Protocol of the Session on April 24, 2013

Meine Damen und Herren, wir erwarten zweitens von der Landesregierung, dass sie dies alles prüft unter Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger, insbesondere in den Kreisen Dithmarschen und Steinburg.

Wir erwarten drittens, dass sie vorab klärt, wie lange der Atommüll im Zwischenlager bleiben soll. Stand heute muss dieses Atomzwischenlager 2046 geräumt sein. Das heißt, im Jahr 2038 werden die

(Johannes Callsen)

ersten Castoren wieder raus müssen, also zu einem Zeitpunkt, zu dem wir mit hoher Wahrscheinlichkeit noch kein betriebsbereites Endlager haben werden.

Die Landesregierung muss viertens dem Parlament und den Bürgern vor Ort glaubhaft darlegen, warum sie einem Atomanlagenbetreiber Atomabfälle freiwillig anvertrauen will, dem sie gleichzeitig schwere Mängel und Versäumnisse in der Vergangenheit vorwirft und dessen Zuverlässigkeit nach wie vor nicht offiziell bestätigt worden ist.

(Beifall CDU und FDP)

Ich will nur daran erinnern, dass es gerade einmal 13 Monate her ist, als Herr Harms gegenüber Vattenfall den Vorwurf erhoben hat, jedem Imbissbudenbetreiber wäre längst die Konzession entzogen worden. Heute geht es aber nicht um Frittierfett und Frittieröl. Vielmehr erwarten wir, dass die Zuverlässigkeitsprüfung zu einem positiven Ergebnis geführt hat.

Fünftens erwarten wir, dass die Sicherheit vor Ort, die Gesundheit der Menschen und die Sicherheit der Transportwege ins Zwischenlager zu jedem Zeitpunkt gewährleistet werden kann.

Sechstens dürfen dem Land Schleswig-Holstein keine zusätzlichen Kosten entstehen. Es muss klar sein, dass diese Last nicht allein bei Schleswig-Holstein verbleibt.

Herr Ministerpräsident, dass Ihre Landesregierung mit dem Betreiber Vattenfall noch nicht einmal ein offizielles Gespräch geführt hat, ist schon unglaublich. Ansonsten wüssten Sie auch, dass sich die Zahl von 80 Stellplätzen in Brunsbüttel zwar nach viel anhört, dass das aber nicht so viel ist. Im Übrigen liegt ein Antrag vor, der darauf abzielt, die Zahl der Betriebsplätze auf 34 zu reduzieren.

Außerdem sind die Castoren in Sellafield deutlich heißer. Das heißt, die Castoren brauchen vor Ort mehr Fläche. Hinzu kommt tonnenweise belasteter Atommüll, der beim Rückbau anfällt. Auch diese Frage muss geklärt werden. Selbst dann, wenn das alles passieren sollte - das wissen Sie genauso gut wie wir -, ist es dennoch so, dass die Genehmigung für das Atommülllager in Brunsbüttel bis zum heutigen Tag nicht rechtskräftig ist. Gegen das Zwischenlager in Brunsbüttel ist immer noch eine Klage vor Gericht anhängig, und keiner weiß, wann ein Ergebnis vorliegt.

Sie haben also mit Brunsbüttel ein Zwischenlager ins Spiel gebracht, ohne dass eine rechtskräftige

Betriebsgenehmigung für dieses Zwischenlager vorliegt.

Meine Damen und Herren, das ist für uns eine Situation der Verantwortung. Es stellen sich aber auch viele Fragen,

(Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

und die Bürgerinnen und Bürger Schleswig-Holsteins haben einen Anspruch auf eine Beantwortung dieser Fragen und insbesondere auf eine hundertprozentige Klärung. Dieser Anspruch richtet sich gegen die Landesregierung, die Brunsbüttel für diesen Prozess vorgeschlagen hat. Das ist Ihre Verantwortung, die Sie nicht abschieben können. Deshalb werden wir der Landesregierung heute keinen Freibrief ausstellen.

Die CDU ist bereit, Verantwortung zu tragen. Wenn alle Prüfungen abgeschlossen sind und alle Voraussetzungen erfüllt sind, dann muss der Landtag das letzte Wort haben. Darauf haben die Menschen in Schleswig-Holstein einen Anspruch. Herzlichen Dank.

(Beifall CDU und FDP)

Für die FDP-Fraktion hat deren Vorsitzender, Herr Abgeordneter Wolfgang Kubicki, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor das sozialdemokratische HB-Männchen Ralf Stegner im Gefühl der moralischen Überlegenheit wieder an die Decke geht, möchte ich darauf hinweisen, Herr Ministerpräsident, dass es eine sozialliberale Regierung unter der Führung von Helmut Schmidt, einem immer noch sehr geschätzten Sozialdemokraten, war, die 1978 in das Atomgesetz hineingeschrieben hat: Die Endlagerung ist sicher. Wäre das nicht erfolgt, hätten die Genehmigungen gar nicht erteilt werden können. Damals hat man gedacht, in 30 Jahren sei man so weit, ein entsprechendes Endlager bestücken zu können. Mittlerweile ist das Jahr 2008 vorbei.

Frau von Kalben, ich finde es ganz toll, dass Sie das Endlagersuchgesetz für das Gelbe vom Ei halten. Jetzt haben wir die Prognose und Erwartung, dass wir im Jahr 2040 möglicherweise ein Endlager haben werden, das bestückt werden kann. Ich warne jedoch alle Beteiligten vor der Erwartung, dass diese Zeitschiene eingehalten werden kann, und zwar vor dem Hintergrund all der Prozesse, die wir aus

(Johannes Callsen)

der Vergangenheit kennen. Wir vertagen momentan etwas. Wir haben uns auf ein rationelles Kriterium geeinigt. Momentan vertagen wir aber die Frage der Endlagerung. Im Übrigen ist das aber auch nicht das Thema der heutigen Debatte.

Das Thema der heutigen Debatte ist die Frage, ob es Sinn macht, ein Zwischenlager in Brunsbüttel neu einzurichten. Das bestehende Zwischenlager ist gar nicht dafür geeignet, Castoren aus Sellafield aufnehmen zu können, obwohl Gorleben als Zwischenlager genehmigt und technisch ausgestattet ist. Da nach Auffassung aller Experten Atommüll in den nächsten 30 Jahren sicher in Gorleben zwischengelagert werden kann, stellt sich die Frage, ob es Sinn macht, etwas anderes zu organisieren.

Herr Ministerpräsident, ich komme gleich auf Ihre großen pathetischen Worte zu sprechen. Ich glaube, dass Sie sich damit nicht nur keinen Gefallen getan haben. Ihre Worte werden Sie einholen, wenn die Bedingungen, die Sie im Antrag nennen, nicht erfüllt werden. Wird sich Schleswig-Holstein dann seiner Verantwortung entziehen? Wollen Sie dann vor der Menschheit, vor der Geschichte, vor Gott und vor der Schöpfung sagen, dass Sie 21 Castoren nicht aufnehmen werden, weil Sie nur 6 Castoren aufnehmen wollten? Soll das dann nach Gorleben transportiert werden? Soll der Kompromiss komplett aufgelöst werden, wenn die anderen ihre Bedingungen nicht erfüllen?

Ihre großen pathetischen Worte werden dazu führen, dass die anderen, weil sie nicht blöd sind, sagen werden: Es ist wunderbar, dass Sie Ihre Verantwortung vor Gott und der Geschichte erkannt haben. Dann darf Schleswig-Holstein doch alle 21 Castoren aufnehmen. - Dazu wird es kommen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall FDP)

Das ist das Gegenteil einer verantwortungsvollen Politik. Das ist einfach nur unprofessionelles politisches Handeln,

(Beifall FDP)

zumal Sie genau wissen, wie das funktioniert. Ich glaube, als Robert Habeck seinen Finger gehoben hat, hat er sich über die Konsequenzen gar keine Gedanken gemacht, weil es ausschließlich darum ging, seinen grünen Parteifreunden in Niedersachsen einen Gesichtsverlust erster Güte zu ersparen, der eingetreten wäre, wenn im Rahmen der Endlagersuche Gorleben entweder als Endlager beibehalten worden wäre, was Sie ausgeschlossen haben,

oder wenn Gorleben als Zwischenlager beibehalten worden wäre, was Sie auch ausgeschlossen haben.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Vor gerade einmal einem Jahr debattierten wir in diesem Hohen Hause über den Fund von gerosteten Atomfässern im Kernkraftwerk Brunsbüttel. Es wurden Bilder gezeigt. Aus dieser sehr hitzigen Diskussion ist mir vor allem das Auftreten der Grünen noch gut erinnerlich. Der damalige Fraktionsvorsitzende Dr. Robert Habeck war an diesem Tag erkrankt, und sein Kollege Detlef Matthiessen vertrat ihn - wie ich fand - würdig. Kollege Matthiessen sagte am 23. März 2012 ausweislich des Plenarprotokolls in Richtung des damaligen Ministers Schmalfuß:

„Wir stellen zum wiederholten Male fest, Herr Minister: Der Betreiber Vattenfall kann es nicht oder - das muss man vielleicht vermuten - will es nicht. Die Betreiberin geht nicht verantwortungsvoll mit Atomkraft um.“

Und weiter hat der Kollege Matthiessen ausgeführt - wiederum Zitat -:

„Es fehlt Vattenfall an Transparenz und Offenheit. Immer nur verschleiern, vertuschen, kleinreden! Aus den genannten Gründen fordern wir: Vattenfall muss die Betriebsgenehmigung für die AKW Krümmel und Brunsbüttel entzogen werden.“

Es sind dieselben Grünen, die uns jetzt im Brustton der Überzeugung erklären wollen, dass sie Verantwortung für Deutschland übernähmen. Die schleswig-holsteinischen Grünen übernehmen Verantwortung, indem sie eben diesen Betreiber - Vattenfall -, den sie vor einem Jahr in beispielloser Weise beschimpft haben, dem sie die Zuverlässigkeit abgesprochen haben und dem sie Verschleierung und Vertuschung vorgeworfen haben, jetzt damit beauftragen wollen, mehrere Castoren mit hoch radioaktiven Abfällen in den kommenden Jahrzehnten zu beaufsichtigen.

(Rainer Wiegard [CDU]: Ohne jemals mit ih- nen gesprochen zu haben!)

- Vattenfall, Herr Kollege Wiegard, kann allerdings nur eines sein: Entweder das Unternehmen ist als Betreiber unzuverlässig, oder es ist zuverlässig. Wenn wir Sie damals ernst genommen haben, als Sie Vattenfall wegen Unzuverlässigkeit beschimpft haben, warum sollten wir es jetzt wieder tun? Wie weit reicht Ihre Verantwortung, wenn Sie innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit eine 180-Grad-Wende vornehmen? Können sich die Menschen in Schles

(Wolfgang Kubicki)

wig-Holstein darauf verlassen, dass Ihre politische Verantwortung länger trägt als Ihre Regierungsbeteiligung?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den vergangenen Tagen und Wochen war tatsächlich viel von Verantwortung die Rede, wenn Vertreter der Regierungskoalition den tölpelhaften Vorstoß des Energiewendeministers öffentlich verteidigt haben. So erklärte die grüne Fraktionsvorsitzende von Kalben in ihrer Pressemitteilung vom 11. April 2013 - ich zitiere -:

„Wir haben in der Koalition klare Vorgaben bezüglich der Sicherheit, der Finanzen und der Solidarität aller Länder verabredet. Nicht mehr und nicht weniger. Wir sind bereit, einen Teil der Verantwortung zu tragen, und erwarten dies auch von allen anderen.“

Wer Verantwortung übernimmt, sollte jedenfalls gute Argumente haben und nicht pathetisch daherreden, warum er handelt, wie er handelt. Ich habe vonseiten der Landesregierung bisher keine stichhaltigen sachlichen Argumente gehört, warum Brunsbüttel ein geeigneter Standort für ein Zwischenlager der Castoren aus Sellafield ist.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Ich möchte festhalten: Verantwortung zu proklamieren, ist etwas anderes, als Verantwortung zu übernehmen. Was Sie hier aber machen, ist, dass Sie lediglich von Verantwortung sprechen. Verantwortung übernehmen Sie definitiv nicht.

Denn wenn Sie wirklich Verantwortung übernehmen würden, dann würden Sie schnell feststellen, dass es fünf Gründe gibt, warum Brunsbüttel für die Zwischenlagerung von Sellafield-Castoren nicht geeignet ist.

Da ist zunächst der juristische Aspekt. Die Bundesrepublik kommt nicht darum herum, die Castoren aus Sellafield oder La Hague aufzunehmen. Wir müssen also für die kommenden Jahre bis Jahrzehnte für eine verlässliche - auch rechtlich verlässliche - Lagerung dieser Castoren sorgen.

Bis heute haben wir in Deutschland allerdings lediglich ein einziges genehmigtes Zwischenlager, das den Anforderungen für ein Zwischenlager auch entspricht und bereits entsprechend ausgestattet ist, und das ist Gorleben. Ob es den Grünen in Niedersachsen, in Schleswig-Holstein oder sonst wo gefällt oder nicht: Es ist der einzige Standort in ganz Deutschland, der rechtlich und auch tatsächlich in der Lage ist, die Castoren aufzunehmen. Das Standortzwischenlager Brunsbüttel ist bis heute

nicht bestandsfest genehmigt - Herr Kollege Callsen wies darauf hin -, weil noch ein Klageverfahren aus dem Zeitpunkt der Einrichtung anhängig ist. Die Genehmigung für die Zwischenlagerung in Brunsbüttel ist lediglich bezogen auf den selbst produzierten Kernbrennstoff. Dessen Castoren unterscheiden sich von denen aus Sellafield durch die Wärmelast erheblich, weshalb die Frage der Kapazitätsberechnung völlig neu und anders gedacht werden muss als das, was Sie, Herr Ministerpräsident, uns hier vorgetragen haben.

Die Frage drängt sich also auf: Wenn wir mit Gorleben ein genehmigtes Zwischenlager haben, warum lagern wir nicht dort - an einem zentralen Ort - die letzten 21 Castoren, bis wir ein Endlager gefunden haben? Aus welchem sachlichen Grund sollen Standorte wie Brunsbüttel oder Unterweser jetzt zum Zwischenlager umdeklariert und entsprechend umgebaut werden, wahrscheinlich mit Steuergeldern - weil die Betreiber es nicht machen werden in Höhe von voraussichtlich mehreren 100 Millionen €? Hierauf haben wir bislang keine sachliche Antwort erhalten.