Protocol of the Session on June 9, 2016

(Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort hat der Abgeordnete Ralf Stegner von der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich unterstelle weder der FDP-Fraktion in diesem Haus noch gleich gar nicht Angehörigen der SPDBundestagsfraktion im Deutschen Bundestag, dass sie das Grundrecht auf Asyl einschränken wollten. Das tue ich nicht. Dass aber über die Frage, ob Verfahren dazu führen können, dass dieses Grundrecht de facto eingeschränkt wird, die Partei des Flüchtlings Willy Brandt leidenschaftlich streitet, darauf bin ich stolz - muss ich mal sagen. Es ist auch richtig so, dass wir das tun. Denn darum geht es in diesem Fall eigentlich und nicht um die Frage, ob man das bewirken will.

Dazu will ich sagen: Es gibt einen gewissen Unterschied. Wir haben hier schon vor Monaten dargelegt, dass das Konzept von sicheren Herkunftsstaaten nichts taugt, dass das kein gutes Prinzip ist. Wir haben bei den Ostbalkanstaaten mit der rot-grünenblauen Landesregierung darauf hingewirkt, dass das dort nur gemacht wird, wenn es Arbeitsmöglichkei

ten gibt und wenn gegen die Diskriminierung der Roma etwas unternommen wird. Das war der Beitrag Schleswig-Holsteins in diesem Verfahren - bei aller Skepsis demgegenüber.

(Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das will ich hier sehr, sehr deutlich sagen.

Und ja, wir sind in einer Großen Koalition in Berlin. Und ich muss ehrlich sagen, dieser Teil ist der unerfreulichste in der Zusammenarbeit, weil kein Millimeter Fortschritt für Menschlichkeit - was Flüchtlingsfragen angeht, Ausbildungsrechte für Jugendliche beispielsweise - mit einer Union, die den Seehofer mit im Gepäck hat, erstritten werden kann - ohne Schikanen auf irgendeiner anderen Seite. Das erleben wir permanent.

Heutzutage ist es so, dass in deutschen Parlamenten von Rechtspopulisten wieder gefordert wird, dass Homosexuelle in Deutschland inhaftiert werden sollen. Und in diesem Kontext muss ich sagen, möchte ich keine Verfahrensveränderung haben, die die Rechte in der Weise einschränken können, auch wenn man das nicht beabsichtigt. Und darum geht es.

Sich auch für solche Menschen einzusetzen, ist nicht so leicht, weil manchmal die Volkesmeinung in eine andere Richtung geht. Aber dass wir das tun, gereicht uns zur Ehre, meine sehr verehrten Damen und Herren. Und das will ich hier leidenschaftlich bekennen.

(Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Nun hat die Kollegin Eka von Kalben von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Garg! Ich habe mich noch einmal nach Ihrem Beitrag gemeldet, weil - wie Sie sich vorstellen können - ich Ihnen hundertprozentig abnehme, dass Sie sozusagen nicht wissentlich die Menschenrechtssituation in Nordafrika abstreiten wollen beziehungsweise Sie Wert darauf legen, dass es einen besonderen Schutz für die Bevölkerungsgruppe gibt. Das nehme ich Ihnen ab.

Aber ich habe eine vollkommen andere Einschätzung dazu. Ich glaube, das ist einfach der Unterschied.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin - das hat Herr Peters eben gut dargelegt nicht der Meinung, dass man in einem 48-StundenSchnellverfahren in sogenannten Ankunftszentren den gleichen Rechtsschutz genießt, wenn man dort aus einem Land, das als sicheres Herkunftsland definiert ist, ankommt. Das ist die Problematik. Diese Problematik bekommen wir auch nicht ausgeräumt.

Denn was ich von der Logik her nicht verstehe: Entweder sagen wir, der Schutz ist da, und es gibt die Möglichkeit, Schutz in Deutschland zu bekommen. Dann ist die Frage, wie wir eine Verfahrensbeschleunigung bekommen. Warum können wir da nicht sagen, die Menschen können Asyl beantragen, wir schaffen genug Personal im BAMF. Man kann auch so Fälle aus bestimmten Ländern vorziehen; man kann schon jetzt gucken, welche Länder hohe Anerkennungsquoten haben; auch jetzt wird schon eine Kategorisierung zum Beispiel in Menschen aus Afghanistan und aus dem Jemen vorgenommen. Deshalb brauchen wir diese zusätzliche Kategorisierung nicht.

Herr Andresen hat gut dargelegt, dass es eine fatale Wirkung hat, wenn wir bei dieser Menschenrechtssituation die Länder zu sicheren Herkunftsstaaten machen.

Insofern kommen wir da einfach zu unterschiedlichen Schlüssen. Für mich ist das jetzt sozusagen nicht eine Frage der moralischen Einschätzung, die Sie und ich dazu haben, ich komme in der Bewertung einfach zu einem anderen Schluss.

Liebe Frau Damerow, Sie haben das Thema Rückkehrmanagement genannt. Auch wenn es heute nicht Thema ist, so geht es ja in der Presse rauf und runter. Diese Regierung hat im Januar nach einem Bund-Länder-Beschluss der Diakonie einen Auftrag gegeben. Die Diakonie ist aus meiner Sicht nicht gerade die Institution, die Hardcore-Abschiebungen voranbringen will. Die Diakonie wurde beauftragt, ein Rückkehrmanagement in unserem Sinne mit zu entwickeln und uns dabei zu beraten, wie wir Rückkehrmanagement integrativ machen können. Ich weiß nicht, ob Sie dabei waren, aber wir hatten im Innen- und Rechtsausschuss Gespräche mit Vertretern der kommunalen Landesverbände. Sie haben gesagt: Wir brauchen Unterstützung bei der praktischen Durchführung.

Ich möchte gern, dass sich unsere Landespolizei, die einen ganz bestimmten Umgang mit Menschen hat, darum kümmert, denn ich habe sehr viel Ver

(Dr. Ralf Stegner)

trauen in unsere Landespolizei. Wir hatten ja gestern die Debatte darüber. Dass sich unsere Landespolizei darum kümmert, ist mir hundertmal lieber, als dass die Bundespolizei dies tut, bei der ich nicht weiß, was der Innenminister ihr mit auf den Weg gibt.

Insofern gibt es dort weder einen Kurswechsel, noch müssen wir uns von Ihnen, liebe CDU, Aufträge schreiben lassen. Das erzählen Sie jetzt in jeder Debatte. Wenn Sie morgen beantragen, Abgeordnete dürfen atmen, und wir holen Luft, dann ist das auch nur der CDU zuzuschreiben? - Das ist absurd.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Für die Landesregierung hat jetzt der Herr Innenminister Stefan Studt das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! In der Tat, es ist einmal wieder so weit, dass Politik, dass Bundesregierung, Landesregierung und Gesellschaft mitund untereinander diskutieren, ob es eine weitere Ergänzung der sicheren Herkunftsstaaten nach dem deutschen Asylgesetz geben soll. Algerien, Marokko und Tunesien sind diesmal Gegenstand der Debatte, und wie auch in der Vergangenheit, als wir diese Diskussionen - wie es hier auch ausgeführt wurde - schon geführt haben, ist diese Diskussion politisch geprägt, und das ist auch gut so. Sie wird mit Leidenschaft geführt, von Befürwortern genauso wie von Gegnern.

Ich bin Herrn Dolgner sehr dankbar dafür, dass er hier noch einmal in die Systematik eingeführt hat, über die wir hier eigentlich reden, nämlich über Artikel 16 a Absatz 3, der genau diese Voraussetzungen so eng beschreibt, wie er sie hier zitiert hat. Von daher möchte ich dies an dieser Stelle nicht wiederholen. Ich will aber deutlich zum Ausdruck bringen, dass ich diese Verfassungsregelung so verstehe, dass die Einstufung als sicheres Herkunftsland nur die Folge der Erfüllung dieser Voraussetzungen sein kann, und diese Wahrnehmung habe ich an dieser Stelle nicht.

Mit dem entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung aus dem März dieses Jahres sollte vielmehr versucht werden, die verfassungsrechtlich

normierte Möglichkeit zur Bestimmung sicherer Herkunftsländer zu nutzen, um das innenpolitische Ziel der Verfahrensbeschleunigung zu erreichen. Herr Kubicki, so haben Sie ja auch Ihre Rede begonnen, nämlich dass dies Ansatz und Motivation sei.

In der Gesetzesbegründung wurden zu allen drei betroffenen Staaten als Erfüllungsnachweis für die entsprechenden Voraussetzungen lediglich dortige verfassungsrechtliche und gesetzliche Entwicklungen in den Vordergrund gestellt. Zu Fragen der praktischen Umsetzung und der Lebenswirklichkeiten in den betroffenen Herkunftsländern besteht dabei offensichtlich aber eine verkürzte und deutlich zu optimistische Wahrnehmung. Auch dies haben wir schon in den Berichten aus anderen Bereichen gehört.

Der Bundesrat hat dies deshalb in sehr deutlicher Form in seiner Stellungnahme und seinem Beschluss vom 18. März 2016 in der ersten Lesung angemahnt und mit Blick auf die hohen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts die Bundesregierung noch einmal um eine ergänzende Beurteilung gebeten. Diese hat die Bundesregierung dann auch in einer neuen Gesetzesbegründung vollzogen beziehungsweise versucht zu vollziehen, die zwar ausführlicher ist, aber immer noch nicht restlos überzeugend ist, schon gar nicht im Sinne der Rechtsfolgen aus Artikel 16 a Absatz 3.

Daneben wurden neue Statistiken des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bemüht, nach denen selbst bei erheblich steigenden Entscheidungszahlen bei Asylverfahren aus den Maghreb-Staaten sinkende Schutzquoten zu verzeichnen sind. Ja, diese Tendenz ist erkennbar. Aber daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass dies in der Logik dazu führen würde, dass das sichere Herkunftsstaaten seien, dieser Logik kann ich nicht folgen, denn die Schutzquote ist immer nur ein Kriterium, sie ist aber wahrlich nicht das entscheidende Kriterium. Noch einmal, hier gilt das Grundgesetz.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

In der Gesamtschau der Sachlage stellt es sich jedenfalls für mich und für unsere Landesregierung so dar, dass aus diesem Gesetzentwurf deutlich mehr negative als positive Aspekte zu gewinnen sind. Auch schwingt immer noch deutlich die Intention der Bundesregierung mit, diese Regelung zur Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten eben nicht aus sich selbst heraus anzuwenden, sondern als Vehikel für Verfahrensbeschleunigungen. Das, meine

(Eka von Kalben)

sehr geehrten Damen und Herren, machen wir so nicht mit, und da sind wir uns in der Landesregierung und den regierungstragenden Fraktionen einig.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich bin mir sehr sicher, dass das gemeinsame Ziel einer zeitgerechten Verfahrensbearbeitung, und darüber diskutieren wir ja über all die Monate, auch durch entsprechende organisatorische Anpassungen und Prozessoptimierungen zu erreichen ist. Wir haben es ja schon gehört: In der Tat ist jetzt in Schleswig-Holstein in Neumünster ein Ankunftszentrum eingeweiht, das nächste in Glücksstadt steht kurz vor dem Start. Das ist mit hinreichend Personal hinterlegt, und die Verfahrensbeschleunigungen, die wir uns alle gewünscht haben, werden wir zumindest mittelfristig auch erreichen.

Gerade in diesen Tagen habe ich den Innen- und Rechtsausschuss eingeladen, sich einmal vor Ort die Verfahrensabläufe anzusehen und sich darüber ein eigenes Bild zu verschaffen. Wichtig ist in diesem Kontext, dass es neben den Ankunftszentren mit den beschleunigten Verfahren für die sogenannten A- und B-Cluster, also die sicheren Herkunftsstaaten auf der einen Seite und die sicheren Bleibeländer auf der anderen Seite, in Rendsburg in den nächsten Tagen die Eröffnung einer weiteren Einrichtung geben wird. Dort wird das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die komplizierteren Fälle bearbeiten, die zum sogenannten C-Cluster gehören.

Herr Minister, gestatten Sie eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Garg?

Ja, aber sicher.

Herr Dr. Garg.

Vielen Dank, Herr Minister. Ich habe Ihre Ausführungen mit Respekt zur Kenntnis genommen. Die Konsequenz aus Ihren Ausführungen ist dann aber, dass die Schleswig-Holsteinische Landesregierung im Bundesrat mit Nein stimmen wird? Habe ich Sie richtig verstanden?

Ja.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

In der Tat, das wäre mein Schlusssatz gewesen. Herr Garg, insofern nehmen Sie mir diesen fast vorweg zu diesem Komplex. In der Gesamtabwägung bleibt nur ein Schluss: Dieser Einstufung kann nicht zugestimmt werden, ihr wird nicht zugestimmt werden.

Herr Günther, erlauben Sie mir, etwas zu Ihren Ausführungen zur Innenministerkonferenz zu sagen. Sie sagen, mein Schreiben an den Bundesinnenminister sei populistisch und gehe im Grunde an der Realität vorbei. In der Tat, Sie haben recht in der Beschreibung der Gesamtsituation in unserer Welt. Es gibt nicht weniger Kriegs- und Bürgerkriegssituationen, es gibt in diesem Jahr nicht weniger Menschen, die auf der Flucht sind. Ganz im Gegenteil, die Lage ist dramatisch.

Was ich mit meinem Schreiben an den Herrn Bundesinnenminister und an den Chef des Kanzleramts bezweckt habe, ist eine gemeinsame Abstimmung in der Frage: Wie viel Vorsorge müssen wir eigentlich in den jeweiligen Ländern und in unseren Kommunen treffen, damit wir dieser unsicheren Lage Herr werden können? Ich möchte nicht, dass wir im parlamentarischen Bereich darüber streiten, ob 5.000 oder 10.000 Plätze richtig sind. Ich möchte, dass wir uns darüber verständigen, und zwar mit dem Bundesinnenminister und allen Innenministern der Länder. Nichts anderes ist mit diesem Schreiben intendiert. Wie gesagt, den Blick in die Glaskugel können weder Herr de Maizière noch ich oder wir hier im Parlament leisten.

Das Integrationsgesetz, das Sie angesprochen haben, ist gerade im Bundesratsverfahren. Da geht es unter anderem um die sogenannte Wohnsitzzuweisung. Dazu werden wir eine Stellungnahme abgeben, die sich mit der Wohnsitzzuweisung beschäftigt, aber nicht in dem Sinne, dass wir diese ablehnen, sondern dass wir klare und präzise Formulierungen brauchen, um diese landesrechtlich tatsächlich umsetzen zu können.

Ganz am Ende lassen Sie mich eines sagen: Sie stellen hier dar, ich, der Ministerpräsident und andere Mitglieder der Landesregierung hätten gerade in diesem Themenfeld keinen Gestaltungswillen. Ich finde, das ist wahrlich vermessen, denn Sie wissen genauso gut wie ich: In allen Diskussionen, die wir mit allen relevanten Organisationen führen, mit