Protocol of the Session on January 20, 2016

(Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall Lars Harms [SSW])

(Dr. Ralf Stegner)

Wir machen aber nicht mit, wenn sich jetzt diejenigen aufschwingen, um für Frauenrechte zu kämpfen, die damit nichts, aber auch gar nichts zu tun haben, wenn es um deutsche Täter geht.

(Beifall SPD)

Wir machen auch nicht mit, wenn es um pauschale Verdächtigungen von einzelnen Menschengruppen geht. Vor allen Dingen machen wir nicht mit bei der politischen Instrumentalisierung dieser Vorgänge, die zu einem Rechtsruck in Deutschland führt. Diese Leute wollen unsere humanitäre Flüchtlingspolitik durch eine Politik der Abschreckung, der Abschottung und der Abschiebung ersetzen. Das ist nicht unser Deutschland. Das wollen wir nicht. Humanität steht nicht zur Disposition. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Herr Oppositionsführer, der Abgeordnete Daniel Günther.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde, man muss sich nach der Rede des Kollegen Dr. Stegner erst einmal sammeln.

(Zuruf SPD: Das kann nicht schaden!)

Ich habe mich schon ein bisschen über den Wandel in Ihrer Stimmungslage von gestern Abend zu heute gewundert.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Der hat gestern ein bisschen viel getrunken! - Zuruf SPD: Das war jetzt aber gar nichts!)

Entschuldigung, Herr Abgeordneter. - Meine Damen und Herren, ich glaube, dass die Menschen von uns erwarten, dass wir eine sehr ernsthafte Debatte führen. Ich würde mich freuen, wenn wir persönliche Angriffe unterlassen könnten. Damit meine ich nicht den Redner.

(Vereinzelter Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Dr. Stegner, wir reden heute im SchleswigHolsteinischen Landtag. Das ist hier nicht der SPDVorstand. Bei Ihnen muss der Frust über die Neu

ausrichtung der SPD, die in den letzten Wochen in unserem Land stattgefunden hat, ja ziemlich tief sitzen.

(Beifall CDU und FDP)

Wen haben Sie in Ihrer Rede, die Sie eben gehalten haben, eigentlich die ganze Zeit gemeint? Was haben Sie gemeint, als Sie gesagt haben, dass die Ereignisse in Köln jetzt instrumentalisiert würden, dass man plötzlich einen Rechtsruck habe? Was macht denn die SPD seit den Ereignissen in Köln?

(Beifall CDU, FDP und PIRATEN)

Lesen Sie sich doch einmal die Äußerungen Ihrer Parteioberen an. Schauen Sie doch einmal, was die gemacht haben. Der Frust bei Ihnen sitzt tief. Sie haben die Rede in einer solchen Art und Weise gehalten, weil Sie sich in Ihrer Partei nicht durchsetzen können. Heute wäre ein mutiges Wort von Ihnen notwendig gewesen. Sie gerieren sich in der Bundespolitik immer als derjenige, der auf jede Frage eine Antwort weiß und zu allem deutlich Stellung bezieht. Heute wäre eine Stellungnahme von Ihnen gegen Ihre Parteivorderen richtig gewesen. Die machen zurzeit einen Rechtsruck und äußern sich zum Teil wie die AfD; das sage ich in aller Deutlichkeit, Herr Kollege Dr. Stegner.

(Beifall CDU, FDP und PIRATEN - Zurufe SPD)

Das, was sich in der Silvesternacht ereignet hat, ist wirklich furchtbar. Das hat sich übrigens nicht nur in Köln ereignet. Auch in anderen deutschen Städten, zum Beispiel in Hamburg, also ganz in unserer Nähe, gab es an diesem Tag vergleichbare Vorgänge. Wie furchtbar ist es, wenn Frauen sich dort ausrauben, anfassen, sexuell belästigen oder sogar vergewaltigen lassen müssen?

(Zuruf Birte Pauls [SPD])

Frau Abgeordnete, ich bitte Sie. Ein Zwischenruf ist gestattet, aber eine Extrarede nicht.

Wie furchtbar ist es, wenn sie ihren Peinigern hilflos ausgeliefert sind, wenn Freunde und Lebenspartner nicht mehr zu Hilfe eilen und wenn auch die Polizei nicht in der Lage ist, sie vor diesen Gewalttaten zu schützen? An diesem Abend wurden mehrere hundert Straftaten begangen, die angezeigt wurden.

(Dr. Ralf Stegner)

Wir dürfen nicht negieren, dass dieser Abend auch zu einem Stimmungswandel in unserem Land beigetragen hat. Das mögen Sie alle kritisch sehen und den Menschen Rechtspopulismus vorwerfen; aber natürlich gibt es Menschen, die sich angesichts der Ereignisse, die sich in dieser Nacht abgespielt haben, in ihren Befürchtungen in Bezug auf das, was die Flüchtlingswelle für unser Land bedeutet, bestätigt fühlen. Ich sage nicht, dass ich es gut finde, dass die so rumlaufen und so etwas erzählen. Aber ich glaube, auch jeder, der dem bisher entgegengetreten ist, hat an den darauffolgenden Tagen fassungslos auf das geguckt, was sich dort abgespielt hat, dass sich Menschen, die gerade aus Kriegsgebieten zu uns gekommen sind, die Asyl beantragt haben, in einer solchen Art und Weise auf den Plätzen in ihrem Gastgeberland benehmen, obwohl sich das Gastgeberland wirklich durch eine Willkommenskultur ausgezeichnet hat, obwohl dieses Land als eines der wenigen Länder in Europa zeigt, dass es für Flüchtlinge Verantwortung trägt. Dass an einem solchen Tag solche Exzesse von genau diesen Menschen angerichtet wurden, ist doch - ich finde, das muss man hier in aller Deutlichkeit sagen - für uns alle ein ganz verstörendes Bild gewesen.

(Beifall CDU)

Ich sage Ihnen: Mit dem Antrag, den Sie als regierungstragende Fraktionen heute einbringen, werden Sie den Anforderungen, die sich aus dem ergeben, was sich in den letzten Wochen in unserem Land abgespielt hat, nicht gerecht. Auch mit diesem Antrag versuchen Sie - das gilt übrigens auch dafür, dass Sie diese Debatte partout von der Flüchtlingsfrage trennen wollten -, den Zusammenhang zwischen der Flüchtlingswelle in unser Land und dem, was an diesem Abend stattgefunden hat, den es unzweifelhaft gibt, zu negieren.

Ich sage Ihnen: Wenn 90 % der Menschen in unserem Land diesen Zusammenhang sehen, dann dürfen wir als Politik den Menschen nicht den Eindruck vermitteln, dass es diesen Zusammenhang nicht gibt. In Ihrem Antrag haben Sie nichts anderes gemacht, als die Täter zu verschweigen und das zu negieren. Es tut mir leid, aber ich fühle mich bei Ihrem Antrag an die Polizeipresseerklärung vom Neujahrstag erinnert.

(Beifall CDU)

Solche Verharmlosungsversuche helfen uns nicht weiter. Es hilft nicht, wenn Frau Roth sagt, das, was in Köln stattgefunden hat, sei Alltag auf dem Oktoberfest und im Karneval. Das, was dort stattgefun

den hat mit Einkesseln, ist schon ein singuläres Ereignis.

(Zurufe SPD)

In dieser Dramatik hat es so etwas in Deutschland noch nicht gegeben, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall CDU und FDP)

Tun Sie nicht so, als wenn das nicht stimmen würde. Es waren an dem Abend Ausländer, es waren an dem Abend Asylbewerber. Ich finde, das sollten wir auch in der Deutlichkeit sagen. Wir sollten den Menschen nicht vorgaukeln, dass es anders gewesen ist.

Sie merken doch, wozu es führt, wenn man beispielsweise versucht, Kriminalitätsdelikte im Bereich der Einbruchskriminalität in unserem eigenen Land vor der Bevölkerung geheim zu halten. Genau das ist es, was die Menschen nicht wollen. Sie wollen, dass wir in aller Klarheit und Transparenz über die Probleme, die es in unserem Land gibt, reden.

(Beifall CDU und FDP)

Auch diese ganzen panikartigen Reaktionen, die es im Moment gibt, helfen uns nicht weiter. Dieser Überbietungswettbewerb, der öffentlich stattfindet, mit ganz vielen Vorschlägen, die im Moment gemacht werden, hilft uns nicht weiter.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist so absurd!)

- Frau Kollegin von Kalben, weil Sie gleich noch die Möglichkeit haben, zu reden - der Ministerpräsident wird auch reden -, möchte ich von Ihnen gern etwas zu dem hören, was die SPD im Augenblick in Bezug auf Angela Merkel sagt. Ich erinnere mich an Debatten hier im Landtag, in denen einem Redner, wenn er nur formuliert hat, es gebe gewisse Anreize für Flüchtlinge, nach Deutschland zu kommen, sofort Rechtspopulismus unterstellt wurde, und er wurde gefragt: Was sind das für Formulierungen? - Und heute stellt sich die SPD in Gestalt von Herrn Gabriel hier hin - die SPD ist Ihr Koalitionspartner hier in Schleswig-Holstein - und sagt: Frau Merkel, die Kanzlerin, hat die Flüchtlinge nach Deutschland eingeladen, ich betone: „die Flüchtlinge nach Deutschland eingeladen“. Was hätten Sie uns vorgeworfen, wenn wir das einmal so formuliert hätten, wenn wir einfach negiert hätten, dass diese Menschen aus Kriegsgebieten hierherkommen und eine Bleibe suchen, wenn wir einfach gesagt hätten: „Frau Merkel hat die ja alle ein

(Daniel Günther)

geladen, und deswegen sind die fröhlich hierhergekommen“? Was ist das für ein Populismus?

(Beifall CDU)

Dazu möchte ich von Ihnen, Frau von Kalben, und insbesondere von Ihnen, Herr Ministerpräsident, heute ein Wort der Distanzierung hören.

Wenn wir die Ursachen klar benennen - das sollten Sie tun -, dann können wir auch die richtigen Schlussfolgerungen aus den Ereignissen der Silvesternacht ziehen. Natürlich müssen wir stärker gegen sexualisierte Gewalt vorgehen, egal wer der Täter ist. Hier wird es so dargestellt, als sei es etwas Besonderes, dass jeder Täter bestraft wird, unabhängig davon, wer er ist. Aber das ist doch das Grundprinzip unseres Rechtsstaats. Das müssen wir nicht jedes Mal wieder betonen.

(Beifall CDU und FDP - Wolfgang Kubicki [FDP]: Das steht im Gesetz!)

Aber wir brauchen auch eine Neudefinition des Verhältnisses zwischen Politik und Polizei. Ich sage das hier in aller Klarheit. Das, was sich Silvester dort abgespielt hat, das späte Eingreifen der Polizei, hat auch etwas damit zu tun, dass sich die Polizei nicht immer sicher sein kann, ob sie die volle Rückendeckung der Politik hat.

(Beifall CDU - Rasmus Andresen [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Meinen Sie Herrn de Maizière?)

Ich bin mir sehr sicher: Wenn die Polizei das gemacht hätte, was heute alle Fraktionen im Nachhinein von der Polizei erwarten, nämlich präventiv auf diesen Platz zu gehen und dafür zu sorgen, dass die Frauen geschützt werden, wenn sie mit richtig vielen Polizisten dort hingegangen und gegebenenfalls auch mit Gewalt vorgegangen wäre, dann - da bin ich mir sicher - hätte es hier aus einigen Reihen Kritik an der Polizei gegeben. Dann hätte man kritisiert, wie die Polizisten mit den Flüchtlingen umgegangen sind, und man hätte von einer Unverhältnismäßigkeit der Mittel gesprochen. Sie müssen Ihr Verhältnis zur Polizei einmal sortieren und in allen Fällen gleich reagieren und nicht sagen: Es ist richtig, wenn die Polizei gegen Nazis vorgeht, aber bei anderen Gewalttätern ist das falsch. Das müssen Sie erst einmal untereinander klären.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das ist Unsinn, was Sie hier reden!)