In der letzten Legislaturperiode hat Schwarz-Gelb im Bund einen Vorschlag zum Abbau der kalten Progression gemacht. Herr Kubicki hat bereits darauf hingewiesen. Der ist aber meines Erachtens zu Recht vom Bundesrat zurückgewiesen worden. Wenn wir die kalte Progression abmildern wollen, ist eine solide Gegenfinanzierung notwendig. Auch deshalb enthält der Koalitionsvertrag der Großen Koalition keine Festlegungen zu diesem Thema.
Im Moment sehen wir keine Spielräume für einen Einnahmeverzicht der öffentlichen Hand. Erst letzte Woche haben wir uns gemeinsam über das gute Ergebnis des Landeshaushalts 2013 gefreut, manche mehr als andere. Wir wissen aber auch, dass die gute Konjunktur und die niedrigen Zinsen mitgeholfen haben, mehr Geld einzunehmen und weniger auszugeben als geplant. Das hat mein Kollege Lars Winter ja bereits deutlich gemacht.
Schleswig-Holstein hat in den nächsten Jahren noch eine erhebliche strukturelle Lücke im Landeshaushalt zu schließen. Diese Lücke durch selbst verursachte Mindereinnahmen in dreistelliger Millionenhöhe noch zu vergrößern, verbietet sich eigentlich von selbst.
Unsere Haushaltsschwerpunkte sind Bildung, soziale Gerechtigkeit, Infrastruktur und Energiewende. Dafür soll und muss Geld vorhanden sein. Im Übrigen sind wir auch Sachwalter der Kommunen und für deren Steuereinnahmen verantwortlich. Denn an jedem 100-€-Schein, den das Land freiwillig aus der Hand gibt, sind die Kommunen mit 17,74 % beteiligt. - Ich weiß schon, was das nächste Mal kommt, Herr Lehnert.
Daher sage ich: Der Vorschlag der FDP ist nicht umsetzbar. Wir können uns die Mindereinnahmen schlicht nicht leisten. Deswegen wollen wir auch
keinen Verweis in den Ausschuss. Wir können in der Sache entscheiden, und wir werden den Antrag der FDP ablehnen. - Vielen Dank.
Vielen Dank. - Für die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat das Wort Herr Abgeordneter Rasmus Andresen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über Steuerpolitik und im konkreten Fall über den Abbau der kalten Progression beraten, kommt es aus grüner Sicht auf zwei zentrale Komponenten an, zum einen auf die Verteilungswirkung und zum anderen auf die Effekte für die öffentlichen Haushalte.
Ja, es ist richtig, dass die kalte Progression zu merkwürdigen Effekten im Steuersystem führt. Allerdings führt der Abbau der kalten Progression ohne ergänzende Maßnahmen in unserem Steuersystem zu einer Verteilung von niedrigen und mittleren Einkommen zu höheren.
Schauen wir konkret auf die Zahlen. Das Durchschnittsbruttoeinkommen liegt laut Bundesfinanzministerium in diesem Jahr ziemlich genau bei 30.000 €. Die Entlastung bei dem Abbau der kalten Progression würde für einen alleinstehenden Arbeitnehmer oder eine alleinstehende Arbeitnehmerin mit einem Jahresbruttolohn von diesen 30.000 € bei circa 150 € liegen, für Gutverdiener oder Gutverdienerinnen mit 60.000 € allerdings bei 365 €, also mehr als das Doppelte ausmachen. Die Mindereinnahmen, die dadurch beispielsweise für die Länder entstehen, kämen zu einem großen Teil Besserverdienenden zugute und gerade nicht denen mit kleinem und mittlerem Einkommen, so wie es die FDP hier gerne vorgibt.
Sehr geehrter Herr Kollege Andresen, ist Ihnen bewusst, dass es bei der Frage der kalten Progression nicht darum geht, bestehende Gehälter zu entlasten, sondern darum, die zusätzliche Belastung beispielsweise bei einer Tariferhöhung abzufangen? Die zusätzliche Belastung bei einer Tariferhöhung um 1 € ist bei einem Mitarbeiter im Bereich bis 20.000 € mit 45 % deutlich stärker als in anderen Bereichen. Es geht sozusagen darum, die Besteuerung der Veränderungen zu verändern.
Das ist mir bewusst, Herr Kollege. Deshalb habe ich am Anfang gesagt, dass es für uns, wenn es um das Steuersystem geht, um Verteilungswirkung insgesamt geht. Ich weise darauf hin, dass, wenn man die kalte Progression angeht, davon in absoluten Zahlen Menschen mit hohem Einkommen mehr profitieren als Leute, die weniger verdienen. Das kann von Ihnen so gewünscht sein, aber es ist für uns kein guter Ansatz in der Steuerpolitik.
Die entstehenden Mindereinnahmen der Länder kämen zu einem großen Teil den Besserverdienenden zugute und gerade nicht den kleinen Einkommen. Denn wenn es Ihnen tatsächlich um einen Inflationsausgleich gehen würde, müssten Sie mit gleicher Vehemenz die Anpassung der BAföG-Sätze oder des Hartz-IV-Regelsatzes fordern. Leider sind wir bei dieser Forderung als Grüne meistens ziemlich allein.
Für echte Verteilungseffekte und eine die Konjunktur ankurbelnde Steuerpolitik - auch damit könnte man argumentieren - müssen Sie sich vor allem um den Niedriglohnsektor kümmern, und das tun Sie eben nicht. Die Verteilungswirkung des Steuersystems gehört aus grüner Sicht insgesamt auf den Prüfstand. Der Abbau der kalten Progression kann für uns dazugehören, jedoch nicht isoliert und ganz bestimmt nicht ohne Gegenfinanzierung.
Der Abbau der kalten Progression würde allein bis zum Ende unserer Legislaturperiode 2017 nach Zahlen des Bundesfinanzministeriums bundesweit über 17 Milliarden € Mindereinnahmen für den Staat bedeuten. Auch bei uns im Land - wenn man
das herunterbricht; das könnte man anhand der Steuerschätzung machen - kommt man immerhin noch auf eine dreistellige Millionenhöhe. Die Zahlen sind zwar sehr unklar zu prognostizieren, weil das von der Preis- und Lohnentwicklung abhängig ist, aber eines steht mit Sicherheit fest: dass Sie sich in Ihrem Antrag einen feuchten Kehricht um die Gegenfinanzierung kümmern. Leiden tun dadurch auch das hat die Kollegin Raudies schon gesagt im Endeffekt die Menschen, die am meisten von einem starken Staat profitieren, und die Länder und Kommunen, die Sie beim Schuldenabbau vor neue Hürden stellen würden.
Nein, aus unserer Sicht ist Ihr Vorschlag keine nachhaltige Finanzpolitik. Sie, Herr Kollege Kubicki, waren schon einmal weiter. Sie haben im Rahmen des Landtagswahlkampfes 2012 gefordert, um den Abbau der kalten Progression auszugleichen, den Spitzensteuersatz anzuheben. Das ist erst einmal ein guter Vorschlag - wenn Sie sich nicht mehr daran erinnern, können Sie das nachlesen -, weil man dann eine Gegenfinanzierung organisiert hätte, anders als Sie es in Ihrem jetzigen Antrag machen.
Schauen wir uns das jetzt konkret an. Wie hoch müsste der Spitzensteuersatz sein? Genau diese Frage habe ich in einem Abgeordnetenbrief vor zwei Wochen an das Finanzministerium gerichtet. Die Antwort war durchaus interessant. Das Ergebnis ist, dass man den Spitzensteuersatz in diesem Jahr auf 47 % und im nächsten Jahr allerdings schon auf über 53 % anheben müsste. Da frage ich mich doch, ob es jetzt die Steuerpolitik der FDP ist, einen Spitzensteuersatz von 53 % zu fordern.
Herr Kollege Andresen, ich nehme an, dass Sie auch Steuerrechtsexperte sind. Bei der Frage der Finanzierung des Spitzensteuersatzes in dem Vorschlag, den wir unterbreitet haben, ging es nur um einen Tarifdeckel und nicht um die Frage der kalten Progression. Das heißt,
wenn Sie im unteren Bereich mehr entlasten wollen, müssen Sie im oberen Bereich möglicherweise für die Finanzierung sorgen. Das hat mit der Frage der kalten Progression überhaupt nichts zu tun. Noch einmal: Bei der kalten Progression geht es nur darum, dass Sie für jeden zusätzlich verdienten Euro mehr Steuern bezahlen müssen und es zu Verwerfungen kommen kann, die dazu führen, dass Sie im unteren und mittleren Bereich - das ist bei Finanzexperten völlig unstreitig - im Ergebnis trotz Tariferhöhung weniger haben als vorher. Das heißt, eine Lohnerhöhung macht für bestimmte Bereiche keinen Sinn. Das hat mit den Tarifen überhaupt nichts zu tun.
- Ich antworte trotzdem gerne darauf. Unser Vorwurf gegenüber Ihrem Antrag ist, dass Sie keine Gegenfinanzierung haben. Der Abbau der kalten Progression würde dazu führen, dass der Staat wesentlich weniger Einnahmen hätte. Das können Sie beim Bundesfinanzministerium nachlesen. Da arbeiten sehr viele Steuerexperten. Ich habe gerade die Summe genannt. Das Ganze kann man auf das Land herunterbrechen. Sie setzen sich damit nicht auseinander und fordern ins Blaue hinein, dass die kalte Progression abgebaut werden sollte. Wenn man das so machen würde, wie Sie es in Ihrem Antrag global formuliert haben, ist das haushaltspolitisch absolut unseriös. - Das ist meine Antwort auf Ihre Frage.
Ich hätte mir gewünscht, dass wir ernsthaft darüber eine Debatte führen und uns überlegen, wie man das machen könnte. Denn natürlich gibt es Ansätze im Steuersystem, die sich dafür eignen. Es gibt den Abbau von Subventionen, den man nehmen könnte. Es gibt andere Steuern, bei denen man vielleicht etwas machen könnte. Oder man könnte Ausnahmetatbestände bei der Umsatzsteuer reduzieren oder abschaffen. Das alles ist grünes Programm. Dazu sind wir gern bereit. Aber das alles ist nicht Teil Ihres Antrags. Deshalb ist Ihr Antrag unseriös. Sie
(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Tobias Koch [CDU]: Es ist wirk- lich Quatsch, was Sie jetzt sagen!)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Als wir die Überschrift Ihres Antrags, „Mehr Steuergerechtigkeit für Schleswig-Holsteins Bürger - Kalte Progression abbauen“, gelesen haben, Herr Kubicki, war es uns ein inneres Blumenpflücken. Wir waren durchaus angetan, weil wir das nämlich auch wollen.
Aber bleiben wir sachlich. Wie Sie in der Begründung zu Ihrem Antrag richtig darlegen, führt die kalte Progression zu einer Steuermehrbelastung. Sie tritt dann ein, wenn Lohnsteigerungen lediglich einen Inflationsausgleich bewirken und die Einkommensteuersätze nicht der Inflationsrate angepasst werden.
Sie verweisen weiterhin und richtigerweise darauf, dass es durch die kalte Progression vorkommen kann, dass Arbeitnehmer trotz einer Tariferhöhung effektiv, das heißt unter Berücksichtigung der allgemeinen Preissteigerung, einen Reallohnverlust erleben.
Leider haben Sie in der Begründung die Tatsache unberücksichtigt gelassen, dass vor allem Arbeitnehmer mit kleinem und mittlerem Einkommen überdurchschnittlich stark von der kalten Progression betroffen sind. Warum Sie diese Tatsache vernachlässigt haben, wird schnell klar, wenn man sich den Inhalt Ihres Antrags anschaut. Sie halten immer noch an Ihren Ideen aus dem Jahr 2011 fest. Wir haben jetzt aber schon 2014.
Der Bundesrat hat den Gesetzentwurf der vergangenen Merkel-Regierung schon in der vergangenen Legislaturperiode quasi kassiert. Was übrig geblieben ist und worauf sich alle Parteien einigen konnten, war die Anhebung des Grundfreibetrags zur steuerlichen Freistellung des verfassungsrechtlich gebotenen Existenzminimums in zwei Schritten. 2013 stieg der Freibetrag auf 8.130 €. In diesem Jahr erhöht er sich auf 8.354 €. Nun gut. Das lag nicht wirklich in Ihrem Entscheidungshorizont.
Gestrichen wurde schon damals die prozentuale Anpassung des gesamten Tarifverlaufs zur Abmilderung der Auswirkungen der kalten Progression sowie der Vorschlag bezüglich einer regelmäßigen Überprüfung der Wirkung der kalten Progression im Tarifverlauf im Zweijahresrhythmus durch die Bundesregierung.
Während wir letztgenanntem Vorschlag noch vorbehaltlos zustimmen konnten - wer könnte etwas dagegen haben -, sehen wir uns dazu bei der prozentualen Anpassung des gesamten Tarifverlaufs in der von Ihnen vorgesehenen Form nicht in der Lage. Warum nicht, will ich Ihnen kurz erklären.
Die FDP sieht vor, die Einkommensgrenze der Tarifzonen in Höhe von der jeweils abzuschätzenden Preissteigerung anzuheben. Für die Jahre 2013 und 2014 wären das 4,4 % gewesen. Durch diese Anhebung hätte sich die tarifliche Grenzbelastung nach Einschätzung des DIW bis zu einem zu versteuernden Einkommen von gut 55.000 € reduziert. Insgesamt, so das DIW, würde die durchschnittliche tarifliche Belastung für alle Steuerpflichtigen geringfügig gesenkt, bei den mittleren und gehobenen Einkommen etwas stärker als bei den unteren und bei den sehr hohen Einkommen. Prima. Wir PIRATEN wollen Armut verhindern, aber nicht Reichtum. Das ginge aber anders besser.
Damit komme ich zu unserem ersten Kritikpunkt. Wie bereits angedeutet, stimmen wir grundsätzlich mit dem Ziel des Abbaus der kalten Progression überein. Wie formulierte es Ihr Kurzzeitparteivorsitzender Rösler so treffend im vergangenen Jahr: Die kalte Progression ist eine der größten Ungerechtigkeiten gegen kleine und mittlere Einkommen im Steuersystem. - Dabei sind wir vollkommen bei Ihnen.
Jedoch nicht nachvollziehen können wir die aufgezeigten Konsequenzen, die Sie im Rahmen Ihres Antrags von der Landesregierung einfordern. Wenn Sie die kalte Progression als eine der größten Ungerechtigkeiten insbesondere auch gegen kleine Einkommen ansehen, warum entlasten Sie die Menschen mit kleinem Einkommen dann nicht stärker? Warum starten Sie nicht wirklich einmal den Versuch, das Steuersystem fairer und gerechter zu gestalten? Die Wirkungen der kalten Progression entstehen vor allem durch den schnellen Anstieg der Grenz- und Durchschnittssteuersätze im unteren und mittleren Einkommensbereich. Warum also wollen Sie die Kurve nur verschieben, statt sich dem Verlauf der Kurve anzunehmen und hier Änderungen vorzunehmen und wirklich in eine neue Richtung zu denken? Warum?