Protocol of the Session on January 23, 2014

(Katja Rathje-Hoffmann)

Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Birte Pauls das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer sich einen Eindruck über die Professionalität der Pflege machen will, der sollte sich das Programm des ersten Deutschen Pflegetages, der heute in Berlin anfängt, anschauen, das Motto: Mit dem Rücken an der Wand! Selbstbewusst, eigenständig und sich der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft mehr als bewusst, werden verschiedenste aktuelle pflegerelevante Themen diskutiert.

Ein Thema unter anderen ist die Pflegekammer. Denn nicht nur wir in Schleswig-Holstein haben uns diesbezüglich auf den Weg gemacht, in acht anderen Bundesländern wird die Pflegekammer aktuell diskutiert, und nicht selten ist die CDU mit an Bord. Alle bislang durchgeführten Umfragen wurden pro Kammer entschieden. In Niedersachsen hat eine ver.di-Hochschulgruppe knapp 2.000 Unterschriften für die Kammer gesammelt.

Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Pflichtmitgliedschaft sind längst ausgeräumt. Rechtsgutachten und Urteile des Bundesverfassungsgerichts sprechen eine eindeutige Sprache: Alle in einem anerkannten Heilberuf ausgebildeten Pflegenden müssen erfasst sein, um eine rechtlich legitimierte Vertretung ihrer Angelegenheiten übernehmen zu können. Selbstverständlich muss der Mitgliedsbeitrag einkommensabhängig gestaffelt werden. Selbstverständlich muss man überlegen, wie man diejenigen einbinden kann, die nicht gesetzliche Mitglieder werden können, nämlich die Pflegehilfs- und Assistenzberufe, weil sie ein wichtiger Teil der Pflege sind. Aber verantwortungsvoll, wie sich die Pflege darstellt, wird sie das alleine regeln. Denn nur die Mitglieder entscheiden über Mitgliedsbeiträge und nicht die CDU oder der bpa in irgendwelchen angstmachenden Kampagnen.

(Beifall SPD)

Mit der Eigenständigkeit der Pflege scheint allerdings ganz besonders eine Gruppe ein Problem zu haben. Sie befürchtet, dass die größte Gruppe im Gesundheitswesen zu stark werden und sie selber an Einfluss verlieren könnte. Anders kann ich mir die Aktionen von bpa und Arbeitgeberverband Pflege, aktuell unterstützt von CDU und PIRATEN, nicht erklären.

(Vereinzeletr Beifall SPD)

Sie scheuen keine Kosten und Mühen, die Pflegekammer zu verhindern. Wenn man betrachtet, dass sie die wirtschaftlichen Interessen von 8.000 Unternehmen vertreten, kann ich verstehen, dass man nervös wird, wenn sich 1,2 Millionen beruflich Pflegende organisieren.

Allerdings möchte ich ganz ausdrücklich betonen, dass ich nicht automatisch jedes privat geführte Heim kritisiere, ganz und gar nicht. Es gibt viele sehr gute Einrichtungen, die verantwortungsvoll und teamorientiert mit ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen umgehen.

(Vereinzelter Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber ihr Bundesverband, oft genug nicht rückgekoppelt mit den einzelnen Einrichtungen, attackiert auf unsachlichem Niveau alle Kammerbefürworter bis hin zu den jüngsten Unterstellungen und wüsten Beschimpfungen der Sozialministerin und der Ärztekammer.

Mit Angstkampagnen werden hier abhängig Beschäftigte verunsichert. Vergangene Woche haben sie zu einer Pressekonferenz eingeladen. Aber kam die Pflege selbst dabei zu Wort? - Nein, natürlich nicht.

(Zuruf SPD: Unerhört!)

Wir müssen noch viel informieren, und viele Fragen müssen geklärt werden. Aber ein „Weiter so!“ darf es nicht geben.

(Beifall SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen dringend eine umfangreiche Pflegereform; da bin ich absolut bei Ihnen, Frau Kollegin. Das ist die Aufgabe der Politik, das ist unsere Aufgabe.

Aber die Pflege braucht endlich eine Stimme,

(Beifall SPD)

eine Stimme, die die Pflegenden unabhängig von Arbeitgebern und aktuellen politischen Konstellationen auf Augenhöhe mit anderen Akteuren im Gesundheitswesen fachlich und professionell vertreten kann, demokratisch legitimiert, eine Stimme, die nur ihren Mitgliedern verpflichtet ist. Dann kommt auch niemand mehr an der Pflege vorbei, auch wir nicht.

Die Pflege ist jahrzehntelang hingehalten worden. Pflegende mussten fremdbestimmt immer schlech

tere Rahmenbedingungen, unangemessene Löhne, Arbeitsverdichtungen und zu viele berufsfremde Tätigkeiten hinnehmen. Wir haben das hier rauf und runter diskutiert.

Wir sollten die Inhalte sämtlicher Sonntagsreden endlich umsetzen: Wir müssen die Pflege stärken. Schluss mit der Fremdbestimmung in der Pflege! Wir müssen sicherstellen, dass sie bei allen relevanten Themen ihr Fachwissen einbringen kann, dass die Pflege sich selbst verwaltet und weiterentwickelt und sich selbst vertritt, selber Sprachrohr ist gegenüber Gesellschaft, Politik, Patienten und ihren Angehörigen. Wir wollen den Berufsgruppen der Pflege eine Adresse geben, wo ihre Mitglieder Anspruch auf Service, Beratung und Qualifikation haben.

Natürlich ist die Pflegekammer kein Allheilmittel; das haben wir auch nie so gesagt. Wir brauchen daneben starke Gewerkschaften. Ich kann nur jedem Pflegenden empfehlen, in die Gewerkschaft einzutreten. Wir brauchen verantwortungsvolle, wertschätzende Arbeitgeber, die entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Aber davon hält sie auch heute niemand ab.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Deswegen brauchen wir auch keine Pflegekammer! Wenn sie auch heute niemand abhält? - Vereinzelt Bei- fall CDU)

- Hören Sie mir doch zu. - Stattdessen maßen sich weiterhin diejenigen, die seit Jahren echte Fortschritte in der Pflege verhindern, an, für die Pflegenden zu sprechen. Angeblich schützend werfen sich jetzt diejenigen vor die Pflegenden, die sie jahrelang mit ihren Problemen alleingelassen haben.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Wer hat sie jahre- lang alleingelassen?)

- Zum Beispiel Sie als Gesundheitsminister, Sie von der FDP auf Bundesebene haben die Pflege zwar immer in Sonntagsreden proklamiert, aber Sie haben sie nie anständig behandelt.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Sie sind es doch, die das Votum der Pflegekräfte jetzt so auslegen, wie Sie es gern hätten. Nicht die Sorge um das Wohl der Angestellten ist der Beweggrund, sondern die befürchtete Konkurrenz der Pflegekammer um Meinungshoheit zum Thema Pflege. Oder wie es eine Teilnehmerin in der Pflegekammerkonferenz am Montag formulierte: Man könnte den Eindruck haben, dass die Pflege vor sich selbst geschützt werden soll.

Frau Abgeordnete Pauls, gestatten Sie zum Ende Ihrer Rede eine Zwischenfrage der Abgeordneten Katja Rathje-Hoffmann?

Sehr gern.

Bitte schön.

Kollegin Pauls, können Sie sich Gründe vorstellen, warum beide Gewerkschaften die Pflegekammer ablehnen?

Es gibt die Befürchtung, dass es zu einem Mitgliederverlust bei ihnen kommen wird.

(Katja Rathje-Hoffmann [CDU]: Danke, das genügt schon!)

Ich habe diese Befürchtung nicht. Es gibt beste Beispiele dafür, zum Beispiel die gesamte Ärzteschaft. Alle sind Mitglied in einer Kammer. Die meisten sind derzeit gleichzeitig - das wird Marret bestimmt gleich bestätigen können -

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Niedergelassene!)

- Sie vergleichen schon wieder Äpfel mit Birnen. Die Ärztekammer ist etwas ganz anderes. Das ist eine Kammer von Freiberuflern. Die Pflegekammer ist eine Kammer für abhängig Beschäftigte.

(Beifall CDU und FDP)

- Vielleicht nehmen Sie einfach einmal zur Kenntnis, dass es unter den derzeitigen ver.di-Mitgliedern ganz viele gibt, die eine Kammer befürworten.

Sie wollen die Umfrage ja nicht richtig lesen. Wenn Sie sie aber richtig lesen würden, dann würden Sie feststellen, dass 19 % der Befragten Gewerkschaftsmitglieder sind. Das ist natürlich ein Problem. Das ist ein Problem der Gewerkschaft. Davon haben sich aber 57 % sehr deutlich für die Einrichtung einer Pflegekammer ausgesprochen. Wo ist also Ihr Problem?

(Beifall SPD)

(Birte Pauls)

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine weitere Frage beziehungsweise eine Debatte mit dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg?

Ja, bitte.

Bitte schön, Sie haben das Wort, Herr Dr. Garg.

Frau Kollegin Pauls, ich will das nicht ins Lächerliche ziehen. Würden Sie mir aber bitte erklären, in welcher Gewerkschaft freiberuflich tätige niedergelassene Ärzte in ihrer Masse organisiert sind?

Ich kenne einige Ärzte, viele Ärzte.

- Ich kenne auch einige.

- Ich kenne viele Ärzte, die auch bei ver.di organisiert sind. Das ist doch alles gar kein Problem. Sie schaukeln da irgendetwas hoch, weil Sie dem Wunsch der Pflege nach einer Pflegekammer nicht nachkommen wollen. Sie wollen nicht, dass die Pflege auf gleicher Augenhöhe mit den Ärzten steht.