Das abfällige Bild vom Sozialtourismus und auch das der massenhaften Armutszuwanderung ist schlicht falsch und hat mit der alltäglich erlebten Realität nichts zu tun. Es ist nicht nur so, dass die Bundesrepublik in den vergangenen Jahren den größten Zustrom an Ärztinnen und Ärzten aus Rumänien erlebt hat. Auch im Durchschnitt liegt der Anteil der Mitbürgerinnen und Mitbürger aus Bulgarien und Rumänien, die in Deutschland auf eine soziale Mindestsicherung angewiesen sind, unter dem Bevölkerungsdurchschnitt. Aktuelle Zahlen besagen, dass die große Mehrheit sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist und einen wichtigen Beitrag zur Stabilität des Landes leistet.
Ja, es ist wahr, einzelne Kommunen treiben große Sorgen um. 15 Kommunen haben in einem Brief die Situation in ihren Kommunen beschrieben, in denen die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien die Maske der Armut trägt - auch zum Leidwesen der Betroffenen.
Dieser Armut muss entschieden entgegengetreten werden. Gemeinsam mit den betroffenen Kommunen, mit dem Europäischen Sozialfonds und mit den Betroffenen muss eine gezielte Förderung und Integrationshilfe geleistet werden. Ich glaube - das können wir insbesondere nach unserer Balkanreise sagen -, dass wir beides brauchen. Wir brauchen eine Aufbauhilfe vor Ort und Integrationshilfen hier für diejenigen, die nicht sofort in den Arbeitsmarkt kommen.
Auch wenn dies heute nicht auf der Tagesordnung steht, möchte ich ergänzen: Für uns ist Europa auch keine Festung. Wir dürfen mit diesen Fragen der Zuwanderung und der Aufnahme von Flüchtlingen auch nicht an den Grenzen Europas haltmachen; denn auch Mazedonien gehört zum Balkan.
Der eigentliche Skandal der vergangenen Wochen ist meiner Meinung nach, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit für die Menschen aus Bulgarien und Rumänien erst zu Beginn dieses Jahres geschaffen worden ist, und zwar erst sieben Jahre nach dem Beitritt dieser beiden Länder zur Europäischen Union. In der Zwischenzeit haben sich andere Länder Menschen mit Know-how „abgegriffen“. Viele Menschen sind bereits nach England ausgewandert und stellen dort gute Arbeitskräfte dar. Wir bilden dabei das Schlusslicht. Das hat Geschichte. Unzählige Polinnen und Polen etwa haben auch ihren Weg nach England gefunden, als sie an der deutschen Grenze noch Beschränkungen vorfanden.
Wir müssen bedenken, dass Deutschland für Zuwanderer aufgrund der Sprachbarriere ein größeres Problem darstellt als zum Beispiel England. Deshalb müssen wir uns eher mehr anstrengen als weniger, um Fachkräfte für Deutschland zu gewinnen.
Deshalb plädiere ich dafür, dass wir endlich die Beschränkungspolitik der Arbeitnehmerfreizügigkeit zum Beispiel im Hinblick auf Kroatien - beenden.
Diejenigen Europäerinnen und Europäer, die den Weg zu uns gefunden haben, brauchen hier Unterstützung und eine Anerkennung ihrer Berufsausbildung. Ich glaube, in diesem Punkt sind wir uns alle einig. Anderenfalls würde es zu Lohndumping, zu Verwerfungen, zu Scheinselbstständigkeit und anderen Problemen kommen.
Meine Damen und Herren, die Europäische Union ist die Union der Freiheit. Wir Grüne verteidigen diese Idee. Deshalb stehen wir zur Europäischen Union und zum Recht aller Bürgerinnen und Bürger, sich frei zu bewegen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, begrüßen Sie gemeinsam mit mir auf der Besuchertribüne Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Altenholz sowie den Bürgermeister der Gemeinde Friedrichskoog. - Seien Sie uns herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die richtige Überschrift der heutigen Debatte wäre eigentlich „Ausländerfeindlichen Populismus bekämpfen - gegen die rechtslastige Panikmache der CSU“ gewesen.
Gleichwohl begrüße ich diese Debatte, auch wenn es eigentlich gar nicht um das geht, worüber wir uns einig sind. Das ist bei allen Redebeiträgen deutlich geworden. Die Freizügigkeit in der Europäischen Union ist der Wert der Europäischen Union, die wir leben wollen. Darum geht es. Das macht auch das Unwort des Jahres „Sozialtourismus“
deutlich, über das gerade erst von einer Jury entschieden worden ist. Dieses Wort gehört aber nicht in die politische Debatte.
Gleichwohl müssen wir diese Debatte führen, weil wir es keinem anderen Bundesland als Bayern zu verdanken haben, dass sich der Schleswig-Holsteinische Landtag gemeinsam dagegenstellt. Die anderen haben es auch gesagt: Es ist völlig klar, dass ich das Schüren von ausländerfeindlichen Ressentiments von der CSU aus Bayern nicht nur fürchterlich und schrecklich finde. Ich lehne es politisch und menschlich zutiefst ab, da ich für diese offene und solidarische Gesellschaft seit Jahrzehnten streite. Ich meine auch, dass Parlamentarier und Parteien insgesamt aus meiner Sicht eine besondere Verantwortung tragen, ihre Worte mit Bedacht zu wählen. Ich habe das Gefühl bekommen, dass diese Einsicht der CSU nicht zuzuschreiben ist. Sie hat die falschen Worte mit Bedacht gewählt.
Denken wir einmal zurück an 1999. Denken wir an die Pogrome in Schleswig-Holstein und in OstMecklenburg, zum Beispiel in Rostock-Lichtenhagen, und an die Anschläge bei uns in Mölln, die damit im Zusammenhang stehen. Heute ist ziemlich klar: Den ausländerfeindlichen Mordanschlägen war durch eine entsprechende öffentliche Debatte der Weg bereitet worden. Dadurch erhielten sie eine Art politische Legitimität. Wir haben hier schon darüber diskutiert, ich brauche das nicht zu wiederholen. Auch der derzeitige CSU-Chef Horst Seehofer geht mit der Migrationsthematik nicht gerade sensibel um. Damit klar ist, worüber wir hier reden, zitiere ich: Er will sich „bis zur letzten Patrone gegen Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme wehren“.
Dafür wurde er von dem ehemaligen SPD-Staatssekretär Ulrich Kasparick prompt wegen Volksverhetzung angezeigt. Das sind die Töne, die wir aus Bayern hören und die wir zurückweisen müssen.
Tatsache ist: Die Einzigen, die jubeln, sind die NPD-Anhänger. Sie freuen sich, dass die CSU versucht, ihre antiziganistischen Hauptthemen für die Europawahl hoffähig zu machen. Warum die CSU dies tut, kann man vielleicht erläutern; ich kann es nicht. Ich kann nur sagen: Der Europawahlkampf und der Kommunalwahlkampf in Bayern laufen. Es wird versucht, am rechten Rand einige Wählerstimmen abzufischen.
Ich erinnere an die Resolution des Deutschen Städte- und Gemeindetages. Wir wissen, dass wir gesellschaftliche Ängste und Probleme nicht einfach zurückweisen können. Ich gebe Astrid Damerow recht: Wir müssen die Debatte führen, wenn es zum Beispiel um die Sorgen und Belastungen der Kommunen geht. Es bringt nichts, diese durch Polemik oder Abschottungspolitik einfach zu ignorieren.
Da dies Bestandteil der vorliegenden Anträge ist, will ich sagen: Die vorliegenden Zahlen zeigen ganz deutlich, dass es für derartige Befürchtungen derzeit keinen Anlass gibt. Die Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch Migrantinnen und Migranten aus Südosteuropa ist weit unterdurchschnittlich. Ihre Beschäftigungsquote ist hingegen hoch. So sind diese Migranten also wirtschaftlich gesehen ein Gewinn für unser Land. Nicht nur deshalb, aber auch deshalb heißen wir sie überall in Europa willkommen.
Zum Schluss möchte ich noch etwas zu den Anträge sagen. Wir haben keinen eigenen Antrag eingebracht, weil wir glauben, dass wir den Anträgen von SPD und FDP aus guten Gründen zustimmen können. Ich hätte mich gefreut, wenn es einen gemeinsamen Antrag gegeben hätte. Ich appelliere an dieser Stelle noch einmal an die CDU, auf ihren heute eingebrachten Antrag zu verzichten und stattdessen aus diesem Haus heraus ein gemeinsames Signal zu geben und zu sagen, wir verabschieden die Anträge von SPD und FDP einstimmig. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Arbeitnehmerfreizügigkeit ist eigentlich ein alter Hut. Inzwischen gibt es kaum noch große Betriebe in Schleswig-Holstein, die nicht von der Freizügigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer profitieren. Es spielt für den Arbeitgeber inzwischen keine Rolle mehr, aus welchem EU-Land Bewerber kommen. Wichtig ist nur, dass die jeweiligen Vorkenntnisse und das Knowhow in den Betrieb passen. Laut Statistikamt Nord kommen von den knapp 860.000 Beschäftigten in
Schleswig-Holstein am Stichtag 31. Dezember 2012 allerdings nur 14.465 aus dem EU-Ausland. Das sind 1,7 % aller Beschäftigten. Schleswig-Holstein ist also nicht gerade das Eldorado für Beschäftigte, die aus dem Ausland kommen und in Deutschland arbeiten wollen.
Die Freizügigkeit für Arbeitnehmer ist historisch gewachsen. Ich möchte daran erinnern, dass vor allem die Gewerkschaften diese Grundfreiheit anmahnten, nachdem sich die alte EWG jahrelang nur für den freien Waren- und Kapitalverkehr starkgemacht hatte. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollten sich die besten Arbeitsbedingungen aussuchen können, und zwar ausdrücklich mit einem minimalen bürokratischen Aufwand. Damit sollte eine Art Waffengleichheit im Verhältnis zum freien Kapitalfluss erreicht werden.
Deutschland hat sich allerdings mit der Freizügigkeit schwergetan, als diese im Zuge der Osterweiterung für alle Mitgliedsländer gelten sollte. Deutschland wollte sich nämlich weiterhin abschotten; unter anderem, weil nicht einmal die Integrationsprobleme derjenigen Beschäftigten gelöst worden waren, die schon in Deutschland arbeiteten. Die öffentliche Diskussion in der Zeit der Regierung Schröder hörte sich damals fast genauso an wie das, was wir heute hören. Einwanderungspolitik wurde schon vor zehn Jahren mit Angstvokabeln diskutiert. Schließlich waren die Befürchtungen so stark aufgebauscht, dass es bis zum 1. Mai 2011 gedauert hat, bis Deutschland als einer der letzten EU-Staaten seinen Arbeitsmarkt für osteuropäische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geöffnet hatte. Da hatten Länder wie Schweden oder Großbritannien schon sieben Jahre lang Erfahrungen mit der Zuwanderung. Deren gute Erfahrungen wurden in Deutschland ignoriert.
Diese Abschottung hatte Folgen. Ich erinnere mich an die immensen Hürden, die es im Grenzland zu überwinden galt, wenn ein Flensburger zum Beispiel in Sønderborg arbeiten wollte oder umgekehrt. Auch wenn heute immer noch viele Formalitäten zu bewältigen sind, so gilt die Freizügigkeit inzwischen aber als Erfolgsmodell. Als die Wirtschaft lahmte, konnten deutsche Arbeitnehmer in dänische Betriebe wechseln, entgingen so der Arbeitslosigkeit und blieben der Region langfristig erhalten. Der gemeinsame deutsch-dänische Arbeitsmarkt war jahrelang ein regelrechter Jobmotor für die gesamte Region im Norden.
Die europäische Statistik wies noch bis zum Jahre 2009 aus, dass sich mehr Deutsche einen Job im Ausland suchten als Ausländer in Deutschland.
Diese sollten sich einmal in der Flensburger Agentur für Arbeit umhören. Sie würden erfahren, wie intensiv die Vermittlung über die Grenze hinweg inzwischen geworden ist. Das ist dort Alltag, von dem auch die Betriebe auf beiden Seiten der Grenze enorm profitieren, denn ihnen steht durch die Freizügigkeit ein größerer internationaler Bewerbermarkt zur Verfügung. Über die Vorteile der Freizügigkeit besteht auch mit der antragstellenden FDPFraktion und der CDU-Fraktion absolute Einigkeit, was man dem Antragstext zweifelsfrei entnehmen kann. Allerdings hört die Gemeinsamkeit bei dem Wort Armutszuwanderung auf,
auch wenn das Wort in dem Antrag der FDP relativierend in Anführungszeichen gesetzt wurde. Nicht von ungefähr hat es das ihm verwandte Wort Sozialtourismus geschafft, Platz eins unter den Unwörtern des Jahres einzunehmen. Die Sprachwissenschaftlerin Nina Janich begründete das folgendermaßen:
„Dies diskriminiert Menschen, die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiert ihr prinzipielles Recht hierzu.“
Dem gibt es eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Arbeitnehmerfreizügigkeit ist ein Grundrecht innerhalb Europas. An diesem Grundrecht wird der SSW niemals rütteln.
Das ist kein Denkverbot. Im Gegenteil, wir müssen diese Debatte führen, aber nicht mehr länger als Angstdebatte, sondern als das gemeinsame Ringen um Fairness. Schon 2004 warnte der Deutsche Gewerkschaftsbund vor Dumpinglöhnen, die durch die massenhafte Beschäftigung polnischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Normalität werden könnten. Konkurrenz belebt eben nicht nur das Geschäft, sondern mehr Angebot macht auch Preise kaputt. Darum brauchen wir einen existenzsichernden Mindestlohn für alle. Darin liegt die Chance in der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Letztlich führt die Öffnung des Arbeitsmarktes dazu, dass Wildwuchs und Ausbeutung endlich beendet werden, weil sich der Horizont durch die Zuwanderung öffnet.