Protocol of the Session on February 22, 2017

(Dr. Ralf Stegner)

Holsteiner erwarteten von uns, dass wir massenhaft abschieben. Ich war vorgestern Abend in Quickborn und habe dort Ehrenamtler getroffen, die Flüchtlinge unterstützen. Das sind 150 in dem kleinen Ort Quickborn. Ich sage Ihnen: Das sind Leute, die nicht unbedingt dem linksradikalen oder linksliberalen Lager zuzuordnen sind. Das ist zum Teil Ihr Klientel. Das sind Leute, die Ihnen nahestehen, und die sagen: Sind Sie denn verrückt geworden? Ich setze meine Arbeitszeit oder meine ehrenamtliche Zeit dafür ein, um mich um die Leute zu kümmern. Die wollen integriert werden, und jetzt müssen sie jeden Tag damit rechnen, abgeschoben zu werden. Die können sich nicht auf ihre Deutschkurse konzentrieren. Die können kein Praktikum anfangen. Sie bekommen keine Wohnung. - Und Sie erzählen mir, die Schleswig-Holsteinerinnen und SchleswigHolsteiner wollen massenhaft Abschiebung. Das ist absurd. Das ist völlig neben der Lebenswirklichkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Meine Damen und Herren, zu den drei Monaten. Sie sagen, machen Sie es als Regierung doch so wie andere Bundesländer, nämlich mit Einzelfallprüfung. Das kann man machen, ja. Wenn es denn hilft, ist es gut. Aber die drei Monate - auch das ist dort klargeworden - verschaffen den Geflüchteten zumindest für diesen Zeitraum, sofern sie kein Dublin-Fall und auch kein Straftäter sind, eine gewisse Sicherheit. Sie können sich darauf konzentrieren, wie sie ihr Leben organisieren oder wie sie Integrationsangebote wahrnehmen.

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

- Ja, was ist danach? Herr Kubicki, das ist eine berechtigte Frage.

(Zuruf)

- Ja, Herr Kubicki darf das fragen! Er ist im Moment ja nicht im Bundestag oder in der Regierung. Danach ist der Ball wieder im Spielfeld der Bundesregierung, an der Sie auch beteiligt sind. Es geht darum, dass die drei Monate genutzt werden, die Lageeinschätzung zu überprüfen. Die Lageeinschätzung wird zwar vom Auswärtigen Amt gemacht. Aber das Auswärtige Amt holt seine Informationen auch vom UNHCR. Da sitzen nicht lauter Beamte oder Diplomaten und fahren durch das Land, sondern sie holen ihre Informationen von den Leuten vor Ort, unter anderem vom Roten Kreuz,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Die sind auch vor Ort!)

das, wie Sie wissen, seine Arbeit in Afghanistan eingestellt hat. Sie holen ihre Informationen vom UNHCR und unter anderem von UN-Institutionen, die dort militärisch tätig sind. Sie alle sagen, dass die Lage nicht sicher sei. Insofern ist unser Anliegen gegenüber der Bundesregierung, eine Neueinschätzung vorzunehmen, völlig legitim und richtig.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Frau von Kalben, ist Ihnen bewusst, dass die Bundesrepublik Deutschland in Kabul eine Botschaft unterhält und dass ein wesentlicher Teil der Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes auf eigenen Beobachtungen eigener Mitarbeiter in Afghanistan beruht?

- In der Botschaft?

- Die sitzen ja nicht nur in der Botschaft. Also, ist Ihnen das bekannt, ja oder nein? Die sind auch im Land unterwegs, Frau von Kalben.

- Die Botschaftsmitarbeiter fahren durch die Gegend und gucken sich die Sicherheitslage an, oder sie holen sich die Informationen zum Beispiel von Hilfskräften vor Ort.

Es ist möglich, eine Frage zu stellen und darauf zu antworten.

Entschuldigung.

Es ist auch möglich, eine weitere Frage zu stellen. Ich erteile dann dazu das Wort. Wären Sie bereit, eine weitere Frage zuzulassen?

(Eka von Kalben)

Bitte!

Herr Präsident, es nutzt ja nichts, weil Frau von Kalben über die Funktionsweise von Botschaften offensichtlich nicht unterrichtet ist. Selbstverständlich fahren Botschaftsangehörige im Land umher, wie in Deutschland übrigens auch, um eine persönliche Einschätzung zu gewinnen. Dass Ihnen das nicht bekannt ist, tut mir leid.

(Wolfgang Kubicki [FDP] begibt sich zurück zu seinem Platz)

Ich darf aber noch antworten, oder?

Herr Abgeordneter Kubicki, Frau Abgeordnete von Kalben wollte Ihnen gern antworten.

Lieber Herr Kubicki, auch wenn Sie nicht so lange stehen mögen oder können, antworte ich Ihnen gerne. - Herr Kubicki, natürlich informieren sich die Botschaften vor Ort; das ist völlig klar. Das tun sie, indem sie Gespräche mit den Menschen führen, die vor Ort tätig sind. Sie unterhalten sich natürlich mit denjenigen, die dort als Hilfskräfte arbeiten, die im Militär eingesetzt sind oder mit Journalistinnen und Journalisten. Es ist doch nicht so, dass innerhalb der Botschaften irgendetwas vom Himmel fällt, sondern sie holen sich die Informationen genau von denjenigen, die zum Beispiel UNHCR-Berichte und Amnesty-Berichte und so weiter machen. Ich hoffe jedenfalls, dass unsere Botschaften mit diesen Institutionen reden.

Frau von Kalben, nunmehr möchte Ihnen der Herr Abgeordnete Burkhard Peters eine Frage stellen.

Er kommt jetzt dran.

Ich habe das jetzt so verstanden, dass Sie es nicht zulassen.

Doch, gern.

Sie lassen es doch zu?

Ich war noch so konzentriert. Sehr gern, ja.

Sie es lassen es also doch zu. Bitte!

Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, dass in der gerichtlichen Praxis der Verwaltungsgerichte die Auskünfte des Auswärtigen Amtes eine große Rolle spielen, dass sie aber in Gerichtsverfahren von den Gerichten selber sehr häufig als nicht seriös angegriffen werden und dass sich Verwaltungsgerichte ganz im Gegensatz zu Auskünften des Auswärtigen Amtes - sehr oft auf die Erkenntnisse und auf die Stellungnahmen von NGOs berufen?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist juristi- scher Unsinn!)

Ich glaube, das beweist, dass wir beides benötigen. Natürlich brauchen wir die Einschätzung des Auswärtigen Amtes als Vertreter unserer Regierung. Mindestens genauso wichtig sind die Einschätzungen von Nichtregierungsorganisationen, die unabhängig von politischen Interessen Einschätzungen vornehmen. Vielen Dank für den Hinweis.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich bleibe noch einmal bei der Einschätzung des Auswärtigen Amtes oder des UNHCR.

(Zurufe SPD - Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Vielleicht ist es sinnvoll, dass wir uns darauf verständigen, dass von hier vorn geredet wird. Jetzt hat die Abgeordnete von Kalben das Wort.

Danke. - Ich bleibe dabei: Selbst wenn man sich nur auf die Einschätzung des Auswärtigen Amtes stützen würde, was wir nicht tun, wäre noch die Frage, die immer noch im Raum steht und noch nicht befriedigend beantwortet wurde, welche Regionen denn nun wirklich sicher sind; denn die Regionen, die beschrieben werden, werden auch vom Auswärtigen Amt als volatil bezeichnet: Es ist also unklar. Es wird gesagt, es gibt ab und zu sichere Gegenden, aber das wechselt. Was mache ich denn dann mit jemandem, der nach XY abgeschoben werden soll? Heute ist es da vielleicht sicher, übermorgen nicht mehr. Soll der dann innerhalb Afghanistans umziehen, ohne soziale Netze und ohne dass er die Möglichkeit der Rückkehr hat? Das ist doch absurd.

Bei uns im Dorf wohnt zum Beispiel jemand, der geflohen ist, weil er das Schutzgeld an die Taliban nicht mehr gezahlt hat. Daraufhin ist seine Frau vor den Augen des Kindes überfallen worden, das jetzt hier lebt und sich hier integriert. Er hat keinen Schutzstatus bekommen und soll abgeschoben werden. Glauben Sie denn, selbst wenn sein Wohnort jetzt zufällig in einem sicheren Gebiet ist, dass der nicht von der Rache der Taliban bedroht ist? Und selbst wenn er es nicht wäre: Die Familie sagt, sie stürzen sich eher in die Elbe oder sonst wohin, als dass sie dahin zurückgehen. Sie haben einfach Angst. Das ist ja auch der Grund, warum es im Zusammenhang mit Abschiebung immer wieder Suizidfälle gibt. Insofern bin ich sehr dankbar, dass diese Landesregierung unsere Position hundertprozentig unterstützt. Ich unterstütze - andersherum den Kurs der Landesregierung in dieser Frage hundertprozentig.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich glaube, dass Herr Studt und Herr Albig hier wirklich ein starkes Rückgrat bewiesen und Haltung gezeigt haben. Dafür bin ich unglaublich dankbar, und ich bin stolz darauf, dass wir das hier in Schleswig-Holstein so machen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Letzter Punkt. Dass das alles ein Überraschungsangriff auf den Bundesinnenminister sein soll, wie er es aus meiner Sicht relativ hilflos in den „Tagesthemen“ von sich gegeben hat, das kann ich nun wirklich überhaupt nicht verstehen; denn wir diskutieren das öffentlich. Gut, nun muss der Bundesinnenminister nicht den Debatten im Schleswig-Holstei

nischen Landtag folgen; das kann man vielleicht verstehen. Aber er wird ja vielleicht einen Apparat dafür haben. Außerdem kann man sich bei Google Search so etwas zusammengefasst angucken. Allerdings hat er ohne Ende Briefe vom Innenminister bekommen. Es ist mitnichten so, dass es jetzt einen dreimonatigen Stopp gibt, der dann nach der Wahl flugs vorbei ist, und dass das genau auf den 8. Mai 2017 getaktet ist - also, wie absurd ist das? -,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sondern?)