Ich weise darauf hin, dass im Anschluss an diese Vormittagssitzung in der Mittagspause der Europaausschuss zu einer Sondersitzung in Raum 139 zusammenkommt. Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.
Bericht zum Stand der Bundesratsinitiative zur Wortlautbereinigung der §§ 211 und 212 im Strafgesetzbuch
Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 18/1559
Mit dem Antrag wird ein Bericht in dieser Tagung erbeten. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Dann erteile ich für die Landesregierung der Ministerin für Justiz, Kultur und Europa, Anke Spoorendonk, das Wort. - Bitte, Frau Ministerin.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, Ihnen über den Stand unser Bundesratsinitiative für eine Überarbeitung der Vorschriften über Mord und Totschlag berichten zu können.
Um das Wichtigste vorwegzunehmen: Das Kabinett hat in der vergangenen Woche einen Gesetzesantrag beschlossen, den ich im März im Bundesrat vorstellen werde. Lassen Sie mich erläutern, worum es in unserem Gesetzentwurf geht: In § 211 des Strafgesetzbuches heißt es in der Vorschrift über Mord bisher:
Es folgen dann einzelne Fallgruppen, die einen Mörder beschreiben sollen. Einen Totschlag kann man laut § 212 nur begehen, wenn man kein Mörder ist.
Die bisherige Gesetzessprache stellt damit nicht wie sonst üblich die Straftat in den Mittelpunkt, sondern den angeblichen Tätertyp des Mörders. Ich räume ein, dass in der Umgangssprache Begriffe wie „Mörder“ oder „Vergewaltiger“ gang und gäbe sind. Auch wenn es einem nicht gefällt, kann es sicher nicht darum gehen, den Menschen den Mund zu verbieten. Aber ebenso klar scheint mir, dass solche Begriffe in einem modernen Gesetzestext nichts zu suchen haben.
Unser Entwurf schlägt deshalb vor, die §§ 211 und 212 des Strafgesetzbuches zu formulieren wie alle anderen Tatbestände auch. Letztlich geht es uns um eine rein sprachliche Korrektur.
Alle sind sich darüber einig, dass der merkwürdige Wortlaut für die Rechtsanwendung keine Rolle spielt. Manche werden deshalb fragen: „Ist eine Überarbeitung dann nicht überflüssig?“ Ich sage aber: „Nein, das ist sie nicht.“ Und dies, meine Damen und Herren, sind die Gründe dafür:
Die Vorschriften über Mord und Totschlag wurden 1941 per Führergesetz neu gefasst. Als Nichtjuristin hat es mich schon erstaunt, erst recht, als die Fachleute aus der Justizabteilung mir erläutert haben,
dass die bis heute geltende Fassung unter der Federführung Roland Freislers entstand, der später als Präsident des Volksgerichtshofs sein Unwesen trieb. Lassen Sie mich aus Freislers Gesetzesbegründung einige Sätze vorlesen. Er schreibt:
„In diesen Tagen, also mitten im Kampf gegen den bolschewistischen Kulturfeind, hat der Führer ein Gesetz erlassen, das den einfachen Namen ‚Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuches’ trägt. Es gipfelt dabei in einer grundsätzlichen Erneuerung des man möchte fast sagen - repräsentativsten Tatbestandes im Strafrecht, der Behandlung des Mordes. Der Mord soll als ein Tötungsverbrechen eigener Art betrachtet werden. Der Mörder ist von grundsätzlich anderer Wesensart als derjenige, der einen Totschlag begeht.“
Nach nationalsozialistischer Lesart war ein Mörder zum Mörder geboren. Die Tat war Ausdruck seiner Wesensart. Er outete sich, wenn man so will. Und einer von Freislers Referenten brachte dies dann auch treffend auf den Punkt:
Ich denke, wenn man sich solche Sätze vor Augen hält, lässt sich nicht leugnen, dass wir in den §§ 211 und 212 StGB das Gedankengut der NS-Zeit konserviert finden.
Mein Damen und Herren, ich habe unsere Initiative bei der Justizministerkonferenz im Herbst angekündigt und um Unterstützung geworben. Man hat meine Ankündigung einstimmig zur Kenntnis genommen. Insgesamt habe ich aber eine gewisse Reserviertheit gegenüber unserem Vorschlag gespürt.
Dies hat sich inzwischen grundlegend geändert. In der Öffentlichkeit ist unser Vorstoß wahrgenommen und beinahe einhellig begrüßt worden. Auch aus der Wissenschaft und von Verbänden erhalten wir Zuspruch.
Heute kann niemand mehr bestreiten, dass das Thema einer Reform der Tötungsdelikte in der Bundesrepublik angekommen ist. Zu meiner großen Zufriedenheit hat jüngst auch der Bundesjustizminister angekündigt, sich für eine Reform der Paragrafen zu Mord und Totschlag noch in dieser Legislaturperiode einzusetzen. Die Gesichtspunkte, die Herr Maas nennt, entsprechen genau dem, was ich im vergangenen Herbst bei der Justizministerkonferenz vorgetragen habe. Insofern freue ich mich, dass sich der Bundesjustizminister meinen
Argumenten angeschlossen hat. Dabei ist mir nicht entgangen, dass Herr Maas nicht nur eine sprachliche, sondern auch inhaltliche Neufassung angekündigt hat. Dies kann ich nur unterstützen.
Ich habe von Anfang an gesagt, dass unser Vorstoß die notwendige Gesamtreform weder ersetzen soll noch ersetzen kann. Unser Ziel war es immer auch, die über Jahrzehnte verschleppte Reformdebatte wieder aufleben zu lassen. Dieses, meine Damen und Herren, ist uns gelungen.
Mein bayerischer Amtskollege hat sich jüngst zu Wort gemeldet und zu meinem Erstaunen behauptet, er sehe keinen Reformbedarf und warne davor, die lebenslange Freiheitsstrafe zur Disposition zu stellen.
Ich will hier keine inhaltliche Diskussion führen. Aber ein Missverständnis möchte ich gar nicht erst aufkommen lassen: Unser Entwurf sieht eine rein sprachliche Überarbeitung vor, die keinerlei Auswirkung auf die bestehende Rechtslage hat. Im Übrigen ist mir auch sonst aktuell kein Vorstoß für eine Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe bekannt. Das Gesetz unterscheidet bei Tötung zwischen dem mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe bedrohten Mord und dem mit zeitiger Freiheitsstrafe bedrohten Totschlag.
Die vom Bundesjustizministerium angestrebte Expertenkommission wird sich mit der Frage beschäftigen, wo die Grenze zwischen lebenslanger und nicht lebenslanger Freiheitsstrafe gezogen werden soll. Von einer Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe redet niemand.
Sie sehen, meine Damen und Herren, eine Gesamtreform ist nicht im Handumdrehen zu haben. Gerade deshalb bin ich der Meinung, dass eine Wortlautbereinigung ein wichtiger Schritt ist. Sie kann sofort umgesetzt werden, da sie nur klarstellt, was ohnehin schon gilt. Ich werde also im März im Bundesrat für eine rasche Umsetzung werben.
Unabhängig davon werde ich mich weiterhin mit Nachdruck an der Diskussion um eine Neuordnung der Tötungsdelikte beteiligen. Ich werde zum Beispiel gemeinsam mit meiner niedersächsischen Amtskollegin Anfang Juni in der Landesvertretung Schleswig-Holstein und Niedersachsen als Auftakt zum diesjährigen Juristentag eine Veranstaltung durchführen, um deutlich zu machen, dass es für uns natürlich wichtig ist, diese Diskussion weiter zu führen. Im Rückblick aber halte ich fest, dass es unser Aufschlag bei der Justizministerkon
ferenz war, der die lange verschleppte Reform der Tötungsdelikte endlich auf die politische Tagesordnung gebracht hat.
Ich möchte deutlich machen, weshalb ich es wichtig finde, dass gerade Schleswig-Holstein hierbei eine Vorreiterrolle einnimmt. Die Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht, also auch die Verantwortung für die Beseitigung von nationalsozialistischen Relikten im Strafgesetzbuch, liegt natürlich beim Bund. Das ist klar.
Allerdings haben schleswig-holsteinische Juristen beim Umbau des Strafrechts in der Zeit des Nationalsozialismus eine besonders unrühmliche Rolle gespielt. Die erwähnte Lehre vom Tätertyp ist untrennbar mit Wissenschaftlern der sogenannten Kieler Schule verbunden. Nicht umsonst nannte man die juristische Fakultät der Kieler Universität damals „Stoßtrupp-Fakultät“.
Wir tragen insofern auch eine besondere historische Verantwortung für die Beseitigung von NS-Relikten im Strafrecht. Auch darum geht es mir. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne 20 Angehörige des Spezialpionierbataillons 164 aus Husum, 18 Justizstaatssekretärsanwärterinnen und -anwärter vom Landgericht Lübeck sowie die Wirtschaftspolitik AG der Friedrich-Paulsen-Schule aus Niebüll. - Seien Sie herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!
Die Ministerin hat die vereinbarte Redezeit um 3 Minuten überzogen. Diese Redezeit steht nun allen Fraktionen zur Verfügung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mord und Totschlag, ausgerechnet die schwersten Strafvorschriften, wollen nicht recht ins sonstige System des Strafgesetzbuchs passen. Eine Säule unseres demokratischen Rechtsstaats
In der März-Sitzung des Bundesrats wird Schleswig-Holstein eine sprachliche Überarbeitung zu den §§ 211 und 212 des Strafgesetzbuches einbringen. Diese Maßnahme hat Ministerin Spoorendonk schon im Herbst vergangenen Jahres bekannt gemacht. Die ersten Reaktionen darauf waren eher verhalten. Dem hat sich eine bundesweite Debatte angeschlossen, und allmählich mehrt sich der Zuspruch.
Nun prüft das Bundesjustizministerium, ob eine Überarbeitung angebracht ist. Es geht dabei in erster Linie um eine rein sprachliche Korrektur. Das möchten wir von der SSW-Landtagsgruppe unterstreichen. Deswegen ist diese Initiative aus unserer Sicht aber nicht weniger Wert, sondern sie steht für sich. Wir sind der Meinung, dass man eine inhaltliche sehr wohl von einer sprachlichen Überarbeitung trennen kann. In Bayern hat man hierzu offenbar eine andere Haltung. Man möchte offenbar am liebsten gar nichts tun.
Der SSW im Landtag begrüßt die Initiative von Ministerin Spoorendonk voll und ganz. Nun wird das dunkelste Kapitel der deutschen Justizgeschichte aufgeschlagen und erneut angegangen.
Die Definitionen in den genannten Paragrafen wurden 1941 eingefügt. Federführend war damals Roland Freisler, der später Präsident des Volksgerichtshofs wurde, also Präsident des höchsten Gerichts des NS-Unrechtsstaates. In unzähligen Schauprozessen machte er sich - ich zitiere aus einem ihm gegoltenen Nachruf vom Februar 1945 zum „Vorkämpfer für die Neuregelung unseres Rechts“. Unter seiner Leitung wurde der Volksgerichtshof zu einer wahren Vernichtungsmaschine. Er schuf durch Rechtsetzung Unrecht.