Protocol of the Session on June 9, 2016

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Günther -

(Zurufe)

Lieber Herr Günther, liebe CDU, es ist natürlich wichtig, dass wir Solidarität zwischen den Bundesländern üben. Wir sind nun wirklich die Letzten, die sich unsolidarisch verhalten.

(Lachen CDU)

Wie Sie wissen, verhandeln wir gerade mit Hamburg darüber, ob wir sie von besonders vielen Flüchtlingen entlasten können, weil wir Leerstände haben. Uns geht es in dieser Debatte um die Solidarität mit den Menschen, die in anderen Ländern verfolgt werden und hier Asyl bekommen. Um die Solidarität geht es uns in erster Linie.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn es nicht so traurig wäre, wäre Ihre Rede witzig: Sie behaupten, wir fielen der Regierung in den Rücken und unterstützten Frau Merkel nicht genug. Ausgerechnet uns das vorzuwerfen, wenn wir beobachten, dass diejenigen, die Frau Merkel in den Rücken fallen, immer aus der Union kommen, ist nur noch lächerlich.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Unser Ministerpräsident in Baden-Württemberg hat die Wahlen unter anderem gewonnen, weil er Frau Merkel unterstützt hat. Da können Sie uns doch nicht vorwerfen, dass wir ihr in den Rücken fallen,

(Serpil Midyatli)

denn Ihre Ministerpräsidenten haben doch - - Das Wort darf ich jetzt nicht sagen.

(Unruhe)

Dass Herr Seehofer so wahnsinnig solidarisch sei - - Er ist derjenige, der die Asylpakete, die wir jeden Tag zu verhandeln und neu zu bewerten haben, jedes Mal so massiv anschärft, dass er hinterher zustimmt. Da ist dann aber ganz oft nicht mehr die Politik von Frau Merkel drin, sondern da ist CSU-Politik pur drin. Deswegen lehnen wir es auch ab.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Flemming Meyer [SSW])

Deswegen lehnen wir auch die Einstufung der Mahgreb-Staaten als sichere Herkunftsländer ab. Wir sind nicht davon überzeugt, dass die Voraussetzungen erfüllt sind. Denn wenn es eine sorgfältige Prüfung der Menschenrechtslage gibt, muss erst einmal gewährleistet sein, dass man in diesen Ländern überhaupt ein vernünftiges Monitoring machen kann. Das wird zurzeit ziemlich erschwert, weil zum Beispiel in Algerien für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Amnesty International seit zehn Jahren ein Einreiseverbot besteht. Ähnliche Restriktionen gibt es unter anderem auch für UNMitarbeiterinnen und -Mitarbeiter. Wie soll die Menschrechtslage bewertet werden, wenn diejenigen, die das bewerten, gar nicht einreisen dürfen?

Das Bundesverfassungsgericht sagt dazu übrigens, dass allein schon die Zutrittsgewährung für internationale Menschenrechtsorganisationen ein Indiz für die Einhaltung der Voraussetzungen der menschenrechtlichen Standards ist. Sprich, wenn es die Einreise nicht gibt, gibt es auch nicht die Einhaltung der Menschenrechtsstandards. Wenn man danach geht, sieht es schon einmal düster aus.

Was aber wissen wir von diesen Ländern? Wir wissen, dass in allen drei Staaten gleichgeschlechtliche Handlungen strafbar sind und von teils hohen Gefängnisstrafen bedroht sind. Wir wissen, dass Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle im Alltag Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind, ohne auf den Schutz der staatlichen Behörden vertrauen zu können. Doch damit nicht genug, die Repression der Minderheiten hat einen breiten gesellschaftlichen Rückhalt.

Liebe FDP, wir diskutieren morgen über Rehabilitierung von Homosexuellen aufgrund staatlicher Verfolgung, und gleichzeitig fordern Sie, dass wir die Mahgreb-Staaten als sichere Herkunftsländer

einstufen. Das passt für mich überhaupt nicht zusammen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Der IS forderte jüngst in einer Kampagne in sozialen Netzwerken dazu auf, alle tunesischen Schwulen zu verbrennen oder ihnen die Kehle durchzuschneiden. Es gibt Wellen von ,,hate crimes“. Darüber hinaus gibt es aktuell einen Trend, in Geschäften oder auch Taxen Schilder aufzustellen mit Aufschriften wie ,,no homosexuals“.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Alle, die zu uns kommen, sind Schwule?)

Herr Garg, ich weiß gar nicht, wie Sie das aushalten können.

Meine Damen und Herren, wenn all das nicht ausreicht für eine systematische Verfolgung dieser Minderheit, wie muss man sich dann systematische Verfolgung vorstellen?

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und Flemming Meyer [SSW])

Auch Frauen werden durch die Rechtsordnung von den Behörden und im Alltag diskriminiert und von der Partizipation am Leben ausgeschlossen. Zwangsverheiratungen sind keine Seltenheit, auch von Minderjährigen. Überhaupt gibt es beispielsweise in Marokko eine Reihe weiterer kinderspezifischer Fluchtgründe. Sie haben sicher davon gehört, dass ein junges Mädchen vergewaltigt und die Vergewaltigung nicht bestraft wird, wenn es hinterher zu einer Ehe kommt - ob freiwillig oder nicht, diese Frage wird nicht überprüft. Solche Länder können wir doch nicht als sichere Herkunftsländer einstufen, meine Damen und Herren!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Ich muss leider zum Schluss kommen. - Ich möchte hier noch einmal feststellen: Wir werden der Einstufung der Mahgreb-Staaten als sichere Herkunftsländer nicht zustimmen. - Danke sehr.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- einzelt SPD und SSW)

(Eka von Kalben)

Das Wort für die Fraktion der PIRATEN hat der Abgeordnete Torge Schmidt.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Günther! Dem Ministerpräsidenten Unsolidarität mit NRW vorzuwerfen, kann man machen. Zumindest ist er solidarisch mit den Grünen in NRW, denn die wollen die sicheren Herkunftsländer im Bundesrat ablehnen. Eine gewisse Solidarität zu NRW scheint also da zu sein, schließlich unterstützt Herr Albig die Politik zumindest des grünen Koalitionspartners in NRW.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Diskussion über Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten ist eine rein innenpolitisch motivierte Debatte. Sie verurteilen die Menschen aufgrund ihrer Herkunft. Dabei muss man sich nur die Realität vor Ort anschauen, um an der Sicherheit dieser Staaten zu zweifeln.

Die Region ist weiterhin Ziel von Anschlägen und islamistischen Terroristen, die die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in diesen Ländern ablehnen. Am 7. März 2016 wurden in Tunesien mehr als 50 Menschen bei einem Angriff der ISIS in Ben Gardane getötet. Das Auswärtige Amt warnt weiterhin vor einem erhöhten Risiko terroristischer Anschläge.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Homosexualität steht in allen drei Staaten weiter unter Strafe. Dass die Bundesregierung argumentiert, dass es keine systematische Verfolgung von Homosexuellen geben würde, ist in Anbetracht der strafrechtlichen Vorschriften in Marokko, Tunesien und Algerien ein schlechter Witz.

(Beifall PIRATEN, Dr. Ralf Stegner [SPD] und Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Auch die Position der Bundesregierung, dass Homosexuelle nur strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie ihre Neigung offen ausleben, ist politisch mehr als fragwürdig. Der Europäische Gerichtshof hat im November 2013 entschieden, dass homosexuelle Flüchtlinge, wenn ihnen in ihrer Heimat aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Verfolgung droht, Anspruch auf Asyl haben. Dieses Recht wird Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Identität verfolgt werden, genommen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Daran ändert sich doch gar nichts! - Eka von Kalben [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn sich nichts ändert, warum müssen wir es dann machen? - Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

- Genau, wenn sich nichts ändert?

Meine Damen und Herren, im Moment hat Herr Schmidt das Wort, und ich würde Sie bitten, ihm zuzuhören.

Herr Kollege Kubicki, natürlich haben sie das Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren, sie können einen Gerichtsprozess einleiten, aber dann sind die Menschen, die aufgrund ihrer Homosexualität verfolgt werden, dazu gezwungen, ihre Homosexualität zu beweisen. Sie tragen die Beweislast. Ich weiß nicht, wie Sie sich das vorstellen, gerichtlich Homosexualität zu beweisen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie sollten von Dingen reden, von denen Sie etwas verste- hen! - Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Speak for yourself!)

Werte Kolleginnen und Kollegen, auch bei den Menschenrechten sieht es nicht besser aus. Ein Blick in den Bericht von Amnesty International oder Reporter ohne Grenzen zeigt ein anderes Bild, als die Bundesregierung es gern hätte. Die Rechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit werden stark beschnitten, Zensur und Behinderung der Pressearbeit sind in jedem Fall stark vorhanden, insbesondere dann, wenn Journalisten kritisch über die Regierung und die Situation der Menschen- und Minderheitenrechte berichten.

1976 wurde die Westsahara von Marokko gewaltsam besetzt. Seit dieser völkerrechtswidrigen Annexion werden politische Aktivisten und Oppositionelle, die sich für die politische Selbstbestimmung der Westsahara einsetzen, von marokkanischen Sicherheitskräften verfolgt. Marokko ist alles andere als ein sicheres Herkunftsland.

Das Konstrukt des sicheren Herkunftslandes diskriminiert Flüchtlinge.

(Beifall PIRATEN)

Es ist unmöglich, am Grünen Tisch in Berlin pauschal zu entscheiden, wo und warum Menschen verfolgt oder nicht verfolgt werden. Die PIRATEN beobachten mit Sorge, wie aus Angst vor PEGIDA und der AfD das Grundrecht auf Asyl immer weiter eingeschränkt wird.

(Beifall PIRATEN)

Glauben Sie wirklich, dass diese willkürliche Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer die Menschen an der Flucht über das Mittelmeer hindern wird? - Es geht hier um Symbolpolitik und nicht um die Menschen. Deshalb bekennen wir PIRATEN uns zu dem Grundrecht auf Asyl.

(Beifall PIRATEN)