Protocol of the Session on June 18, 2013

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Marret Bohn.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank, liebe Frau Ministerin Alheit, für Ihren Bericht. Gut zu wissen, dass in Ihrem Ministerium beim Thema Pflegekammer Nägel mit Köpfen gemacht werden.

Dass es um die Pflege in Schleswig-Holstein nicht gut bestellt ist, wird niemand bestreiten. Ich glaube, darin sind wir uns wieder einig. Fachkräftemangel, demografische Entwicklung, Arbeitsüberlastung, schlechte Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung sind an der Tagesordnung. Die Pflegenden leisten jeden Tag unter schwierigen Bedingungen eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Wir Grüne wollen verhindern, dass die Pflege selbst im Laufe der Zeit zu einem Pflegefall wird. Da sind wir sicher noch an Ihrer Seite.

Unsere Küstenkoalition hat einen klaren Kurs. Wir wollen die Pflegenden besser behandeln und die Pflegebedürftigen besser versorgen.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

200 zusätzliche Ausbildungsplätze in der Altenpflege finanzieren wir in diesem Jahr, weitere 200 im nächsten. Wir werden einen Landesdemenzplan auf den Weg bringen und eine Pflegekammer einrichten.

Ich sage es hier ganz deutlich: Die Pflegekammer ist kein Wundermittel zur Rettung der Pflegenden. Da scheinen wir irgendwie aneinander vorbei zu diskutieren. Das hat hier niemand behauptet. Das hat auch die Ministerin nicht behauptet. Aber die Pflegekammer ist ein wichtiger Meilenstein für die Pflege. Die Pflegekräfte sind es aus der Vergangenheit gewohnt, dass über sie geredet wird und nicht mit ihnen. Genau diesen Punkt wollen wir mit der Pflegekammer ändern. Es ist falsch, wenn über Leute geredet wird, die viel mehr Fachkompetenz haben als viele hier im Raum. Deshalb: Ja zur Pflegekammer!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für uns Grüne ist die Pflegekammer auch ein Teil einer demokratischen Teilhabe. Pflegende - das haben wir gerade eben gehört - sind die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen, und pflegerisches und ärztliches Handeln sollte immer auf Augenhöhe geschehen, nicht nur auf den Intensivstationen in den Krankenhäusern, sondern überall dort, wo Patientinnen und Patienten, wo Pflegebedürftige behandelt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage Ihnen auch ganz deutlich - liebe Frau Kollegin RathjeHoffmann und liebe Frau Kollegin Anita Klahn -, wo eine Ärztekammer funktioniert, bin ich ganz optimistisch, dass auch eine Pflegekammer funktionieren wird. Darüber brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.

Wer könnte besser über Qualitätsstandards und ethische Leitlinien beraten?

(Zuruf Anita Klahn [FDP])

Wer könnte besser über Fort- und Weiterbildung beraten? Wer könnte besser über eine Berufsordnung, die wir in Schleswig-Holstein dringend wollen, beraten?

(Anita Klahn [FDP]: Was tun die Berufsver- bände?)

Niemand anderes als die Pflegenden selbst, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Die Pflegekammer - ich sage das noch einmal - ist kein Wundermittel. Die Pflege braucht ein ganzes Paket an Maßnahmen, um stabilisiert und demografiefest gemacht zu werden. Sie braucht mehr Wertschätzung und Anerkennung. Sie braucht praktische Taten. Sie hat ein Recht - ich sage das aus meiner Sicht ganz ausdrücklich -, ihre Meinung und ihre Selbstbestimmung selbst zu vertreten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Wir wollen nicht - das kritisieren wir generell -, dass nur über die Pflegenden gesprochen wird. Deswegen ist es richtig, dass wir eine Umfrage in Schleswig-Holstein machen. Ich bin mir ganz sicher, dass das Institut dafür sorgen wird, dass sie repräsentativ sein wird und dass die Fragen erst einmal ergebnisoffen gestellt werden.

(Birte Pauls)

Wir sind sehr gespannt auf das Resultat, aber ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich bin optimistisch, dass sich trotz aller Wehen und Wallungen in diesem Raum am Ende die Pflegenden, wenn sie sich selbst und frei entscheiden können, eindeutig für eine Pflegekammer aussprechen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

An die Adresse der Gewerkschaften sage ich von dieser Stelle noch einmal ganz deutlich - das ist ein Appell von grüner Seite -, damit es nicht zu Missverständnissen kommt - auch nicht aus der Debatte eben -: Tarifverhandlungen sind keine Sache der Pflegekammer. Sie sind Sache der Gewerkschaften und der Tarifpartner. Das soll auch so bleiben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Eine pflichtige Mitgliedschaft mit einem Beitrag von etwa 6 € bis 8 € pro Monat halte ich für verantwortlich, vor allem wenn die Beträge steuerlich geltend gemacht werden können.

Ich bleibe dabei: Wer die Pflege nicht zu einem Pflegefall verkommen lassen will, muss sich für viele Maßnahmen einsetzen; eine davon ist ganz klar die Pflegekammer. Wir werden sie auf den Weg bringen.

Ich würde mich sehr freuen, wenn Schleswig-Holstein das erste Bundesland mit einer Pflegekammer ist. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die Fraktion der PIRATEN erteile ich dem Abgeordneten Wolfgang Dudda das Wort.

Wir haben hier vor sieben Monaten die Pflegekammer beschlossen - „wir“ heißt: Sie alle und meine Fraktion. Wir waren damit einverstanden. Daher brauche ich auf das Thema Notwendigkeit nicht einzugehen.

Ich bin sehr enttäuscht über Ihren Bericht, Frau Alheit. Denn nach sieben Monaten hätte ich mir mehr erhofft, als dass eine Umfrage beschlossen wird und dass wir Mitte Oktober die Ergebnisse erfahren. Im Dezember haben wir quasi ein Jahr vertan; diese Zeit hätten wir nicht vertun müssen.

Erinnern Sie sich an die Veranstaltung im Kieler Schloss mit etwa 300 bis 400 Pflegenden, in der es eindeutig einen Tenor pro Pflegekammer gab? Denn anders, als Sie es wahrgenommen haben, Frau Klahn, halte ich diese Umfrage vor dem Hintergrund dessen, dass wir damals, als wir sie beschlossen haben, schon Annahmen und Stimmen aus Pflegekreisen hatten, für entbehrlich. Wir hätten weiter sein können. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie uns heute erklärt hätten, ein Errichtungsgesetz sei bereits in Vorbereitung. Das wäre besser gewesen.

Ich habe mir die im Dezember letzten Jahres gehaltenen Reden noch einmal durchgelesen. Da wird der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit besonders deutlich. Die Dringlichkeit einer Pflegekammer war für die Koalition und auch für uns PIRATEN unbestritten. Die Kollegin Pauls sagte damals - ich zitiere -:

„Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen; denn ich glaube, das ist ein wirklich guter Morgen. Was wir heute auf den Weg bringen, ist vielleicht ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein riesiger Schritt für die Pflege.“

Dazu merke ich an: Was nützt ein riesiger Schritt, wenn danach auf der Stelle getreten wird?

(Heiterkeit CDU - Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Bruchlandung!)

Hinter uns liegen sieben Monate. Das ist ungefähr ein Achtel dieser Legislaturperiode. Der von uns allen erkannte drohende Pflegenotstand, dem wir unter anderem mit dieser Pflegekammer abhelfen wollten, verlangt von uns, dass wir handeln.

Das hat die Kollegin Pauls auch damals richtig erkannt, als sie dazu sagte:

„Unter dem Motto ‚versprochen und gehalten’ machen wir Schluss mit Lippenbekenntnissen in Form von wohlgemeinten Grußworten und teuren pressewirksamen Imagekampagnen. Jetzt wird endlich gehandelt. Das ist auch notwendig.“

Wir haben heute eine Umfrage. Das ist alles, was seitdem passiert ist.

Ministerin Alheit war damals schon zurückhaltender und sagte in ihrer Rede:

„Wir wollen eine Pflegekammer, und wir wollen eine Umsetzung dieses Vorhabens, die funktioniert.

(Dr. Marret Bohn)

Wir werden darum die Voraussetzungen gründlich prüfen und die rechtlichen Fallstricke ebenfalls. Ich kann Ihnen zusichern, dass wir den Landtag frühzeitig an der gesetzgeberischen Arbeit werden teilhaben lassen. Wer soll der Kammer angehören, unter welchen Voraussetzungen, auf welchem Niveau sollen die Angehörigen der Pflegeberufe die Kammerarbeit finanzieren? Das sind beispielhaft Fragen, von denen das Gelingen des Projekts Pflegekammer in SchleswigHolstein abhängt.“

Vor diesem Hintergrund bin ich der Kollegin Klahn ausgesprochen dankbar für ihren Berichtsantrag, den ich, wie Sie wissen, auch selbst stellen wollte nur ein wenig anders. Sie waren schneller als wir.

(Anita Klahn [FDP]: Ich kann es auch noch einmal!)

Ich hätte den Antrag, wie gesagt, anders gestellt. Die Frage nach der Zwangsmitgliedschaft hätte sich für mich nicht gestellt. Ein Versorgungswerk halte ich auch für entbehrlich - das wurde hier schon erklärt -, weil das ein anderes Arbeitsverhältnis ist.

Dass die Berufsverbände - damit bin ich bei den Gewerkschaften - ihrer Aufgabenstellung nicht ausreichend nachgekommen sind, ist einer der Gründe für die Errichtung einer Pflegekammer. Denn die gewerkschaftliche und auch die personalrechtliche Vertretung vor Ort sind bedauerlich gering.

Mich interessieren die Problemstellungen, die die Ministerin Alheit seinerzeit richtig erkannt hat. Wie sieht es aus mit dem verfassungsrechtlichen Problem einer Zwangsmitgliedschaft? Was kostet der „Spaß“ für das einzelne Mitglied? Wer gehört zum Kreis derer, die Mitglied dieser Kammer werden sollen? Diese Fragen sind auch nach sieben Monaten leider noch nicht beantwortet.

(Beifall PIRATEN und Anita Klahn [FDP])

Schaufensterbeschlüsse - dieser gute Beschluss zur Errichtung einer Pflegekammer scheint zu einem solchen verkommen zu sein - helfen dem drohenden Pflegenotstand nicht ab. Stillstand verbietet sich hierbei. Arbeit im stillen Kämmerlein des Sozialministeriums hilft nur dann, wenn sie inhaltlich der Dringlichkeit des Problems gerecht wird. Bisher und heute sind für uns keine Resultate erkennbar. Das sieht für mich eher aus wie der Monolog des Suchenden, nicht wie die Dialogkultur, von der wir sonst in diesem Hause immer zu hören bekommen.

Der Eindruck der Untätigkeit an dieser Stelle - ich habe ihn heute extrem gewonnen - macht den Pflegeberuf nicht attraktiver. Gemeinsam wollten wir alle das ändern, weil wir wissen, dass das unbedingt gemacht werden muss, um quantitativ und qualitativ in Zukunft eine menschenwürdige Pflege zu ermöglichen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.