Liebe Kollegen Damerow und Dornquast, wir stehen in dem Bestreben, jungen Europäerinnen und Europäern eine Perspektive zu geben und zu helfen, einen Weg aus der Arbeitslosigkeit heraus zu finden, auf der gleichen Seite. Auch wir sind offen da
für, dass junge Menschen nach Deutschland kommen. Auch wir wollen, dass sie hier ihre Fähigkeiten weiterentwickeln, und zwar so weit, dass sie gut aufgestellt sind, um auf unserem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen oder um einen leichteren Einstieg in ihrem Heimatland zu bekommen.
Ich sehe aber zwei entscheidende Unterschiede in unserer Position: Erstens. Mir ist es gleich, ob wir einen jungen Menschen aus Italien, Spanien, Griechenland, Rumänen, Bulgarien oder Kroatien unterstützen. Ich stelle mir die Frage: Wie reagiert ein junger Mensch aus Madrid darauf, dass er nicht nach Deutschland darf, aber dass sein Bekannter aus Sevilla kommen darf? Welche Antwort geben wir auf den fragenden Blick der kroatischen Schulabgängerin, der wir mit dem CDU-Antrag ebenso die Türen nach Schleswig-Holstein verschließen würden? Auch im jüngsten EU-Land liegt die Arbeitslosigkeit in dieser Altersgruppe bei fast 50 %. Würde sich diese junge Europäerin nicht enttäuscht von den EU-Institutionen abwenden und sagen: Ach, Europa, das war ein schöner Traum, aber er gilt wohl nur für die alten Mitgliedsländer? - Genau das will ich verhindern.
Bedeutender finde ich jedoch den zweiten Unterschied; ich formuliere ihn nach Gottfried Benn: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Gut gemeint ist es sicher, wenn 500 junge Menschen zur Ausbildung nach Deutschland, nach Schleswig-Holstein geholt werden. Es ist sicher ein ehrenwerter Versuch, etwas gegen die Perspektivlosigkeit in einzelnen spanischen Regionen zu unternehmen. Doch diejenige spanische Region, die - wie es bei Ihnen heißt - festzulegen sei, wird die massive Abwerbung besonders engagierter junger Menschen ganz sicher nicht begrüßen, sondern, wie ich finde, zu Recht als Ausverkauf an Begabung brandmarken.
Wir müssen uns überlegen, ob es tatsächlich solidarisch ist, der Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa mit einem gezielten Abwerben junger Menschen aus einer speziellen Region zu begegnen. Wenn wir ehrlich sind, dann handeln wir nicht immer solidarisch, sondern wir suchen auch dringend Fachkräfte für unseren eigenen Arbeitsmarkt. Das ist legitim, aber es ist eine andere Stoßrichtung.
Die Neugestaltung des europäisch gesteuerten ERASMUS-Programms liefert zahlreiche Möglichkeiten, sich sowohl als Studentin als auch als Auszubildender europaweit zu bewegen und fortzubilden. Dieses Programm eröffnet allen jungen
Menschen aller Länder der EU und auch aller Regionen Möglichkeiten. Lassen Sie uns gemeinsam diese Möglichkeiten prüfen und zum Beispiel auch die positiven Erfahrungen der Handwerkskammer in Lübeck mit einbeziehen. Ich freue mich schon auf die anregenden Gespräche dazu im Ausschuss und bin zuversichtlich, dass wir zur weiteren Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit gute Lösungen finden werden.
Trotz aller „Achs“ zu Europa und trotz aller möglichen Schwächen und Probleme sage ich abschließend: Es gelingt diesem einmaligen Projekt immer wieder, mir und - ich hoffe - uns allen, ein Gefühl von Begeisterung und auch Stolz einzuhauchen. Ähnlich wie der Länderfinanzausgleich und der kommunale Finanzausgleich besteht die Europäische Union als Solidaritätssystem. Gerade Schleswig Holstein ist auf diese funktionierende Solidarität angewiesen und ist gleichsam bereit, solidarisch zu wirken. Auch deshalb bin ich froh, hier politisch wirken zu dürfen. - Danke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland ist der einzige Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem die Jugendarbeitslosigkeit, verstanden als Arbeitslosigkeit von jungen Menschen unter 25 Jahren, seit 2008 gefallen ist, und zwar um mehr als drei Prozentpunkte auf den europaweit niedrigsten Wert von 7,4 %. In etlichen anderen Staaten der Europäischen Union hat sich die Quote seither verdoppelt und zum Teil sogar verdreifacht bis hin zu Anteilen von 54 % in Spanien oder 59 % in Griechenland. Diese Situation ist dramatisch, und es ist nicht nur ein Akt europäischer Solidarität, daran mitzuwirken, dass sich dies ändert, denn auf mittlere und längere Sicht wird es auch uns hier in Deutschland nicht weiter gut gehen, wenn sich die Lage in unseren Nachbarländern in Europa nicht bessert.
Eine Lösung des Problems ist freilich schwieriger und komplizierter, als es manche gut gemeinten Initiativen glauben machen wollen. EU-Förderprogramme werden dies allein nicht schaffen; vor allem dann nicht, wenn sie nur auf kurzfristigen statistischen Effekten durch öffentlich geförderte Beschäftigungsmaßnahmen beruhen. Dies gilt auch für die EU-Initiative zu einer sogenannten Jobgarantie. Hier muss man genau hinsehen, was in der Umsetzung in den einzelnen EU-Mitgliedsländern passiert. Bei deren Umsetzung liegt es vor allem in der Verantwortung der jeweiligen Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass diese mit vielen Steuermilliarden unterlegte Maßnahme nicht zu einer reinen Symbolpolitik verkommt. Entscheidend wird sein, dass die betroffenen Staaten auch jahrelang versäumte Strukturreformen angehen, die mehrere Ansatzpunkte haben müssen, wobei die Situation in den einzelnen Ländern natürlich differenziert zu betrachten ist.
Im Zentrum stehen erstens Maßnahmen zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums. Das heißt, Unternehmen müssen in den Ländern investieren, damit Arbeitsplätze entstehen. Das ist eine ganz einfache Rechnung.
Zweitens muss es in vielen Ländern Bildungsreformen geben, durch die junge Leute die erforderliche Qualifikation erhalten, um die Arbeitsplätze, die dort entstehen sollen, auch besetzen zu können.
Drittens bedarf es in vielen Mitgliedstaaten der EU auch einer Arbeitsmarktreform, die Hürden für den Zugang junger Menschen zum Arbeitsmarkt abbaut. Es liegt in der Verantwortung der einzelnen EU-Mitgliedsländer, dabei die jeweils vor Ort erforderlichen Maßnahmen einzuleiten.
Nun wissen wir, dass Frankreich eine Jugendarbeitslosigkeit von rund 26 % hat und kürzlich eine Wende in der Wirtschaftspolitik eingeleitet hat auch mit dem Ziel, dieses Problem anzugehen. Staatspräsident Hollande hat angekündigt, dass die Wirtschaft neben Steuererleichterungen von 20 Milliarden € nun auch bei den Lohnnebenkosten in der Größenordnung von 30 Milliarden bis 35 Milliarden € entlastet werden soll. Das soll dazu führen, dass die Unternehmen investieren, und das soll das Wirtschaftswachstum ankurbeln.
Da kann man als Liberaler nun wirklich Bauklötze staunen: Ein sozialistischer Staatschef entdeckt nach mehreren Jahren verfehlter Politik Instrumentarien, die seine Parteifreunde bis dahin europaweit
als Teufelszeug aus dem Höllenfeuer des Neoliberalismus bezeichnet haben. Deshalb bin ich regelrecht glücklich darüber, dass unser Kollege Dr. Stegner in seiner heutigen Rede bei der alten sozialdemokratischen Diktion geblieben ist - es ist also noch etwas stabil in dieser Welt der Sozialdemokraten - mit dem, was er zum Marktradikalismus und dergleichen mehr gesagt hat. Bis zu ihm ist diese Entwicklung, die Herr Hollande jetzt mit seinen politischen Maßnahmen eingeleitet hat, offenbar noch nicht durchgedrungen.
Herr Abgeordneter Dr. Klug, lassen Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner zu?
Ich möchte gern wissen, was der sechste stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD zu wissen begehrt.
Lieber Herr Kollege Dr. Klug, nachdem ich jedenfalls dem ersten Teil Ihrer Rede mit weitgehend großer Zustimmung gefolgt bin, wollte ich Sie fragen, ob es Ihnen in Erinnerung ist, dass der vormalige Wirtschaftsminister und spätere Fraktionsvorsitzende der FDP im Deutschen Bundestag, Rainer Brüderle, immer hervorgehoben hat, dass er so begeistert sei über den XXL-Aufschwung in Deutschland. Ist Ihnen erinnerlich, dass dieser XXL-Aufschwung in Deutschland das Ergebnis gewesen ist von einem Wachstums- und Beschäftigungspaket der vormaligen Großen Koalition zu Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise, womit Ihr Hinweis, die Politik sei besonders erfolgreich, die das Gegenteil bewirkt, Austeritätspolitik, schon durch die Realität nicht gedeckt ist, lieber Herr Dr. Klug?
Da Sie ja Wissenschaftler sind, erhoffe ich mir, dass Sie diesem kleinen Ausflug in die Realität folgen können.
- Herr Kollege Stegner, langer Rede kurzer Sinn: Das ist mir nicht in Erinnerung. Schön, dass Sie darauf jetzt in Ihrer Frage und der langen Einleitung dazu abheben. Allerdings meine ich, dass die Erklärung des Sachverhalts, um den es hier eigentlich geht, nämlich dass Deutschland eine sehr gute wirtschaftliche Entwicklung genommen hat, nicht
allein auf dem beruht, was Sie angesprochen haben. Insoweit kann ich auch als Nichtwirtschaftspolitiker zu unserer Diskussion beitragen.
Meine Damen und Herren, Herr Hollande hat sogar einen deutschen Sozialdemokraten namens Peter Hartz nach Paris in den Élysée-Palast eingeladen, um sich vor seinen Entscheidungen darüber beraten zu lassen, was man vielleicht sinnvollerweise machen sollte. Vielleicht ist ja auch der Kollege Stegner ein künftiger Gast in den Reihen der französischen Sozialisten und kann diese dann auch mit seinen Erkenntnissen beglücken.
Meine Damen und Herren, in vielen Teilen Europas besteht auch Handlungsbedarf im Bereich der Bildung. Ich nehme als Beispiel Spanien. In Spanien gibt es 1,5 Millionen Studenten, aber nur 270.000 Berufsschüler. Die berufliche Ausbildung in Spanien ist übrigens relativ praxisfern und stark theorielastig.
Ich habe zum Vergleich einmal die Zahlen für unser Land herausgesucht. Wir haben rund 55.000 Studentinnen und Studenten an unseren Hochschulen in Schleswig-Holstein, aber 57.000 Berufsschüler allein im Bereich der Berufsschule innerhalb des dualen Systems, also in der stark praxisorientierten Berufsausbildung. Nicht eingerechnet sind die anderen Ausbildungsgänge, die im Rahmen von Vollzeitschule oder in Schulen für Pflegekräfte, Krankenschwestern und so weiter durchgeführt werden. Bei uns ist die Situation einfach eine andere, was die praxisnahe berufliche Bildung angeht. Das kann man sich sehr gut verdeutlichen, wenn man sich den Zahlenvergleich mit Spanien einmal vor Augen führt.
In manchen südeuropäischen Ländern ist also wirklich noch etwas zu verändern, weil es erheblichen Handlungsbedarf gibt. Deshalb finde ich es auch gut, wenn wir jungen Leuten in Ländern, in denen mehr als die Hälfte der unter 25-Jährigen keine Arbeit und Beschäftigung haben, ein Angebot eröffnen, hier eine Berufsausbildung zu machen. Das ist zugegebenermaßen nicht nur uneigennützig, sondern es hilft auch dabei, den Fachkräftebedarf in vielen Bereichen bei uns zu lindern. Das ist natürlich nur ein kleiner Beitrag, den man von unserem Land aus leisten kann. Aber man sollte auch dies machen, wie ich finde.
Ich halte es nur nicht für sinnvoll, wie es der CDUVorschlag vorsieht, das auf Spanien beziehungsweise eine Region in Spanien zu beschränken und eine Größenordnung von 500 als Zielmarke festzulegen. Insoweit sollte man etwa daran erin
nern, dass es auch in unserer regionalen Umgebung im Ostseeraum entsprechende Probleme gibt. In Polen liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei mehr als 27 %, in Schweden bei 23 %, in Finnland bei 20 % und in den baltischen Staaten bei jeweils um die 25 %. Mit anderen Worten: Auch dort gibt es ja vielleicht junge Leute, die ein Interesse daran haben könnten, bei uns eine qualifizierte Berufsausbildung zu erhalten.
Es gibt ja auch Programme der Europäischen Union und Initiativen der Bundesregierung, auf die man zum Teil zurückgreifen könnte. Das Beispiel der Lübecker Handwerkskammer ist schon angesprochen worden. Wir werden im Ausschuss also über eine angemessene Neufassung des Antrags reden. Ich glaube, das sollte durchaus angestrebt werden.
Der zweite Themenkomplex, den wir heute in dieser verbundenen Debatte behandeln sollen, betrifft die Arbeitsschwerpunkte der EU-Kommission. Dabei geht es darum, einmal herauszufiltern, welche Punkte auch für das Land Schleswig-Holstein von Bedeutung sind. Es gibt dazu eine entsprechende Landtagsdrucksache von der Landesregierung.
Anfang voriger Woche hat es ein interfraktionelles Gespräch über dieses Thema gegeben. Ich konnte leider wegen unserer vorgezogenen Fraktionssitzung nicht teilnehmen, war dann aber etwas überrascht darüber, dass sich im Anschluss ein doch etwas bizarrer Streit um Formulierungen und Antragspunkte entwickelt hat. Das Ganze erinnert mich ein bisschen an den legendären Spruch von Heide Simonis über die kleinen Jungs, die sich im Sandkasten streiten. In diesem Fall sind allerdings auch einige junge Damen beteiligt.
Keiner der vorliegenden Antragsentwürfe ist nach meiner Auffassung komplett überzeugend. Zum Beispiel spricht der Koalitionsantrag unter Nummer 7 etwas verschämt von dem Thema der europäischen Bankenregulierung, während die Landesregierung das Thema in ihrer Drucksache 18/ 1431 vom 14. Januar 2014 sehr viel konkreter benennt. Darin steht: „Rahmen für die Sanierung und Abwicklung von Banken“. Das sieht doch ganz danach aus, als ob der parlamentarische Arm der Regierungskoalition lieber Wortkosmetik betreibt als mit Blick auf die HSH Nordbank das Menetekel an die Wand zu schreiben. Ich meine, man sollte die