Protocol of the Session on April 26, 2013

Sparzwänge sind der eine Punkt, in dem der Artikel 33 des Grundgesetzes bereits einseitig modernisiert wurde. Es gibt einen weiteren Punkt, der dringend nach einer zeitgemäßen Aktualisierung des Artikels verlangt. Das ist die staatliche Garantie der Daseinsfürsorge für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Wie viel das Recht der Unkündbarkeit für Beamte noch wert ist, wenn die öffentlichen Arbeitgeber im Wettbewerb mit den privaten Arbeitgebern um die wenigen jungen Menschen stehen, wird sich zeigen, wenn bereits in drei, vier Jahren der demografische Wandel mit aller Härte zuschlägt.

Die besondere Gehaltsentwicklung der Beamten, bei der gerade am Anfang, also in der Phase, in der

(Wolfgang Dudda)

man einen Haushalt gründet, sehr, sehr wenig bezahlt wird, ist vergleichsweise dürftig. Erst mit zunehmenden Dienstjahren steigt das Gehalt auch auf ein mit der Privatwirtschaft vergleichbares Einkommen. Karg, aber sicher - damit werden wir für einen funktionsfähigen öffentlichen Dienst kaum die Bewerberinnen und Bewerber bekommen, die wir brauchen.

Unser Antrag sieht einen Kernbereich vor, der nicht bestreikt werden darf. Die öffentliche Sicherheit und Ordnung muss gewährleistet bleiben. Das steht außer Frage. Wer als Beamter hoheitlich, beispielsweise bei der Polizei, der Justiz und der Feuerwehr, eingesetzt ist, darf nicht streiken dürfen. Sehr wohl darf derjenige davon profitieren, dass andere streiken dürfen und etwas für ihn erreichen und somit auf Augenhöhe Arbeitnehmerrechte ausgehandelt werden.

(Beifall PIRATEN)

Sie, die Regierungskoalition, sind dabei, dieses Land zu modernisieren. Sie kümmern sich um ein Tariftreue- und Vergabegesetz und um Mindestlöhne. Damit bedienen sie die Grundsätze der Arbeitsgerechtigkeit. Das ist im Ansatz auch gut so, und das befürworten wir. Gewähren Sie dann bitte auch konsequenterweise den Beamten dieses Landes die Möglichkeit, ihre Interessen auch mit den Mitteln des Arbeitskampfes durchzusetzen.

Sie von der CDU und der FDP bitte ich auch, über unseren Entwurf nachzudenken, damit künftig das vermieden werden kann, was Sie in den letzten Monaten gemeinsam mit uns so entschieden kritisiert haben.

Ich beantrage die Überweisung in den Ausschuss und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall PIRATEN, Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. An- dreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für die CDU-Fraktion hat die Frau Abgeordnete Petra Nicolaisen das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede eines deutlich machen: Dass viele Beamtinnen und Beamte in unserem Land aufgrund der Missachtung der Wertschätzung ihrer Leistung und dem geradezu unerhörten Vorschlag der Landesre

gierung zur Besoldungsanpassung zurzeit ein Bedürfnis zu streiken haben, kann ich gut nachvollziehen.

(Beifall CDU, FDP und PIRATEN)

Dennoch muss ich sagen, dass ich bei dem Antrag der PIRATEN bei allem Verständnis mehr Probleme sehe als Lösungen.

Die sogenannte Treuepflicht des Beamten ist heute ein prägendes Strukturmerkmal des Berufsbeamtentums und neben dem Alimentationsprinzip eine tragende Säule, die verfassungsrechtlich Bestand hat und ein Streikrecht für Beamtinnen und Beamte nicht zulässt.

Die von den Kolleginnen und Kollegen der PIRATEN vorgeschlagene Regelung birgt für mich zunächst das Problem, dass sie zu einer Unterscheidung innerhalb der Beamtenschaft führt. Nach Ihrem Vorschlag, Herr Dudda, gäbe es Beamte, die streiken dürften, und solche, denen ein Streik wie bisher verboten wäre. Ebenso wie beim Vorschlag der auseinanderdriftenden Besoldungsanpassung sehe ich hier die Gefahr, dass ein Riss durch die Beamtenschaft gehen könnte. So könnten sich beispielsweise die Beamtinnen und Beamten, die nach Ihrem Konzept streikberechtigt wären, dem Druck derjenigen, die dies nicht dürften, ausgesetzt sehen, von ihrem Streikrecht Gebrauch zu machen. Dass dies zielführend wäre, wage ich einfach zu bezweifeln.

Des Weiteren stellt sich für mich die Frage, ob ein Streikrecht von seinem Sinn und Zweck her überhaupt auf Beamte anwendbar ist. Bei einem Arbeitskampf stehen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Augenhöhe gegenüber, die gemeinsam zu einem Kompromiss kommen müssen. Bei Beamten liegt die Situation insoweit ein Stück anders, als die Entscheidung über die Besoldung dem Gesetzgeber obliegt und einseitig durch diesen bestimmt wird. Folglich fehlt von vornherein, auf Augenhöhe verhandeln zu können.

Probleme würden zudem etwa auf der Ebene der Beamten im kommunalen Dienst auftreten, denn würden sie für eine höhere Besoldung streiken, wäre vom Streik die jeweilige Kommune betroffen, ohne dass diese die Möglichkeit hätte, etwas gegen den Streikgrund zu unternehmen, denn auch die Besoldung für kommunale Beamte wird durch den Landesgesetzgeber bestimmt. Der Arbeitskampf würde hier - überspitzt formuliert - einen wehrlosen Gegner treffen.

(Wolfgang Dudda)

Ein weiteres Argument gegen ein Streikrecht ist der Umstand, dass Beamten aufgrund des verfassungsrechtlich verbürgten Alimentationsprinzips die Möglichkeit von Widerspruch und verwaltungsgerichtlicher Klage gegen eine nicht dem Alimentationsprinzip genügende Besoldung offensteht ganz im Gegensatz zum normalen Arbeitnehmer.

Mir geht es an dieser Stelle darum, deutlich zu machen, dass das Streikrecht aus meiner Sicht strukturell nicht auf Beamtinnen und Beamte übertragbar ist. Dies soll nicht bedeuten, dass ich der Beamtenschaft das Recht abspreche, ihre Interessen mit Nachdruck zu vertreten. Wie viel Nachdruck hier möglich ist, ist der Landesregierung am Mittwoch vor dem Landeshaus deutlich vor Augen geführt worden.

Meine Damen und Herren, ob das von den PIRATEN zitierte Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dazu führt, dass das in Deutschland bestehende allgemeine Streikverbot für die Beamtenschaft rechtswidrig ist, darüber besteht ein Dissens. Das OVG Münster hat im letzten Jahr das Streikverbot bestätigt. Der Fall liegt nun beim Bundesverwaltungsgericht.

Auch wenn ich deutlich gemacht habe, dass ich ein Streikrecht für problematisch halte, sollten wir dieses Thema mit seinen unterschiedlichen Facetten im Innen- und Rechtsausschuss auch mit den Betroffenen noch einmal diskutieren. - Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Beate Raudies das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich den Antrag der Piratenfraktion zum ersten Mal las, habe ich mich an meine Ausbildung erinnert. Der entsprechende Tagesordnungspunkt beim Einführungsseminar für die frisch gebackenen Finanzanwärterinnen und Finanzanwärter in der Landesfinanzschule in Malente hieß: Einführung in das Beamtenrecht - hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums.

Man legte uns eine rund zehn Punkte umfassende Liste vor, die diese Grundsätze enthielt. Nach der Lektüre - das weiß ich noch genau - meldete ich mich mit klopfendem Herzen zu Wort und fragte, wo denn auf dieser Liste stehe, dass Beamte nicht streiken dürfen, beziehungsweise woraus sich das

ergebe. In den folgenden Jahren meiner Ausbildung lernte ich dann, was sich hinter diesen Grundsätzen verbirgt:

„Das Beamtenverhältnis ist ein von beiden Seiten aus freier Willensentscheidung begründetes Rechtsverhältnis, das in seiner Substanz in einem gerechten Ausgleich der Interessen des Dienstherren und des Beamten besteht.“

So formuliert es Professor Udo di Fabio, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht.

Was daraus folgt, hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1977 wie folgt beschrieben:

,,Die wechselseitigen Ansprüche unterscheiden sich ihrer Art nach vom Anspruch auf Leistung und Gegenleistung innerhalb des entgeltlichen Arbeits- und Angestelltenvertrags und stehen sich vor allem in anderer Weise gegenüber, als sich Leistung und Gegenleistung im entgeltlichen Arbeits- und Angestelltenvertrag gegenüberstehen.“

Das aus dieser Einschätzung abgeleitete Streikverbot steht allerdings immer wieder in der Kritik, vor allem dann, wenn es um materielle Verbesserungen für die Bediensteten oder die Veränderung von Arbeitsbedingungen geht. Dann werden immer wieder politische Forderungen laut, mit denen man sich bei den Beamten lieb Kind machen will.

Zuletzt hat sich der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte zum Streikrecht für Lehrerinnen und Lehrer geäußert. Das soll der Anlass für diesen Gesetzentwurf sein.

Wir sind - anders als einige Gewerkschaften - der Auffassung, dass Beamtinnen und Beamte kein Streikrecht haben. Wir werden nicht fordern, dass der Landtag ein solches Streikrecht für „bestimmte Beamte“ auf den Weg bringt. Herr Dr. Breyer, ich kann mir den Hinweis nicht verkneifen: Einen derart unbestimmten Rechtsbegriff wie „bestimmte Beamte“ bei einem so wichtigen Thema finde ich gelinde gesagt - unpassend.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich nehme den Gesetzentwurf der PIRATEN aber gern zum Anlass, wieder zu einer grundsätzlichen Reform des öffentlichen Dienstrechts in Deutschland aufzurufen, zu einer Reform, die nicht von oben verordnet, sondern gemeinsam mit allen Betroffenen erarbeitet wird. Alleingänge einzelner

(Petra Nicolaisen)

Länder sind dabei allerdings wenig hilfreich beziehungsweise vielleicht sogar hinderlich.

Die von Herrn Dr. Breyer in seinem Antrag angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Streikrecht könnte einen Aspekt in dieser Gesamtdiskussion darstellen. Zum jetzigen Zeitpunkt jedoch scheint für mich eine Umsetzung mit einem Fortbestand des Berufsbeamtentums kaum vereinbar.

Auch die Bildung verschiedener Klassen von Beamten mit oder ohne Streikrecht würde wohl in mehrerer Hinsicht mit Artikel 33 des Grundgesetzes unvereinbar und für mich persönlich sogar unvorstellbar sein.

Aus diesem Grunde lehnt der Deutsche Beamtenbund die Einführung eines Streikrechts kategorisch ab und bezieht sich dabei auf ein Rechtsgutachten des von mir bereits zitierten ehemaligen Richters am Bundesverfassungsgericht, Professor Udo di Fabio. Dieser hält ein Streikrecht mit dem Beamtenstatus generell für unvereinbar. Der DBB sieht hierdurch die Gefahr des Einstiegs in die Abschaffung des Berufsbeamtentums gegeben. Vielleicht hätte die Piratenfraktion vorher einmal mit den von ihnen Beglückten reden können.

Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir ein weiteres Zitat. Auch dieses habe ich auf der Homepage des Deutschen Beamtenbunds gefunden:

„Wer das Streikverbot aus Artikel 33 Abs. 5 GG streicht, kann schnell dazu kommen, es in Artikel 9 Abs. 3 GG hineinzuschreiben. Das wäre aus gewerkschaftlicher Sicht dann allerdings kaum eine ertragbare Lösung.“

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dudda?

Nein. - In der Begründung führt die Fraktion der PIRATEN das Urteil des Oberwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen an. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass dieses noch nicht rechtskräftig geworden ist. Deswegen ist der Vorschlag von Frau Nicolaisen genau richtig. Wir überweisen diesen Gesetzentwurf dem Innen- und Rechtsausschuss und stellen die Beratung zurück, bis das Bundesverwaltungsgericht entschieden hat. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Ines Strehlau das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der PIRATEN ist zu kurz gedacht und zu weit gesprungen. Das System des Beamtentums mit seinen althergebrachten Grundsätzen ist ein fein austariertes, bei dem sich nicht einfach an einer Seite etwas hinzufügen oder wegnehmen lässt, ohne dass das System insgesamt ins Wanken gerät.

Richtig ist, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Deutschland zu beachten ist. Deutsche Gesetze und die Verfassung müssen völkerrechtsfreundlich interpretiert werden. Deswegen lassen sich aber noch lange nicht Urteile, die zu Gesetzen der Türkei ergangen sind, eins zu eins auf Deutschland übertragen. Das jeweilige Rechtssystem der nationalen Rechtsordnung ist dabei sorgfältig zu berücksichtigen.