Protocol of the Session on February 17, 2016

Ich glaube, das Thema ist es wert, dass wir es ausführlich im Bildungsausschuss diskutieren. Da werden dann auch unsere Fachleute wieder dabei sein; denn wir alle wissen aus den Gesprächen, die wir im vergangenen Jahr mit den Praktikern vor Ort geführt haben - wir haben das in einer Flüchtlingskonferenz übrigens ebenfalls thematisiert -, dass das ein Thema ist, das die Menschen vor Ort drückt und wo wir dringend Abhilfe schaffen müssen. Es kann nicht sein, dass wir gerade diese große Gruppe der jungen Menschen zwischen 18 und 27 sich selbst überlassen und nicht alles unternehmen, um ihnen hier die notwendige Unterstützung an die Hand zu geben. Deshalb bitte ich um Ausschussüberweisung und bin gespannt auf die Ergebnisse der Diskussion. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU und Anita Klahn [FDP])

Für die SPD-Fraktion hat Abgeordneter Kai Vogel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Damerow, Sie können natürlich nichts dafür, dass Sie hier eben reden mussten. Man merkte doch sehr, dass die CDU gerade ihre einzige Bildungsexpertin abgeschossen hat. Das werden Sie auch zukünftig merken.

(Peter Lehnert [CDU]: Arroganz der Macht! - Weitere Zurufe CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor zwei Wochen habe ich mit mehreren Kollegen eine DaZ-Klasse in einer Berufsschule in Pinneberg besucht. Selten bin ich so berührt aus dem Besuch einer Klasse herausgekommen. Man spürte, welche Hoffnungen und Ängste diese jungen Männer - es waren nur Männer in der Klasse - im Augenblick prägen. Eine Klasse mit 16- und 17-jährigen hochmotivierten Jugendlichen. Wir wussten, wenn wir in ihre Augen schauten, dass die Schulzeit für sie am Ende des Schuljahrs enden wird.

Es kann nicht der richtige Weg sein, in so einer Phase einen funktionierenden Klassenverband zwingend auseinanderzureißen. Man spricht im Allgemeinen von drei Jahren, die für ein Erlernen der deutschen Sprache notwendig sind. Vor vielen Jahren hat sich Schleswig-Holstein deshalb - die Ministerin hat eben darauf hingewiesen - auf den Weg gemacht, die DaZ-Strukturen aufzubauen. Sonst wären wir heute nicht so weit. Bereits in den 90er

Jahren, als ich Germanistik studierte, konnte ich DaF-Module - so hieß es damals: Deutsch als Fremdsprache - belegen, weil sich Schleswig-Holstein schon in den 90er-Jahren auf den Weg gemacht hat.

Die DaZ-Kurse in Schleswig-Holstein mit den Stufen in drei Jahresschritten bauen genau auf diesen Erkenntnissen auf. Wir konnten im Bericht der Ministerin hören, wie die Schulen auf diese Aufgabe reagieren.

Fast 10.000 Schülerinnen und Schüler lernen täglich in den DaZ-Klassen die deutsche Sprache. Über 400 Klassen, die es an den allgemeinbildenden Schulen im letzten Jahr so noch nicht gab, erhalten täglich Unterricht. Natürlich könnte es noch mehr Unterricht sein, natürlich könnten wir hier noch mehr Lehrkräfte für einen gelungenen Spracherwerb einsetzen. Jeder, der einmal einen Fremdsprachenkurs besucht hat, weiß, dass eine Eins-zu-eins-Betreuung sicherlich am sinnvollsten ist. Ich finde aber, dass weit über 400 Klassen - neu hinzu -, der Unterricht für über 10.000 Schülerinnen und Schüler - neu hinzu -, die Schaffung von weit über 500 Stellen für Lehrkräfte - neu hinzu eine Leistung sind, hinter der wir uns wahrlich nicht verstecken müssen.

(Beifall SPD)

Frau Kollegin Klahn, die Regelung zwölf Schülerinnen und Schüler für 25 Stunden, auf die Sie sich vorhin beriefen, gibt es nicht.

(Anita Klahn [FDP]: Das müssen Sie Frau Henke mal erzählen!)

Statt darauf zu verweisen, was alles noch nicht klappt, ist es mir eher daran, Danke zu sagen für all das, was klappt. Danke für die Organisation bei dieser Herausforderung durch das Ministerium, die Schulämter, die DaZ-Zentren, die unterrichtenden Lehrkräfte und die vielen, vielen Personen, die helfen, dass die Geflüchteten möglichst schnell die deutsche Sprache lernen können, um sich hier zu integrieren.

Vorhin habe ich eine E-Mail erhalten, dass das Gymnasium Altenholz am 17. März 2016 ein integratives Fußballturnier plant. Solche Aktionen sind absolut wertvoll.

(Vereinzelter Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die CDU fordert nun pauschal eine Beschulung bis 25 oder gar 27 Jahre. Bei einer längeren Be

(Astrid Damerow)

schulung bin ich ganz auf Ihrer Seite. Die Frage ist nur: Wie?

Wenn aus dem Weg zu G 8 etwas zu lernen war, dann ist es, dass geringe Akzeptanz erlangt wird, wenn Politik einfach entscheidet, weil sie es gerade für sinnvoll hält, die Schulen, die dies umzusetzen haben, allerdings ohne Vorlauf in dieses Abenteuer starten müssen.

Was hieße eine pauschale Beschulung bis 25 oder 27 Jahre sofort? Viele Berufsschulen hätten nicht die entsprechenden Räume und nicht die notwendigen Lehrkräfte. Handelten wir von jetzt auf gleich wie es die CDU fordert -, dann wäre uns der Protest jeder Berufsschule, jedes Berufsschülers und jeder Berufsschülerin absolut sicher.

Integration kann nur gelingen, wenn wir nicht die eine gegen die andere Gruppe ausspielen. Der von der CDU vorgeschlagene Weg, der sich aus dem Antrag ergibt: Rückt deutlich mehr zusammen und kürzt den Unterricht in den Berufsschulen, damit die Flüchtlinge genügend Stunden haben, um beschult zu werden, würde Unfrieden schaffen.

Junge Erwachsene ab 18 Jahren sind nicht mehr schulpflichtig. Damit ist der Bund über das SGB II für die Finanzierung der Maßnahmen dieser jungen Erwachsenen zuständig. Hier nun wie die CDU pauschal zu sagen: „Ach, lass das doch die Schleswig-Holsteiner zahlen“, bringt wieder eine Gruppe gegen die andere auf. Viele Millionen € aus dem Haushalt zusätzlich auszugeben, die eigentlich der Bund zahlt, ist wahrlich nicht durchdacht.

Was passiert eigentlich mit einem 28-, 29- oder 31-Jährigen, der noch weit über 30 Jahre hier arbeiten kann? Soll dieser Geflüchtete ganz knapp zu alt sein? Eine gelungene Integrationsmaßnahme muss ein Zusammenspiel von Bund und Ländern sein. Zudem ist eine individuelle Passgenauigkeit wichtig. Es kann zum Beispiel sein, dass eine Volkshochschule ein stimmigeres Angebot bietet. Wir sollten versuchen, diese Maßnahmen zusammenzubinden. Die Jugendberufsagenturen verbinden genau diese Schnittstellen. Es ist gut, dass sie auch in Schleswig-Holstein in diesem Jahr starten.

Kehren wir in die Klasse am Anfang zurück. Den Jugendlichen ist absolut egal, wer für ihre Beschulung zahlt. Warum nicht im Jahr eins in genau der Berufsschule das Land und ab dem Jahr zwei ebenfalls wieder in genau der Berufsschule der Bund, und die Beschulung dieses Klassenverbundes kann weiter erfolgen? Eine Aufhebung des Kooperationsverbots wäre hier absolut hilfreich.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine Damen und Herren, Sie merken, es gibt noch viele Fragen, die wir klären sollten. Wie meine Vorredner beantrage ich deshalb Überweisung in den Ausschuss und danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Frau Abgeordnete Anke Erdmann das Wort.

Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Where is the school? - Das war einer der Augenblicke im letzten Jahr, die mich besonders beeindruckt haben. Ich stand am Kieler Bahnhof. Es kamen unzählige Geflüchtete an, nach langen Bahnfahrten quer durch Deutschland und wochenlanger Flucht. Es stand ein 16-jähriger Junge mit seinen beiden Kumpels vor mir. Sie fragten nicht: Wo kann man hier schlafen, wo geht es zur Fähre, oder wo gibt es etwas zu essen? Sondern die Frage war: Wo ist hier die Schule?

Er ist wahrscheinlich einer von knapp 10.000 Kindern und Jugendlichen, die innerhalb eines Jahres in unsere Schulen gekommen sind. Ministerin Britta Ernst hat es bereits angedeutet: Wenn man das vorher gewusst hätte, hätte man wahrscheinlich echt weiche Knie bekommen. So haben alle gar keine Zeit gehabt, sich Sorgen zu machen.

Aber natürlich ist das ein Kraftakt. Das ist ein Kraftakt für die Lehrkräfte in den Erstaufnahmeeinrichtungen, in den DaZ-Basiskursen, in den Grundund Gemeinschaftsschulen, auch besonders in den beruflichen Schulen. Da wird unglaublich viel gestemmt, und die DaZ-Struktur gibt es dort erst seit zwei Jahren; da ist noch gar keine Routine eingekehrt. Auch einige Gymnasien beteiligen sich da bisher.

Das ist ein Kraftakt für die Schulleitungen, für die DaZ-Koordinatoren und auch für die Schulämter, wenn man sich überlegt, was da alles organisiert werden muss. Frau Klahn, deswegen verstehe ich auch nicht, dass Sie sagen, es müsste hier irgendwie klare, planbare Zahlen geben. Denn momentan ist eines der Probleme, dass die Themen immer wieder auf einen zukommen.

(Kai Vogel)

Es ist ein Kraftakt, sich jeden Tag neu einzustellen, besonders auch für die Lehrkräfte. Dass so viele Lehrkräfte „nebenbei“ Zusatzqualifikationen erwerben, um diesen Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden, ist ein dickes Dankeschön wert.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und Sven Krumbeck [PIRATEN])

Das ist auch ein Kraftakt für die Kinder und Jugendlichen, die hierherkommen, die ein Päckchen zu tragen haben, die Dinge gesehen haben, die wir uns gar nicht vorstellen möchten. Sie sind jetzt in unseren Klassen, sind bemüht und finden es oft wirklich toll, endlich wieder zur Schule gehen zu können. - Where is the school?

Ungefähr 10.000 Kinder und Jugendliche sind innerhalb eines Jahres in unsere Schulen aufgenommen worden. Sie sind aufgenommen worden; bis wir sie richtig integriert haben, wird es noch ein langer Weg werden. Bei einigen geht es unglaublich schnell, innerhalb von wenigen Monaten können sie in die Regelklassen gehen und Anschluss finden, bei einigen dauert es etwas länger.

Ich bin froh, dass es eine Weichenstellung durch die Landesregierung gibt, seit dem 1. Januar 2016 700 zusätzliche Stellen. Frau Klahn, natürlich sind nicht alle Stellen besetzt; einige sind erst zum 1. Februar freigeschaltet worden. Aber auch da gab es - glaube ich - schon Besetzungen im Vorfeld, damit mehr Lehrkräfte ankommen. Das finde ich sehr gut.

Die FDP muss sich einmal überlegen, was sie eigentlich will: Hier sprechen Sie davon, dass die Situation an den Schulen so schwierig sei, und gleichzeitig sagt Ihr Fraktionsvorsitzender, er werde gegen die Haushaltspolitik des Landes klagen. Da muss man in der FDP-Fraktion vielleicht irgendwie einmal eine Linie finden.

Was mir an den Aktivitäten des Ministeriums besonders gut gefällt, ist unter anderem, dass auf die außerschulische Bildung abgestellt wird. Die Initiativen im Bereich Ganztag und auch in der Ferienbetreuung sind wirklich gute Modelle und zeigen, dass wir die Schulen nicht nur allein betrachten dürfen, sondern dass das integriert laufen muss. Ich danke auch noch einmal den ganzen Ehrenamtlichen - Frau Ernst hat das schon angesprochen - und den Schülerinnen und Schülern, die unglaublich viele Projekte angeschoben haben und sich an ihnen beteiligen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Es wird mehr LiV-Stellen geben, und ich muss sagen, mir gefällt das Projekt, dass man im zweiten Examen statt einer Examensarbeit einen DaZ-Kurs aufbauen kann, wirklich gut. Das ist für mich pragmatisches und zukunftsorientiertes Handeln. Das ist übrigens kein Problem mit der Prüfungsordnung. Die ist ja verändert worden. Verordnungen sind ja nicht in Stein gemeißelt, und man kann schauen, wie das aussieht. Soweit ich weiß, ist das alles konform gelaufen.

Trotzdem - das kann man nicht wegreden - ist es eine unglaubliche Herausforderung für viele Schulen. Wir hören unterschiedliche Sachen. Teilweise läuft das sehr gut. Dann kommt möglicherweise ein Schwung an Kindern und Jugendlichen, und auf einmal sind die Gruppengrößen wieder deutlich größer, oder eine Lehrkraft wird krank. Wir wissen, dass das an einigen Standorten auf Kante genäht ist. Deswegen hat mich auch das Interview von Aloys Altmann vom Bund der Steuerzahler so unglaublich geärgert, der gesagt hat, wie könne man jetzt eigentlich all diese Lehrerstellen bewilligen, die uns dann jahrelang noch auf der Tasche lägen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Dieser Typ hat wirklich keine Ahnung, wovon er spricht. Ich würde einmal vorschlagen, dass er in einen dieser DaZ-Kurse geht und sich das anschaut, dann sieht er, wie die Arbeit aussieht, die da gemacht wird. Die ist sehr wertvoll, und daran ist überhaupt nicht herumzukritteln.

(Zuruf SPD: Es ist nur ein Verein!)

- Ja, es ist nur ein Verein, genau! Aber dieser hat offensichtlich immer noch eine große Stimme.

Natürlich ist noch nicht alles ganz klar, fix und fertig, sondern es ist ein System, das noch erweitert werden muss. Natürlich muss man sehen, was im Sommer passiert. Wenn ich mir zum Beispiel Kiel anschaue, stelle ich fest: Wir haben bisher ungefähr eine Zahl von Kindern und Jugendlichen in einer Größenordnung von einer Grund- und einer Gemeinschaftsschule, die auch in den Regelunterricht an den Schulen gehen sollen. Wie schaffen wir es also, Kinder und Jugendliche in der Nähe ihres Wohnortes zur Schule gehen zu lassen, auch Geflüchtete, die sich oft an bestimmten Orten stärker aufhalten als an anderen, und trotzdem alle Schulen einzubeziehen? Das ist momentan einer der Punkte, wo man vor allem auch regional gute Lösungen finden muss. Ich glaube, es müssen möglichst viele Schulen mit ins Boot, auch die Gymna

(Anke Erdmann)

sien. Einige scharren schon mit den Hufen und wollen gern. Ich glaube, diese Chance sollte man ihnen auf alle Fälle geben.