Protocol of the Session on March 11, 2016

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung! Ich beginne damit, Ihnen einige Krankmeldungen zu verkünden. Erkrankt sind die Abgeordneten Hauke Göttsch, Hartmut Hamerich, Rainer Wiegard, Jürgen Weber und Ines Strehlau. Wir wünschen allen gute Besserung.

(Beifall)

Wegen auswärtiger dienstlicher Verpflichtungen auf Bundesebene ist der Minister für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Technologie, Herr Reinhard Meyer, beurlaubt. Er wird heute nicht an der Sitzung teilnehmen.

Bitte begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne Schülerinnen und Schüler der Dahlmannschule Bad Segeberg und Mitglieder des Paritätischen Freiwilligendienstes aus Schleswig-Holstein. - Seien Sie herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag.

(Beifall)

Und wir begrüßen unseren ehemaligen Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski. - Seien auch Sie herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 und 20 auf:

Gemeinsame Beratung

a) Umgang mit sexualisierter Gewalt

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/3935

b) Nein heißt Nein - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung

Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 18/3938 (neu)

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Mit dem Antrag zu a), Umgang mit sexualisierter Gewalt, wird ein Bericht in dieser Tagung erbeten. Ich lasse zunächst darüber abstimmen, ob der Bericht in dieser Tagung gegeben werden soll. Wer dafür ist, den bitte ich um sein Handzeichen. - Danke schön, das ist einstimmig.

Für die Landesregierung erteile ich das Wort der Ministerin für Justiz, Kultur und Europa, Frau Anke Spoorendonk.

Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sexualisierte Gewalt ist kein neues, es ist kein durch Flüchtlinge importiertes Phänomen. Nicht erst seit dem Vorfall am Kölner Hauptbahnhof besteht die Furcht vieler Bürgerinnen und Bürger unseres Landes vor Gewalt und sexuellen Übergriffen. Das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung wird durch entsprechende Vorkommnisse, aber auch durch mediale Berichterstattung und die Verbreitung in den sozialen Netzwerken erheblich beeinflusst.

Die Dienststellen der Landespolizei sind daher gehalten, an bestimmten Orten offen polizeiliche Präsenz zu zeigen, um schnellstmöglich intervenieren zu können. Das ist gewährleistet. Polizeitaktisch ist mit Aufnahme der BAO-Tätigkeit, also der Besonderen Aufbauorganisation für die Erstaufnahmeeinrichtung seitens der Landespolizei eine Landesreserve aufgerufen worden, die die Polizeidienststellen vor Ort bei Auseinandersetzungen in oder um Landesunterkünfte und bei sonstigen polizeilichen Anlässen bei der Einsatzbewältigung oder bei erforderlicher Präsenzgestaltung unterstützt.

Hinter dieser ersten starken Interventionsmöglichkeit liegen weitere vorbereitete und alarmmäßig abrufbare Eingreifoptionen der Landespolizei. Sollten sich Brennpunkte in anderen Städten und Gemeinden des Landes zeigen, werden durch das Landespolizeiamt und die Polizeidirektionen Verstärkungsmaßnahmen ergriffen. Als eine weitere Maßnahme sind die Stärken der Polizeistationen in den Landesunterkünften erst jüngst im Zuge der Verringerung der Belegungszahlen angepasst worden. Die so freigesetzten Polizistinnen und Polizisten versehen ihren Dienst wieder in der Alltagsorganisation und stehen für Präsenzdienste zur Verfügung.

Veranstaltungen mit einem außergewöhnlichen und großen Aufkommen an Menschen, zum Beispiel der Karneval in Marne, die Kieler Woche oder das Open Air Festival in Wacken werden abermals einer besonderen Lagebeurteilung unterzogen. Daneben sind die Polizeidirektionen angewiesen, präventiv beratend tätig zu werden. So wurden zum Beispiel die Betreiber von Schwimmbädern angesprochen, um besondere Wahrnehmungs- und Verhaltenshinweise zu geben, immer verbunden mit

dem Hinweis, bei entsprechenden Auffälligkeiten sofort die Polizei einzuschalten. Die Polizei ist sensibilisiert und sehr wachsam.

Die gesetzlichen Grundlagen sind ausreichend. Die Bearbeitung von Sexualstraftaten erfolgt in Schleswig-Holstein mit sehr hoher Professionalität. Im Rahmen der guten Zusammenarbeit zwischen Polizei und Justiz, insbesondere mit den Staatsanwaltschaften, findet ein ständiger Austausch statt, um alle rechtsstaatlichen und ermittlungstaktisch gebotenen Register zu ziehen, aber, meine Damen und Herren, ich betone es noch einmal:

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

- Ich fahre fort, wenn das okay ist. - Ich wollte noch einmal betonen: Sexualisierte Gewalt ist kein neues, es ist kein durch Flüchtlinge importiertes Phänomen. Sexuelle Gewalt ist, wie wir seit vielen Jahren wissen, in allen Lebensbereichen und Gesellschaftsschichten anzutreffen. Mit Abstand am häufigsten tritt sie im engsten persönlichen Umfeld auf. Gerade das macht Prävention und Strafverfolgung so schwierig, denn in der Regel stehen uns keine Videoaufzeichnungen, Handyfotos oder Augenzeugenberichte als Beweismittel zur Verfügung, sondern allein die Aussage des Opfers. Genau deshalb verdienen die Opfer sexualisierter Gewalt unsere besondere Aufmerksamkeit und einen effektiven Schutz durch das Strafrecht.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt PIRATEN)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung unterstützt die Bundesratsinitiative von Hamburg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz für eine grundlegende Reform des Sexualstrafrechts im Sinne eines Nein heißt Nein. Die Strafbarkeit sexueller Übergriffe muss an das fehlende Einverständnis des Opfers anknüpfen, ohne dass es auf eine Gewaltausübung oder eine Gegenwehr ankommen darf.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Wolfgang Dudda [PIRA- TEN])

- Das passt dazu, denn ich wollte sagen, dass ich den Antrag der Regierungsfraktionen begrüße und darum bitte, dass dieser unterstützt wird.

Aber klar ist doch auch: Mit den Mitteln des Strafrechts allein werden wir das Problem nicht lösen können. Es wird auch zukünftig Fälle geben, in denen sich der Tatvorwurf nicht mit der notwendigen Sicherheit beweisen lässt. Das gehört zur Wahrheit dazu. Um es hier in aller Deutlichkeit zu sagen: Die

(Vizepräsident Bernd Heinemann)

Unschuldsvermutung ist für einen Rechtsstaat schlechterdings konstitutiv. Sie ist deswegen vollkommen zu Recht in unserer Verfassung und in Menschenrechtsverträgen verankert. Wer an ihr rüttelt, und sei es auch aus gut gemeinten Gründen, legt die Axt an ein Fundament des Rechtsstaates.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt PIRATEN)

Umso wichtiger ist es daher, das Anliegen der Istanbul-Konvention umfassend in den Blick zu nehmen. Es ist überfällig, dass die Bundesregierung die Istanbul-Konvention ratifiziert, denn diese geht über rechtliche Vorgaben hinaus. Auch ich halte die Frage der sexuellen Selbstbestimmung für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Was wir brauchen, ist das allgemeine gesellschaftliche Bewusstsein, dass die sexuelle Selbstbestimmung in der Menschenwürde wurzelt,

(Beifall SSW, vereinzelter Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und dass es gilt, diese zu achten und zu schützen, dass Verstöße nicht weiter bagatellisiert werden und Täter kein Verständnis erwarten könnten.

Natürlich brauchen wir auch professionelle Aufklärung und Präventionsarbeit. Hilfen und Angebote sowie Unterstützungsangebote brauchen wir ebenfalls. Insoweit gibt es in Schleswig-Holstein bereits ein vielfältiges gutes Angebot. Aber natürlich werden wir schauen, wo Verbesserungen notwendig sind und wo Verbesserungen möglich sind.

Meine Damen und Herren, wenn dieses Bewusstsein überall verankert ist, wenn es als Selbstverständlichkeit gelebt wird, ist die sexuelle Selbstbestimmung wirksamer geschützt, als es jede politische Debatte oder isolierte Strafrechtsreform zu leisten vermag.

Ich persönlich würde es begrüßen, wenn Politik, Verbände und Institutionen diesen notwendigen, weil gesellschaftspolitisch umfassenderen Ansatz etwa mit einem Aktionsplan zu diesem Thema stärken können. Ich hoffe, dass wir Gelegenheit bekommen werden, uns darüber weiter auszutauschen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat die vereinbarte Redezeit um 2 Minuten überzogen.

Diese 2 Minuten stehen jetzt allen Fraktionen zur Verfügung.

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Herr Fraktionsvorsitzende und Abgeordnete Wolfgang Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Frau Ministerin! Sehr verehrter Herr Ministerpräsident! Dass bei diesem Thema politischer Handlungsbedarf gegeben ist, geht unter anderem aus dem Bericht des NRW-Innenministeriums an den Düsseldorfer Landtag vom 10. Januar 2016 hervor. Dort heißt es - und das ist wirklich eine neue Qualität, liebe Frau Ministerin -:

„Die Tatbegehungsform sexualisierter Gewaltstraftaten durch Gruppen in Verbindung mit Eigentums-/Raubdelikten ist in der Ausprägung der Kölner Gewalttaten in Deutschland bisher nicht aufgetreten.“

Es heißt weiter:

„So liegen dem Bundeskriminalamt Erkenntnisse dazu vor, dass in arabischen Ländern ein Modus Operandi bekannt ist, der als „taharrush gamea“ (gemeinsame sexuelle Belä- stigung in Menschenmengen) bezeichnet wird. Darüber wurde zum Beispiel anlässlich der ägyptischen Revolution von den Medien berichtet. Hierzu wird sich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe vertiefend mit dem Phänomen befassen und spezifische Bekämpfungskonzepte entwickeln.“

Um auch Aufklärung über den aktuellen Stand dieser Bemühungen zu bekommen, haben wir vor allem im Lichte der Vorfälle im Sophienhof einen Bericht des Innenministers beantragt.

Grundsätzlich ist voranzustellen, dass unbestreitbar ist, dass die Kölner Übergriffe zu Silvester auch zu einer Verunsicherung der polizeilichen Kommunikationsarbeit geführt haben. Denn die Polizei schwankt hier zwischen notwendiger Schnelligkeit, unter anderem wegen der Informationsgeschwindigkeits-Konkurrenz der sozialen Netzwerke, und dem latenten Vorwurf, Flüchtlingskriminalität zu verharmlosen. Dies hat auch bei den Vorfällen im Sophienhof zu Verunsicherung geführt.

Weil die Polizei derzeit unter enormen Druck steht, ist es auch menschlich nachvollziehbar, dass Meldungen an die Öffentlichkeit gebracht werden, die im Nachhinein anders bewertet worden wären, und zwar sowohl in die eine wie auch in die andere

(Ministerin Anke Spoorendonk)

Richtung. Klar sollte sein: Fehler sollten nicht passieren. Aber wenn es welche gegeben hat, müssen sie auch offen eingeräumt werden. Deshalb sind wir der Polizei in Schleswig-Holstein dankbar dafür, dass dies auch geschehen ist.

(Beifall FDP und SPD)