Protocol of the Session on November 21, 2013

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Vorratsdatenspeicherung stellt einen massiven Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung des Menschen dar und verletzt damit ein elementares Grundrecht, nämlich das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder, wie es der Psychoanalytiker Erich Fromm definierte, das höchste Ziel des menschlichen Lebens. Und genau dagegen richtet sich die Vorratsdatenspeicherung. Zudem hebelt sie das Telekommunikationsgeheimnis aus, welches ebenfalls ein unverzichtbares Grundrecht des Menschen ist.

Welch enormer Nutzen müsste solch drastischen Einschränkungen unserer Grundrechte gegenüberstehen, um auch nur im Ansatz legitim sein zu können? Die Freiheit, ein sicheres Leben in

Deutschland zu führen? Das glaubt doch niemand wirklich. Wie kann der Verzicht auf Freiheit zugleich Grundlage für den Erhalt von Freiheit sein? Das ist doch absurd.

Es wird immer gern behauptet, durch Vorratsdatenspeicherung ließen sich wesentlich mehr kriminelle Straftaten aufklären. Eine vom Bundesjustizministerium beauftragte Max-Planck-Studie kommt jedoch zu einem anderen Schluss: Die Vorratsdatenspeicherung hat in keinem einzigen Punkt zu Veränderungen in den Aufklärungsraten geführt, stellt das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht fest - bei Tötungsdelikten nicht, bei Raubüberfällen nicht, bei Cyberkriminalität nicht und auch bei Kinderpornografie nicht.

Es ist auch kein einziger Fall bekannt, in dem die Erhebung personenbezogener Daten zur Vereitelung eines geplanten Terroranschlags geführt hat. Das alles zeigt, dass es erst einmal überhaupt keinen sachlichen Grund gibt, der für die Vorratsdatenspeicherung spricht. Die nackten Tatsachen sprechen sogar eher für das Gegenteil. Die Studie belegt, dass es eben keinen positiven Effekt hätte, die Vorratsdatenspeicherung anzuwenden. Wenn es nachweislich keinen positiven Effekt gibt, dann fällt sozusagen die Geschäftsgrundlage für die Vorratsdatenspeicherung weg.

Hingegen darf man bezweifeln, wie sicher die Datenspeicherung vor Zugriffen Dritter ist. Wenn es noch nicht einmal möglich ist, die Kanzlerin effektiv vor dem Abfragen ihrer Verbindungsdaten zu schützen, was müssen dann alle anderen erst befürchten? Wie kann Vertraulichkeit im elektronischen Datenverkehr dann noch gewährleistet werden - in Arztpraxen, in Anwaltskanzleien, in Zeitungsredaktionen, in Wirtschaftsbetrieben, in der Politik und nicht zuletzt von Millionen heimischer PCs?

In diesem Land sollte auch weiterhin der Grundsatz gelten, dass personenbezogene Datenerhebungen erst dann aufgenommen werden, wenn es einen begründeten Anfangsverdacht gibt. Die Vorratsdatenspeicherung stellt dieses Prinzip auf den Kopf. Sie stellt Millionen unschuldige Bürgerinnen und Bürger unter Generalverdacht - und das wohlgemerkt ohne einen nachweisbaren Nutzen.

Außer Spesen also nichts gewesen, könnte man sagen, und das ist durchaus wörtlich gemeint; denn ironischerweise müssen die Menschen für ihre Überwachung ja auch noch selbst bezahlen. Die Telekommunikationsunternehmen bekommen schließlich keinen Cent für den Job als staatliche Erfül

lungsgehilfen und leiten die anfallenden Speicherkosten direkt an die Kunden weiter.

(Beifall PIRATEN)

Deshalb bleiben wir dabei: Was machbar ist, ist noch lange nicht richtig. Die Vorratsdatenspeicherung ist Unrecht am Menschen und gehört abgeschafft.

(Beifall SSW und PIRATEN)

Ich freue mich, dass die PIRATEN diesen wichtigen Abschnitt in unserem Koalitionsvertrag ausgemacht und in einen Antrag gegossen haben. Deswegen sind wir diesem ja auch beigetreten. So erhält insbesondere die CDU die Möglichkeit zu zeigen, ob sie dazugelernt hat, seit Whistleblower wie Edward Snowden dank vertraulicher Kommunikationsmöglichkeiten begonnen haben, das Ausmaß weltweiter elektronischer Überwachung aufzudecken. Allerdings habe ich nach der Rede des Kollegen Bernstein Zweifel daran, ob die CDU hier ihre Grundhaltung ändert.

Wir stehen an einem Scheideweg, der unsere Gesellschaft für immer verändern wird. Sollen wir jetzt aufrüsten oder uns für eine Abrüstung einsetzen? Unsere Antwort steht bereits im Koalitionsvertrag. Wir freuen uns über jeden Abgeordneten hier im Haus, der unsere Haltung über den vorliegenden Antrag unterstützt. Wir sind froh, dass wir hier eine breite Mehrheit für mehr Freiheit haben. Ich hoffe, dass wir jetzt eine Formulierung hinbekommen haben, die es auch der FDP ermöglicht, dem Antrag zuzustimmen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ja!)

Je breiter die Mehrheit, desto besser ist es. Was das angeht, muss ich sagen, sind wir ein klasse Parlament.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Bevor wir zu den Dreiminutenbeiträgen kommen, kann ich schon einmal den geänderten Wortlaut verlesen:

„Die Vorratsdatenspeicherung ist ein hochproblematischer Eingriff in die Grundrechte. Deshalb werden wir uns auf Europa- und Bundesebene gegen jede Form der Vorratsdatenspeicherung einsetzen.“

Gestrichen sind die Worte „im Bundesrat“ und „der Innenministerkonferenz“. Ist das so richtig? - Ich

sehe Nicken bei der FDP und bei den Antragstellern. Dann ist die Fassung des Antrags für die weitere Diskussion klar.

Jetzt kommen wir zu den Dreiminutenbeiträgen. Zunächst hat der Abgeordnete Wolfgang Dudda von der Piratenfraktion das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Instrument des Dreiminutenbeitrags habe ich bisher erst zweimal genutzt. Ich nutze es ernsthaft; denn das Thema ist mir sehr wichtig. Es ist eine Herzensangelegenheit, und zwar nicht nur für mich, sondern für viele tausend Menschen, für die 34.000 Menschen, die in Karlsruhe erfolgreich geklagt haben, genauso wie für die Mitglieder der über 100 NGO, die auf Europaebene gegen die Vorratsdatenspeicherung vorgehen.

(Beifall PIRATEN)

All diese Menschen sind überzeugte Demokraten und keine Terroristen und Straftäter. Diese Menschen stehen hinter dem Staat. Sie engagieren sich für ihn, und sie verdienen unsere Anerkennung, weil sie sich Sorgen um die Demokratie machen. Sie haben es nicht verdient, unter Generalverdacht gesetzt zu werden, wie es die Vorratsdatenspeicherung vorsieht.

(Beifall PIRATEN)

Demokratie heißt nämlich auch, dass dem Einzelnen oder der Einzelnen maximale Freiheitsräume zugestanden werden, in denen sie frei und ungehindert kommunizieren und sich bewegen können. Wie nötig das ist, möchte ich einmal anhand eines Beispiels, das uns Deutschen besonders fremd sein mag, darstellen.

Als Anfang der 80er-Jahre in Frankreich überlegt wurde, den fälschungssicheren Personalausweis einzuführen, war die Mehrheit der Franzosen dagegen. Die Begründung finde ich total spannend und interessant; sie hat anarchische Züge. Die Franzosen haben gesagt: Wir können das nicht tun; denn wenn wir wieder besetzt werden, dann können wir keinen Widerstand leisten, weil wir unsere Ausweise nicht fälschen können. - So denken die Menschen in einem Land, das besetzt war. Wir Deutschen denken da anders. Wir sind eher die Besetzer gewesen und fühlen uns wohler, wenn wir uns mit der urdeutschen Eigenschaft, Bürokraten und Verwaltungs- und Staatshandeln blind zu vertrauen, betätigen.

(Lars Harms)

Wie unberechtigt dieser Blankoscheck für das Vertrauen ist, hat der Bericht aus dem NSU-Ausschuss ganz klar gezeigt.

(Beifall PIRATEN und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt, es ist kein Misstrauen gegenüber der Polizei, aber einen Blankoscheck können wir nicht ausstellen.

Dann frage ich etwas, was historisch statthaft ist. Ich frage mich nämlich, ob es möglich gewesen wäre, dass die Mauer fällt, wenn die Stasi die Vorratsdatenspeicherung gehabt hätte. Stellen Sie sich das bitte einmal bis zu Ende vor. Das wäre nicht möglich gewesen.

Ein anderes Beispiel möchte ich Ihnen nennen. Wir waren gerade unterwegs mit Matthäus Weiß, der uns erklärt hat, dass Romanes eine Sprache ist, die man bewusst nicht in der Schule unterrichtet haben möchte; denn es muss eine letzte Möglichkeit geben, wie man sich verständigen kann, wenn es wieder einmal bedrohlich wird. - Das halte ich für sehr sinnvoll. Dieses Denken ist bei uns vorhanden. Die Vorratsdatenspeicherung passt zu diesem Denken und zu unserer Historie überhaupt nicht.

(Beifall PIRATEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es geht dabei - da haben Sie vollkommen recht, Herr Kubicki - um ein Instrument für die Polizei, das sie personell gar nicht ausreichend nutzen kann, weil sie nicht genug Personal hat. Ich will auch ganz klar sagen: Wenn ich als Ermittler solche Daten nutzen wollte und sauber ermittelt habe, dann habe ich das ratzfatz innerhalb von wenigen Stunden zusammen gehabt - aber dann mit einem begründeten Anfangsverdacht. Dann kann man es auch sauber einsetzen und muss dokumentieren, was man dort tut.

Die Datenverstöße hat Herr Dolgner dargestellt. Er hat klar gemacht, wie leicht man an Daten kommt. Schlösser sind dazu da, um aufgemacht zu werden, und nicht dazu, etwas zu beschützen.

Kommen Sie bitte zum Ende.

Ja. Eine durch die Vorratsdatenspeicherung pseudobehütete Gesellschaft ist nicht sicherer als eine ohne Vorratsdatenspeicherung. Das möchte ich auch sagen.

Wenn es mir gelungen ist, einige von Ihnen zum Nachdenken zu bringen, dann freut mich das. - Vielen Dank.

(Beifall PIRATEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag hat der Herr Abgeordnete Uli König von der Piratenfraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir müssen gegen die Einführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland kämpfen. Wenn wir unsere Freiheit aufgeben, um uns vor wem auch immer - zu schützen, dann haben wir schon verloren.

(Beifall PIRATEN und SSW)

Zur Freiheit gehört auch ein effektiver Datenschutz und damit auch Datensparsamkeit. Kollege Dolgner hat das vorhin schon eindrucksvoll ausgeführt. Je mehr Daten erhoben werden, desto höher ist auch das Missbrauchsrisiko. Lassen Sie uns deshalb diese unsinnige Datenerhebung verhindern.

(Beifall PIRATEN)

Lars Harms hat es gerade schon ausgeführt: Die Vorratsdatenspeicherung ist sehr teuer. Daten müssen erhoben, sicher gespeichert und über Schnittstellen weitergeleitet werden. Das klingt erst einmal nicht teuer, ist es aber. 81 % der Bürger in Deutschland haben einen Internetzugang. Das ist oft mehr als ein Anschluss pro Person. Das sind ein Anschluss zu Hause, ein oder mehrere Smartphones und ein Anschluss auf der Arbeit. Jeder dieser Anschlüsse muss nun überwacht werden. Das kostet für Spezialsoft- und -hardware, die wir alle mit unseren Nutzungsgebühren bezahlen müssen, richtig viel Geld. Dieses Geld steht zum Beispiel für den Breitbandausbau nicht zur Verfügung.

In Österreich sind dies etwa 8 Millionen € pro Jahr. Auf Deutschland hochgerechnet reden wir hier von 80 Millionen € im Jahr. Für Schleswig-Holstein sind es 2,8 Millionen €. Das können sich alle ausrechnen. Stellen Sie sich einmal vor, wie lange wir über einen Haushaltsposten von 2,8 Millionen € diskutieren würden. Das ist richtig viel Geld.

(Beifall PIRATEN und SSW)

(Wolfgang Dudda)

Lassen Sie uns deshalb diese unsinnige Geldverschwendung verhindern.