Protocol of the Session on December 16, 2016

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass wir überhaupt keine Veranlassung sehen, hier heute ein Bekenntnis des Landtags abzulegen zu einem Thema, das überhaupt kein aktuelles Regierungsthema ist.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Für Sie nicht, weil Sie keinen Doppelpass haben, aber für die Menschen schon! - Unruhe)

- Gibt es in Berlin vielleicht irgendwelche Anzeichen, dass die Bundesregierung vorhat, den Koalitionsvertrag aufzukündigen?

(Zurufe SPD)

Sie konstruieren hier einen Skandal, den es in keiner Weise gibt. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen.

(Beifall CDU - Wolfgang Baasch [SPD]: Einfach die Größe haben und sagen: Das war ein Scheißbeschluss! - Dr. Heiner Garg [FDP]: Das wäre unparlamentarisch, aber richtig! - Weitere Zurufe)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Eka von Kalben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Damerow, natürlich war ich darauf eingestellt, dass Sie sagen würden, diese Debatte spiele hier überhaupt keine Rolle,

(Beifall Hans-Jörn Arp [CDU])

weil es ja nur der Bundesparteitag der CDU war und in der Großen Koalition - Dank an die SPD im Moment keine Mehrheit dafür da ist, etwas zu verändern.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Meine Damen und Herren, wir haben hier schon häufig über Bundesthemen gesprochen, auch über sichere Herkunftsländer; dazu gab es - glaube ich - einen PIRATEN-Antrag. Natürlich müssen wir als Menschen, die gewählt sind, eine Position dazu haben und die auch deutlich machen.

Ich fand es wichtig, diesen Dringlichkeitsantrag hier einzubringen. Das Thema hätte sich auch für eine Aktuelle Stunde geeignet; das ging aus anderen Gründen nicht. Das Wichtige war die Ankündigung Ihres Fraktionsvorsitzenden - den ich heute leider nicht persönlich angreifen kann und dem ich von Herzen gute Besserung wünsche -, das Thema der doppelten Staatsbürgerschaft wieder zum Wahlkampfthema zu machen. Das muss uns hochgradig besorgen.

(Lebhafter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SPD, FDP, PIRATEN und SSW)

In einer Situation, in der wir uns alle gemeinsam darum sorgen, dass die AfD hier einzieht und wir uns hier fünf Jahre lang mit Rechtspopulisten auseinandersetzen müssen, in so einer Situation anzukündigen, dass das Wahlkampfthema wird, mit der

(Astrid Damerow)

Befürchtung, dass Sie wieder Straßenstände machen wie damals in Hessen und die Leute fragen: „Wo darf ich hier gegen die Ausländer unterschreiben?“, besorgt uns das, und das ist ein wichtiges Thema für diesen Landtag.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP, PIRATEN und SSW)

Damit nicht genug, Sie fahren auch einen massiven Angriff auf diejenigen, die schon lange bei uns leben und ihre Kinder hier aufwachsen lassen. Ich glaube, niemand kann das besser ausdrücken, als Frau Midyatli das eben getan hat. Ohne Not und ohne sachlichen Grund verkünden Sie: Eure Kinder gehören nicht dazu, ihr gehört nicht dazu. - Damit verunsichern Sie nicht nur die von der Optionspflicht Betroffenen, sie verunsichern alle Bürgerinnen und Bürger im Land.

(Zuruf Tobias Koch [CDU])

- Herr Koch, Sie sagen es indirekt doch. Gerade in letzter Zeit gab es jede Menge Untersuchungen, Dokumentationen zur Situation der türkischstämmigen Menschen in diesem Land.

(Zurufe - Glocke Präsident)

Darf ich ihm kurz antworten? - Es geht auch um die Erdogan-Anhänger. Wenn wir ehrlich sind, ist das doch der wahre Hintergrund für die Forderung der Jungen Union.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP, SSW und Sven Krumbeck [PIRA- TEN])

Das ist doch der Grund! Meine Damen und Herren, genau das ist das Fatale, wenn Frau Damerow sagt, man sei grundsätzlich gegen Mehrstaatlichkeit, grundsätzlich. Das heißt, bei 60 Ländern nicht, aber bei den türkischen Menschen, die hier wohnen, die wirklich Teil dieses Landes sind - das bestreiten Sie ja auch nicht -, sind Sie gegen eine Mehrstaatlichkeit. Das ist kein neutraler Blick auf die Mehrstaatlichkeit, sondern das ist ein Frontalangriff auf die türkische Bevölkerung im Land.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Frau Fraktionsvorsitzende, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stegner?

Bitte schön.

Liebe Frau Kollegin von Kalben, ist es nicht auch so, dass die Verbindung vom Grundsätzlichen zum Praktischen darin besteht, dass alle Kinder, die hier geboren sind als Kinder nicht deutscher Eltern, vor diese Entscheidung gestellt werden, wenn die doppelte Staatsbürgerschaft nicht da ist? Ist es nicht auch deswegen von praktischer Bedeutung, gerade in dieser Zeit - weil das bestritten worden ist -, weil die einzige Partei, mit der die Union das durchsetzen könnte, die AfD ist, die wir nicht im Landtag haben wollen? Das sind doch die beiden Verbindungen von Grundsatz und Praxis.

Lieber Herr Stegner, ich teile Ihre Position, dass die Frage von hoher praktischer Bedeutung ist. Wir diskutieren auch über Nachwuchsprobleme, zum Beispiel in der Polizei oder Verwaltung, wo wir nur Leute mit deutscher Staatsbürgerschaft einstellen können. Einen großen Teil des Nachwuchses, den wir da brauchen, Menschen mit Migrationshintergrund, schließen wir komplett aus. Oder wir sagen ihnen: Ihr müsst auf eure türkische Staatsbürgerschaft verzichten und seid letztendlich in einer Zwangssituation. Wenn ich gleichberechtigter Teil dieses Landes sein will, muss ich die deutsche Staatsbürgerschaft haben, weil ich sonst auch nicht wählen kann. Ja, diese Frage hat eine große praktische Relevanz. Natürlich wäre so etwas - Gott sei Dank - zurzeit nur mit der AfD durchsetzbar.

Ich schließe gern noch einmal bei dem Punkt AfD an. Wenn Sie sagen, es sei besorgniserregend, dass ein großer Teil der Menschen mit türkischem Hintergrund zurzeit Erdogan wählt, dann teile ich diese Sorge. Auch ich finde das nicht schön; das ist nicht die Partei, über die ich mich freue, dass sie gewählt wird. Über 60 %, mehr als die Türken, die in der Türkei leben. Aber ist denn irgendjemand auf die Idee gekommen, Menschen den Pass zu entziehen, die die AfD oder NPD wählen? Man darf mit einer Staatsbürgerschaft - egal ob der deutschen oder türkischen - in einem demokratischen System wählen, wen man möchte. Es kommt doch auch keiner auf die Idee, den Leuten, die Trump gewählt haben, die amerikanische Staatsbürgerschaft abzunehmen.

(Zuruf SPD: Interessanter Gedanke!)

(Eka von Kalben)

- Interessanter Gedanke. - Das ist doch das wahrlich Perfide: Es geht nicht um die Staatsbürgerschaft der Russen, der Amerikaner, der EU-Bürger, die alle ihren Pass behalten dürfen. Es geht hier um die Bedienung von Stammtischparolen. Es wird irgendetwas kreiert wie bei dem Burka-Verbot oder der Schweinefleisch-Pflicht. Es werden irgendwelche Dinge in den Raum geworfen, und irgendetwas bleibt immer hängen. Das ist das Schlimme daran.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich würde mich freuen, wenn sich die CDU in Schleswig-Holstein davon distanziert. Deshalb wäre es ein großes Zeichen, wenn Sie der Resolution zustimmen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich in die Sachdebatte einsteige, einige Vorbemerkungen. Man muss Frau Damerow darauf hinweisen, dass es um einen Antrag geht, der auch von der FDP mitgetragen wird. Wir sind nicht Bestandteil der Regierungskoalition, jedenfalls noch nicht. Deshalb ist das kein Regierungsklamauk oder Regierungskoalitionsklamauk, sondern dann auch liberaler Klamauk, Frau Damerow. In der Vergangenheit sind auch wir Freie Demokraten wegen der Beschlusslage unserer Bundespartei vors Brett genommen worden, und wir haben immer wieder erklärt, wie unsere Haltung dazu ist, beispielsweise zur Frage der Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. Man kann als Landespartei oder Einzelperson schon erklären, wo man selbst steht.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Ich hätte von Ihnen erwartet, dass Sie uns hier gesagt hätten, wie die Haltung der Landes-CDU ist denn das ist ein Thema, das die Menschen in diesem Land berührt - oder wie Ihre persönliche Haltung zu der Frage ist.

Sie haben ausgeführt - was ich ja begrüße -, dass die Union grundsätzlich gegen Doppelstaatlichkeit sei. Dann haben wir das Problem erfasst. Dann hätten Sie Herrn McAllister auffordern müssen, seinen

britischen Pass abzugeben. Denn er ist ja Deutscher und Brite. Stellen Sie sich einmal vor, der junge Mann McAllister hätte sich mit 21 Jahren entscheiden müssen, ob er Deutscher oder Brite sein möchte, und er hätte sich für die britische Staatsbürgerschaft entschieden - dann hätte er nicht Ministerpräsident in Niedersachsen werden können. Das wäre doch ein Verlust für Sie als Union gewesen.

(Zurufe)

- Für die Union, nicht für die Menschheit schlechthin wäre das ein Verlust gewesen.

In Wahrheit geht es Ihnen doch um die Frage - das begründen Sie auch in Ihrem Bundesparteitagsbeschluss -, dass Sie Loyalitätskonflikte befürchten gegenüber dem deutschen Staat, wenn man nicht nur die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Ich weiß nicht, ob die vielen Deutsch-Amerikaner, die es gibt, mit der doppelten Passsituation und die vielen anderen Menschen, die es mit der doppelten Passsituation gibt, oder die vielen jüdischen Menschen, die sowohl den deutschen als auch den israelischen Pass haben, Loyalitätsprobleme haben, weil sie den doppelten Pass haben. Es gibt aber eine ganze Reihe von Deutschen, die Loyalitätsprobleme in Deutschland haben, obwohl sie ausschließlich einen deutschen Pass haben, beispielsweise die Reichsbürger.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich will mich jetzt gar nicht auf diese wirklich dumme Debatte einlassen, sondern einmal auf die verfassungsrechtlichen Probleme hinweisen. Wenn sich nach Ihrem Modell jemand nicht entscheidet und keine Erklärung abgibt, dann müssten Sie ihm den deutschen Pass entziehen. Die Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit ist aber grundsätzlich unzulässig. Ich empfehle Ihnen einmal die Lektüre der Begründung der einzigen Entscheidung zu einem solchen Fall durch das Bundesverfassungsgericht aus dem Jahr 2006. Das muss alles diskriminierungsfrei geschehen. Das bedeutet, Sie müssen dabei tatsächlich grundsätzlich die doppelte Staatsangehörigkeit untersagen. Sie müssten also den anderen auch den Pass entziehen - was Sie ja an sich nicht wollen. Vor allem hat das Verfassungsgericht gesagt, es muss ganz besondere Umstände geben. Es ist nur möglich, wenn beispielsweise die deutsche Staatsangehörigkeit erschlichen worden ist durch falsche Angaben. Nur dann darf dies wieder zurückgenommen werden. Ansonsten ist das grundsätzlich ausgeschlossen.

(Eka von Kalben)

Das Problem ist ja schon angesprochen worden: Es geht nicht nur um Konflikte in der Familie, sondern, wenn der türkische Pass zurückgegeben wird, hat die betreffende Person vor allem in der Türkei Riesenprobleme, wenn Erbschaften angetreten werden müssen; dann gibt es ein Riesenproblem, wenn Liegenschaften übertragen werden müssen. Das heißt, es geht auch um ökonomische Grundtatbestände in einer Welt, die immer offener wird, in einer Welt, in der wir um die besten Köpfe ringen, auch in Deutschland. Dort zu erklären: Wenn ihr zu uns kommt und euch hier integrieren wollt, auch Deutsche werden wollt, müsst ihr gleichzeitig -