Protocol of the Session on September 23, 2016

Ein Wort noch zu einem weiteren Element des Referentenentwurfs des Bundesjustizministers. Darin soll auch der Richtervorbehalt für das Entnehmen von Blutproben gegen den Willen der Betroffenen eingeschränkt werden. Das sehe ich kritisch, denn Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit von Menschen sind schwerwiegend. Hier sollte nicht ohne Weiteres und leichtfertig auf diese richterliche Überprüfung verzichtet werden.

Wenn wir den Antrag im Ausschuss beraten, würde es mich freuen, wenn wir die Frage mit einbeziehen, ob wir in unserer Stellungnahme nicht auch einige Worte zu dieser beabsichtigten Änderung verlieren müssten. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Vereinzelter Beifall PIRATEN)

Für die Abgeordneten des SSW hat jetzt Herr Abgeordneter Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Führerscheinentzug bei zu hoher Geschwindigkeit, Führerscheinentzug bei Trunkenheit am Steuer, Führerscheinentzug bei nicht gezahlten Unterhaltszahlungen; Letzteres passt dann irgendwie doch nicht so gut in diese Auflistung. Es geht wieder einmal um das Strafmaß: Strafe soll dort eingesetzt werden, wo es richtig wehtut.

Dabei geht diese Diskussion völlig am Thema vorbei, und das gleich in mehrerer Hinsicht. Zum einen muss man anerkennend sagen, dass die Gesetzgebung in Deutschland absolut tragfähig und eigentlich auch allumfassend ist. Zum anderen nehmen wir als SSW davon Abstand, der Justiz und den Gerichten indirekte Ratschläge zu erteilen. Der sogenannte Instrumentenkoffer der Gerichte ist meines Erachtens gut bestückt. Eine Klage diesbezüglich ist mir bis dato nicht bekannt.

(Vereinzelter Beifall PIRATEN)

Darüber hinaus hat es aus meiner Sicht schon einen gewissen Beigeschmack, wenn man meint, sich immer wieder über das Strafmaß unterhalten zu müssen. Wohin soll eine solche Diskussion führen? Wo endet sie? Welche Strafe ist eigentlich hart genug? Was für eine Sichtweise ist das überhaupt, meine Damen und Herren?

Für uns als SSW steht fest, der Bezug zwischen einer Tat und einer Strafe oder auch der Sanktion muss gegeben sein. Ein Fahrverbot bei Verkehrsdelikten macht Sinn. In anderen Bereichen sind mir die Sinnhaftigkeit oder gar die Hintergründe bis jetzt jedenfalls noch nicht deutlich geworden, zumal nicht jeder einen Führerschein besitzt.

Der Führerschein hat auch nicht für jeden den gleichen Stellenwert. Das ist von den Kollegen Klug und Rother schon gesagt worden. Der Unterschied zwischen dem ländlichen Raum mit einer großen Abhängigkeit von Führerscheinen und den städtischen Räumen mit einem perfekten ÖPNV und einer damit geringen Abhängigkeit von Führerscheinen ist eindeutig. Wir hätten hier also ein Sanktionsmittel, das unterschiedlich auf die Leute wirken würde. Das würde dem Ansatz, dass alle Menschen vor Gericht gleichbehandelt werden - das ist ein Grundsatz, der Verfassungsrang hat - widersprechen.

Gut funktioniert das beispielsweise bei den Geldstrafen. Diese werden seit jeher dem Einzelfall und dem Vermögen der Person angepasst und sind entsprechend abgestuft. Dieses System hat sich nach meiner Meinung bewährt. Die Gleichbehandlung vor Gericht muss für uns als Gesetzgeber die absolute Maxime sein. Diese Gleichbehandlung darf nicht ausgehöhlt werden.

Warum jetzt also ein zusätzliches Strafinstrument angedacht ist, erscheint mir zum heutigen Zeitpunkt nicht schlüssig. Zudem wage ich zu bezweifeln, dass denjenigen, für den eine Geldstrafe angeblich nicht angemessen ist, der Entzug des Führerscheins besonders schmerzt. Diese Vorstellung geht meiner Meinung nach völlig an der Realität vorbei. Müsste man dann den Motorradführerschein gleich mit entziehen? Und was ist mit Jagd-, Angel- oder Segelscheinen? - Sie merken schon, die Thematik wirft doch einige Fragen auf. Man muss sich aber, so glaube ich, keine Sorgen machen. Niemandem soll der Segelschein entzogen werden, das ist ganz wichtig. Aber wer weiß schon, wer in der Großen Koalition noch auf welche Ideen kommt. Es ist sicherlich nicht verkehrt, im Ausschuss noch einmal darüber zu beraten. Ich sage aber ganz deutlich: Wir haben wirklich intensiv nach positiven Beispielen dafür gesucht, wo eine solche Behandlung irgendeinen Sinn machen würde, wo ein Führerscheinentzug also irgendwie rechtlich nachvollziehbar und begründbar ist. Wir haben definitiv keine Beispiele finden können. Deswegen glaube ich, dass unsere grundlegende Skepsis immer noch berechtigt ist.

(Dr. Patrick Breyer)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder eine Bemerkung des Fraktionsvorsitzenden der FDP-Fraktion, Herrn Kubicki?

Okay, dann singen wir jetzt meinen Schlusssatz im Chor.

Herr Harms, es tut mir leid, dass ich jetzt erst dazu komme, meine Anmerkung zu machen, aber ich glaube, sie ist umso wichtiger. Wenn wir hier diskutieren, dann sollten wir darauf Wert legen, festzustellen, dass nur amtliche Papiere entzogen werden könnten. Das ist der Sportbootführerschein. Segelscheine sind private Geschichten des Deutschen Segler-Verbandes und keine amtlichen Dokumente. Insofern können sie gar nicht entzogen werden.

- Das mag so sein. Sie sind ein perfekter Jurist, lieber Kollege Kubicki. Ich sage es einmal so: Dieses Beispiel sollte eigentlich nur illustrieren, wie schnell man auf dumme Gedanken kommen und wie schnell man bestimmte Gedanken weiterführen kann. Ich nehme gern andere Beispiele.

Mir ist es einfach wichtig, noch einmal deutlich zu machen, dass man nur Dinge als Strafmaß anwendet, die in irgendeiner Art und Weise mit der Tat zu tun haben. Ich glaube, das einigt uns beide auch. Daher glaube ich, eine grundlegende Skepsis gegenüber diesem Vorschlag ist immer noch angebracht. Natürlich kann man darüber gern noch einmal im Ausschuss beraten. Sie merken aber schon, dass wir in der eigentlichen Bewertung nicht weit auseinanderliegen. - Vielen Dank.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen aus dem Parlament liegen nicht vor. - Jetzt hat die Landesregierung das Wort. Das Wort hat Frau Ministerin Anke Spoorendonk, die Justizministerin.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Bemerkung vorweg: Ich danke den Fraktionen für die gebrachten Redebeiträge, die allesamt die Finger in die deutlich gewordenen Wunden gelegt ha

ben. Es ist schon gesagt worden, Sie wissen, dass man seit mehr als zwei Jahrzehnten über die Erweiterung des Fahrverbots diskutiert. Das Bundesjustizministerium hat nun einen Gesetzesentwurf vorgelegt. Das ist der Hintergrund dieser Debatte, wir haben es also mit einem Referentenentwurf zu tun, der das Fahrverbot für alle Straftaten öffnet und damit den Zusammenhang zwischen der Straftat und dem Führen eines Fahrzeugs auflöst.

Fahrverbote sollen künftig, so ist es im Referentenentwurf nachzulesen, auch außerhalb von Verkehrsstraftaten verhängt werden dürfen. Überdies sieht der Entwurf vor, die Dauer des Fahrverbots von drei auf bis zu sechs Monate zu erhöhen. Dabei ist vorgesehen, dass das Fahrverbot eine Nebenstrafe bleibt, was bedeutet, dass ein Fahrverbot nur neben einer Geld- oder Freiheitsstrafe angeordnet werden darf.

Das Fahrverbot als eigenständige Sanktion im Erwachsenen- und Jugendstrafrecht einzuführen, erweitert die Gestaltungsmöglichkeiten bei der Strafzumessung. Wenn also beispielsweise zu erwarten ist, dass eine Geldstrafe allein keinen hinreichenden Eindruck hinterlässt, eine Freiheitsstrafe aber zu einschneidend wäre, dann könnte auch außerhalb von Verkehrsstraftaten ein Fahrverbot verhängt werden. Das ist die Philosophie, die dahintersteht. Dahinter steht auch der Gedanke, dass die Strafe spürbarer werden soll. Vereinfacht gesagt: Der Verzicht auf das Auto trifft empfindlicher.

Es darf aber nicht übersehen werden - auch das war Tenor der heutigen Debatte -, dass die Ausweitung auch die Gefahr einer Ungleichbehandlung von Kraftfahrern und Tätern ohne Kraftfahrzeuge birgt. Nicht jeder Mensch besitzt einen Führerschein oder ein Kraftfahrzeug. Deshalb kommt die Sanktion des Fahrverbots nicht für alle Menschen in Betracht. Hinzu tritt, dass die Belastung durch ein Fahrverbot je nach Lebenslage höchst unterschiedlich ist. Wir hörten gerade, dass in Flächenländern wie Schleswig-Holstein Fahrverbote härter treffen als beispielsweise in Berlin oder Hamburg. Während Großstädter ihre Alltagswege vergleichsweise unproblematisch mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen können, haben Einwohner ländlicher strukturschwacher Gegenden diese Möglichkeit nicht. Wer wirtschaftlich auf Mobilität angewiesen ist, den trifft ein Fahrverbot ungleich härter. Im Einzelfall kann dies auch existenzbedrohend sein.

Sicherlich lässt sich diese Ungleichheit in der tatsächlichen Wirkung dieser Strafart in einem gewissen Umfang durch die Berücksichtigung in der Strafzumessung ausgleichen. Ich denke, die Un

gleichheit könnte aber auch dazu führen, dass die Anwendung des Fahrverbots im Bereich der allgemeinen Kriminalität in vielen Fällen eher unterbleibt und dass sich die Hoffnung des Gesetzgebers auf einen breiten Anwendungsbereich überhaupt nicht erfüllt.

Mit der geplanten Erweiterung des Fahrverbots könnte auch eine Mehrbelastung der Gerichte einhergehen. Bei Verurteilten, die dringend auf ihre Mobilität angewiesen sind, steigt sicherlich die Bereitschaft, Rechtsmittel einzulegen, weil man erreichen will, dass das Fahrverbot wegfällt oder zu einem Zeitpunkt rechtskräftig wird, der weniger belastend ist.

Mit der Ausweitung des Fahrverbots auf alle Straftaten stellt sich zudem die Frage nach der Leistbarkeit einer Überwachung des Fahrverbots. Auch das ist schon thematisiert worden.

Also ist klar: Wenn das Entdeckungsrisiko gering ist, wird eine solche Strafe keine nennenswerte abschreckende Wirkung entfalten. Ob es hierfür ausreichend ist, der Gefahr ausgesetzt zu sein, anlassunabhängig durch die Polizei kontrolliert zu werden, wage ich zu bezweifeln.

Der Referentenentwurf ist zur Stellungnahme an die Länder und Verbände verschickt worden. Im weiteren parlamentarischen Verfahren wird man sich mit den dargestellten Bedenken, die auch die Schleswig-Holsteinische Landesregierung hat - das möchte ich hinzufügen -, vertieft auseinandersetzen sowie Vorteile, Nutzen und Voraussetzungen einer solchen Regelung mit den naheliegenden Schwierigkeiten sorgfältig abwägen müssen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Beantragt wurde, den Antrag Drucksache 18/4594 dem Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist einstimmig.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:

Moratorium für die Einführung neuer Lehrpläne (Fachanforderungen)

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/4509

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Anita Klahn.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In ihrem aktuellen Brief vom 15. September 2016 rühmt sich Ministerin Ernst für den Dialog, den sie mit Schulleitungen, Lehrkräften, Schülern und Eltern führt.

(Beifall Martin Habersaat [SPD], Anke Erd- mann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Sie spricht von konstruktiver Kritik sowie den wertvollen Anregungen, die sie aus den Gesprächen aufnimmt.

Frau Ministerin, wenn das so ist, frage ich Sie, warum Sie diesen Aspekten bei der Erstellung der Fachanforderungen überhaupt nicht nachkommen. Mehr als berechtigte Kritik entzündet sich aktuell an den Fachanforderungen Biologie. Davor hagelte es erhebliche Kritik für Geschichte und WiPo. Sie führte zur Überarbeitung der Entwürfe.

(Martin Habersaat [SPD]: Eben! - Zuruf An- ke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Damen und Herren, wäre die Kritik nicht so laut geworden, hätten Sie es durchgepeitscht.

Lassen sie mich am Beispiel von Biologie darstellen, wie die Erstellung der Fachanforderungen in der Praxis aus Sicht der Betroffenen abgelaufen ist.

(Martin Habersaat [SPD]: Böse Evolution!)

Es gab einmalige regionale Informationsveranstaltungen an den Schulen. Es gab eine vierwöchige Anhörungsfrist, allerdings in Ferienzeiten. In dieses Zeitfenster fiel unglücklicherweise die Korrekturphase der Abschlussklausuren. Erklären Sie uns, wie es in diesem Zeitfenster zu einer konstruktiven Auseinandersetzung in den Fachkollegien mit einem 80-seitigen Entwurf kommen sollte.

Trotzdem liegen dem Ministerium zahlreiche und sehr kritische Stellungnahmen vor. Die Reaktion zu diesen Stellungnahmen aus dem Ministerium war eher: Eine Rückmeldung zur Anhörung ist nicht vorgesehen. - So viel also zum Thema „Dialog“.

Unterschrieben haben Sie den Erlass zur Umsetzung bereits Anfang Juni 2016. Da waren die Stel

(Ministerin Anke Spoorendonk)

lungnahmen noch nicht komplett ausgewertet. Auch das ist ein Zeichen dafür, wie wichtig dem Ministerium Anregungen aus den Kollegien tatsächlich sind.