Protocol of the Session on April 24, 2013

Die Frage drängt sich also auf: Wenn wir mit Gorleben ein genehmigtes Zwischenlager haben, warum lagern wir nicht dort - an einem zentralen Ort - die letzten 21 Castoren, bis wir ein Endlager gefunden haben? Aus welchem sachlichen Grund sollen Standorte wie Brunsbüttel oder Unterweser jetzt zum Zwischenlager umdeklariert und entsprechend umgebaut werden, wahrscheinlich mit Steuergeldern - weil die Betreiber es nicht machen werden in Höhe von voraussichtlich mehreren 100 Millionen €? Hierauf haben wir bislang keine sachliche Antwort erhalten.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Punkt 2 - das müsste unsere grünen Freunde vor Ort doch massiv interessieren -: Verzögerungen beim KKW-Rückbau Brunsbüttel. Bislang konnte es der Landesregierung mit dem Rückbau des Kernkraftwerks Brunsbüttel nicht schnell genug gehen. Die jetzt vorgesehene Einlagerung der Castoren aus Sellafield würde allerdings die Rückbauplanungen erheblich verzögern. Denn die freie Lagerfläche des Standortzwischenlagers Brunsbüttel war zur Nutzung für den Rückbau des Kernkraftwerks vorgesehen. Sie müssen doch erklären, wo es sonst hingehen soll, Frau von Kalben, und dürfen nicht einfach so tun, als könnte alles so bleiben, wie es ist.

Wenn die Landesregierung Verantwortung übernehmen will, dann muss sie sich jetzt entscheiden: Wollen Sie einen schnellen Rückbau, oder wollen Sie ihn nicht? Wenn Sie weiterhin den schnellen Rückbau wollen, dann müssen Sie auch öffentlich sagen, dass das mit der zusätzlichen Einlagerung von Castoren nicht in Einklang zu bringen ist.

Der dritte Punkt: die technischen Aspekte. Das derzeit gültige Zulassungskonzept für die Castoren sieht spezielle technische Anlagen vor, die bundesweit bisher lediglich in Gorleben vorhanden sind. Wenn also einer dieser Castoren repariert werden soll, Herr Ministerpräsident, weil er aus irgendei

(Wolfgang Kubicki)

nem Grund beschädigt ist, dann geht das gegenwärtig nur in Gorleben.

Wir müssten eine entsprechende Reparatureinrichtung auch in Brunsbüttel erstellen. Dazu brauchen Sie nicht nur die atomrechtliche Genehmigung, nicht nur die Genehmigung nach der Strahlenschutzordnung; dazu brauchen Sie auch eine baurechtliche Genehmigung, Herr Ministerpräsident. Erklären Sie mir einmal, wie Sie das in den verbleibenden anderthalb Jahren überhaupt bewerkstelligen wollen.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Die Idee, das alles mit einem Sofortvollzug zu versehen, wird deshalb scheitern, weil der Sofortvollzug nicht rechtlich nach der Devise begründet werden kann: „Wir haben keine Alternative“, denn die Alternative Gorleben ist da. Den Sofortvollzug werden Sie nicht politisch begründen können mit Ihrer hohen moralischen Attitüde der Verantwortung.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Herr Ministerpräsident, will die Landesregierung ihre Position jetzt ändern, dann muss entweder das Zulassungskonzept geändert werden, oder in den Zwischenlagern Brunsbüttel beziehungsweise Unterweser müssen diese Anlagen eigens errichtet werden. Ich habe noch nichts davon gehört, dass die Landesregierung einen dieser Punkte bisher überhaupt in Erwägung gezogen hat.

Oder müssen wir damit leben, dass wir in Brunsbüttel unter Umständen beschädigte Castoren stehen haben, die wir nicht wieder instand setzen können, weil uns die technischen Voraussetzungen fehlen? Ist das die Verantwortung, von der Sie sprechen? Was ist mit der, wie Herr Altmaier immer so schön sagte, Deckelentfernungsanlage, die gebaut werden muss mit einem Kostenaufwand von mindestens 50 Millionen €? Glauben Sie ernsthaft, dass irgendein vernünftiger Betreiber, dass irgendein Steuerzahler akzeptieren würde, dass Sie an mehr als an einem Standort, weil Sie ja die Castoren an mehreren Standorten unterbringen wollen, jeweils eine entsprechende Anlage bauen müssen, um die Deckel von den Castoren aus Sellafield abnehmen und diese Castoren dann einlagern zu können? Das ist doch Wahnsinn, was Sie uns hier erklären, und Sie wissen das doch auch.

(Beifall FDP)

Vierter Punkt: Sicherheitsaspekte. Als Minister Dr. Habeck seinen Vorschlag an den Markt der Meinungen brachte, hatte er ganz offensichtlich noch nicht darüber nachgedacht, mit welchen poli

zeilichen Mitteln, mit wie viel Personal die zusätzlichen Castoren gesichert werden müssen.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Und das ist bei Gorleben viel einfa- cher?)

- Frau von Kalben, wenn Sie fünf Standorte haben, brauchen Sie fünfmal Sicherung. Wenn Sie nur einen Standort haben, brauchen Sie nur einmal Sicherung. Das könnte auch Ihnen einleuchten.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Herr Innenminister, ich denke, Sie gehen mit mir konform, dass die Sicherung von fünf Standorten schwieriger wäre als die Sicherung an einem Standort. Dazu sagen Sie nichts. Das verstehe ich auch. Sie sind Regierungskoalition. Aber Vernunft kann sich auch durchsetzen.

(Zuruf Dr. Heiner Garg [FDP])

An einem Standort sind die Sicherungsmaßnahmen bis zum Jahre 2040 mit Sicherheit besser zu gewährleisten als an fünf, sechs oder sieben verschiedenen Standorten. Deshalb macht eine dezentrale Zwischenlagerung an mehreren Standorten allein schon aus diesen Gründen keinen Sinn.

(Beifall FDP)

Es klingt eigentlich unvorstellbar: Zum Zeitpunkt des Vorschlags von Minister Habeck, Brunsbüttel als ein Zwischenlager anzubieten, gab es keine Überlegung seinerseits, wie die Castoren auch längerfristig gesichert werden sollten.

Wenn Sie jetzt davon sprechen, Herr Minister, dass Sie Verantwortung übernehmen, ist das nur noch der hilflose Versuch, diesem unbedachten Schnellschuss etwas Gutes abzugewinnen und die politischen Scherben, die Sie verursacht haben, wieder halbwegs aufzufegen. Es ist erschütternd, auf welch leichtfertige Art und Weise von diesem Minister Politik gemacht wird.

Aber es wird noch schlimmer: Das ist der politische Aspekt, der fünfte. Es wird suggeriert, dass, wenn die 21 Castoren nach Gorleben gebracht werden 130 stehen schon da in einem Zwischenlager, das besteht -, die Menschen vor Ort das Gefühl haben könnten, daraus könnte sich ein Endlager entwickeln, weil man möglicherweise kein Zwischenlager findet. Das heißt, die Zwischenlager könnten zum Endlager werden. Aber erklären Sie mir einmal, warum die Menschen in Brunsbüttel diese Angst nicht haben sollen.

(Wolfgang Kubicki)

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Haben sie!)

Das heißt, wir tauschen die vermeintliche Angst, dass die Menschen in Gorleben kein Vertrauen in die Politik setzen dürfen, gegen die Angst der Menschen in Brunsbüttel, dass die Menschen dort kein Vertrauen in die Politik setzen dürfen. Das ist Ihre Politik für Schleswig-Holstein?

(Beifall FDP und vereinzelt CDU - Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Herr Kollege Dr. Stegner, ich habe diese Logik, weil ich Sie jetzt fragen werde - Sie kommen ja noch und können reden -, ob Sie als Sozialdemokrat, ob die schleswig-holsteinische Landesregierung sich ihrer Verantwortung entziehen wird, Castoren aufzunehmen, wenn andere sagen: Wir machen das nicht. Dann sagen wir: Dann machen wir das auch nicht? Das ist dann Ihre Form von Verantwortung? Oder sagen wir dann - wenn die anderen nicht bereit sind, aus welchen Gründen auch immer -: Wir können sie beschimpfen, aber wir nehmen trotzdem unsere Verantwortung wahr und nehmen dann alle 21 Castoren aus Sellafield, weil es darum geht, in der Tat vor der Geschichte zu bestehen? Verantwortung ist nicht teilbar. Sie können die Verantwortung nicht auf andere delegieren und können nicht sagen: Wir nehmen sie nur, wenn die anderen unsere Bedingungen erfüllen.

Ich frage Sie, Her Ministerpräsident: Stimmen Sie im Bundesrat zu, wenn bis dahin keine der Bedingungen erfüllt ist, die Sie genannt haben? Nehmen wir 21 Castoren auf, wenn kein anderes Land sich bereitfindet, Castoren aufzunehmen? - Das machen wir dann nicht. Das ist Ihre Form von Verantwortung vor der Geschichte, dass Sie sagen: „Dann machen wir das nicht“?

(Zurufe Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] und Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das sind die hohlen Phrasen. Meine Verantwortung besteht darin, die Castoren nicht in Gorleben zu belassen, sondern in ein genehmigtes, intaktes, funktionierendes Zwischenlager bis zur Endlagerfindung einzulagern. Dafür war und ist Gorleben gedacht, und wir brauchen aus politischen Gründen keine anderen Positionen. Das sage ich Ihnen sicher. Wenn Sie technische, juristische oder sonstige Gründe anführen könnten, würde ich Ihnen folgen.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Aber zu sagen: „Ich will nicht, dass Herr Weil in Niedersachsen im Parlament eine Gesichtsbeschä

digung erfährt“ und „Ich will nicht, dass meine grünen Freunde in Niedersachsen ein Wahlversprechen brechen müssen“, ist kein hinreichend rationaler Grund, um die Zwischenlagerfrage in dieser Art und Weise zu bewältigen.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Noch einmal: Ich erwarte hier und heute von dem großen sozialdemokratischen Strategen Ralf Stegner eine Antwort auf die folgende Frage: Was passiert, wenn die Bedingungen, die Sie in dem Antrag genannt haben, nicht in allen Punkten erfüllt werden? Nehmen wir dann Castoren auf? Oder ist es uns dann völlig egal, und sie kommen dann eben im Jahr 2015 nach Gorleben? Dann entpuppt sich diese Geschichte als reine PR-Aktion, um die Niedersachsen zunächst zu beruhigen und anschließend festzustellen: „Wir schaffen es gar nicht, die Castoren kommen ohnehin nach Gorleben.“ Das ist keine verantwortliche Politik; das ist hohle Phrase. Herzlichen Dank.

(Beifall FDP und CDU)

Für die Fraktion der PIRATEN hat nun Frau Abgeordnete Angelika Beer das Wort.

Herr Präsident! Herr Ministerpräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bürgermeister Mohrdieck von Brunsbüttel! Herr Kubicki, wenn man Sie so reden hört und sich erinnert, dass heute zeitgleich in Berlin eine wichtige Entscheidung über den Kompromiss beim Endlagergesetz fallen soll, habe ich ernsthafte Bedenken, ob die FDP an diesem Kompromiss in Berlin festhalten wird. Zumindest ist Ihre Position mit der der Bundespartei nicht vereinbar.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ist sie richtig oder falsch? Sie haben gar keine Bündnispar- tei! – Widerspruch PIRATEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den letzten Tagen sehr viele Gespräche geführt - transparent, denn wir sind PIRATEN. Natürlich ist auch bekannt, dass die SPD uns vorgeschlagen hatte, den Koalitionsantrag mitzuunterzeichnen.

Auf dieses Ergebnis werde ich gleich noch zu sprechen kommen. Ich möchte mich aber ausdrücklich bei Ralf Stegner bedanken, dass er diesen Schritt auf uns zu gemacht hat. Ich wünsche mir - ich weiß, dass das keine Mehrheit findet -, dass die vie

(Wolfgang Kubicki)

len offenen Fragen letztlich dazu führen, dass keine Entscheidung mit der Brechstange herbeigeführt wird, sondern dass wir Gelegenheit haben, alle Anträge in den entsprechenden Ausschüssen zu beraten, um zu prüfen, ob es gemeinsame Positionen gibt.

(Beifall PIRATEN)

Wir PIRATEN haben diese Frage sehr ausführlich diskutiert, denn das Bundesprogramm der Piratenpartei Deutschland fordert forsch und radikal einen Atomausstieg in Deutschland innerhalb von drei Jahren. Für uns hat sich sofort die Frage gestellt, wie wir verantwortlich mit der Zwischenlagerung und mit einem Kompromiss zur Endlagerung umgehen. Da wir dazu noch keine Beschlüsse hatten kein Mensch hat zu Zeiten der letzten Landtagswahl geahnt, dass wir diese Frage heute unter einer Regierung, die von SPD, Grünen und SSW getragen wird, zu diskutieren haben -, haben wir unsere Basis gefragt, wie wir es in entscheidenden Punkten immer machen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Schön!)

Die Antwort ist gestern Nachmittag um 14 Uhr bei uns eingegangen. Es gab eine breite Beteiligung. Die Mehrheit der PIRATEN in Schleswig-Holstein hat sich eindeutig positioniert. Sie ist mehrheitlich dafür, dass auch Schleswig-Holstein Castoren nach dem Verursacherprinzip aufnimmt. Wer Müll produziert, kann nicht einfach sagen: Egal, nach uns kommt die Sintflut.