Protocol of the Session on April 29, 2016

Für die Piratenfraktion hat Herr Abgeordneter Uli König das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde es ein starkes Stück, dass wir aus den Selbstverpflichtungen zitieren und erfahren, dass in den Selbstverpflichtungen drinsteht, dass man sich an die Gesetze hält. Es muss doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass man sich an die Gesetze hält, oder? Das dachte ich jedenfalls.

(Beifall PIRATEN)

Das Problem Lohndumping in Schlachthöfen ist nicht neu. Bereits in den Jahren 2006 und 2013 hat das Thema für Schlagzeilen gesorgt. In den beiden Jahren wurden große Razzien durchgeführt. Mitte Mai 2013 haben 450 Polizisten, Zollbeamte, Steuerfahnder und Staatsanwälte bundesweit an 90 Orten Büros und Wohnungen durchsucht. Die Ermittler gingen dem Verdacht nach, dass mit dem Einsatz der Leiharbeiter aus Rumänien und Polen von Leiharbeitsfirmen Steuern und Sozialabgaben in Millionenhöhe hinterzogen wurden. Mit einer ähnlichen Durchsuchungsaktion hatten die Ermittler die Branche sieben Jahre zuvor aufgeschreckt.

Wir reden gerade über den aktuellen Zustand - aber die SPD war doch schon damals an der Regierung beteiligt, sie hatte zwischendurch jede Menge Zeit, sich um das Problem zu kümmern. Sie haben offenbar nichts getan.

(Beifall PIRATEN - Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Herr Stegner, bevor Sie mich jetzt herunterputzen wollen - ich bin grundsätzlich für Ihren Antrag; ich finde, das ist eine gute Sache. Ich verstehe aber nicht, warum der erst jetzt kommt. Eigentlich hätten Sie als die soziale Partei Deutschlands an der Stelle doch viel früher etwas tun müssen. Ich kann das nicht so ganz nachvollziehen.

(Lars Harms [SSW]: Warum kam der nicht von euch?)

Selbstverständlich muss der missbräuchliche Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen in Schlachthöfen unterbunden werden, und nicht nur da. Auch die Baubranche, die Pflegebranche und zahlreiche weitere sind betroffen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Machen Sie doch mal Vorschläge, wie das konkret funktionie- ren soll!)

- Vielleicht fällt mir da noch etwas ein, Herr Garg.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN] - Beate Raudies [SPD]: Das ist ja ganz neu!)

Selbstverständlich bedarf es einer Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, und selbstverständlich sollte es das Ziel sein, eine Verdrängung der Stammbelegschaft zu verhindern. Da bin ich bei Ihnen. Gleicher Lohn für Zeit- und Leiharbeit nach wenigen Monaten, und die Betriebsräte sollen mehr Mitbestimmung bei der Kontrolle der Leiharbeit im Betrieb haben. Da bin ich bei Ihnen. All Ihre Forderungen haben ihre Berechtigung.

Allerdings sind vor allem Sie es, werte SPD, die Gelegenheit hatten, an diesen unhaltbaren Zuständen etwas zu ändern,

(Beifall PIRATEN - Zuruf Beate Raudies [SPD])

den abstoßenden und systematischen Praktiken einen Riegel vorzuschieben, und das nicht nur einmal. Sie hätten in der Legislaturperiode von 2005 bis 2009 tätig werden können, Sie hätten in der laufenden Legislaturperiode tätig werden können. Sie machen es jetzt. Ich finde es schade, dass Sie das nicht früher gemacht haben.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Irgendetwas ist immer!)

Jetzt kommen Sie damit um die Ecke, wo der DGB damit droht, das in Wahlkampfzeiten zu thematisieren.

(Zuruf Wolfgang Baasch [SPD])

Sie kommen jetzt damit um die Ecke, wo es eine große Demonstration in München gab. Hören Sie auf, Herrn Seehofer dafür verantwortlich zu machen, dass Sie im Rahmen der Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene so schlecht verhandelt haben!

(Beifall PIRATEN - Peter Eichstädt [SPD]: Also, die andere Rede war besser!)

- Herr Eichstädt, dann kriege ich wieder das Wort abgedreht, das kann ich nicht noch einmal machen, das geht leider nicht.

(Zuruf Beate Raudies [SPD])

Handeln Sie nun, und formulieren Sie nicht nur wohlklingende Anträge! - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall PIRATEN - Beate Raudies [SPD]: Oh, das soziale Gewissen! - Weitere Zurufe SPD)

Bevor die Abgeordneten des SSW zu Wort kommen, möchte ich Sie bitten, zusammen mit mir neue Gäste auf der Tribüne zu begrüßen: Schülerinnen und Schüler der Richard-Hallmann-Schule aus Trappenkamp. - Seien Sie herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Jetzt hat für die Abgeordneten des SSW Herr Abgeordneter Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der SSW setzt sich für das Konzept gute Arbeit ein. Gute Arbeit basiert bekanntlich auf vier thematischen Säulen. Erstens ist gute Arbeit gut bezahlte Arbeit. Zweitens ist sie sichere Arbeit, bei der es einen effektiven Kündigungsschutz gibt und in der Leiharbeit, Werkverträge und Befristungen insgesamt eingedämmt werden. Drittens ist gute Arbeit menschengerechte Arbeit, bei der die Arbeitsbelastung begrenzt und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefördert wird. Viertens bietet gute Arbeit auch Möglichkeiten für Aufstieg und Weiterentwicklung.

Was an einigen Schlachthöfen praktiziert wird, hat mit guter Arbeit nichts, aber auch gar nichts zu tun. Wir alle sind einfach nur entsetzt, wenn wieder neue Details über die Zustände in Teilen der Fleischindustrie ans Licht kommen. Für mich und meine Partei stellt sich hier manchmal wirklich die Frage der Menschenwürde.

Wie wir wissen, hat sich die Fleischwirtschaft im Herbst 2015 eine Selbstverpflichtung für attraktivere Arbeitsbedingungen auferlegt. Das kann man erst einmal ganz wertfrei begrüßen. Auch wenn ich persönlich skeptisch bleibe, sehe ich in diesem Schritt zumindest ein Zeichen dafür, dass man sich zu den bestehenden Problemen bekennt.

Aber natürlich dürfen wir uns hier nichts vormachen. Dass sich die Fleischindustrie zu diesem Schritt entschlossen hat, ist auch dem stetigen Druck der Gewerkschaften zu verdanken. Aus Sicht des SSW ist es trotzdem ganz interessant zu sehen, was alles in dieser Verpflichtung enthalten ist.

Grundsätzlich sollen die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten verbessert werden. Man verpflichtet sich zu einem umfassenden jährlichen Bericht. Hier sollen die Fortschritte bei der Erhöhung der Stammbelegschaft, die Ausbildungssituation und die Maßnahmen zur Integration ausländi

scher Beschäftigter genau dokumentiert werden. Außerdem sollen bis Juli 2016 alle Beschäftigten bis auf Minijobber - in Deutschland gemeldet und sozialversichert sein. Damit sollen alle Beschäftigungsverhältnisse dem deutschen Arbeitsrecht unterliegen, ausdrücklich auch Vorschriften zur Arbeitszeit, zum Kündigungsschutz und zur Entgeltfortzahlung. Man darf hier also sehr gespannt sein.

Ich will ganz ehrlich sagen: Das alles ist für den SSW kein Anlass, um jetzt lauthals Hurra zu schreien und zu glauben, die Sache sei erledigt. Eigentlich sollten diese Dinge ja eine Selbstverständlichkeit sein.

Ganz ohne Frage wäre die Umsetzung dieser Selbstverpflichtung vor dem Hintergrund der Bedingungen an manchen Schlachthöfen eine klare Verbesserung für die Arbeitnehmer. Natürlich haben wir keine Zeit zu verlieren, wenn es um bessere Arbeitsbedingungen geht. Wir müssen den Betrieben trotzdem die Möglichkeit geben, ihre formulierten Schritte umzusetzen. Dass wir dabei ganz genau hinschauen werden, versteht sich von selbst.

Wir haben im Landtag mehrfach über Leiharbeit und Werkverträge und ihre Schattenseiten gesprochen. Unsere Haltung war dabei immer eindeutig. Wir können diese Arbeitsverhältnisse nur in einem sehr engen Rahmen akzeptieren. Nur wenn es darum geht, eine zeitlich begrenzte Spitzenbelastung in den Betrieben abzuarbeiten, halten wir dieses Instrument für vertretbar. Leider sind die Bestimmungen hierzu in den vergangenen Jahren eher aufgeweicht als verschärft worden.

Im Ergebnis sind an manchen Schlachthöfen bis zu 80 % der Mitarbeiter dauerhaft über Werkverträge durch Subunternehmen angestellt. Aus unserer Sicht ist diese Praxis schlicht und ergreifend inakzeptabel. Deshalb werden wir auf eine konsequente gesetzliche Lösung drängen, falls die Selbstverpflichtung der Branche nicht schnell zu deutlichen Verbesserungen führt. - Jo tak.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir kommen jetzt zu den Dreiminutenbeiträgen. Das Wort hat Herr Abgeordneter Wolfgang Baasch.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was mich motiviert, an dieser Stelle noch einmal in die Debatte einzugreifen, war der Beitrag des Kol

legen Kumbartzky. Er läuft, so glaube ich, eher mit Scheuklappen durch die Welt, als einen freien Blick zu haben. Natürlich gibt es Missbrauch. Deswegen reden wir auch darüber. Deswegen müssen wir uns dort auch einmischen. Missbrauch von Leiharbeit und Zeitverträgen ist kein Kavaliersdelikt, sondern Ausbeutung.

(Vereinzelter Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Kollege Flemming Meyer hat zu Recht gesagt: Das, was dort in vielen Bereichen praktiziert wird, ist ein Verstoß gegen Menschenrechte.

Ich will auf einen Punkt aufmerksam machen: Wenn die Außenstelle des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Beispiel hier in Kiel Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach ihren Arbeitsbedingungen befragt, dann lautet eine der Fragen: Erhalten Sie einen Mindestlohn? Viele wissen noch nicht einmal, dass es in Deutschland einen Mindestlohn gibt. Darüber ist nie aufgeklärt worden. Sie sind oft mit Versprechungen hergelockt worden, die dann nie eingehalten worden sind. Weiter wird gefragt: Werden Überstunden bezahlt? Das wird auch nicht gemacht. Die Kolleginnen und Kollegen haben davon keine Ahnung. Wenn gefragt wird, wie viele Urlaubstage gewährt werden, dann ist die Antwort, dass immer nur zwei Urlaubstage am Stück gewährt werden, statt den vollen Urlaubsanspruch zu gewähren, den eigentlich jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat.

Diese Erfahrungen kommen bei den Befragungen heraus. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Es ist eine Schande, dass wir eine mobile Beratungsstelle haben. Ich hätte immer gedacht, dass die berühmten ehrbaren Kaufleute ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anständig informieren und anständig behandeln. Das ist der Fehler. Das ist das, was nicht funktioniert. Die Unternehmen verstoßen gegen die Vorschriften, nicht die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Unternehmen sind es, die es darauf anlegen. Daher finde ich, dass diese Diskussion so notwendig ist. Wenn es in der Schlachtindustrie solche Ausfälle und solche Auswüchse gibt, dann finde ich es notwendig, dass man diese in den Mittelpunkt stellt.

Aber wir sind ehrlich genug, zu sagen: Es gibt auch in anderen Bereichen der Leiharbeit und der Werkverträge solche Auswüchse. Wer hat die Kolleginnen und Kollegen gesehen, die auf der Werft in Wismar wochenlang keinen Lohn bekommen haben, ihre Miete nicht bezahlten konnten und von einem Tag auf den anderen draußen im Freien geses

sen haben und darauf angewiesen waren, dass Lebensmittelspenden gekommen sind? Solche Zustände in einem Land wie unserem zu haben, ist eine Schande. Deswegen ist es dringend notwendig, dass wir uns darüber verständigen, dass Missbrauch beseitigt wird. Der Antrag ist deswegen sinnvoll und hat seine Begründung.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag hat Herr Abgeordneter Heiner Rickers das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Eickhoff-Weber, Sie haben direkt auch die große Firma Tönnies angesprochen. Sie betreibt einen der großen Schlachthöfe in Schleswig-Holstein. Wir haben ja nur noch wenige, das Problem ist bekannt. Wir haben öfter darüber diskutiert: Nutztiere werden hier produziert, sie müssen auch geschlachtet werden, sollen aber nicht weit transportiert werden. Das Fleisch soll auf kurzen Wegen verarbeitet werden. Das alles begrüßen wir.