Protocol of the Session on June 9, 2016

Frau Midyatli, ich will auf Ihren Redebeitrag eingehen. Sie haben die Abschiebung und die Zentralisierung der Abschiebung angesprochen. Jetzt so zu tun, als mache der Minister nur etwas, was es schon lange gibt, ist wohl ein Treppenwitz. Es ist mitnichten so. Sie verfahren hier so, wie Sie in der Vergangenheit bei ganz vielen Themen verfahren sind: Wir fordern etwas, Sie beschimpfen uns, Sie lehnen es mit Ekel und Abscheu ab, nur um es dann einige Monate später genau so umzusetzen.

(Beifall CDU)

Ich möchte darauf hinweisen, dass wir im September letzten Jahres einen Antrag gestellt haben

(Wortmeldung Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- ich lasse keine Zwischenfragen zu -, in dem wir gefordert haben zu prüfen, ob man Abschiebungen zentralisieren kann, um sie dann effektiver zu gestalten. Dieser Antrag ist von Ihnen damals abgelehnt worden.

Nun lesen wir in der Presse von vorgestern Abend, dass der Minister sagt: Ein Kernpunkt ist die Einrichtung eines Landesunterkunft für Ausreisepflich

tige und die Zentralisierung des Rückkehrmanagements beim Landesamt für Ausländerangelegenheiten.

Nichts anderes haben wir gefordert. Das Gleiche gilt übrigens für vieles andere, das wir in der Vergangenheit gefordert haben: Zunächst wird es von Ihnen vehement abgelehnt, und anschließend machen Sie es trotzdem. Ich erinnere nur an die Debatte über die Nichtverteilung von Flüchtlingen ohne Bleibeperspektive auf Kommunen. Das haben Sie zunächst auch vehement abgelehnt, nur um es anschließend genau so zu machen.

Insofern muss ich sagen, ich fand Ihren Beitrag, Frau Midyatli, recht unpassend. Im Übrigen appelliere ich eindringlich, dass das Land SchleswigHolstein im Bundesrat der Erklärung der MaghrebStaaten zu sicheren Herkunftsländern zustimmt. Anderenfalls fallen Sie Ihren Kollegen im Deutschen Bundestag heftig in den Rücken. - Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Nun hat die Abgeordnete Serpil Midyatli erneut das Wort, diesmal zu einem Kurzbeitrag.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Kollege Klug, Sie waren auch einmal in einer Regierung in Berlin, und Sie waren hier in einer Regierung in der gleichen Konstellation - so ähnlich, wie wir das jetzt haben. Ich habe Sie hier im Schleswig-Holsteinischen Landtag für das, was Sie dort in Berlin mit der CDU mittragen mussten, nie -

(Lachen CDU und FDP)

- Fragen Sie das Ihren ehemaligen Integrationsminister Emil Schmalfuß! Ich habe Sie jedes Mal in der Integrations- und Flüchtlingsdebatte herausgenommen und auf unsere Gemeinsamkeiten hingewiesen. Lieber Heiner, du kannst wirklich alle Protokolle, meine Reden, nachlesen. Das ist sogar so weit gegangen, dass Emil Schmalfuß einmal nach einer Debatte zu mir gekommen ist und gesagt hat: „Frau Midyatli, bitte nicht so sehr loben. Das macht immer so einen schlechten Eindruck. Wir haben hinterher immer Diskussionen mit dem Ministerpräsidenten a.D. Carstensen, weil Sie ständig den FDP-Minister loben.“

(Zurufe CDU und FDP)

Das können Sie gern nachfragen. - Ich beziehe das auf meine Reden.

Sehr verehrte Damen und Herren, Sie sind alle herzlich eingeladen, zum nächsten Landesparteitag zu kommen und mit uns intern eine Diskussion zu führen. Ich weiß nicht, seit wann es in diesem Land verboten ist, innerhalb einer Partei oder in den Ländern andere Positionen zu haben als im Bund und mit der Mutterpartei, wenn man auf Parteitagen zusammenkommt, zu streiten.

Ja, man hat nicht immer die gleiche Meinung. Wir in Schleswig-Holstein sind in vielen Bereichen eigentlich schon viel weiter gewesen. Ich nehme nur die Härtefallkommission oder andere Dinge, die wir in Schleswig-Holstein vorangetrieben haben. Die stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung ist damals mit der FDP zusammen getragen worden. Die CDU wusste damals, glaube ich, gar nicht so genau, was sie da mit uns gemeinsam beschlossen hat. Es waren viele andere Dinge.

Manche Dinge brauchen etwas Zeit. Aber ich verbitte mir, mir zu verbieten, hier eine eigenständige Meinung zu haben oder von mir zu verlangen, dass ich mit meiner Fraktion zu anderen Ergebnissen komme. Wo kämen wir denn da hin! - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Vereinzelter Beifall SPD - Daniel Günther [CDU]: Wo kommen wir hin, wenn man sich etwas verbittet?)

Nun hat das Wort der Abgeordnete Burkhard Peters von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Zurufe Serpil Midyatli [SPD] und Wolfgang Kubicki [FDP])

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte noch einmal Stellung zu der sinngemäßen Behauptung des Herrn Kollegen Kubicki nehmen, die auch in dem Antrag selber zum Ausdruck kommt, dass sich nämlich im Hinblick auf die Rechtsschutzqualität für Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten im Grunde nichts ändere. Das ist natürlich absolut nicht der Fall, sondern das ist eine ziemlich grob verkürzte Darstellung der tatsächlichen Rechtslage.

Denn die Verwirklichungschancen eines Grundrechts für Menschen, die aus diesen Staaten kommen, werden enorm reduziert,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Weshalb?)

weil Folge davon ist, dass sich die Beweislast umkehrt.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Nein!)

Es reicht nicht mehr die Darlegung der Verfolgungsgründe aus, man muss gegenüber der Behörde nicht nur darlegen, sondern beweisen, dass man verfolgt ist.

Vor allen Dingen - und das unterschlagen Sie dabei vollständig - sind die Rechtsschutzfristen in diesem Bereich extrem zusammengekürzt, für das Eilrechtsschutzverfahren nämlich auf eine Woche.

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Und nun kommt noch ein weiterer Faktor hinzu: Es sind jetzt vom Bundesamt diese neuen Entscheidungszentren eingerichtet worden - zwei Stück auch in Schleswig-Holstein. Dort werden diese Entscheidungen in kürzester Zeit, nämlich innerhalb von 48 Stunden, gefällt. Das heißt, diese Menschen sind kaum in Deutschland angekommen, können kein Wort Deutsch, sind über die hiesigen Rechtsund Lebensverhältnisse in keiner Weise informiert, wissen nicht, wie das hier läuft, und haben nach 48 Stunden einen Ablehnungsbescheid in der Tasche, gegen den innerhalb einer Woche ein Rechtsmittel eingelegt werden muss, und das vor dem Hintergrund einer komplizierten Rechtslage, die ganz schwierig ist.

In dieser Hinsicht ist es real so, dass der Rechtsschutz in diesem Bereich nicht gewährleistet ist. Deshalb weisen wir immer wieder darauf hin, dass es so hoch problematisch ist, Staaten zu sicheren Drittstaaten zu erklären.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- einzelt SPD und SSW - Zuruf Wolfgang Ku- bicki [FDP])

Und Herr Garg, Sie sagen, in 68 Ländern sei Homosexualität strafbar. Wieviel von diesen Ländern sind denn dann auch wirklich sichere Herkunftsländer? Das ist doch die entscheidende Frage, die in diesem Zusammenhang interessant ist. Können Sie uns die beantworten? - Danke.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- einzelt SPD und SSW - Zuruf Wolfgang Ku- bicki [FDP])

Nun hat Herr Abgeordneter Kai Dolgner von der SPD-Fraktion das Wort.

(Serpil Midyatli)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal möchte ich vorwegschicken, dass es langsam einen gewissen Grad an Albernheit hat, in der Debatte zu fragen, ob verschiedene Mitglieder einer Partei auch einmal verschiedene Meinungen haben und äußern dürfen, oder dass irgendwie auf Vorstandsämter und Ähnliches rekurriert wird.

Und um das einmal vorwegzuschicken, Herr Dr. Klug: Frau Midyatli, Herr Stegner und meine Wenigkeit sind mit dem Bundestag völlig im Reinen, denn Sönke Rix ist unser Bundestagsabgeordneter. Deshalb haben wir dazu auch keine strittige Debatte.

(Heiterkeit Martin Habersaat [SPD])

So. - Jetzt möchte ich auf eines hinweisen: Wenn das für die Betroffenen alles quasi so eine Lappalie wäre, frage ich mich, warum die Grundrechtseinschränkung „sicherer Herkunftsstaat“ extra ins Grundgesetz geschrieben worden ist. Unabhängig davon, was das im Verfahren bedeutet, möchte ich einmal an die Voraussetzungen, die der Bundesgesetzgeber und der Bundesrat damals beschlossen haben, erinnern. Da steht nämlich wörtlich in Artikel 16 a Absatz 3:

„Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrats bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen aufgrund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet.“

Das ist die Grundvoraussetzung für alles andere. Nun fordere ich alle auf, die das glauben, im Jahresbericht von Amnesty International für das Jahr 2015 zu Marokko nachzulesen und danach zu entscheiden, ob sie wirklich noch glauben, dass diese Voraussetzungen in Marokko zurzeit erfüllt werden. Da gibt es Kapitel zum Recht auf freie Meinungsäußerung, zur Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, zur Folter und zu unter Folter erpressten Geständnissen im Verfahren.

Und zum Thema Meinungsfreiheit: Versuchen Sie einmal, einen Artikel zum völkerrechtlichen Status der Westsahara in Marokko zu veröffentlichen, und dann sagen Sie mir, dass das unseren Standards von Grundrechten entspricht. Wenn das bei Ihnen der Fall ist, dann können Sie gern der Meinung sein, dass es sich um einen sicheren Herkunftsstaat handelt. Da muss tatsächlich jeder selber sein Gewis

sen prüfen, ob er ernsthaft glaubt, dass Artikel 16 a Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz in Marokko erfüllt ist. Alles andere folgt daraus.

(Wortmeldung Wolfgang Kubicki [FDP])

- Und ich lasse mich jetzt nicht auf weitere Spitzfindigkeiten ein.

Meine Entscheidung dazu steht vollkommen fest, völlig unabhängig davon, ob Herr Lischka etwas anderes im Bundestag sagt. Herr Lischka hat auch eine andere Auffassung zum Thema Vorratsdatenspeicherung als ich. Ich schätze ihn im Arbeitskreis Innen sehr, aber an der Stelle zoffen wir uns dann. Wenn ich die Möglichkeit habe, meine Meinung zu vertreten, dann tue ich das auch, völlig unabhängig davon, was im Bundestag gemacht wird.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Sonst bräuchten wir gar keine Landtage mehr zu wählen, sondern dann müssten die Landtage mit ihren Fraktionen ja nur das exekutieren, was die jeweiligen Bundesparteien exekutieren. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)