Protocol of the Session on April 26, 2013

Richtig ist, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Deutschland zu beachten ist. Deutsche Gesetze und die Verfassung müssen völkerrechtsfreundlich interpretiert werden. Deswegen lassen sich aber noch lange nicht Urteile, die zu Gesetzen der Türkei ergangen sind, eins zu eins auf Deutschland übertragen. Das jeweilige Rechtssystem der nationalen Rechtsordnung ist dabei sorgfältig zu berücksichtigen.

Nichtsdestotrotz mehren sich die Anzeichen, dass wir nicht zuletzt wegen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einen Wandel des Beamtentums immer dringender brauchen, um auch dieser Kritik am Streikverbot gerecht zu werden. Die deutsche Rechtsprechung - darauf weisen die PIRATEN zutreffend hin - äußert sich bislang unterschiedlich. Überwiegend wird in der Rechtsprechung allerdings das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht übertragen.

Das Streikverbot wird als einer der Grundsätze des Berufsbeamtentums aufrechterhalten. Der Lösungsvorschlag der PIRATEN wirkt auf den ersten Blick wie die einfache und konsequente Lösung des Problems. In Wahrheit ist er aber ein populistischer Antrag, der nur vermeintlich Abhilfe zu bestehenden Gewerkschaftsforderungen schafft. Ähnlich populistisch war der Antrag der LINKEN in der vergangenen Wahlperiode, der kurz nach den Lehrerstreiks im Plenum behandelt wurde. Damals hatte sich der Beamtenbund eindeutig gegen ein Streikrecht für Beamtinnen und Beamte ausgesprochen.

Ich sage nicht, dass ich das Anliegen in der Sache nicht nachvollziehe oder keinen Handlungsbedarf

(Beate Raudies)

sehe. Allerdings ist die Lösung nicht so einfach, wie Ihr Gesetzentwurf suggeriert. Sie nehmen nicht das ganze System des Beamtentums in den Blick, und das ist ein Fehler.

Würden wir Ihrem Gesetzentwurf folgen, würden damit zwangsläufig zwei Klassen von Beamtinnen und Beamten geschaffen: eine Klasse Beamter, die streiken darf, und eine andere Klasse Beamter, die nicht streiken darf. Sie sehen, Ihr Gesetzentwurf hinkt.

Für uns erwächst daraus eine ganz andere Überlegung: Wieso müssen wir in Deutschland über den hoheitlichen Bereich hinaus verbeamten? Zunächst ist der Begriff „hoheitlich“ nicht trennscharf zu definieren. Das ist eine eindeutige Schwäche Ihres Gesetzentwurfs. Deshalb ist er populistisch und nur der aktuellen Diskussion um die Tarifverträge geschuldet.

(Wolfgang Dudda [PIRATEN]: Nein!)

In den Bereichen der Polizei, der Ordnungskräfte, der Rechtspflege und der Steuerverwaltung sollte ein Streikverbot aufrechterhalten werden. Hingegen ist umstritten, ob Lehrer hoheitliche Staatsgewalt ausüben oder nicht.

An dieser Stelle beginnt die spannende Diskussion, die wir im Ausschuss fortsetzen werden: Müssen wir unser Beamtenrecht aufgrund der europäischen Rechtsprechung verändern? Wenn ja, wie machen wir das? Der Privilegienstatus für Beamte kann nicht vollständig aufrechterhalten und um das Streikrecht ergänzt werden. Das wäre systemwidrig.

Bleiben nur noch zwei Möglichkeiten: die Überführung in den Angestelltenstatus oder die Schaffung eines besonderen Beschäftigungsverhältnisses eigener Art mit weniger Privilegien als das hoheitliche Beamtentum, dafür aber mit dem Streikrecht. Die Sinnhaftigkeit dieses Weges erschließt sich mir im Moment allerdings nicht. Die Einführung des Angestelltenstatus ist im Moment politisch nahezu unmöglich, wenn dies nicht im Konzert mit allen Ländern erfolgt.

Bleibt als Fazit, dass es nicht so leicht ist, wie die PIRATEN suggerieren. Das jetzige System besticht durch seine Ausgewogenheit und Systematik. An dieser anzusetzen und politische Forderungen aufzustellen, ist nicht mit einem Dreizeiler getan. Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Dr. Heiner Garg das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion um ein Streikrecht für Beamte entfaltet sich in relativer Regelmäßigkeit und führt doch immer wieder - wie es die Kollegen bereits ausgeführt haben, die vor mir gesprochen haben - zur gleichen Schlussfolgerung: Beamte dürfen nicht streiken. Das ist im Übrigen auch ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Ich erinnere mich noch sehr gut daran - die Kollegin Strehlau hat auch daran erinnert -, als der Landtag in der vergangenen Legislaturperiode über den Lehrerstreik debattierte und - damals von der Opposition initiiert - gegen die Erhöhung der Pflichtstundenzahl bei Lehrern protestiert wurde.

Der Tenor der damaligen Oppositions- und heutigen Regierungsparteien war dahin gehend: Zwar sei der Streik von beamteten Lehrern nicht erlaubt, aber die Lehrer hätten bei einer solch empörenden Entscheidung der Landesregierung kaum eine andere Wahl.

(Beifall Christopher Vogt [FDP])

Die Kollegin Nicolaisen hat das jetzt sehr zutreffend auf die Pläne der Beamtenbesoldung umgemünzt.

So erklärte beispielsweise die Kollegin Erdmann anlässlich des Streiks am 3. Juni 2010 per Pressemitteilung:

„Die Stunde Mehrarbeit bringt das Fass zum Überlaufen. Die Belastungsgrenze ist vielerorts erreicht.“

Nebenbei bemerkt: Die hier angegriffene Erhöhung der Pflichtstundenzahl wurde durch die aktuelle Regierung nicht wieder reduziert - aus Kostengründen.

(Christopher Vogt [FDP]: Unfassbar!)

Dennoch waren sich damals alle Fraktionen dieses Landtags - das haben auch die Kolleginnen Raudies und die Kollegin Strehlau deutlich gemacht - vollkommen einig, dass ein Streik von beamteten Lehrern rechtlich nicht zulässig ist. Es gab damals eine Ausnahme: die Fraktion der LINKEN. Was früher die LINKEN wollten, das wollen offensichtlich jetzt die PIRATEN zum Teil wieder umsetzen. In der Begründung zum Gesetzentwurf machen die PI

(Ines Strehlau)

RATEN deutlich, dass politisch für eine entsprechende Änderung des Landesbeamtengesetzes spreche,

„dass Beamte in den letzten Jahren wegen der öffentlichen Haushaltslage eine deutliche Arbeitsverdichtung bei gleichzeitiger Absenkung der Alimentation haben hinnehmen müssen.“

Und weiter die Schlussfolgerung:

„Als Gegengewicht ist es geboten, zumindest nicht ständig hoheitlich tätigen Beamten ein Streikrecht zu gewähren.“

Das, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von den PIRATEN, hieße übersetzt, dass die schlechte Situation der öffentlichen Hand es geboten erscheinen lässt, faktisch eine Unterscheidung vorzunehmen zwischen Beamten erster und zweiter Ordnung. Abgesehen davon, dass diese Begründung schon ziemlich hanebüchen ist, ist es zudem verfassungsrechtlich überhaupt nicht vorgesehen.

(Beifall FDP)

In seinem Beschluss vom 19. September 2007 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass es zwar dem Dienstherrn bei nicht hoheitlichen Aufgaben freigestellt ist, welche seiner Beschäftigten im Beamten- oder im Angestelltenverhältnis zu beschäftigen seien, dass also Lehrer durchaus entweder Beamte oder Angestellte sein können. Das Gericht stellte aber unter Randnummer 66 ebenso Folgendes fest - ich zitiere -:

„Entscheidet er“

- also der Dienstherr

„sich indes für eine Verbeamtung der Lehrer, so ist das gegründete Beamtenverhältnis den Bindungen des Artikel 33 Abs. 5 GG unterworfen.“

Das heißt, Herr Kollege Dudda, schlicht und ergreifend eben auch Streikverbot. Das bleibt, so führt es auch das von Ihnen zitierte Urteil des OVG Lüneburg vom 12. Juni 2012 sehr dezidiert aus, unberührt von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Wenn aber auch die beamteten Lehrer unter Artikel 33 Abs. 5 GG fallen, wie es das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, bedeutet das letztlich, dass es der Landtag überhaupt nicht selbst in der Hand hat, eine entsprechende Änderung des Beamtenrechts in Richtung „erster und zweiter Ordnung“ vorzunehmen.

Ich sage Ihnen deutlich: Wir wollen auch keine Beamte erster und zweiter Ordnung. Es spricht überhaupt nichts dagegen, sich grundsätzlich Gedanken darüber zu machen, wie das Dienstrecht zu reformieren sein könnte. Der von Ihnen vorgelegte Vorschlag wird höflicherweise selbstverständlich im zuständigen Ausschuss beraten werden müssen. Aber in der Sache geht er aus unserer Sicht am Ziel vorbei. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP und Ines Strehlau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für die Abgeordneten des SSW hat der Herr Abgeordnete Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Berufsbeamtentum ist als Institution in Deutschland fest verwurzelt und gehört darüber hinaus auch zu einem besonderen Eigenmerkmal des beruflichen Lebens in der Bundesrepublik. Zu diesem besonderen Status gesellen sich Aspekte wie die Unkündbarkeit, die Beihilfeleistungen, die Versorgungsbezüge oder etwa die besondere Dienst- und Treuepflicht.

Der vorliegende Gesetzentwurf zielt auf eine Einführung des Streikrechts für Beamte ab. Das deutsche System sieht insgesamt kein allgemeines Streikrecht für Beamte und Beamtinnen in der Bundesrepublik vor. Damit soll sichergestellt werden, dass wichtige Funktionen wie Zoll und Schulwesen oder die Verwaltung eines Staates zu jeder Zeit aufrechterhalten werden.

Die Juristen sind sich bezüglich dieser Regelung gänzlich uneinig. So hat sich beispielsweise das Oberverwaltungsgericht in Münster ebenso wie das Verwaltungsgericht in Osnabrück gegen ein Streikrecht für Beamte ausgesprochen. Auf der anderen Seite haben die Verwaltungsgerichte in Düsseldorf und Kassel ein Streikrecht zumindest für bestimmte Beamte für rechtens erklärt.

Dass man über das Beamtentum nachdenkt, begrüßen wir natürlich. Besonders auf europäischer Ebene zeichnet sich eine Modernisierung des Beamtenwesens ab. Ein Blick auf unsere Nachbarländer zeigt, dass auch ganz andere Formen des Beamtentums möglich sind. So sind in Dänemark seit 2001 nur noch das Militär, der Katastrophenschutz sowie die Polizei verbeamtet. Das heißt auch, dass nur

(Dr. Heiner Garg)

diese Gruppen dem Streikverbot unterliegen. Im Nachbarland Österreich wurde das Streikverbot für alle Beamten und Lehrer im Jahr 2002 aufgelöst. Wir können also feststellen, dass der Staat in unseren Nachbarländern davon nicht kaputtgegangen ist.

Auf der anderen Seite macht Dänemark auch gerade mit Problemen von sich reden, jedenfalls wenn es nach einem Großteil der Eltern im Königreich geht. Seit genau vier Wochen werden alle Lehrer der Folkeskoler - sprich Gesamtschulen von der ersten bis zur neunten Schulstufe - ausgesperrt, das heißt, es liegt eine Zwangsaussperrung vonseiten des Arbeitgebers vor. Die ausgesperrten Lehrkräfte bekommen keinen Lohn, jedoch bezahlt die Gewerkschaft ihnen einen Ausgleich aus der Streikkasse. Die Kommunen als Schulbetreiber streben einen Anstieg der Unterrichtsstunden an und fordern zudem eine allgemeine Anwesenheitspflicht für Lehrer, die folglich bis 16 Uhr auf dem Schulgelände bleiben müssen. Dies hat zu einem Arbeitskampf geführt.

Für berufstätige Eltern bedeutet diese Situation rein praktisch, dass sie ihre Kinder irgendwie anders unterbringen müssen. Jeden Tag müssen sie sich aufs Neue fragen: Wo bringe ich meine Kinder unter? Mehr noch, die Schüler in den Abschlussklassen bangen um ihren Abschluss, der so entscheidend ist für ihre weitere berufliche oder schulische Laufbahn. In Dänemark können Lehrer also streiken. Jedoch bedeutet das auch, dass sie vom Arbeitsgeber ausgeschlossen werden können. Egal ob ausgesperrt oder Streik, das Ergebnis bleibt gleich: Kinder können nicht zum Unterricht, und die Eltern stehen vor einem Betreuungsproblem.

Dieses Beispiel soll deutlich machen, dass es einen Zielkonflikt gibt: einerseits das Recht auf Streik für die Beschäftigten und die Aussperrungsmöglichkeit - diese gehört ja auch immer dazu - für den Arbeitgeber, andererseits die Aufrechterhaltung der staatlichen Funktionen, für die die Bürgerinnen und Bürger im Übrigen auch ihre Steuern entrichten.

Vor dem Hintergrund dieses Zielkonflikts müssen wir sicher einmal in Ruhe im Ausschuss beraten, ob ein Streikrecht zielführend ist oder doch eher nicht. Allerdings verhehle ich nicht, dass wir das Streikrecht für Beamte immer noch eher kritisch sehen; das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Ich glaube, wir müssen wirklich sehr vorsichtig damit umgehen. Ein Zweiklassenstreikrecht gibt es nicht. Wir reden, wenn wir über ein Streikrecht reden, über ein Streikrecht für alle Beamte. Dann muss man sich alle Funktionen des Staates anschauen und die Fra