kennt dieses Unbedenklichkeitsargument: Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten. Hierzu schrieb der Politikwissenschaftler Stefan Weidemann in einem Beitrag für das Magazin „Aus Politik und Zeitgeschichte“, dass das Unbedenklichkeitsargument ein äußerst problematisches Staatsverständnis offenbart. - Ich zitiere -:

(Burkhard Peters)

„Demnach können sich die Bürger bedenkenlos als Untertanen einem wohlwollenden, allwissenden Staat unterwerfen. Wäre dieses Staatsverständnis realistisch, so bräuchte das Individuum überhaupt keine Schutzmaßnahmen gegen den Staat …“

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das sagt Putin auch immer!)

Ich sage es ganz deutlich: Ein solches Staatsverständnis ist gefährlich, und jeder, der dieses Staatsverständnis rechtfertigt, verteidigt nicht den mündigen Bürger und verteidigt sicherlich auch nicht den Rechtsstaat. Dagegen müssen wir uns wehren.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Ich komme zum Antrag der Piratenfraktion. Der vorliegende Antrag ist für meine Fraktion nicht zustimmungsfähig. Das Anliegen können wir zwar nachvollziehen, aber Kollege Dolgner hat schon zu Recht darauf hingewiesen, dass die angebotenen Mittel zur Erreichung des Ziels schlicht und ergreifend nicht wirksam sind. Deshalb ist aus unserer Sicht das Entscheidende, dass sich die europäischen Staaten zusammenschließen und im Verbund geeignete Gegenmaßnahmen entwickeln, um den Ausspähpraktiken aller anderen Staaten wirkungsvoll zu begegnen. Das Beispiel Airbus zeigt doch, dass ein europäisches Gemeinschaftsprojekt funktionieren kann.

Noch einen Hinweis dazu: Die Forschungsmittel der EU sind um rund 30 % erhöht worden, auf einen Betrag, der bis 2020 zur Verfügung steht und der so hoch wie nie zuvor ist. Lassen Sie uns doch einen Teil dieser EU-Forschungsmittel verwenden, um die geeignete Datenschutztechnologie und Datenschutzinfrastruktur zu entwickeln, mit der wir ein Höchstmaß an Datensicherheit für die Unionsbürger gewährleisten können.

Herr Abgeordneter, kommen sie bitte zum Ende.

Das wäre ein Ziel, für das sich viele Bürger - glaube ich - im Sinne des europäischen Gedankens einsetzen können und dass ihnen Europa sehr sympathisch machen wird. - Danke schön.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Abgeordneten des SSW erteile ich Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Geheimdienste der USA und Großbritanniens haben deutsche und europäische Datenschutzgesetze verletzt. Das steht seit den Enthüllungen von Edward Snowden eindeutig fest. Es haben weitreichende und massenweise Ausspähungen privater und öffentlicher Personen im Namen der Terrorismusabwehr stattgefunden, und diese Ausspähung wird auch fortgesetzt.

Das Europäische Parlament hat die pauschale Massenüberwachung durch die nationale Sicherheitsbehörde der USA zuletzt im März per Entschließung kritisiert. Vorher hatte das Parlament die US-Massenüberwachungsprogramme genau ein halbes Jahr lang untersucht. Auszugsweise sind die Befunde auch im Antrag zitiert. Die Sachlage ist klar. Die USA spähen aus, und die Europäer wollen sich das nicht gefallen lassen. Sie wollen, dass das aufhört und die Bürgerrechte der europäischen Bürgerinnen und Bürger respektiert werden. Es besteht allerdings Dissens bei der Wahl der Mittel. Grundsätzlich ist der Hebel, den der Antrag vorschlägt, falsch.