Protocol of the Session on February 21, 2013

Wir sehen dieses Vorschaltgesetz als überhastet und falsch an. Es dient auf gar keinen Fall dazu, einen Schulfrieden in Schleswig-Holstein herbeizuführen. - Vielen Dank.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Das Wort für die Abgeordneten der Fraktion der PIRATEN hat der Abgeordnete Sven Krumbeck.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bildungspolitik ist und bleibt eine der größten politischen Baustellen in Schleswig-Holstein, dies nicht zuletzt auch deshalb, weil tatsächlich jeder Hand angelegt und umgebaut hat.

Ich nenne die letzten Bauvorhaben: 2006 werden Haupt- und Realschulen unter Ministerin ErdsiekRave ersetzt. 2007 entstehen die ersten Gemeinschafts- und Regionalsschulen. 2009 die großen Ankündigungen der Ruhe durch die schwarz-gelben Koalitionäre, leider ohne Wirkung. 2010 kommt das nicht ganz so kluge Gesetz unter einem FDPMinister. Nach dem Regierungswechsel im letzten

Jahr ist schon wieder Unruhe. Alles muss neu, alles besser, alles ideologiefrei und in einem ergebnisoffenen Dialog gemacht werden. Geradezu gewartet hat die Welt auf ein neues Schulgesetz, und wenn es zunächst nur als Light-Version auf den Markt kommt.

(Dr. Kai Dolgner [SPD]: Klarmachen zum Ändern!)

Ministerin Wende, ich möchte Ihnen ganz persönlich für den Bildungsdialog danken. Er hat mir sehr geholfen, den Einstieg in die Bildungspolitik dieses Landes zu schaffen. Sie haben mich mit Menschen zusammengebracht, die mehr von Schule und Bildung verstehen als viele von uns hier. Allesamt in den Gruppen der Bildungskonferenz sind ausgewiesene Experten auf ihrem Gebiet. Deshalb können und wollen wir mit ihnen die Dinge diskutieren, mit ihnen um die besten Lösungen ringen und dann mit möglichst viel Rückenwind in der Bildungslandschaft Schleswig-Holsteins neue Strukturen schaffen.

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das ist sehr piratig, darum mag ich das so. Darum bin ich aber auch aufrichtig traurig darüber, dass dieser Dialog torpediert wird, dass seine Glaubwürdigkeit durch das Vorschaltgesetz infrage gestellt ist. Völlig losgelöst vom Bildungsdialog wurden inzwischen drei Themen herausgelöst und sollen heute vorgezogen beschlossen werden: keine abschlussbezogenen Schulklassen an Gemeinschaftsschulen, keine G-9-Gymnasien, mehr Oberstufen an Gemeinschaftsschulen. Das soll so passieren, weil die Mehrheitsfraktionen das politisch so wollen. Warum? - Darum.

(Beifall PIRATEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein offenes Geheimnis, dass ich inhaltlich ganz nah bei Ihnen bin. Ginge es nach mir, würden die Kinder noch konsequenter eine Schule für alle besuchen und möglichst lange zusammen lernen. Dann würde es keine selektierenden, sondern nur noch fördernde Strukturen geben. Dann würde ich wirklich die Schule vor Ort über pädagogische Konzepte entscheiden lassen. Dann würde ich mir noch mehr Lehrer wünschen, mehr Geld, um sie besser zu bezahlen und ihnen gute Arbeitsbedingungen zu schaffen. Ich habe da eine ganz lange sehr piratige Liste, die ich gerne abarbeiten würde.

Aber so funktioniert das hier leider nicht. Bildungspolitik lässt sich nicht am Reißbrett zaubern. Sie ist

(Anita Klahn)

ein empfindliches Gebilde mit vielen Aspekten und Akteuren. Viele dieser Akteure haben wir zum Vorschaltgesetz befragt. Das Ergebnis war durchaus überraschend. Denn, mal ehrlich: Sogar die, die der Regierung nahestehen, haben an der einen oder anderen Stelle Bedenken. Selbst die GEW, deren Auffassung gerade zu Oberstufen an Gemeinschaftsschulen ich ausdrücklich für gut halte, sagt deutlich, dass sie das politische Ziel an dieser Stelle befürwortet, es handwerklich aber anders gemacht hätte.

(Beifall PIRATEN)

Wenige sagten Nein. Alle anderen sagten: „Ja, aber …“. Die Anhörung hat gezeigt, dass man sich nicht sicher ist, keine Prognosen geben kann, dass es keine Daten für einen verlässlichen Schulentwicklungsplan gibt, dass es nicht einmal verlässliche regionale Schulentwicklungspläne für alle Ecken in Schleswig-Holstein gibt.

Das ist auch der Grund dafür, dass die Menschen in diesem Haus keine Fragen dazu beantworten können. Sie kennen keine Grunddaten zu Abiturquoten, sie wissen nichts über die Schülerentwicklung vor Ort, die Lenkung der Schülerströme. Sie haben keinen blassen Schimmer über die Klassenbildungen, darüber, welche Konsequenzen mehr Oberstufen in den einzelnen Regionen haben. Sie schütteln den Kopf, wenn es um funktionierende Strukturen zwischen unterschiedlichen Kooperationspartnern geht. Die Liste dessen, was wir alle zusammen nicht abschätzen können, ist leider ziemlich lang.

Sie puzzeln so vor sich hin, immer ihre Idealvorstellungen rot-grüner-blauer Bildungspolitik vor Augen, aber leider nicht im Sinn. Aber so gestaltet man nicht. Es ist sicher gut gemeint - das betone ich ausdrücklich -, aber handwerklich ist das fahrlässig.

(Beifall PIRATEN)

Das hat nicht zuletzt die Anhörung überdeutlich gezeigt. Man besorgt sich erst einmal die Daten, wertet sie aus und plant auf sachlicher Grundlage und einer belastbaren Folgenabschätzung. Alle, wirklich alle, die an Schule beteiligt sind, wünschen sich die dazu nötige Ruhe und Verlässlichkeit in den Schulen. Die werden Sie, wenn Sie dieses Gesetz verabschieden, ihnen nicht geben. Sie machen das ganze Land zu einem Versuchsfeld nach dem Motto: Mal sehen, was funktioniert und was nicht.

Aber dann müssen Sie als Verantwortliche ein neues Schild an der Landesgrenze aufstellen mit der Aufschrift: Bildungsland Schleswig-Holstein, ein willkürlicher Feldversuch.

(Beifall PIRATEN)

Ich als Pirat kann dazu bei aller Nähe zu den grundsätzlichen Vorstellungen nicht Ja sagen. Ich werde die Hand nicht für ein Gesetz heben, dem die grundlegenden Fakten fehlen.

Sie wären gut beraten, das Vorschaltgesetz in den Bildungsdialog zurückzugeben und sich und uns allen die Zeit zu geben, die wir gemeinsam für die Erarbeitung der genannten sachlichen Grundlagen brauchen.

(Beifall PIRATEN)

Stellen Sie dieses Vorschaltgesetz zurück! Nehmen Sie Rücksicht auf die, die damit leben müssen, die es umsetzen müssen! Schaffen Sie erst die Grundlagen für einen landesweit belastbaren Schulentwicklungsplan, der fortgeschrieben wird! Ich habe das lange gefordert und wurde in den Anhörungen in dieser Forderung bestätigt. Ich will - eigentlich will diese Regierung das auch; erinnern wir uns an die Regierungserklärung vom Juni letzten Jahres -:

„Die neuen Gemeinschaftsschulen sollen Oberstufen erhalten, wenn die Schulträger und die Schulkonferenz dies beantragen und wenn die Schulentwicklungsplanung das hergibt.“

Das sagten übrigens Sie, Herr Albig.

(Lars Winter [SPD]: Guter Mann!)

Diese Planung gibt es aber nicht. Der Bildungsstaatssekretär bekräftigte dies in der letzten Ausschusssitzung, indem er sagte: Ich vermute, dass wir zusammen mit den Kommunen die Schulentwicklungspläne in Gang bringen können. - Ich höre an solchen Stellen immer sehr genau hin; das habe ich mir notiert.

Es gibt diese Pläne nicht, nicht in der kommunalen Familie und auch nicht im Ministerium. Falls Sie sie haben, sollten Sie sie mit uns teilen. Denn nach Ihrem O-Ton gehört zu Ihrer neuen Politik eine politische Kultur, die Wert auf Dialog, Teilhabe und Transparenz legt. Aber alles, wirklich alles davon haben Sie mit diesem Vorschaltgesetz zur Seite geschoben. Das kann niemanden in Ihren Reihen glücklich machen.

(Beifall PIRATEN)

Was vom Bildungsdialog in diesem Fall zurückbleibt, ist die Brachialgewalt eines Dr. Stegners, der nicht müde wird zu erläutern, dass auf seiner Seite die Mehrheit besteht, die macht, was sie will.

(Beifall PIRATEN, CDU und FDP - Zurufe)

(Sven Krumbeck)

Mit Dialog und Sachverstand, mit dem Mut, sich selbst zu korrigieren, hat das nichts mehr zu tun.

Wer nicht weiß, was er tut, der darf auch nicht machen, was er will, und vor allem dann nicht, wenn er politische Verantwortung trägt.

(Beifall PIRATEN, CDU und FDP)

Dann nützt es auch nichts, dass Sie quasi in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus dem Vorschaltgesetz nebst Erweiterung eine befristete Lösung gemacht haben, nur um diese dann umgehend wieder zurückzunehmen. Wir haben über den Befristungsantrag sogar ein bisschen gelacht - von wegen weniger zeitliche Verlässlichkeit als die Tragezeit einer indischen Elefantenkuh und so.

(Martin Habersaat [SPD]: Was? - Heiterkeit und Zurufe)

Da ist Ihnen die Muffe gegangen wegen der Anhörung und Ihrer voreiligen Ankündigungen, dass Sie das nicht in Einklang bringen konnten mit dem Bildungsdialog und den fehlenden Daten und Strukturinformationen. Dass Sie handwerklich so konfus agieren, hat uns doch überrascht; das war für uns befremdlich.

(Zurufe)

Denn dass diese Befristungs- und Entfristungsgeschichte Ihre Glaubwürdigkeit nicht stärkt, ist Ihnen wohl klar.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN] - Un- ruhe)

Da wäre Sachverstand statt blinder Aktionismus gefragt gewesen.

Nun haben wir einen Änderungsantrag der Mehrheitsfraktionen, der nicht einmal eine Woche verlässlich war. Das ist rekordverdächtig. Ich habe gegen Ihren ersten Antrag gestimmt, ich habe gegen Ihren Änderungsantrag gestimmt, und ich werde auch gegen Ihren nächsten Änderungsantrag stimmen.

(Beifall PIRATEN, CDU und FDP - Zurufe)

Herzlichen Glückwunsch dazu! Am Ende bleibt vor allem die Erkenntnis: Mit Bildungsdialog hat das nicht so viel zu tun, mit solider Politik auch nicht.

Sie wollen wirklich Ruhe und Verlässlichkeit in die Schulen bringen? So schaffen Sie die langersehnten klaren Strukturen mit gesetzlichen Vorgaben, die so wenig Haltbarkeit mitbringen? Was soll ich als Schule und als Schulträger von solch kurzatmigem Murks halten?

Ich weiß nicht, wen Sie an dieser Stelle überzeugen wollen, außer sich selbst. Ich glaube vielmehr, dass Ihnen allen die Muffe geht, dass Sie erkannt haben, dass dieses Gesetz nicht so belastbar ist, wie Sie sich das vorgestellt haben. Es wäre gut für uns alle gewesen, das Vorschaltgesetz in Gänze zurückzustellen und am Ende des Prozesses zum 1. August 2014 ein gutes Schulgesetz auf den Weg zu bringen. Aber den Mut hatten Sie nicht.