Protocol of the Session on January 21, 2016

Wir wissen, dass uns in den nächsten Jahren Zehntausende Pflegende fehlen werden. Sie werden uns an allen Ecken und Kanten fehlen. Ich bin völlig bei Ihnen, Herr Garg, wenn Sie sagen, dass das in den Familien nicht geleistet werden kann. Familiäre Leistungen können staatliche Leistungen nicht ersetzen, weil uns auch die Demografie andere Antworten gibt.

Vor einem knappen Jahr war die geschätzte Kollegin Pauls auf einer gesundheitspolitischen Podiumsdiskussion, zu der der Bundestagsabgeordnete Ernst Dieter Rossmann geladen hatte. Sie stand unter einer sehr interessanten Fragestellung: Was bringen die aktuellen Initiativen von der Pflegezeit bis zur Aufwertung der Pflegeberufe? Ich finde, die Fragestellung des SPD-Kreisverbandes in Pinneberg war sehr klug gewählt. Wir müssen nämlich endlich anfangen, die Pflege von den Pflegenden und den zu Pflegenden aus zu betrachten und nicht

(Dr. Heiner Garg)

aus der Perspektive der Politik. Das haben wir lange genug gemacht.

Wir müssen mehr nachfragen und nachfühlen, was von den großen Ideen und dem, was auf Papier stand, in der Theorie und in der Praxis wirklich gut funktioniert, was davon in der Realität in den Doppelzimmern der Altenpflegeheime und in den Intensivstationen unserer Krankenhäuser wirklich ankommt. Was tut das, und was macht das? Ich denke, dass wir uns bisher viel zu wenig Gedanken über die praktischen Folgen dessen, worüber wir hier debattieren, draußen gemacht haben.

Ich bin sicher, dass die Kollegin Pauls auch in Pinneberg von den großen Segnungen der Pflegekammer geschwärmt haben wird, die auch dieses Problem lösen soll. Die Kollegin Rathje-Hoffmann legt viel Hoffnung in das Pflegestärkungsgesetz - vielleicht berechtigt, vielleicht nicht berechtigt. Wir werden es abwarten müssen. Aber alles das hat mit der aktuellen Situation der Pflegenden herzlich wenig zu tun.

(Birte Pauls [SPD]: Das stimmt doch über- haupt nicht!)

Wenn den jungen Leuten hier heute empfohlen wird, in einen Beruf zu gehen, der tatsächlich krisensicher ist, kann ich davon nur abraten. Ich habe heute Morgen, wie wahrscheinlich viele von Ihnen, eine Mail bekommen, in der der Bundesverband der privaten Pflegedienstanbieter 1.085 € Ausbildungsvergütung nennt und sich damit auf dem zweiten Platz, was die Ausbildungsvergütung generell angeht, ansiedelt. Das hört sich gut an. Das ist auch gar nicht schlecht. Ich darf daran erinnern: Ein Polizeianwärter bekommt bei uns zwischen 1.064 € und 1.100 €. Das ist also tatsächlich nicht schlecht.

Wenn wir uns dann aber um den Arbeitsalltag eines Pflegenden und seine Möglichkeiten, nach der Ausbildung Geld zu verdienen, kümmern - da hat der Kollege Garg mit seiner Darstellung über die Bezahlung in New York und in Deutschland völlig recht -, stellen wir fest, dass ein Altenpfleger kaum 2.000 € brutto erreicht. Für dieses Geld geht niemand gern arbeiten. Da braucht es wirklich die Passion zur Pflege. Sie muss mitgebracht werden. Wenn wir uns dieser Aufgabe gesellschaftlich stellen wollen, müssen wir dafür sorgen, dass das besser bezahlt und anerkannt wird. Das löst eine Pflegekammer, wie wir gehört haben, ausdrücklich nicht.

Jemand, der Pflege betreibt, ist für etwa zehn Bewohner zuständig, denn nach wie vor gilt ein 20

Jahre alter Personalschlüssel, nach dem es 5,4 Bewohner sein sollten.

Herr Abgeordneter Dudda, gestatten Sie eine Bemerkung der Frau Abgeordneten Pauls?

Bitte.

Herr Kollege Dudda, teilen Sie mit mir die Auffassung, dass für das Einkommen von Pflegekräften die Tarifpartner, Arbeitgeber und Gewerkschaften, zuständig sind und wir uns als Parteien tunlichst nicht einzumischen haben, auch wenn wir uns das oft sehr wünschen? Eigentlich ist es doch Aufgabe der Tarifpartner, genau dafür zu sorgen, für anständige Rahmenbedingungen, damit die Menschen in ihrem Beruf das machen können, wozu sie ausgebildet sind. Finden Sie es nicht auch ein bisschen fahrlässig, diesen Beruf an dieser Stelle so niederzureden?

Da haben Sie völlig recht. Darüber haben wir öfter gesprochen. Wir haben leider die Situation, dass wir im Pflegebereich keine starken Gewerkschaften und keine starken personalrechtlichen Vertretungen haben. Wir haben im September 2012 darüber gesprochen, Frau Pauls. Damals haben wir das festgestellt. Damals sollte eine Imagekampagne angegangen werden, die das Sozialprestige des Pflegeberufs deutlich heben sollte. Wenn das erfolgreich gewesen wäre, wären sich die Tarifpartner mit Sicherheit auf anderer Augenhöhe begegnet und hätten das Problem zwischenzeitlich besser gelöst. Das Problem kann nicht - von uns schon gar nicht - gelöst werden, weil wir uns nicht einmischen dürfen. Da haben Sie völlig recht. Trotzdem ist eine ausgebliebene erfolgreiche Imagekampagne mitverantwortlich dafür, dass der Status, das Sozialprestige des Pflegeberufs nicht ausreichend ist und der Beruf vor allen Dingen nicht ausreichend vergütet wird. - Damit ist die Frage beantwortet.

Es ist nicht allein die Vergütung, sondern es sind auch die Arbeitsbedingungen. Wir haben einen Schlüssel von 5,4 pro Pfleger. Wenn ein Kollege

(Wolfgang Dudda)

krank ist, kann es auch einmal sein, dass ein Pfleger 16 Menschen allein versorgen muss. Die Menschen werden immer älter. Die Pflege wird immer intensiver. 45 Minuten - das ist das, was als Satz gilt bräuchte jeder für seinen Patienten. Die hat er aber bei Weitem nicht.

Auf dem Papier kommen im Laufe des Tages, vor allen Dingen vormittags, noch Betreuungskräfte dazu. Die dürfen aber nicht pflegen oder das Essen reichen. Mit Personal aus dem Pflegebereich hätte man mehr Unterstützung für die Menschen. Das ist der Eindruck. Das ist ein Tipp aus der Praxis für die Praxis. Die politische Praxis, das sind wir. Wir verstecken uns häufig genug hinter Statistiken. Wir berechnen Durchschnittswerte und feiern uns für Bürokratieabbau wie zum Beispiel dem Abbau von Dokumentationen. Das ist das Zauberwort. Da wurde über Jahre ein Monster geschaffen. Über kleine Abbauschritte können wir nicht verhindern, dass die Zeit für Bürokratie immer noch in einem Missverhältnis zur Pflege steht. Genau das wollen die Pflegenden nicht und die Gepflegten auch nicht.

Die Pflegenden haben einen hohen Anspruch an sich selbst und leiden unter diesen schlechten Arbeitsbedingungen, an Überlastung, an Bürokratie und würden gern aus Überzeugung - trotz der schlechten Bezahlung - bessere Arbeit leisten dürfen. Das können sie aber nicht.

Wir müssen uns also noch einmal fragen: Was soll das? Was macht das mit uns? Wenn ich jetzt auf das reflektiere, was wir im Spätsommer 2012 hier diskutiert haben, kann ich tatsächlich keine wirklich spürbare positive Veränderung in der Pflege sehen. Tatsächlich wurde das mit den Ausbildungsplatzvergütungen und mit dem Schulgeld besser gelöst keine Frage. Aber eine richtig massive positive Veränderung zugunsten der Pflegenden und damit auch zugunsten der Pflegebedürftigen kann ich nicht wahrnehmen.

Vor dem Hintergrund beschreibt wahrscheinlich der Landespflegebericht, den auch ich nicht bekommen habe, das, was in den letzten drei Jahren unverändert geblieben ist. Deshalb ist er auch nicht besonders relevant. Ich frage mich tatsächlich, was diese Debatte hier heute soll. - Vielen Dank.

(Beifall PIRATEN)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat Herr Abgeordneter Flemming Meyer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Auch ich möchte mich erst einmal bei der Ministerin für den Bericht bedanken. Genau wie im Landespflegebericht, den ich am 8. Dezember 2015 öffentlich zugänglich auf der Internetseite gefunden habe,

(Katja Rathje-Hoffmann [CDU]: Drucksa- chennummer?)

wurde eins sehr deutlich: Zwar nimmt die statistische Wahrscheinlichkeit, im Alter pflegebedürftig zu werden, ab. Aber die absolute Zahl der Pflegebedürftigen nimmt stetig zu. Und nicht zuletzt weil die geburtenstarken Jahrgänge langsam aber sicher in Rente gehen, wird sich diese Situation eher noch verschärfen. Eins ist aus Sicht des SSW jedenfalls ganz klar: An der grundsätzlichen Notwendigkeit, die Pflege umfassend und langfristig zu stärken, hat sich nichts geändert.

Vor allem eine Erkenntnis bleibt hochaktuell: Die Herausforderungen im Pflegebereich sind extrem vielfältig. Um das Berufsfeld insgesamt aufzuwerten, müssen wir vor allem die Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessern. Außerdem müssen wir uns dringend für eine viel stärkere Wertschätzung für Pflegende einsetzen. Hier sind wir zwar längst dran, aber das sind nun einmal echte Daueraufgaben, die allein allerdings auch noch nicht ausreichen.

Denn daneben spielen zum Beispiel auch die Ausund Weiterbildung und die Akademisierung der Pflegeberufe eine große Rolle. Die Bedeutung einer hochqualifizierten Ausbildung ist viel wichtiger, als manche glauben. Studien belegen eindeutig, dass die Arbeitszufriedenheit eng mit einer guten Ausbildung zusammenhängt. Erst die gibt einem die Sicherheit, die man für die Ausübung des Berufes braucht. Deshalb müssen wir die Fort- und Weiterbildung regelmäßig an die veränderten Herausforderungen im Pflegeberuf anpassen. Davon profitieren Pflegebedürftige und Pflegende.

Pflege muss menschlich sein. Wenn es um die Quantität als erste Voraussetzung hierfür geht, stehen wir vergleichsweise gut da. Die Gruppe der Pflegefachkräfte ist seit 2001 um rund ein Drittel gewachsen. Die Zahl der Auszubildenden im Bereich der Altenpflege und Altenpflegehilfe ist seit 2008 sogar um 67 % gestiegen. Fakt ist, dass die entsprechenden Haushaltsmittel von circa 3,7 Millionen € im Jahr 2008 auf derzeit 5,4 Millionen € erhöht wurden. Mittlerweile haben wir 1.800 landesgeförderte schulische Ausbildungsplätze, und die Ausbildung ist damit de facto kostenlos.

(Wolfgang Dudda)

Doch wir brauchen natürlich nicht nur eine Antwort auf die Frage, wie viele Pflegekräfte zur Deckung des Bedarfs nötig sind, die Frage der Qualität ist mindestens genauso wichtig. Für uns ist klar, dass Pflege nur qualitativ hochwertig sein kann, wenn es Zeit und Platz für Zwischenmenschlichkeit und Zuwendung gibt. Diesen Raum wollen und müssen wir unbedingt erhalten. Im Klartext heißt das nichts anderes als ein besserer Personalschlüssel bei weniger Dokumentation und mehr Möglichkeiten, um zum Beispiel Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Auch hier sind wir dran. Aber wir sind längst noch nicht am Ziel. Hier muss sich nicht zuletzt auch die Bundesebene bewegen, um zum Beispiel durch eine verbindliche Personalbemessung den Weg für eine gute und individuelle Betreuung und Pflege der Bedürftigen frei zu machen.

Mit Blick auf die zukünftigen Herausforderungen müssen wir eins bedenken: Immer mehr Menschen wollen möglichst selbstbestimmt und lange im gewohnten Umfeld alt werden. Das ist absolut nachvollziehbar und muss aus meiner Sicht stärker berücksichtigt werden. Gerade weil Schleswig-Holstein die höchste stationäre Versorgungsquote aller Länder hat, müssen wir schnell und ganz erheblich umstrukturieren.

Mich freut, dass auch die strategische Zielrichtung des Landespflegeausschusses in diese Richtung geht. Hier hat man sich unter anderem darauf verständigt, die Selbsthilfepotenziale von Pflegebedürftigen und Angehörigen zu stärken und die nachbarschaftliche Unterstützungsbereitschaft zu fördern. Das sind unheimlich wichtige Ansatzpunkte. Wir werden uns natürlich dafür einsetzen, dass hierfür die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Der Landespflegebericht liefert hierfür wichtige und sehr detaillierte Informationen, auch runtergebrochen auf die Regionen. Diese detaillierten Informationen werden für uns ein wichtiger Leitfaden sein, um herauszufinden, wie man zukünftig das, was wir sowieso schon unheimlich gut machen, noch besser machen kann. - Jo tak.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag hat Herr Abgeordneter Dr. Heiner Garg.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man hier verwirrt Fragen stellt, kann man sie sich auch selber beantworten. Ich möchte einmal zu der Frage, ob es eine schriftliche Vorlage gibt oder nicht, Folgendes sagen: Ich bin davon ausgegangen, als ich den Antrag der regierungstragenden Fraktionen in der Drucksache 18/3647 gelesen habe, dass es um das geht, was da steht:

„Der Schleswig-Holsteinische Landtag bittet die Landesregierung, in der 39. Tagung mündlich über die Situation und Entwicklung der Pflege in Schleswig-Holstein sowie über ihre pflegepolitischen Aktivitäten zu berichten.“

Dann höre ich von der Kollegin Rathje-Hoffmann, es hätte eine Vorlage gegeben, die habe sie aber nicht erreicht. Ich nehme einmal an, der Kollege Tietze wollte mich darauf hinweisen, dass es den Landespflegebericht gibt. Ja, aber üblicher- und höflicherweise wurde so etwas früher den Abgeordneten zugeleitet. Wir waren aber auch so schlau, uns das selbst aus dem Internet zu ziehen. Das ist auch gar nicht mein Punkt.

Ich bin allerdings davon ausgegangen, dass pflegepolitische Aktivitäten und ein Bericht sich nicht ausschließlich auf den Bereich der Altenpflege konzentrieren, insbesondere vor dem Hintergrund des Kontextes, den ich in meiner Rede dargestellt habe. Ich bin davon ausgegangen, dass beides zusammengehört. Aber das ist dann Sache der regierungstragenden Fraktionen. Wenn Sie damit einverstanden sind, dass nur 50 % eines Bereichs abgebildet werden, ist das nicht mein Problem. Das werden wir dann eben bei entsprechender Gelegenheit nacharbeiten. - Herzlichen Dank.

(Beifall FDP)

Das Wort hat die Ministerin Kristin Alheit.

Ganz herzlichen Dank. - Meine Damen und Herren! Herr Garg hat es jetzt ja noch einmal deutlich gemacht, und ich möchte es noch einmal klarstellen. Am 8. Dezember 2015 ist Ihnen, allen Fraktionen, dieser Bericht zugegangen. Wenn das nicht gelesen und weitergeleitet wird, weiß ich nicht genau, woran das liegt. Es war aber unser großes Interesse, dass Sie das alle lesen und bekommen. Das ist ein

(Flemming Meyer)

guter Bericht, und er ist in seinen Informationen auch sehr umfänglich. Zudem habe ich jetzt noch den mündlichen Bericht abgegeben. Aber ich finde diese Verknüpfung tatsächlich sehr wichtig.

Ich möchte aber auch noch einmal auf eine andere Sache eingehen. Sie haben, Herr Garg, jetzt so getan, als wenn wir nicht wirklich etwas bei der Ausbildung geleistet hätten. Also, diese Anzahl bei der Aufstockung an Plätzen hat sonst keiner geleistet. Erstmalig haben wir es erreicht, dass kein Schüler mehr Schulgeld zahlen muss. Verdammt noch einmal: Keine andere Landesregierung vorher hat das geschafft! Was auch immer Sie getan haben, das haben wir erreicht, und das ist unser Ziel. Daran müssen wir festhalten, und das tun wir auch. - Danke schön.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Dr. Heiner Garg [FDP]: Ihr seid so toll!)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ein Antrag ist nicht gestellt worden, damit ist der Tagesordnungspunkt erledigt.

Meine Damen und Herren, aus gegebenem Anlass weise ich noch einmal darauf hin, dass wir im Ältestenrat die Übereinkunft haben, dass Reden, die hier gehalten werden, erst nachdem sie gehalten worden sind, ins Netz gestellt werden.