Protocol of the Session on September 23, 2016

Man könnte den Eindruck haben, dass einige Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner ihren Sommerurlaub in Kansas verbracht haben. Das Bildungsministerium hat zur Erarbeitung der Fachanforderungen, die die bisherigen Lehrpläne

ablösen sollen, Fachkommissionen einberufen. An diesen waren die jeweiligen Fachaufsichten, die Landesfachberater, die Studienleiter und Vertreter der Lehrkräfte beteiligt, die durch ein Ausschreibungsverfahren ausgewählt worden sind. Das heißt, sie haben sich selbst beworben, sie wussten in dem Moment, als sie sich dafür ausgesprochen haben, was auf sie zukommt.

(Vereinzelter Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und SSW)

Sie wussten, wenn sie sich in der Abiturprüfungsphase befinden: Ja, ich habe mich parallel dafür beworben, an dem Diskurs teilzunehmen. Es ist ja keine Überraschung gewesen, etwas, was da auf einmal stattgefunden hat. Dieser Prozess hat sich wahrlich über Monate hingezogen.

Frau Abgeordnete, Sie wollen eine Zwischenfrage stellen. Ich sehe, dass der Abgeordnete gern bereit ist; er unterbricht seine Rede. Bitte schön!

Ich möchte den Kollegen Vogel gern fragen, ob er den Unterschied zwischen Mitgliedern der Kommission und Fachschaften innerhalb der Schulen kennt.

Natürlich kenne ich den, Frau Franzen. Im Gegensatz zu Ihnen habe ich einmal in so einer Einrichtung gearbeitet. Insofern weiß ich genau, was die Aufgaben einer Fachschaft sind.

(Vereinzelter Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und SSW)

Wenn sich jemand in dem Ausschreibungsverfahren bewirbt, sind das im Allgemeinen diejenigen, die in besonderem Maße Interesse daran haben, sich in eine Fachlichkeit einzuarbeiten. Es sind in hohem Maße diejenigen, die ohnehin schon eine Fachschaft leiten. Das sind natürlich nicht dieselben, denn diejenigen, die sich für eine entsprechende Kommission beworben haben, können ja nicht so einen breiten Teil darstellen. Unabhängig davon wusste jeder, auf was er sich beworben hat. Ich glaube, das sind absolute Fachleute, es sind nicht Personen, die nur Interesse haben, in dem Bereich zu arbeiten, sondern genau wussten, wovon sie sprechen.

Frau Klahn, vielleicht hätten Sie einmal mit den Schulen selbst sprechen sollen. Ich habe das diese

(Heike Franzen)

Woche wiederholt getan. Im Anschluss an einen Elternabend habe ich mit einer Biologielehrkraft aus dem E-Jahrgang gesprochen: Ja, sie hat bereits seit Längerem von den neuen Fachanforderungen gewusst. Ja, sie hält eine Neuausrichtung wegen veränderter schulischer Bedingungen für sinnvoll. Nein, sie war nicht begeistert, dass nun einzelne Unterrichtseinheiten überarbeitet werden müssen. Da gebe es aber nun wirklich Schlimmeres, da die Unterrichtseinheiten jedes Jahr überarbeitet würden, weil jeder Jahrgang evaluiert werde und seine individuellen Schwerpunkte setze.

Wie der Philologenverband nun zu behaupten, dass die gesamten Unterrichtsvorbereitungen in die Tonne getreten werden müssten, ist fernab jeder Realität.

(Beifall Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Zum einen gelten die neuen Fachanforderungen ohnehin nur für die beiden Biologie einführenden Jahrgänge, und ich kenne keine Lehrkraft - das soll jetzt wahrlich nicht despektierlich sein, Frau Klahn; inklusive mir, als ich noch Lehrer gewesen bin -, die gleich zu Schuljahresbeginn jede Unterrichtsstunde für das komplette Schuljahr minutiös ausgearbeitet hat. Jetzt wie der Philologenverband zu behaupten, dass alles, was in den Sommerferien erarbeitet worden ist, weil die ja sechs Wochen in den Sommerferien gesessen und jede einzelne Unterrichtseinheit, jede einzelne Unterrichtsstunde ausgearbeitet haben, in die Tonne getreten werden muss, stimmt definitiv nicht.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die alten Lehrpläne stammen aus den 90er-Jahren und sind über 20 Jahre alt. Es gibt neue Schulformen, veränderte bundesweite Abiturvoraussetzungen. Wer kann sich da eigentlich gegen neue Fachanforderungen wenden?

Wir haben im vergangenen Jahr eine Diskussion über die Entwürfe für Fachanforderungen in den Fächern Geschichte und Wirtschaft/Politik erhalten, die erwartungsgemäß - wie das bei diesen Fächern immer so ist - am heftigsten umstritten waren. Und jetzt kommt im Bereich Biologie, weil die Beratungen vermeintlich zu kurz waren, die ganze Debatte erneut hoch, diesmal für das Fach Biologie, das bei früheren Debatten um Lehrpläne keine Rolle gespielt hat. Wie meistens wurde der Philologenverband vorgeschickt, um den ganzen Diskussionsprozess in Zweifel zu ziehen und zu behaupten, das

Ministerium würde ohne ernsthafte Anhörung kurzfristig den Unterricht umkrempeln.

Es ist richtig, dass das Nachrichtenblatt des Ministeriums am 13. Juli 2016 vor den Sommerferien darüber informiert hat, dass die neuen Fachanforderungen mit Beginn des Schuljahres in Kraft treten. Natürlich wäre das zu kurzfristig, wenn man das erste Mal darüber informiert worden wäre. Aber ich habe schon dargelegt, dass es so natürlich nicht war. Denn diejenigen, die in der Kommission beteiligt gewesen sind, haben sich über einen langen, langen Zeitraum daran beteiligen können.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wie viel waren das denn? - Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwei Jahre!)

- Werter Herr Kubicki, die Zahl der Rückmeldungen, die es gegeben hat von verschiedenen Personen, die auch Sie gegebenenfalls erhalten haben, zeigen -

(Zurufe - Glocke Präsident)

Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort, und bitte keine „Gemetzel“ von Abgeordneten im Hintergrund.

(Anita Klahn [FDP]: Wir haben die Informa- tion, dass es ein Jahr gedauert hat! - Unruhe)

Ich verstehe nicht, was das ganze Thema im Landtagsplenum zu suchen hat. Ich zitiere aus der Pressemitteilung von Frau Klahn:

„Mit Lehrplänen macht man keine Politik.“

Genau das tun Sie. Sie fordern Lehrpläne abgestimmt auf jede Schulart. Solche Lehrpläne haben wir seit den 90er-Jahren nicht mehr. Wer dafür steht, dass Schulsysteme durchlässig und Wechsel möglich sind, kann nicht hinter die 80er-Jahre zurückwollen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir stehen für Durchlässigkeit und die Chance des bestmöglichen Schulabschlusses, während die FDP 2016 für das Schubladendenken einer ab dem vierten Schuljahr vorgeschriebenen Schulart steht.

Die Lehrpläne beziehungsweise Fachanforderungen sind nicht Sache des Parlaments, sondern des Bil

(Kai Vogel)

dungsministeriums. Eine Diskussion im Bildungsausschuss dazu hätte vollkommen genügt.

Wir lehnen den Antrag ab und bitten das Ministerium, uns im Bildungsausschuss über den aktuellen Stand der Diskussion über die Fachanforderungen zu berichten. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Anke Erdmann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die entscheidende Frage ist: Soll man sich eigentlich ernsthaft mit diesem Antrag der FDP auseinandersetzen? Wer solche Anträge in dieser Breite stellt, sollte mal die Fachanforderungen überprüfen, die er an sich selbst stellt.

Warum sage ich das? - Ich könnte ja noch verstehen, wenn Sie in diesem Fall einen einzelnen Prozess kritisieren würden. Aber wie viele Fachanforderungen sind eigentlich inzwischen in Kraft getreten? - 23! 23 Fachanforderungen sind in Kraft getreten, werden an den Schulen umgesetzt, 11 zu diesem Schuljahr. Insgesamt gab es von diesen 23 Fachanforderungen drei, die kritisch sind, drei bei denen es Kritik gegeben hat.

Bei zwei Fachanforderungen - in diesen Fällen Wirtschaft/Politik und Geschichte, und das ist ja nun nicht sehr kritikwürdig, wie Frau Franzen das hier getan hat - ist ein Jahr drangehängt worden, weil man gesehen hat, dass es fachlich so problematisch ist, dass man dafür noch ein Jahr mehr Zeit braucht. Jetzt gibt es bei einer Fachanforderung von 23 eine Unebenheit, und die FDP fordert: Stopp! Moratorium! Auch für alle Fachanforderungen, die zum Teil schon seit ein oder zwei Jahren in den Schulen laufen. Die sollen jetzt auch alle gestoppt werden.

(Martin Habersaat [SPD]: Und der ganze Un- terricht müsste umgeplant werden!)

Frau Franzen, deswegen stimmt es nicht. Die FDP hat gesagt, es gehe hier nicht nur um Biologie, sondern darum, ein komplettes Moratorium für die Einführung neuer Lehrpläne einzuführen. Wenn es dann nun um die neuen Lehrpläne ginge, Frau Klahn, dann sehe ich das schon: Welche vier stehen

gerade noch aus? - Textillehre, Technik, Italienisch und Chinesisch. Ich schlage der FDP vor, eine Volksinitiative dazu aufzulegen.

(Heiterkeit und Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Da haben Sie so ein glückliches Händchen. Ich sehe schon die Menschen, die hier vor dem Parlament stehen und rufen: Stoppt die Fachanforderungen für Chinesisch - jetzt!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Noch einmal: Worum geht es? - 23 Fachanforderungen. Warum sind die notwendig geworden, warum macht man das und warum läuft dieser Prozess schon so lange? Ihnen ist ja offensichtlich vorher gar nicht aufgefallen, dass der läuft, sonst hätten Sie sich vorher schon aufregen können. Warum läuft der Prozess, warum brauchen wir eigentlich diese Fachanforderungen?

Wir haben eine neue Schulstruktur. G 8 wurde eingeführt. Wir haben eine Profiloberstufe. Wir haben auf Bundesebene eine Entwicklung, bei der es um Bildungskompetenzen, um Bildungsstandards und um Kompetenzorientierung geht. Das mag man kritisieren. Dabei muss man aber sehen, dass das ein Zeichen der Zeit in allen Bereichen ist. Deswegen ist es total notwendig, dass man mal die Lehrpläne überarbeitet. Herr Kubicki, wo Sie sich so gut in Schulqualität auskennen: Das ist einer der Aspekte, bei dem man sagt: Damit fördert man schulische Qualität, meine Damen und Herren.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich ha- be einen Abschluss gemacht, im Gegensatz zu manchen Abgeordneten der SPD!)

Wer nach einem Zweijahresprozess sagt, dass das Ganze überraschend komme - vor allem, wenn es in 20 Fällen komplett ohne irgendeine Kritik gegangen ist - und jetzt einmal grundsätzlich über Dialogkultur gesprochen werden müsse, der hat meines Erachtens eine kostenlose Empörungs-App heruntergeladen und kann die abspielen, wann immer er oder sie will.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das gilt insbesondere für Leute, die sagen, das sei ein „Nacht- und Nebeldekret“ oder es sei „über die Köpfe anderer Leute hinweg entschieden worden“.