Protocol of the Session on March 23, 2017

Wir bedanken uns nichtsdestotrotz für die Beantwortung unserer Anfrage und möchten noch einmal den Hintergrund erläutern.

(Zurufe)

Mit unserer Großen Anfrage zur Umsetzung der Koalitionsvereinbarungen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW durch diese Landesregierung wollten wir für die letzte Tagung dieses Landtages in dieser Legislaturperiode etwas erreichen, was es vorher in diesem Haus in dieser geballten Form noch nicht gegeben hat, nämlich, das Regierungshandeln der letzten fünf Jahre an den damals vereinbarten eigenen Zielen Ihrer Koalition zu messen.

(Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

Das wollen wir, Herr Ministerpräsident, schon sehr konkret. Wir wollen nicht diese Aussprache zu einer Generaldebatte machen, sondern uns sehr genau Ihre Koalitionsvereinbarung von 2012 ansehen. Wir als PIRATEN halten einen solchen Rechenschaftsbericht für wichtig und richtig, soll er doch Aufschluss darüber geben, ob die vielen Versprechen auch wirklich eingehalten worden sind.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ganz tolle Strate- gie! - Heiterkeit - Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

- Herr Kollege Garg, es kommt darauf an, was man daraus macht.

(Heiterkeit SPD)

Man kann generaldebattieren, man kann aber auch einfach sagen: Lassen Sie uns einmal ansehen, was Sie selbst versprochen haben und was daraus geworden ist.

Es ist nicht, wie der SPD-Mann Franz Müntefering einmal sagte, unfair, Politiker an ihren Versprechen zu messen, sondern vielmehr hängt die Glaubwürdigkeit der Politik davon ab, dass sie ihre Versprechen ernst nimmt und zu ihnen steht.

(Beifall Uli König [PIRATEN] und Bernd Heinemann [SPD] - Wolfgang Kubicki [FDP]: Was habe ich ihm getan? - Heiterkeit)

Wir PIRATEN haben uns 2012 den Koalitionsvertrag sehr genau angeschaut, ihn analysiert, ihn an unserem Wahlprogramm gemessen und ihn mehrheitlich für gut befunden.

(Zuruf CDU)

Die Koalition hatte tatsächlich einen guten Start und hat in der Folgezeit größere Teile ihrer Ziele umgesetzt, vor allem natürlich bei ihren Lieblingsund Wohlfühlthemen, wie zum Beispiel bei den Schulen oder beim Mindestlohn.

(Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Schulen sind Wohlfühlthemen? - Un- ruhe)

Die gehaltenen Versprechen - ja, die Lieblings- und Wohlfühlthemen - zu präsentieren, überlasse ich gern dem Ministerpräsidenten und den nachfolgenden Rednern, die das sicherlich weidlich tun werden, und möchte lieber meine Redezeit, meine knappe Redezeit nutzen.

(Heiterkeit FDP - Beifall Uli König [PIRA- TEN] - Zuruf Stefan Bolln [SPD])

Herr Abgeordneter, Sie müssen keine Sorge haben. Ihnen steht die gleiche Redezeit zu wie dem Ministerpräsidenten. Sie können sie nutzen.

(Christopher Vogt [FDP]: Nun sag ihm das doch nicht noch, Mensch!)

Ich möchte sie aber nicht zur Selbstbeweihräucherung nutzen, Herr Präsident, sondern lieber dazu, um auf die unbequemen Themen einzugehen, bei

(Präsident Klaus Schlie)

denen Sie auch vielfach den Kopf in den Sand gesteckt und Versprechen verschleppt, verwässert oder überhaupt nicht umgesetzt haben. Da gilt, gemessen an Ihren eigenen Ankündigungen im Koalitionsvertrag vielfach: Versprochen, gebrochen.

(Zuruf CDU: Jo!)

Jetzt komme ich zu dem Top-Thema dieses Landtages laut Meinungsumfrage, nämlich zum Thema Integration. Versprochen war im Koalitionsvertrag, eine Initiative für die Einführung eines Ausländerwahlrechts zu ergreifen, um Menschen, die lange bei uns leben, endlich auch das Recht der demokratischen Mitwirkung zu geben. Der Landtag hat das noch einmal bekräftigt. Die Landesregierung hat nichts getan in dieser Richtung.

Versprochen war im Koalitionsvertrag ein Modellprojekt zur anonymisierten Bewerbung, um auch Menschen mit Migrationshintergrund eine bessere Möglichkeit zu geben, sich frei von Diskriminierung - auch unterbewusster Diskriminierung, zum Beispiel wegen ihres Namens - im Landesdienst bewerben zu können. Ein solches Modellprojekt hat es nie gegeben.

Sie haben im Koalitionsvertrag eine Initiative zur Abschaffung der Abschiebehaft versprochen. Stattdessen stimmen Sie auf Bundesebene ihrer Ausweitung zu. So viel zum Thema Umsetzung des Koalitionsvertrages im Bereich Integration.

(Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

Thema Transparenz und Mitbestimmung. Sie haben im Koalitionsvertrag - was uns auch wichtig war versprochen, ein Konzept zum Schutz von Hinweisgebern - Whistleblowern - vorzulegen. Das ist auch bitter nötig, weil bis heute Hinweisgeber in unserem Land oft mehr Nachteile zu befürchten haben als die Täter, die sie anzeigen wollen. Was sagt die Landesregierung zu dieser Vereinbarung im Koalitionsvertrag? - Man sehe keinen Regelungsbedarf.

Haben Sie eigentlich das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes gelesen, Herr Albig? Er hat genau analysiert, inwieweit Whistleblower im öffentlichen Dienst bis heute nicht geschützt sind, Nachteile befürchten müssen und welcher große Handlungsbedarf besteht.

Wenn Sie so etwas im Koalitionsvertrag vereinbaren und versprechen, dann erwarte ich, dass es umgesetzt wird und nicht - wie im Dezember geschehen -, dass man vergessen hat, dass es diese Vereinbarung im Koalitionsvertrag noch gibt.

(Zuruf SSW: Ja!)

Im Koalitionsvertrag war eine betragsgenaue Veröffentlichung der Nebeneinkünfte von Abgeordneten versprochen. Wir haben es gestern erst diskutiert. Versprochen, gebrochen. Sie haben nichts in dieser Richtung getan. Sie sind weit hinter Ihrer Ankündigung und selbst hinter dem Modell Bundestag zurückgeblieben.

Es hat keinen verstärkten Einsatz von freier und quelloffener Software in den landeseigenen Betrieben und Behörden gegeben. So viel zum Thema digitale Revolution, Herr Ministerpräsident. Sie haben das Thema in den vergangenen fünf Jahren fast völlig verschlafen und verlieren sich gegen Ende Ihrer Regierungszeit in Allgemeinplätzen einer Beta-Agenda, die bezeichnenderweise tatsächlich ohne Internetbeteiligung erarbeitet wurde, und die auch mit keinem Cent Haushaltsmitteln hinterlegt ist. Das ist nicht der richtige Weg zur Gestaltung der digitalen Revolution.

Einen versprochenen „Tag der Bürgerbeteiligung“ in Schleswig-Holstein hat es in dieser Form leider an keinem Tag gegeben.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Jeder Tag! - Burkhard Peters [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jeder Tag! - Dr. An- dreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jeder Tag!)

Was das Thema Mitbestimmung angeht, Herr Ministerpräsident, Sie haben das Thema Windenergieplanung angesprochen. Bei der aktuellen Planung erlauben Sie weniger Mitbestimmung als noch 2012 bei der Aufstellung der letzten Pläne, denn der Gemeindewille und der Bürgerwille ist Ihnen bei dieser Planung rein gar nichts mehr wert. Er wird nicht berücksichtigt. Er fließt nicht in die Abwägung ein. Sie versuchen nicht einmal, die gesetzlichen Grundlagen zu ändern, um Möglichkeiten der Berücksichtigung wieder einzuführen - wie sie eine ganze Reihe von Juristen durchaus sehen und wieder einführen. Ich sage Ihnen: Mit dieser Politik ernten Sie Proteststürme und gefährden das komplette Projekt der Energiewende in unserem Land.

(Zuruf Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Ministerin Kristin Alheit führt ein Gespräch mit Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Herr Abgeordneter, bitte entschuldigen Sie. - Notwendige Gespräche mit Regierungsmitgliedern

(Dr. Patrick Breyer)

würde ich bitten, außerhalb des Saales zu führen. Das Gespräch ist so intensiv, dass ich eingreifen muss.

(Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Machen wir! Klären wir später! - Zu- ruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

Danke schön. - Sie haben versprochen, dass Sie Schleswig-Holstein zu einem Vorbild für aktive Informationsfreiheit machen wollen. Und was soll tatsächlich morgen beschlossen werden? - Sie wollen das Bürgerrecht auf Informationszugang zertrümmern und verkürzen. Sie wollen weniger Transparenz in diesem Land, keinen Einblick mehr in die eigene Steuerakte, keinen Einblick in abgeschlossene Gerichtsverfahren, keinen Einblick in Rechtsgutachten des Wissenschaftlichen Dienstes.

(Heiterkeit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Herr Kollege Peters, in der mündlichen Anhörung haben die Sachverständigen selbst teilweise gefordert, lieber diesen Gesetzentwurf komplett zurückzuziehen, als ihn so zu beschließen. Es geht nicht, mit den eigenen Versprechensankündigungen so umzugehen. Ich weiß nicht, ob Sie es nicht können oder ob Sie es nicht wollen, Ihre eigenen Vereinbarungen umzusetzen. Wir haben uns darauf verlassen und sind in diesen Punkten enttäuscht. Das muss ich ganz ehrlich sagen.

(Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Oh!)

Ich hätte nicht gedacht, dass es Ihnen so wenig Wert ist, was Sie selbst vereinbart und versprochen haben.

Sie haben versprochen, die geringe erlaubte Menge weicher Drogen zum Eigenverbrauch in Schleswig-Holstein anzuheben. Wenn wir das hier im Landtag beantragen, stimmen Sie tatsächlich unisono dagegen.

(Zuruf Dr. Kai Dolgner [SPD])

Wie soll der Bürger das verstehen, wie soll er das noch für verlässlich halten, was Sie versprechen?

Thema Bürgerrechte: Im Koalitionsvertrag wurde beschlossen, die Videoüberwachung von Versammlungen einzuschränken. Tatsächlich aber haben Sie die Überblicksaufnahmen von friedlichen Versammlungen überhaupt erst möglich gemacht und ausgeweitet, die im Bundesversammlungsgesetz nicht vorgesehen waren, Herr Kollege Peters, Sie wissen es.

(Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Extrem eingeschränkt!)