Protocol of the Session on January 25, 2017

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ebenfalls nicht neu, aber für mich überraschend ist die Inbrunst, mit der Sie von der Landesregierung die Zustimmung zur Klassifizierung weiterer sicherer Herkunftsstaaten fordern. Marokko, Algerien und Tunesien sollen so eingestuft werden.

Erstens: Das Prinzip der sicheren Herkunftsstaaten bedeutet ausschließlich eine Verfahrensbeschleunigung und hat mit dem, was in den letzten vier Wochen in Deutschland diskutiert wurde, überhaupt gar nichts zu tun.

Zweitens: Aus den bisher als sichere Herkunftsländer eingestuften Staaten kamen 2016 gerade einmal 3 % aller Flüchtlinge in Schleswig-Holstein. Bei den davon nicht betroffenen Flüchtlingen aus den Maghreb-Staaten, Tunesien, Algerien und Marokko, reden wir lediglich über 0,37 % der insgesamt 10.000 Flüchtlinge. Das scheint mir nicht gerade ein Massenphänomen zu sein. Manche haben übrigens auch gute Gründe dafür, geflohen zu sein. Reden Sie einmal mit Homosexuellen. Insofern muss man also nicht so daherreden.

Eins will ich ganz deutlich sagen: Herr Kollege Günther hat hier einen Zusammenhang zwischen Abschiebepraxis und Sicherheitslage konstruiert. Das will ich hier ausdrücklich und entschieden zurückweisen. Das sind zwei völlig verschiedene Fragestellungen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Herr Kollege Günther, Sie sollten Trump nicht „gegen andere“ zitieren, wenn Sie hier so postfaktische Reden halten. Das sind wir von Ihnen gewöhnt. Aber wenn Sie Trump schon in Anspruch nehmen, dann eher für den Unfug, den er verzapft. Das machen Sie nämlich auch.

(Dr. Ralf Stegner)

(Vereinzelter Beifall SPD und Beifall Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich muss Ihnen ehrlich sagen: 99,9 % der Flüchtlinge in Deutschland haben mit Terrorismus genauso wenig zu tun wie 99,9 % der Deutschen. Das wollen wir hier einmal festhalten, damit das nicht immer falsch wahrgenommen wird.

(Vereinzelter Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Diese pauschalen Verdächtigungen passen Ihnen parteipolitisch in den Kram, angemessen sind sie nicht. Die wenigen Gefährder gehören in Abschiebehaft, damit sie nicht untertauchen können. Darüber reden wir aber zu einem anderen Tagesordnungspunkt, und zwar zu Recht im Rahmen eines anderen Tagesordnungspunktes.

Flüchtlingsfamilien haben nichts verbrochen, sie gehören nicht in Abschiebehaft. Mit dieser Koalition wird es kein Revival der Abschiebehaft in Rendsburg geben. Das können Sie fordern, so oft Sie wollen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, was war das für eine dolle Rede vom liberalen Kollegen Klug. Ich kann mich erinnern, dass Sie früher hier einmal der Auffassung waren, wenn Sie gegen die Atomkraft waren, andere in Ihrer Partei aber dafür, dass man Ihnen das doch bitte nicht vorhalten sollte. Aber hier stellen Sie sich jetzt hin und kritisieren, wenn andere in der SPD eine andere Auffassung haben. Was ist das eigentlich für ein Verhalten, wenn Sie solche Dinge hier machen?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sind die denn un- verantwortlich, die anderen?)

Entweder gilt das für alle, oder es gilt für keinen. Also stellen Sie sich nicht hier hin und tun Sie nicht so, als dürfte es unterschiedliche Meinungen nicht geben. Die gibt es fraglos in der kleinen FDP, aber auch woanders gibt es unterschiedliche Meinungen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber diese mora- lische Überhöhung! - Zuruf Wolfgang Ku- bicki [FDP])

- Sie sollten auf Ihren Blutdruck achten, Herr Kollege. Als Doppelkandidat haben Sie in diesem Jahr noch etwas vor sich!

(Heiterkeit SPD - Christopher Vogt [FDP]: Unterirdisch, Herr Kollege!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Beurteilung der Sicherheitslage in Afghanistan ist ohne Zweifel schwierig. So kommen auch Experten zu unterschiedlichen Einschätzungen. Wer sich aber mit den Berichten des UN-Flüchtlingshilfswerkes beschäftigt, die in jüngster Vergangenheit dramatisch ausfallen, der wird unserer Argumentation folgen können.

Ja, es gibt auch andere Lageeinschätzungen, und ich kann sie auch respektieren, aber ich muss sie nicht teilen. Wenn ich Kolleginnen und Kollegen sehe, die dieses Land nur mit Schutzhelm und Panzerweste bereisen, dann habe ich doch Zweifel, dass das Land für Zivilisten sicher ist. Was glauben Sie, warum Bundeswehrsoldaten und den Beschäftigten unserer Auslandsvertretungen in Afghanistan die höchste Stufe der Auslandszulage gewährt wird? Ja, Herr Kollege Klug, wir schicken keine Soldaten nach Ibiza und Mallorca, das ist schon richtig, und das hat auch gute Gründe, warum die anderswo sind. Das ist doch alles Unfug, was Sie hier gesagt haben.

(Heiterkeit und Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Kann man da einfach mal auf der Straße spazieren gehen? Wie ist das mit den Reisewarnungen für die deutsche Bevölkerung auf der einen Seite und Forderungen nach knackigen Abschiebungen auf der anderen Seite? - Das passt doch nicht zusammen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Vereinzelter Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und SSW)

Ich muss in allem Ernst sagen: Schneidig in Interviews Abschiebungen nach Afghanistan zu fordern, wenn man gemütlich im Polstersessel in Eckernförde oder Strande sitzt, das ist keine politische Heldentat, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das ist es wirklich nicht.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir sollten uns auch nicht vor dem Rechtsstaat verstecken. Ich habe immer Respekt, wenn der Oppositionsführer von seinen christlichen Werten redet. Ich frage Sie aber, was das eigentlich mit christlichen Werten zu tun hat, wenn man Forderungen gegen Familienzusammenführung und für Schikanen gegen Flüchtlinge so unterstützt.

Ich bekomme viele Zuschriften und Hilferufe - die bekommen Sie auch. Nehmen Sie die Familie aus Rieseby, Wahlkreis des Oppositionsführers und meiner engagierten Kollegin Serpil Midyatli. Es

(Dr. Ralf Stegner)

geht um eine Familie aus Afghanistan, die seit fünf Jahren hier ist. Sie sind Hindus, wurden in ihrer Heimat bedroht, der Sohn ist elf Jahre alt und leidet an Epilepsie. Mittlerweile ist er medikamentös eingestellt, sein Zustand entwickelt sich in Deutschland gut. Schulbegleiter, Schulleiterin und Kinderarzt können eine Abschiebung einfach nicht befürworten. Der Kreis prüft jetzt die Reisefähigkeit des Jungen, dessen gesundheitlicher Zustand sich in Afghanistan definitiv wieder verschlechtern würde. Ihr Glauben macht ihnen dort viele Feinde, sie erwartet ein Leben in Angst.

Jetzt kann man auf das geltende Recht verweisen ja. Man kann aber auch weiterdenken, man kann auch Gefühle zulassen. Ich finde, man kann eine Abschiebung nach Afghanistan unter solchen Umständen auch ablehnen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ein anderes Beispiel aus dem Kreis Segeberg. Bei einer schleswig-holsteinischen Familie lebt seit rund einem Jahr ein junges Paar, Anfang 20, aus Afghanistan. Seit einem halben Jahr sind sie Eltern, lernen beide Deutsch und sind Christen. Sie integrieren sich gut.

(Zuruf Serpil Midyatli [SPD])

Er hatte schon in seiner Heimat ein Medizinstudium begonnen, möchte hier eine Ausbildung machen. Ein nahegelegenes Krankenhaus würde ihm dies gern ermöglichen, er bekommt aber keine Arbeitserlaubnis. Die junge Familie steht Ängste aus, hat Angst vor dem, was einmal in ihrer Heimat war, Angst vor der Rückkehr. Der örtliche Pastor und die Kirchengemeinde unterstützen die Familie in ihrem Anliegen, zu bleiben. Was ist daran eigentlich christlich, solche Familien zurückzuschicken? - Nichts!

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Und das sagen die Kirchen, das sagen die auch Hilfsorganisationen.

Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Solche Beispiele bringen mich zum Nachdenken, sie machen einen manchmal auch ratlos und traurig. Ich finde, dass wir auf dem Schicksal dieser und anderer Menschen nicht unser parteipolitisches Süppchen kochen sollten. Das will ich hier ganz deutlich sagen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Deshalb weise ich diesen ganzen populistischen Punkt zurück, den der Oppositionsführer hier vorgetragen hat. Ich finde es schade, dass sich auch die FDP dem nicht entzieht.

Das, was die Frau Kollegin Beer hier zur Realität in Schleswig-Holstein gesagt hat, hat mit der Politik der Landesregierung nichts, aber auch gar nichts zu tun. Auch das will ich deutlich hier sagen.

(Christopher Vogt [FDP]: Ach, Herr Scholz ist ein Populist? Ihre Wahlkampfmaschine!)

- Sie haben das auch nicht verstanden. Ich schätze Sie ja sonst schon, aber so dumme Zwischenbemerkungen, Herr Kollege Vogt! Die waren bei Ihnen auch schon intelligenter.

(Christopher Vogt [FDP]: Herr Stegner, Ihre Rede ist so unterirdisch!)

Ich finde, beim Thema Humanität sollte man sich verkneifen, in solcher Pauschalität über andere zu urteilen.

(Lachen Christopher Vogt [FDP] und Uli König [PIRATEN])

Ich kann Ihnen nur sagen: Wir stellen unser Recht nicht infrage, aber wir fühlen mit den Menschen, die bei uns vor Krieg, Folter und Verfolgung Schutz suchen. Wir legen dieses Recht so human wie möglich aus. Ich danke allen, die dabei mithelfen. Mit der Küstenkoalition wird sich an diesem Maßstab in diesem Haus nichts ändern. Darauf können Sie sich verlassen.

(Anhaltender Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und SSW)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, begrüßen Sie gemeinsam mit mir auf der Besuchertribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags Schülerinnen und Schüler der Jacob-Struve-Gemeinschaftsschule aus Horst in Holstein. - Herzlich willkommen!

(Beifall)