Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 18/5085
Mit dem Antrag zu a) wird ein Bericht in dieser Tagung erbeten. Ich lasse zunächst darüber abstimmen, ob der Bericht in dieser Tagung gegeben werden soll. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich sehe, das ist der einmütige Wille des Hauses. Dann ist das einstimmig so beschlossen.
Für die Berichterstattung zu a) erteile ich dann das Wort für die Landesregierung dem Herrn Minister für Inneres und Bundesangelegenheit Stefan Studt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In jeder Landtagssitzung der letzten zwei Jahre beschäftigen wir uns mit den Menschen, die zumeist wegen der besonderen Lage in ihren Heimatländern zu uns nach Schleswig-Holstein, nach Deutschland gekommen sind. Ich denke, dass ich auch zu Beginn dieser Debatte und des Berichtes noch einmal sagen darf: Wir haben das hier in Schleswig-Holstein verdammt gut hinbekommen von der ersten Aufnahme bis zur Unterbringung.
Die zweite Flüchtlingskonferenz in Lübeck Ende letzten Jahres hat gezeigt, dass wir auch bei den vielfältigen Aspekten, die eine gelingende Integration ausmachen, auf gutem Wege sind.
Vielfach sind wir Vorbild für die Entwicklung in ganz Deutschland. Dafür gilt mein Dank, gilt unser Dank all denjenigen, die dazu im Haupt- und vor allem im Ehrenamt beigetragen haben.
In jeder meiner Reden hier im Parlament, aber auch quer durchs Land, habe ich allerdings immer wieder darauf hingewiesen, dass es auch eine Kehrseite gibt, nämlich: Nicht alle, die zu uns kommen, können tatsächlich auch bei uns bleiben. Diese Feststellung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz BAMF genannt, gegebenenfalls bestätigt durch eine gerichtliche Entscheidung aus Schleswig, ist für die Betroffenen hart. Emotional betroffen sind häufig aber auch diejenigen, die sich besonders um diese Menschen gekümmert haben; denn noch immer dauern die BAMF-Verfahren lange, zu lange. 20.000 offene Anträge aus unserem Land lagen dort Ende 2016 noch vor.
Die Zahl der vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländer wird daher noch weiter steigen. Deshalb war für uns schon früher klar: Die Konsequenz aus erhöhten Zugangszahlen sind notwendigerweise auch höhere Asylablehnungen. Wer nach Abschluss des asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Verfahrens vollziehbar ausreisepflichtig ist, muss entsprechend der geltenden Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland dieses Land verlassen. Diese rechtlichen Grundlagen setzen wir auch in Schleswig-Holstein um.
maß und Würde unter Wahrung humanitärer Grundsätze. Diese Prinzipien gelten nicht erst seit gestern.
Die aus der beschriebenen Kehrseite resultierenden Handlungserfordernisse hat die Landesregierung bereits vor zwei Jahren identifiziert. Deshalb haben wir schon 2015 mit einer strukturellen und soliden Neuausrichtung in diesem Bereich begonnen. Der erste Schritt dazu war die Entwicklung eines Rückkehrberatungskonzeptes, das das Landesamt für Ausländerangelegenheiten zusammen mit dem Diakonischen Werk Schleswig-Holstein erarbeitet hat. Dessen Ziel ist es, praktikable Maßnahmen zur Beratung und zum Management der freiwilligen Rückkehr zu entwickeln.
Der nächste Schritt war das im ersten Halbjahr 2016 initiierte Konzept eines integrierten Rückkehrmanagements. Dessen Kernpunkte sind der Aufbau eines Beratungsmanagements zur Rückkehr und Weiterentwicklung der Reintegrationsmaßnahmen. Auch die schon seit Jahren bestehende Beteiligung an den Bund-Länder-Rückkehrprogrammen wird ausgeweitet. Seit dem 1. Januar 2017 nimmt Schleswig-Holstein an weiteren Rückkehrprojekten, wie zum Beispiel eines für Rückkehrer in den Kosovo, teil. In diesem Jahr sind Beteiligungen an zwei weiteren Programmen geplant. Das sind die nächsten Schritte, die wir in diesem Bereich gehen werden.
Die Erfolge dieses Prozesses sind messbar: Im letzten Jahr gab es knapp 2.000, im vorletzten Jahr rund 1.400 freiwillige Ausreisen. Zum Vergleich dazu auch die Zahl aus 2014: 297. Insgesamt sind 2016 knapp 3.000 Menschen aus Schleswig-Holstein ausgereist. Diese dynamische Entwicklung wird sich auch in diesem Jahr fortsetzen.
Im Zuge der Umstrukturierung des Landesamtes für Ausländerangelegenheiten haben wir einen weiteren Schritt gemacht: Die zuständige Abteilung wurde 2015 aus Neumünster nach Boostedt verlegt. Sie ist seitdem dort zusammen mit den Vollzugskräften gebündelt und personell spürbar angewachsen.
Nun haben wir in Boostedt ein integriertes Rückkehrmanagement, und damit haben wir eine zentrale Stelle, die Abschiebungen organisiert, vorbereitet und umsetzt, sowohl in Amtshilfe für die Kreisausländer- und Zuwanderungsbehörden als auch in Eigenregie. Dieses Angebot wurde und wird von den Ausländerbehörden auch entsprechend angenom
men. Aber all das ist bekannt oder auch mehrfach öffentlich thematisiert und hier auch schon dargestellt worden.
Eine der letzten Entwicklungen hin zu einem veränderten Rückkehrmanagement durch diese Landesregierung war die Schaffung einer Landesunterkunft für Ausreisepflichtige in Boostedt. Bisher waren die Kreisausländerbehörden - mit Amtshilfe des Landesamtes - auch für die Abschiebungen aus Boostedt zuständig. Das ist die letzte Änderung, die wir zum Jahreswechsel vorgenommen haben, und die wir in der Ausländer- und Aufnahmeverordnung des Landes neu geregelt haben. Nun liegt die Zuständigkeit für Abschiebungen aus den Landesunterkünften vollständig beim Landesamt, das diese Maßnahmen organisiert und umsetzt. Damit werden die Ausländerbehörden der Kreise, die Zuwanderungsbehörden, künftig massiv entlastet werden. Und: Nicht nur hier gibt es eine enge Abstimmung auf der Arbeitsebene und auch eine enge Verfahrensbegleitung. Beispielsweise gibt es eine ganze Reihe von Workshops, die mein Haus für die Ausländer- und Zuwanderungsbehörden durchgeführt hat.
Sie sehen, meine Damen und Herren, wir sind in diesem Bereich gut und ordentlich aufgestellt. Für eine weitere Zentralisierung allgemeiner aufenthaltsrechtlicher Aufgaben beim Land sehe ich keine Gründe und keine Argumente. Wir haben substanzielle Verbesserungen und neue Strukturen auf den Weg gebracht und so einen Grundstein für eine funktionierende und wirkungsvolle Aufenthaltsbeendigung gelegt. Selbstverständlich ist, dass wir an den Maßnahmen weiterarbeiten und sie da fortentwickeln, wo Bedarfe sind, und zwar nicht im Elfenbeinturm, sondern im ständigen Dialog zwischen dem Land, den Kreisen und den kreisfreien Städten.
Sollten nach richterlicher Anordnung tatsächlich Menschen in Abschiebungshaft oder in Abschiebungsgewahrsam verbracht werden müssen, so haben wir hier funktionierende Kooperationen, die dann auch aktiv werden. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass wir unsere humanitären Grundsätze über Bord werfen und Menschen ins Gefängnis sperren, ohne sagen zu können, wann sie tatsächlich zurückgeführt und abgeschoben werden können. Abschiebungshaft ist eine freiheitsentziehende Maßnahme und damit ein schwerwiegender hoheitlicher Eingriff in das Freiheitsgrundrecht. Deshalb wird sie eben auch nur in Ausnahmefällen und nur
Noch einmal gesagt: Ja, Abschiebung ist das rechtliche Mittel, das bei uns auch Anwendung findet, wenn sich vollziehbar ausreisepflichtige Personen weigern, auszureisen, und wenn keine Abschiebehindernisse entgegenstehen. Das ist normaler Teil des Instrumentenkastens der Kreisausländer- und Zuwanderungsbehörden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun die Situation für das Land beschreiben, das derzeit besonders im Fokus steht: Afghanistan. Zunächst einige Zahlen: In Schleswig-Holstein werden derzeit 728 afghanische Staatsangehörige geduldet. Die Abschiebung ist bei diesen Menschen also vorübergehend ausgesetzt. 2016 sind 730 Personen aus Afghanistan als Flüchtlinge anerkannt worden. In 374 Fällen wurde subsidiärer Schutz gewährt und in zehn Fällen Asyl. Hier noch die gewünschten Zahlen aus den Vorjahren: 2012: 1.175 Erstanträge, 212 positive Entscheidungen; 2013: 1.450 Erstanträge, 245 positive Entscheidungen; 2014: 791 Erstanträge, davon 136 positiv beschieden; 2015: 1.524 Erstanträge, davon 232 positiv beschieden.
Duldungen werden oft aus persönlichen Gründen ausgesprochen. Nicht alle werden verlängert; auch das ist bekannt. Wenn das BAMF diesmal Wort hält, werden alle rückständigen Anträge bis Ende des Frühjahrs abgearbeitet sein. Hielte das BAMF trotz der eindeutigen Hinweise des UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, an seiner Entscheidungspraxis zu Afghanistan fest, könnten allein bis zum Jahresende gut 4.000 Afghanen vollziehbar ausreisepflichtig sein.
Ich halte es jedoch - das will ich auch hier in diesem Hohen Haus deutlich sagen -, insbesondere im Hinblick auf den Ihnen allen sicher bekannten UNHCR-Bericht von Dezember 2016, derzeit für unverantwortlich, Menschen dorthin zurückzuführen.
In völlig undiplomatischer Klarheit stellt die UNHCR dazu fest, die Entwicklung der Gesamtschutzquote sei überraschend angesichts der sicher
heitsrelevanten Entwicklung und steigender ziviler Opferzahlen, ein Höchststand seit 2009. Es ist unter humanitären Gesichtspunkten nicht nachvollziehbar und angesichts unserer völker- und menschenrechtlichen Verpflichtung höchst fragwürdig, aktuell normale Abschiebungen in dieses Land vorzunehmen. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist so volatil, dass ich die Rückführung dorthin nach dem beschriebenen Grundsatz von Sicherheit und Würde ernsthaft anzweifeln muss. Der Hohe Flüchtlingskommissar spricht in seiner Stellungnahme von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt auf dem gesamten Staatsgebiet Afghanistans - nach Definition des Europäischen Gerichtshofs.
In konsequenter Anwendung der EU-Qualifikationsrichtlinie müsste dies zumindest die Gewährung subsidiären Schutzes für schutzsuchende afghanische Staatsangehörige im Asylverfahren bedeuten. Aber bislang kommt der Bund dieser Verpflichtung nicht nach. Deshalb habe ich erwogen, Regelabschiebungen nach Afghanistan für zumindest drei Monate auszusetzen.
Lieber Herr Kubicki, wie Sie sicherlich wissen, ist in § 60 a des Aufenthaltsgesetzes geregelt, dass die oberste Landesbehörde unter anderem aus humanitären Gründen anordnen kann, dass die Abschiebung in bestimmte Staaten für bis zu drei Monate ausgesetzt wird.
(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Wolfgang Kubicki [FDP]: „Un- verantwortlich“ haben Sie gesagt! Die wer- den doch abgeschoben, oder nicht?)
Hierüber habe ich meine Länderkollegen in einem Konsultationsverfahren informiert und ihnen bis Ende Januar 2017 Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern. Dass dieses Vorgehen - mein Vorgehen, unser Vorgehen - nicht gänzlich abwegig ist, zeigen mir die vielen gleichlautenden Bewertungen wie zuletzt vom Bundesverband der Paritätischen oder auch die Einlassungen unserer Kirchen.
Meine Damen und Herren, Sie sehen, wir stellen uns auch dieser Herausforderung und betreiben die Rückführung abgelehnter Asylbewerber sowohl nach humanitären als auch nach rechtlichen Maßstäben konsequent und angemessen. Die Rückkehr in Sicherheit und Würde bleibt für die schleswigholsteinische Flüchtlingspolitik allerdings der entscheidende Maßstab.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landesregierung hat die im Ältestenrat vereinbarte Redezeit um 1 Minute und 30 Sekunden überzogen. Diese Zeit steht jetzt auch den Fraktionen zusätzlich zur Verfügung.
Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion der PIRATEN hat die Frau Abgeordnete Angelika Beer das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Studt, vielen Dank für Ihren Bericht. Er hat leider wenig zu Afghanistan, sondern viel Allgemeines enthalten. Wir führen diese Debatte auch, um endlich in der Öffentlichkeit zu erläutern, welche Schritte notwendig sind. Aber aus unserer Sicht ist das, was Sie gerade vorgetragen haben, absolut unzureichend.