Protocol of the Session on February 22, 2013

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Sitzung. Zunächst begrüßen Sie bitte mit mir auf der Tribüne Schülerinnen und Schüler der Schule im Augustental aus Schönkirchen. - Herzlichen willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Außerdem begrüßen Sie bitte mit mir die Landesvorsitzende der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Marlene Löhr.

(Beifall)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte Sie, sich von den Plätzen zu erheben.

(Die Abgeordneten erheben sich)

Heute vor 70 Jahren sind die Geschwister Scholl und ihre Wegbegleiter der Weißen Rose hingerichtet worden. Es war eine mutige Gruppe, die versucht hat, die Demokratie zu retten und sich dem NS-Staat zu widersetzen. Ich denke, das ist Anlass für uns, einen kurzen Moment innezuhalten. - Ich danke Ihnen, dass Sie sich erhoben haben.

Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Tagesordnung ein. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 und 24 auf:

Gemeinsame Beratung

a) Trinkwasser darf nicht zum Spekulationsobjekt werden - Wasserversorgung in öffentlicher Hand sichern!

Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 18/492

Wasser ist keine übliche Handelsware - kommunale Trinkwasserversorgung schützen

Änderungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 18/550

Versorgungssicherheit beim Trinkwasser auch künftig auf höchstem Niveau gewährleisten!

Änderungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/556

b) Liberalisierung und Privatisierung der kommunalen Wasserversorgung verhindern!

Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 18/509

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Dann kommen wir jetzt zur Aussprache. Zunächst hat für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Herr Abgeordnete Bernd Voß das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das erste Thema heute Morgen ist ein sehr trockenes EU-Thema, ist aber ziemlich spritzig. Auf EU-Ebene wird derzeit über die Neuregelung des öffentlichen Vergaberechts beraten. Erstmals sollen auch Regeln zur Konzessionsvergabe für den Bereich der Trinkwasserversorgung geschaffen werden.

Die geplante Richtlinie birgt die Gefahr einer Privatisierung gegen den Willen der Kommunen; denn sie erschwert die Vergabe an die Stadtwerke. Selbst wenn diese noch zu 100 % in öffentlicher Hand sind, könnte die Richtlinie greifen und die Kommunen zu einer Ausschreibung zwingen.

In Schleswig-Holstein haben circa 40 von 50 Stadtwerken eine privatrechtliche Unternehmensform. Es handelt sich in den meisten Fällen um Mehrspartenbetriebe, die nicht nur für die Wasserversorgung, sondern daneben auch für Strom und Gas zuständig sind. Die Ausnahmeregelung für hundertprozentige kommunale Unternehmen gilt aber nur, wenn 80 % des Gesamtumsatzes des Konzessionsgebers mit der Wasserversorgung erwirtschaftet werden.

Auch wenn der EU-Binnenmarktkommissar Barnier gestern im Vorgriff auf unsere heutige Sitzung in Teilen eingelenkt hat, bleibt infolge der bei uns verbreiteten interkommunalen Zusammenarbeit eine große Rechtsunsicherheit für die kommunale Ebene bestehen. Daher bitten wir die Landesregierung in unserem Antrag, gemeinsam mit den Kommunen eine Strategie zur Sicherung der Wasserversorgung in öffentlicher Hand zu erarbeiten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wasser ist weltweit zu einem Milliardengeschäft geworden. Wir brauchen uns nur den Film „Water Makes Money“ angucken. In Frankreich beziehen bereits 80 % der Bevölkerung Wasser von Privaten. Dort kann man beobachten, wohin das Streben nach kurzfristiger Rendite im Bereich der Wasserversorgung führt. Es führt jedenfalls nicht zu mehr Nachhaltigkeit und Investitionen für die Zukunft, nicht einmal zu günstigeren Preisen.

Außerdem erfährt man, dass der weltweite Marktführer bei Umweltdienstleistungen, die Veolia - der Konzern begegnet uns ja öfter -, bereits in 300 Kommunen in Deutschland an der Wasserversorgung beteiligt ist. Ein Beispiel dafür ist Braunschweig, Niedersachsen. Dort freut sich der Oberbürgermeister über 100 Millionen € Einnahmen aus dem Verkauf der Wasserversorgung. Aber Veolia hat den Kauf über Kredite finanziert, die dann die Bürgerinnen und Bürger über die Wassergebühren abbezahlen müssen. Neuinvestitionen, Infrastruktur - Sie dürfen raten, wer das alles bezahlen muss, der Gebührenzahler. Ich hoffe, dass wir in SchleswigHolstein solche Verhältnisse nicht bekommen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Der Bundesrat hat den Richtlinienvorschlag bereits im März letzten Jahres eindeutig abgelehnt. Der Bundestag hat mit seiner schwarz-gelben Mehrheit trotz Änderungsanträgen von Grünen und SPD keine klare Haltung eingenommen. Das hat sich auch in seiner Haltung in Brüssel fortgesetzt. Federführend bei den Verhandlungen im Rat in Brüssel war der Bundeswirtschaftsminister. Sie erraten schon seine Parteizugehörigkeit: FDP.

In der letzten Woche ist in mehreren Ausschüssen im Bundesrat erneut über das Thema beraten worden. Die Forderung, die Trinkwasserversorgung aus der Richtlinie herauszunehmen, ist erneut und sogar einstimmig bekräftigt worden. Darüber kann man sich freuen. Trotzdem wundert man sich; denn ohne politische Mehrheiten kommen Beschlüsse nicht zustande, nicht im Rat, nicht im Parlament, nicht auf europäischer Ebene.

Wir haben Anträge im zuständigen Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments eingebracht, die die Herausnahme der Wasserversorgung aus der Richtlinie zum Ziel hatten. Diese wurden abgelehnt. Jedoch ist noch nichts entschieden. Ich denke, das ist wichtig. Im Parlament steht in diesem Punkt im Mai 2013 die endgültige Entscheidung an. Die Wende des EU-Kommissars Barnier

von gestern schafft bessere Voraussetzungen für den Trilog zwischen dem EU-Parlament, dem EURat und der EU-Kommission.

Die politische Arbeit von vielen in den Landesparlamenten hat Früchte getragen. Aber das ist auch ein besonderer Erfolg der europäischen Bürgerinitiative. Dieses neue Instrument der europäischen Bürgerbeteiligung ist noch nicht einmal ein Jahr alt; seit dem 1. April 2012 kann es eingesetzt werden. Über 1 Million Unterschriften in sieben Ländern sind dank den Initiatoren dieser Bürgerinitiative schon zusammengekommen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Während viele Abgeordnete und manche Minister noch herumquaken,

(Wolfgang Dudda [PIRATEN]: Das passt zum Thema Wasser!)

wie weit Europa weg ist, hat diese Bürgerinitiative gezeigt, wie auch Bürgerinnen und Bürger Europa mitgestalten können.

Zum Schluss will ich die Anträge nicht im Einzelnen bewerten. Ich denke, der Antrag der PIRATEN kommt unserem am nächsten. Da keine Zeit mehr bleibt und es erforderlich ist, jetzt mit einem einzigen Antrag eine klare Botschaft nach Brüssel zu senden, beantrage ich, dass wir alle Anträge zu selbstständigen Anträgen erheben und anschließend alternativ abstimmen. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PI- RATEN und SSW)

Ich habe noch einen kleinen Nachtrag. Beurlaubt sind heute der Abgeordnete Tobias von Pein und der Abgeordnete Dr. Andreas Tietze. Erkrankt sind der Abgeordnete Wolfgang Kubicki und die Abgeordnete Regina Poersch. - Wir wünschen den Abgeordneten gute Besserung!

(Beifall)

Für den Antrag der PIRATEN spricht jetzt Frau Abgeordnete Angelika Beer.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! - Das sollte zuerst kommen: Wir als Piratenfraktion lehnen die EU-Richtlinie nicht komplett ab. Ich will das hier deutlich machen. Von einem gewissen Standpunkt aus ist der Vorschlag

(Bernd Voß)

des Binnenmarktausschusses des Europäischen Parlaments sogar konsequent. Wenn schon öffentliche Einrichtungen privatisiert werden sollen, dann sollte dafür auch europaweit ausgeschrieben werden,

(Beifall PIRATEN)

um lokale Vetternwirtschaft zu unterbinden. In den Bereichen Energie, Verkehr und Post kann und soll dies durchaus diskutiert werden. Wir sperren uns nicht generell und pauschal gegen jegliche Liberalisierung.

Zugang zu Trinkwasser aber ist ein Menschenrecht und darf nicht den Profitinteressen von Konzernen unterworfen werden,

(Beifall PIRATEN, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

nicht auf kommunaler Ebene und erst recht nicht europaweit. Dies geschieht unter dem beschönigenden Begriff Public Private Partnership jedoch auch in unserem Land schon seit vielen Jahren und nicht erst mit dieser Richtlinie.

Auf dem Punkt gebracht ließe sich unsere Position zur Liberalisierung von Einrichtungen öffentlicher Daseinsvorsorge vielleicht so zusammenfassen: Märkte sind kein Teufelszeug, sondern eine existierende Tatsache. Sie müssen jedoch durch uns als Volksvertreterinnen und Volksvertreter reguliert werden, damit die Entscheidungsmacht des demokratischen Souveräns über seine eigenen Lebensbedingungen weder an profitorientierte Konzerne veräußert noch den erbarmungslosen Marktgesetzen ausgeliefert werden.

(Beifall PIRATEN, vereinzelt SPD, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)