Herr Kollege Dr. Bernstein, könnten Sie uns erläutern, was an einer Maßnahme, die unterschiedslos sämtliche Bürgerinnen und Bürger und sämtliche Telekommunikation erfasst, maßvoll sein soll?
- Lieber Kollege Breyer, wir können jetzt lange darüber reden, was wer unter dem Begriff maßvoll versteht. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, wie man Vorratsdatenspeicherung ausgestalten kann. Darauf komme ich noch. Das, was bei uns vorgesehen ist, halte ich für maßvoll.
Die Experten der Strafverfolgungsbehörden und der Deutsche Richterbund fordern deshalb auch die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung. Gerade unter den Bedingungen, die das Bundesverfassungsgericht definiert hat, müssen Polizei und Sicherheitsbehörden auch bei uns in die Lage versetzt werden, entsprechende Daten abzurufen. Wir halten deswegen die zeitlich begrenzte Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten durch die Unternehmen für unentbehrlich. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil 2010 festgestellt ich zitiere:
„Eine Rekonstruktion gerade der Telekommunikationsverbindungen ist für eine effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr von besonderer Bedeutung.“
Nun haben sich SPD, Grüne und SSW in ihrem Koalitionsvertrag leider darauf verständigt, dass sie dieses wichtige Instrument der inneren Sicherheit ablehnen wollen.
Ganz offenbar haben die Sozialdemokraten in Berlin aber ein realistischeres Gespür für die Sicherheitsbedürfnisse unseres Landes.
verhandlung kein Vertreter aus Schleswig-Holstein dabei. Wenn man sich anhört, wie die Wasserstandsmeldungen aus den Koalitionsverhandlungen aussehen, geht es ganz offensichtlich nicht mehr um die Frage, ob die Vorratsdatenspeicherung kommt, sondern um die Frage, in welcher Form sie eingeführt werden wird.
(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Das ist ja auch schon einmal von der Großen Koalition durchgedrückt worden!)
Herr Abgeordneter Dr. Bernstein, gestatten Sie eine zweite Zwischenbemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Breyer?
Werter Herr Kollege, wenn Sie die Vorratsdatenspeicherung, also die verdachtslose und flächendeckende Erfassung aller Telekommunikationsdaten, als wichtiges Instrument der inneren Sicherheit bezeichnen, wie können Sie sich dann erklären, dass nach Einführung dieser Maßnahme in Deutschland die Aufklärungsrate gerade bei Internetdelikten zurückgegangen ist?
- Lieber Herr Kollege Breyer, Sie kennen alle einschlägigen Untersuchungen, gerade im Bereich der Sicherheitsbehörden der inneren Sicherheit, die genau diese These nicht stützen. Wir brauchen jetzt die Debatte aus dem vergangenen Herbst nicht zu wiederholen, in der von Ihnen gerade aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil selektive Argumente herausgezogen worden sind. Das können wir, wenn Sie wollen, alles noch einmal auf den Tisch legen.
Die SPD will offensichtlich - so wie wir das aus Berlin jetzt gehört haben - die EU-Richtlinie, die den Providern eine Speicherung von mindestens sechs Monaten und maximal zwei Jahren vorschreibt, verändern und eine geringere Mindestspeicherfrist anstreben. Darüber kann man reden. Dennoch sollten wir das europäische Recht aber zunächst einmal endlich umsetzen, nicht zuletzt, weil ein Vertragsverletzungsverfahren droht.
Es klang ja schon an: Jetzt kommen die großen Zwischenrufe und das Lamento - Snowden, NSA, GCHQ und so weiter. Eine Lehre aus der NSA-Af
färe - und sicher nicht die unwichtigste - zum jetzigen Zeitpunkt ist doch, dass deutsche Dienste und Sicherheitsorgane offensichtlich nicht auf Augenhöhe unterwegs sind.
Das mag vielfältige Ursachen haben, aber der rechtliche Rahmen ist sicherlich einer dieser Ursachen. Das ist eine Situation, die für die drittgrößte Wirtschaftsnation der Welt unerträglich und schädlich ist. Das gilt nicht nur mit Blick auf die Möglichkeiten eigener Informationsgewinnung und Spionageabwehr, sondern es geht auch gerade um den Schutz der Daten deutscher Bürger. Nur wenn wir weitgehend auch von den Leistungen befreundeter Dienste unabhängig sind, können wir den Schutz der Daten unserer Bürger und unserer Unternehmen durchsetzen. Das Thema Vorratsdatenspeicherung spielt hier nur am Rande eine Rolle, Seine Bedeutung zur Verbrechensbekämpfung ist aber immerhin unter Fachleuten weitgehend unbestritten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenbemerkung, diesmal des Herrn Abgeordneten Torge Schmidt?
Herr Kollege Bernstein, habe ich Sie eben richtig verstanden, dass Sie auf die Daten der Vorratsdatenspeicherung auch Zugriffe von Geheimdiensten und Verfassungsschutz zulassen wollen?
- Ich habe versucht darzustellen, dass ich der Auffassung bin, dass wir nur dann den Einblick in unsere Daten, die wir zur Verbrechensbekämpfung, organisierten Kriminalität und Terrorabwehr in Deutschland brauchen, von befreundeten Diensten verhindern können, wenn wir dies weitestgehend selber regeln. Denn das ist ja in erster Linie nicht nur eine technische Frage. Das lässt sich regeln. Es ist eine Frage der Durchsetzung, ob man dann, wenn jemand einem Informationen liefert, die man selber nicht hat und eigentlich brauchte, Nein sagen kann. Gerade aus Gründen des Datenschutzes müssen wir das künftig können.
Zur eigentlichen Bedeutung der Verbrechensbekämpfung hat Herr Ziercke in diesem Haus alles Notwendige und Richtige gesagt. Für uns gilt nach
wie vor: Die Vorratsdatenspeicherung ist ein notwendiges Instrument zur Verbrechensbekämpfung. Den Antrag von PIRATEN und Regierungsfraktionen lehnen wir konsequenterweise ab. Ich bin guten Mutes, dass sich die SPD auf Bundesebene unserem Kurs anschließen wird. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man lernt bei solchen Debatten ja immer noch dazu. Sollen wir als Reaktion auf die NSA-Affäre et cetera jetzt nachrüsten und die amerikanischen Bürger abhören? Wie kann ich das verstehen? An welcher Stelle hilft da die Vorratsdatenspeicherung, egal ob man sie will? Das Argument ist doch an dieser Stelle verquer,
außer man möchte eine Art virtuelles Wettrüsten veranstalten, nach dem Motto: Die hören uns ab, und das ärgert uns, und darum hören wir die ab. Das ist Globalpolitik von vor 100 Jahren, bloß mit anderen Mitteln. Ich hoffe, dass wir bald darüber hinweg sind.
Zunächst einmal möchte ich mich jedoch bei den PIRATEN bedanken, dass sie wieder einmal einen Teil unseres Koalitionsvertrags zur Abstimmung stellen.
Ich kann hier ganz „piratig“ erklären: Wir haben noch 2.500 Zeilen nach. Wir sehen das mit den Urheberrechten auch nicht so genau. Da haben Sie die nächsten Jahre noch gut zu tun.
darüber haben wir wirklich sehr ausführlich gesprochen -, die unter dem Sammelbegriff Vorratsdatenspeicherung fallen - noch einmal ein grundsätzliches Problem von Datensammlungen hervorzuheben. Es kommt in der ganzen Debatte zu kurz, und man hätte es aus der NSA-Affäre lernen können. Denn wer massenhaft anlass- und lückenlos Daten erhebt, muss auch immer einkalkulieren, was passiert, wenn diese Datensammlung in falsche Hände gerät. Dieses Problem ist viel älter als die vernetzte Welt. Das sicherlich dramatischste und bekannteste Beispiel ist die per Lochkartensystem erfasste Religionszugehörigkeit bei der Volkszählung 1936 in den Niederlanden. Sie hatte während der deutschen Besatzung schreckliche Folgen für die jüdische Bevölkerung.
Dies soll jetzt keine völlig unangebrachten historischen Parallelen ziehen, aber Sensibilität aus den Lehren der Vergangenheit ist trotzdem angebracht, vor allem, weil damals auch aufgrund der Weltlage intensiv davor gewarnt wurde, die Religionszugehörigkeit im Hollerith-System zu erfassen.
- Herr Kubicki, ich habe eben etwas zu historischen Vergleichen gesagt. Es geht um das Sensibilisieren. Man darf aus der Vergangenheit lernen, ohne immer gleich zu sagen, dass sich die Vergangenheit wiederholt. Man darf sensibel sein.