Protocol of the Session on April 26, 2013

Noch einmal gesagt: Ich freue mich sehr, dass unsere Initiative zur Erweiterung des Landtagswahlrechts auf Bürger der Europäischen Union auch die Unterstützung der Koalitionsfraktionen gefunden hat. Ansonsten hoffe ich auf eine konstruktive Beratung der beiden vorliegenden Anträge.

(Beifall)

Für die CDU-Fraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Astrid Damerow das Wort.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über die Einführung eines Landtagswahlrechts für EU-Bürger und eines Kommunalwahlrechts für Nicht-EU-Bürger reden, muss diese Debatte sicherlich immer in zwei Bereichen geführt werden. Der eine Bereich ist eine rein rechtliche Bewertung, und der zweite Bereich wird immer die politische Bewertung sein.

Nach Artikel 20 Abs. 2 des Grundgesetzes geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Die Kollegin Beer hat eben schon dazu gesprochen. Mit dem Begriff des Volkes meint das Grundgesetz die Gesamtheit aller Staatsangehörigen. Deshalb ist für uns und vor allem auch nach der Interpretation vieler Staatsrechtler mit dem Begriff Volk etwas anderes gemeint als mit dem Begriff Bevölkerung. Es stimmt, die Bevölkerung in unserem Land ist vielfältiger geworden und sicherlich auch lebendiger und hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Allerdings hat dies laut Grundgesetz nichts mit dem Begriff Volk zu tun.

Der Grundsatz, dass die Staatsgewalt vom Staatsvolk ausgeübt wird, zählt nach wie vor zu den tragenden Säulen unserer Verfassung. Im Übrigen gibt es in unserer Verfassung auch die sogenannte Ewigkeitsklausel, die Änderungen im Grundgesetz ausgesprochen schwierig macht. Die einzige Ausnahme, die wir in dieser Wahlrechtsdefinition haben, gilt in der Tat für die EU-Bürger bei Kommunal- und Europawahlen als Folge des MaastrichtVertrags von 1992.

Die hier vorliegenden Vorschläge, meine Damen und Herren, sind deshalb aus unserer Sicht verfassungsrechtlich nach wie vor bedenklich. Da ist zum einen der Vorschlag, EU-Bürgern ein Wahlrecht zu unseren Landesparlamenten einzuräumen. Es stimmt - der Kollege Klug hat es gesagt -, die Menschen in Europa rücken enger zusammen. Das ist

(Dr. Ekkehard Klug)

sicher gut so. Die Staaten Europas rücken enger zusammen. Auch das ist gut so. Und es ist wichtig und gut, dass die europäische Integration für uns in Deutschland und in Schleswig-Holstein an Bedeutung gewinnt.

Aber nach wie vor ist Europa eine Gemeinschaft verschiedener Nationalstaaten und verschiedener Kulturen. Auch diese Vielfalt macht Europa aus. Die Zugehörigkeit zu einem Staat innerhalb der europäischen Familie ist und bleibt ein wichtiges Identifikationsmerkmal. Wenn wir also das Wahlrecht als vorrangiges Recht der Staatsangehörigen von der Staatsangehörigkeit abkoppeln, so meinen wir, dass dies auf lange Sicht die Bedeutung der Staatsangehörigkeit unterhöhlt. Nun kann man sagen, das ist uns egal. Das ist dann sicherlich die jeweils eigene Bewertung der Fraktionen und auch der Parteien.

Die Stellungnahme des AdR, auf die sich der Kollege Dr. Klug bezogen hat, spricht von kommunalen und regionalen Parlamenten. Sie sagt allerdings nichts darüber aus, welche gesetzgeberischen Kompetenzen diese regionalen Parlamente haben. Hier, denke ich, ist im Kontext von ganz Europa sehr zu unterscheiden. Wenige Länder haben eine föderale Struktur, wie wir sie kennen, mit der gesetzgebenden Kompetenz ihrer Landesparlamente.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug?

Frau Kollegin Damerow, ist Ihnen bekannt, dass es in Großbritannien auch ein Wahlrecht der Unionsbürger der Europäischen Union zu den regionalen Parlamenten von Schottland, Wales und Nordirland gibt und dass beispielsweise die Kompetenzen des schottischen Parlaments durchaus vergleichbar mit den Rechten deutscher Landesparlamente sind?

- Das ist mir bekannt. Ich weiß auch, dass das schottische Parlament sehr weitreichende Kompetenzen hat. Aber ist Ihnen auch bewusst, dass das für das Parlament in Wales nicht gilt? Ich verweise auf das draußen ausliegende Beilageheft. Darin kann man das nachlesen; das habe ich in den letzten Tagen getan.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, auch ein Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Bürger halten wir für politisch schwierig. Auf den rechtlichen Aspekt habe ich bereits hingewiesen. Wir halten es aber auch nicht für zielführend, was die Integration unserer ausländischen Mitbürger anbelangt.

Diese Diskussion haben wir an anderer Stelle schon häufig geführt. Für uns sind nach wie vor die Integration, die Vermittlung von Vertrauen und die Anbindung unserer ausländischen Mitbürger an unsere Gemeinden und unser Land eine Herausforderung, der wir gerecht werden müssen. Uns muss auch gelingen, den Menschen aus anderen Ländern dabei zu helfen, in unserer Gesellschaft klarzukommen.

Allerdings sind wir der Ansicht, dass sich gesellschaftliche Teilhabe nicht allein über das Wahlrecht definiert, sondern sie vollzieht sich auch durch das Zusammenleben und das Mitwirken in Vereinen sowie Verbänden, bei Versammlungen et cetera.

Für uns gilt: Wer sich hier integriert hat, auf Dauer hier leben möchte und auf die Gestaltung unseres Gemeinwesens im Rahmen von Wahlen Einfluss nehmen möchte, ist herzlich eingeladen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben. Denn wir sehen nach wie vor das Wahlrecht an die Staatsbürgerschaft gekoppelt. Für uns kann infolgedessen das Wahlrecht nur am Ende eines Integrationsprozesses stehen. Für uns ist nach wie vor die Reihenfolge: gelingende Integration, Staatsbürgerschaft und damit einhergehend Wahlrecht - auf kommunaler, auf Landes- und auf Bundesebene.

Deshalb bewerten wir beide Anträge recht kritisch, würden sie aber trotz allem recht gern im Innenund Rechtsausschuss sowie den Antrag zum Wahlrecht für EU-Bürger für Landesparlamente auch im Europaausschuss noch einmal mit Experten diskutieren. Ich habe hier allerdings schon wahrgenommen, dass die Bereitschaft dazu nicht sehr ausgeprägt ist. Das bedauere ich persönlich sehr, denn wir hätten in diesem Zusammenhang doch noch interessante Diskussionen führen können.

Deshalb appelliere ich an dieser Stelle noch einmal an Sie: Lassen Sie uns beide Anträge in den Innenund Rechtsausschuss und den Antrag zum Wahlrecht für EU-Bürger zusätzlich in den Europaausschuss überweisen - Vielen Dank.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie zum Schluss eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Dolgner?

(Astrid Damerow)

Frau Kollegin, welchen Sinn würde eine Ausschussüberweisung Ihrer Auffassung nach machen, wenn beide Anträge Artikel 20 Grundgesetz und die Ewigkeitsklausel berühren?

Wenn Ihre Auffassung richtig ist, würden Sie doch sicherlich in den Ausschussberatungen davon abkommen. Das ist doch eine absolute Sperre, wenn man Ihre Auffassung teilen würde, Artikel 20 Grundgesetz würde dagegen sprechen. Oder würden Sie sich in den Ausschussberatungen davon überzeugen lassen? Diese Diskussion gibt es schon seit über 20 Jahren.

- Herr Dr. Dolgner, ich stelle mich jetzt nicht hin und fordere eine Ausschussüberweisung, und dann lasse ich mich von dem überzeugen, was hier erzählt wird. Ich möchte gern die unterschiedlichen Meinungen hören. Dann möchte ich mir zusammen mit meiner Fraktion ein Urteil darüber bilden. Ich bin doch nicht Pythia; das kann ich heute noch nicht voraussagen.

Aber Sie können mir abnehmen: Wenn wir eine Diskussion im Ausschuss führen, hören wir uns die Meinungen der Experten an und bewerten diese. Das war bis jetzt immer Usus im Ausschuss. Warum sollten wir davon plötzlich abweichen? Sie sagen doch auch nicht, wie etwas ausgeht, noch bevor es in den Ausschuss geht. Oder irre ich mich?

(Zuruf Angelika Beer [PIRATEN]: Wir dis- kutieren das seit 25 Jahren!)

Wir bringen wenige Dinge ein, die den Ewigkeitsgrundsatz im Grundgesetz berühren. Darauf möchte ich hinweisen.

- Herr Dr. Dolgner, wenn Sie der Ansicht sind, dass die Ewigkeitsklausel gilt, müssten Sie die Anträge sofort zurückziehen, weil Sie dann überhaupt keine Grundlage mehr haben.

(Beifall CDU)

Für die SPD-Fraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Serpil Midyatli das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am 26. Mai sind Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein. Das sind freie und demokratische Wahlen. Das privilegiert und unterscheidet uns von den Ländern, in denen das nicht so ist. Wo immer wir auf der Welt auf ein undemokratisches Verhalten stoßen, erheben wir den Zeigefinger und fordern das Recht auf freie Wahlen.

Der arabische Frühling ist ein gutes Beispiel dafür, wie beeindruckt wir vom Mut insbesondere der jungen Menschen waren, die auf die Straßen gingen und für ihr Recht auf freie und demokratische Wahlen demonstriert und gekämpft haben.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Daher halte ich es für einen krassen Widerspruch, auf der einen Seite für das Wahlrecht zu sein, auf der anderen Seite aber Menschen, die bereits seit Jahrzehnten bei uns leben, die zum Teil hier geboren sind, die zum Teil hier aufgewachsen sind, von denen manche hier studiert haben und die in unserer Gesellschaft leben, das kommunale Wahlrecht zu verweigern.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Welches Argument kann es geben, Bürgerinnen und Bürger nicht an kommunalpolitischen Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen? Ein gutes Beispiel dafür ist der Krippenausbau: Auch die Kinder von Drittstaatsangehörigen gehen in die Krippen, Kitas, Schulen und Sportvereine. Menschen müssen Teilhabemöglichkeiten haben, um ein Teil der Gesellschaft werden zu können. Das ist auch wichtig, um das Gefühl zu bekommen dazuzugehören.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN, SSW und vereinzelt FDP)

Menschen aus Drittstaaten wollen nicht länger Zaungäste sein oder auf der Ersatzbank sitzen. Nein, sie wollen auf den Platz. Sie wollen mitspielen und mitentscheiden dürfen. Die Akzeptanz für schwierige politische Entscheidungen ist doch bei Bürgerinnen und Bürgern viel eher gegeben, wenn sie sich auch an den Entscheidungsprozessen beteiligen können.

Das erleben wir auf allen Ebenen und bei allen Themen, die wir auch in diesem Parlament diskutieren. Oder glauben Sie etwa, dass es bei den Drittstaatsangehörigen anders ist? Ich hoffe doch nicht.

Das Recht, wählen zu dürfen, ist ein Grundrecht, das niemandem verwehrt werden sollte.

(Beifall PIRATEN, vereinzelt SPD, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Bereits 16 andere europäische Länder gestatten Drittstaatsangehörigen das kommunale Wahlrecht. Sie merken schon, wie oft ich allein mit dem Wort „Drittstaatsangehörige“ hadere. Das Einzige, das die Menschen aus Drittstaaten mit ihrem Herkunftsland oder dem Drittstaat verbindet, ist ein All-inclusive-Urlaub oder ein Familienbesuch. Das ist etwa damit vergleichbar, dass Sie Ihre Familienangehörigen in Bayern besuchen. Das ist auch irgendwie so ein bisschen wie ein Drittstaat.

(Heiterkeit - Beifall PIRATEN und verein- zelt SPD)

Wenn man die Kultur und die Sprache betrachtet, ist es bei den meisten hier geborenen Mitmenschen genau das gleiche Gefühl.

(Christopher Vogt [FDP]: Etwas übertrie- ben!)

Drittstaatsangehörige sind Rendsburgerinnen, Husumer, Kielerinnen, Bad Doberaner, Lübeckerinnen, Flensburger oder Itzehoer.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Sie sind Schleswig-Holsteinerinnen und SchleswigHolsteiner.