Protocol of the Session on November 21, 2013

Es ist deshalb gut, dass der absurde Vorschlag von Innenminister Friedrich zur Nutzung von Mautdaten zu Sicherheitszwecken vorerst gestoppt wurde.

(Beifall PIRATEN)

Aber Vorsicht, wer weiß, ob solche Vorschläge nicht wieder aus der Mottenkiste kommen, falls sich der Zeitgeist ändern sollte. Ein Innenminister, der von einem sogenannten Supergrundrecht Sicherheit fabuliert, beweist nicht nur juristischen Nachhilfebedarf, sondern auch, wie kopflos unsere Innenpolitik in Berlin betrieben wird.

(Beifall PIRATEN)

Wie befreiend wäre es, Sicherheitspolitik über reale Gefährdungsanalysen zu definieren und nicht über den Einzelfall, der für ideologische Schreckgespinste herhalten muss.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, PIRATEN und SSW)

(Dr. Kai Dolgner)

Aktuelle Sicherheitsgesetze sollten aus unserer Sicht stärker zeitlich befristet werden, und eine Evaluierungsfrist, wie sie zum Beispiel von RotGrün nach dem 11. September 2001 im Land bereits praktiziert wurde, sollte zwingend vorgeschrieben werden. Es wäre unerträglich, wenn die Große Koalition die Vorratsdatenspeicherung einführen würde, während der größte Geheimdienstskandal aller Zeiten noch nicht einmal vollständig aufgeklärt ist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und PIRATEN)

Natürlich ist diese Debatte auch eine europäische Debatte. Deshalb ist es wichtig, dass die Bundesrepublik in der EU endlich ihre Rolle als Anwältin für Bürger- und Bürgerinnenrechte wahrnimmt. Der zivile Ungehorsam von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger darf nicht ins Gegenteil verkehrt werden. Wir brauchen eine mutige Zivilgesellschaft und in den Ländern Koalitionen aller politischer Couleur gegen diese Überwachungsmaßnahmen aus dem Bund. Deshalb steht unsere rot-grün-blaue Koalition geschlossen gegen die Vorratsdatenspeicherung. Deshalb würden wir Grüne gern noch einen Schritt weitergehen. Unsere gemeinsame Antwort auf die aktuellen Überwachungsskandale kann aus unserer Sicht nur lauten: mehr Freiheit. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PI- RATEN und SSW)

Für die Abgeordneten des SSW hat Herr Abgeordneter -

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Noch gibt es uns, Herr Präsident! Das war nun schon das zwei- te Mal!)

- Herr Fraktionsvorsitzender, Sie haben selbstverständlich das Wort für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon 17 Uhr, und für den Präsidenten ist es manchmal sehr schwierig, die Sitzung von dort oben zu leiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Vorgehen der US-amerikanischen und britischen Geheimdienste, das in den vergangenen Wochen und Monaten vor allem durch die Enthüllungen von Edward Snowden zutage getreten ist, hat uns allen deutlich gemacht, dass die Bürgerinnen und Bürger

in der Bundesrepublik Deutschland effektiv geschützt werden müssen. Sie müssen geschützt werden vor einer anscheinend immer unkontrollierbarer werdenden staatlichen Datensammelleidenschaft, die die Freiheitsrechte des Einzelnen in nicht mehr vertretbarem Maße beschneidet.

Vor diesem Hintergrund müssen wir uns als politisch Verantwortliche folgende Fragen ernsthaft stellen: Was passiert, wenn wir kein deutliches politisches Signal geben, dass wir einen solchen Schnüffelstaat nicht wollen? Was passiert eigentlich, wenn wir politischen Bestrebungen nachgeben, die eine Ausweitung staatlichen Zugriffs auf relevante Daten fordern? Ich empfehle in diesem Zusammenhang allen Beteiligten, doch einmal nach Italien zu gucken und sich das System Serpico anzuschauen, das die italienischen Finanzbehörden aufgelegt haben, mit dem 2.000 Server den gesamten Geld- und sonstigen Fiskalfluss aller Beteiligten überprüfen und Kreditkartenabrechnungen, Bankkontenbewegungen, Grundbucheintragungen, Katastereintragungen, Mitgliedschaften in Vereinen daraufhin überprüft werden, ob es möglicherweise Abweichungen gegenüber öffentlichen Erklärungen gibt - mit der Maßgabe, dass automatisch ein Anfangsverdacht begründet wird, wenn im System etwas auffällt. Ich warne alle Beteiligten.

Was passiert eigentlich, wenn wir jeden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte mit Angst rechtfertigen? Angst vor Kriminalität, Angst vor Terror oder auch Angst vor wirtschaftlicher Rückständigkeit?

Ich bin seit 43 Jahren in der Politik und seit 23 Jahren im Parlament und höre immer wieder, dass wir ständig unsere Gesetze verschärfen müssten, dass wir aufrüsten müssten, damit mehr Aufklärung stattfindet. Und, Herr Dudda, wir stellen fest: In der Summe ändert sich gar nichts. Wir müssen vielleicht einmal darüber nachdenken, ob diese Form der technischen Aufrüstung unter Umständen eine Ausweichreaktion darauf ist, dass die verantwortlich Handelnden nicht genug nachgedacht haben und einen Teil ihres Versagens erklären müssen.

(Beifall FDP, PIRATEN und Lars Harms [SSW])

Wir bekämen als Resultat einen anderen Staat, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir bekommen einen Staat, der das individuelle Bedürfnis nach größtmöglicher Freiheit dem Wunsch nach größtmöglicher kollektiver Sicherheit unterordnet. Wir erhalten einen ängstlichen Staat, der versucht, sämtlichen Unwägbarkeiten des Lebens durch ein außerordentlich hohes Maß an Überwachung zu begeg

(Rasmus Andresen)

nen. Das ist ein Staat, den ich nicht haben will und den wir auch nicht haben wollen können.

(Beifall FDP und PIRATEN)

Erfreulicherweise hat das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass der freiheitliche Charakter des Grundgesetzes eigentlich verhindert, am Ende in einem solchen Staat zu landen. In seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung vom 2. März 2010 können wir unter Randnummer 218 ich gebe das an, damit alle, die daran interessiert sind, dies nachlesen können - folgenden, im Grund beruhigenden Satz lesen:

„Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland, für deren Wahrung sich die Bundesrepublik in europäischen und internationalen Zusammenhängen einsetzen muss.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass die europäische Datenschutzrichtlinie aus dem Jahre 1995 stammt. Kann sich noch jemand daran erinnern, wie damals die Computer ausgesehen oder die Handys haben und welche Möglichkeiten damals in Relation zu heute zur Verfügung standen? Uns trennen Welten, Universen in der Frage der technischen Möglichkeiten. Deshalb ist hier eine dringende Überarbeitung nötig.

(Beifall FDP)

Wenn wir jetzt aber lesen müssen, dass sich die Koalitionspartner in spe, also Union und SPD, weitgehend einig sind, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen, dann müssen wir uns schon fragen, warum das so ist. Sind die NSA-Affäre, das Ausspionieren des Kanzlerinnenhandys oder das Auskundschaften von EU-Gebäuden schon so lange her? War die Aufregung hierüber also bloß politische Folklore? Waren diese Enthüllungen nur für eine öffentlichkeitswirksame kurzfristige Empörung geeignet, die ohne jede inhaltliche Rechtfertigung war? Wenn das so gewesen sein sollte, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten, dann wäre dies erschütternd und kein Ruhmesblatt für Union und Sozialdemokraten insgesamt.

(Beifall FDP und Rasmus Andresen [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Die FDP mag in der Regierung während der letzten vier Jahr nicht sehr viel bewirkt haben. Aber wir haben verhindert, Herr Kollege Dr. Dolgner, dass die Vorratsdatenspeicherung eingeführt worden ist.

Wir sind dafür beschimpft worden, haben aber trotzdem aus innerer Überzeugung dazu gestanden.

(Beifall FDP)

Ich gehe davon aus, dass die innere Überzeugung der Sozialdemokraten, die sich hier ja auch im Koalitionsvertrag niedergeschlagen hat, ihre Bewährungsprobe bestehen wird, wenn die Große Koalition in Berlin installiert sein wird. Ich erwarte von Ihnen entsprechende öffentliche Reaktionen.

(Beifall FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der jetzt vorliegende Antrag ist aus zwei Gründen für uns nicht zustimmungsfähig, obwohl wir im Grundsatz der gleichen Auffassung sind: Erstens habe ich mich gefragt, wer gemeint ist, wenn die Abgeordneten Schmidt, Dr. Dolgner, Andresen und Harms schreiben, „wir“ werden uns auf verschiedenen politischen Ebenen - auch der Innenministerkonferenz - gegen die Vorratsdatenspeicherung einsetzen. Ich habe bisher nicht gewusst, dass Sie alle bei der Innenministerkonferenz beteiligt sind. Soweit ich weiß, nehmen keine Mitglieder des Landtages mit Ausnahme von Herrn Breitner an der Innenministerkonferenz teil. Aber vielleicht sind das schon wieder zu viele Details.

Zweitens. Wir haben bereits einen inhaltlich sehr ähnlichen Antrag im parlamentarischen Verfahren - mit „wir“ meine ich jetzt die FDP-Fraktion -, nämlich den Änderungsantrag meiner Fraktion in der Drucksache 18/1075. Im Innenausschuss war vereinbart, dass die fachpolitischen Sprecher aus den verschiedenen Anträgen zur elektronischen Kommunikation einen gemeinsamen, überparteilichen Antrag formulieren, übrigens unter Federführung des Kollegen Dr. Dolgner. Dass Sie jetzt von diesem Verfahrensvorschlag abweichen, finden wir bemerkenswert.

Aus diesen beiden Gründen können wir dem Antrag formal nicht zustimmen, inhaltlich schon; das will ich ausdrücklich mitteilen. Aber es spricht auch nichts dagegen, dass wir uns vielleicht noch darauf verständigen, etwas Gemeinsames zu machen, damit in der Sache wirklich etwas bewirkt wird und ein eindeutiges Zeichen von Schleswig-Holstein ausgeht. - Herzlichen Dank.

(Beifall FDP)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Dolgner?

(Wolfgang Kubicki)

Sehr gern, weil ich seinen Redebeitrag ausgesprochen amüsant und richtig fand.

(Beifall SPD)

Herr Kollege Kubicki, abgesehen davon, dass es bei der Formulierung des Personalpronomens ein bisschen das Problem des Plagiierens gab das habe ich am Anfang auch etwas süffisant anzumerken versucht -, sehe ich nicht, dass sich mit diesem Antrag der sich noch im Verfahren befindliche Antrag, der sich in der Hauptsache mit der Spähaffäre und den Auswirkungen beschäftigt, in irgendeiner Weise erledigt hätte.

(Beifall PIRATEN)

Abgesehen davon kann man ja auch Dinge wiederholen, wenn sie richtig sind.

- Bei Letzterem stimme ich Ihnen durchaus zu, obwohl Sie uns gelegentlich vorwerfen, dass wir Dinge wiederholen, obwohl sie richtig sind. Gleichwohl sind wir bereit, wenn wir die Geschichte mit dem „wir“ in der Innenministerkonferenz vielleicht noch ein bisschen glätten, dem Antrag zuzustimmen, damit wir ein eindeutiges Votum des Hauses bekommen. - Herzlichen Dank.

(Beifall FDP)

Für die Abgeordneten des SSW hat der Herr Abgeordnete Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Vorratsdatenspeicherung stellt einen massiven Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung des Menschen dar und verletzt damit ein elementares Grundrecht, nämlich das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder, wie es der Psychoanalytiker Erich Fromm definierte, das höchste Ziel des menschlichen Lebens. Und genau dagegen richtet sich die Vorratsdatenspeicherung. Zudem hebelt sie das Telekommunikationsgeheimnis aus, welches ebenfalls ein unverzichtbares Grundrecht des Menschen ist.