Protocol of the Session on January 27, 2010

Um diesem Problem zu begegnen, bedarf es nach Auffassung der FDP- Fraktion grundsätzlich keiner Änderung geltender Rechtsnormen. Auch die Forderung nach einer Schocktherapie durch das Anschauen von Unfallbildern ist nach unserer Auffassung nicht der geeignete Weg.

(Beifall bei FDP, CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Richtig ist hingegen der Versuch, dieses Thema auf Grundlage der Untersuchung der Ruhr-Universität mit einem gesamtgesellschaftlichen Ansatz aufzugreifen. Wir, meine Damen und Herren, sind gern bereit, uns an diesen Beratungen konstruktiv zu beteiligen.

(Beifall bei FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Für die Fraktion DIE LINKE hat Herr Abgeordneter Heinz-Werner Jezewski das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe ja vollstes Verständnis dafür, dass ein neugewählter Minister von sich reden machen möchte. Wenn inhaltlich nicht allzu viel vorhanden ist, dann verschafft man sich einen Überblick über Themen, die den deutschen Stammtisch gerade beschäftigen, und schwadroniert über das Tatkräftigste davon.

Dass die Öffentlichkeit nicht für das Thema sensibilisiert wäre, glaube ich nicht ganz. Wenige Tage vor den Äußerungen des Ministers lief nach meinen Informationen ein Fernsehkrimi über genau dieses Thema. Dass die Äußerungen des Ministers etwas mit dem Fernsehkrimi zu tun haben, will ich jetzt nicht ausschließen, kann ich aber auch nicht bestätigen.

Es liegt natürlich nahe, etwas gegen Gaffer zu fordern. Wer würde nicht zustimmen? Das Verhalten

(Jens-Uwe Dankert)

dabei ist ekelhaft, und man müsste dringend etwas dagegen unternehmen. Wenn wir aber einmal hinter die Fakten schauen, sehen wir, dass unterlassene Hilfeleistung ganz oft Hilflosigkeit ist. Es gibt hervorragende Programme, dieser Hilflosigkeit zu begegnen, nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern auch in anderen Bundesländern. Da wird trainiert. Ich habe letzte Woche wieder von einem Programm gelesen, wo Schauspieler Gewalt in Fußgängerzonen spielen. Die Menschen, die daran vorbeigehen, werden anschließend angesprochen, und man versucht so, ihnen diese Hilflosigkeit zu nehmen. Das ist nicht böser Wille, sondern dahinter steckt etwas ganz anderes.

Ich glaube, dem Problem wird man mit Schocktherapie nicht beikommen. Ein reales Problem ist das Gaffen, glaube ich nicht, außer im „Tatort“. Reale Probleme sind aber meist mit harter Arbeit verbunden, und am Stammtisch kann man damit nicht so gut punkten. Anstatt sich also um die ohne Zweifel vorhandenen und dringenden Personalprobleme bei der Polizei zu kümmern, schmeißt der Innenminister eine sogenannte Schocktherapie für sogenannte Gaffer auf den Markt. Er ist ja nicht der einzige, der so etwas tut, auch der Vorsitzende der CDU-Fraktion redet ja manchmal etwas, was er so nicht sagen soll. Er kriegt ja nun einen Aufpasser. Das ist ein talentierter junger Mann, Herr Ministerpräsident, Herr Parteivorsitzender, vielleicht können Sie den für den Innenminister noch ein bisschen abstellen lassen, dann kann er sich um beide kümmern, und es passiert in Zukunft nicht mehr.

Nun wäre es an uns, das Ganze womöglich versickern zu lassen, schließlich ist der Innenminister in dieser Landesregierung ja keine Ausnahme, sondern deren Spiegelbild, das Motto „große Worte keine Taten“ anschaulich versinnbildlichend.

Eine andere Möglichkeit wäre es aber, auf die Sau aufzuspringen, die ein Minister durchs Land jagen will, und zu versuchen, sie in eine bestimmte Richtung zu lenken. Wenn wir uns das angewöhnen, spielen wir als Opposition genau die Rolle, in der uns die Landesregierung gern sehen würde. DIE LINKE wird das nicht tun. Wir werden keine Spiegelfechterei betreiben und nicht gegen Windmühlen anstürmen und uns daher bei diesem Antrag enthalten.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der FDP: Das ist doch kein Antrag, sondern ein Bericht!)

Das finde ich ganz spannend, Herr Jezewski, was Sie jetzt noch abstimmen möchten? Weil: Wir haben über den Antrag schon abgestimmt. Das war nämlich ein Berichtsantrag.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb war ich etwas überrascht.

(Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE]: Die Rede ist auch schon vier Wochen alt!)

Für den SSW spricht die Abgeordnete Silke Hinrichsen.

Herr Minister Schlie, danke für den Bericht. Das war ja sehr interessant, aber manchmal kommt man in der Presse dann so „interessant“ rüber. Danach wollten Sie ja einen schönen neuen Weg beschreiten, indem Sie diese Gaffer namentlich erfassen, schockierende Bilder zeigen, sodass diese in Zukunft tatkräftig handeln, statt nur zuzuschauen. Dieses Phänomen gibt es jedoch schon seit Langem. In der Kriminologie ist dies bereits seit 40 Jahren bekannt und untersucht.

Diese Untersuchungen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Je mehr Personen sich an einem Tatort oder Unfallort befinden, desto geringer ist die Hilfsbereitschaft des Einzelnen. Dieser Zuschauereffekt - oder Bystander-Effekt - wurde in zahlreichen Versuchen belegt. Ich muss nur sagen, was ich in dem Zusammenhang viel schlimmer finde, nämlich, dass das Fernsehen allgemein gesprochen - öffentlich rechtlich oder auch privatrechtlich organisiert - diese Entwicklung unterstützt. Katastrophenbilder werden im Fernsehen gern gezeigt. Gucken Sie sich einige Nachrichtenmagazine an! Das ist ungefähr so, als sei der Reporter direkt am Unfallort gewesen und habe erst einmal gefragt, wie es dem Betreffenden geht, der leider gerade im Auto liegt. Dieser Gaffereffekt, so empfinde ich es immer stärker, wird noch durch die Medien unterstützt.

Der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft ist allerdings weder mit Strafe noch mit Therapie beizukommen. Gesellschaftliche Probleme lassen sich auch so nicht so leicht lösen. Es ist nur ganz interessant - ich hatte Sie schon im Innen- und Rechtsausschuss danach gefragt -: Auf der Innenministerkonferenz hat man dieses Thema ja behandelt, denn es gibt eine sogenannte Protokollnotiz, nach der einige Bundesländer gern Folgendes untersuchen möchten, nämlich eine Novellierung

(Heinz-Werner Jezewski)

der strafrechtlichen Sanktionen bezüglich der Behinderung von Feuerwehrleuten und Rettungskräften. Meine Nachfrage an Sie war ja ganz konkret gewesen: Was wollen die? Die konnten sie auch nicht beantworten.

(Minister Klaus Schlie: Die Ministerkonfe- renz war später!)

Die war im Dezember. So alt ist sie nicht, aber die Protokollnotiz stammt aus den aktuell veröffentlichten Beschlüssen dieser Konferenz.

Für uns ist das Problem, dass grundsätzlich das Strafrecht auch nicht der gangbare Weg zu sein scheint, sondern eher der übereinstimmende gesellschaftliche Konsens ist, dass so etwas nicht zulässig ist. Wir sollten darauf achten - das finde ich viel wichtiger -, dass dies auch in den Medien so wahrgenommen und das nicht weiterhin gezeigt wird. Eine bestimmte Zeitung spricht womöglich direkt mit demjenigen, der da gerade am Boden liegt und Ähnliches; ich weiß nicht, ob ich sagen darf, was ich dazu denke.

Für mich ist das Problem dabei einfach: Wie sollen wir das künftig verhindern? Ich bin gespannt darauf, wie Sie eine solche Veranstaltung organisieren wollen. Wie gesagt, mit strafrechtlichen Sanktionen wird es schwierig. Bei tatsächlicher Behinderung beziehungsweise Verhinderung von Hilfeleistungen gibt es den § 323 c; das haben die Kollegen schon ausgeführt. Nur ist da die Voraussetzung, dass diese Leute helfen können, nämlich Verantwortung überhaupt übernehmen können. Das reine Zugucken sozusagen wird nicht unter Strafe gestellt, auch nicht im Strafgesetzbuch. Ich weiß nicht, wie man das irgendwie regeln könnte. Daher wäre ja, wenn das Fernsehen dabei ist, als erster der Reporter dran, der diese Dinge immer filmt.

Ich bin gespannt, wie wir das weiter verfolgen werden. Es wäre nur ganz schön, in der Zukunft dies nicht erst in der Zeitung, als interessante Theorien zu lesen und hinterher im Landtag zu sitzen und zu sagen: Na ja, ganz so war das nicht gemeint.

(Beifall bei SSW und SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Ich stelle zunächst fest, dass der Berichtsantrag Drucksache 17/73 durch die Berichterstattung der Landesregierung seine Erledigung gefunden hat. Es ist kein Antrag gestellt worden. Der Tagesordnungspunkt ist damit erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:

Sicherung der Rundfunkfreiheit

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/83

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Dies ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordneter Thorsten Fürter von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Zuruf von der SPD: Wir verschieben es noch einmal!)

- Nein, wir verschieben es nicht auf morgen. Es ist eine Redezeit von 35 Minuten eingeplant. Wenn wir uns ein bisschen zusammenreißen, klappt es auch.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Noch ein Thema, das aus der letzten Tagung übrig geblieben ist: Die Rundfunkfreiheit ist in Gefahr geraten.

(CDU: Oh!)

- Ja! Ein CDU-Ministerpräsident versucht mit fadenscheinigen Argumenten einen anerkannten Journalisten aus dem Amt des ZDF-Chefredakteurs zu drängen gegen das Votum des Intendanten. Die Empörung ist groß. Fast 39.000 Menschen unterzeichneten den Compact-Appell für die Rundfundfreiheit innerhalb von nur drei Tagen, 35 Staatsrechtler veröffentlichten in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ einen offenen Brief, nennen den „Fall Brender“ einen Prüfstein für die Rundfunkfreiheit. Es nutzte alles nichts. Der Hebel der Staatsmacht war länger. Nikolaus Brender wurde mit der schwarzen Mehrheit im Verwaltungsrat die Wiederwahl zum ZDF-Chefredakteur verweigert. Brender galt als unabhängiger Kopf. Es ist oft seine Konfrontation mit dem damaligen SPD-Bundeskanzler Schröder in der legendär gewordenen Berliner Runde des Wahlabends 2005 wiederholt worden. Dennoch war er dem hessischen Ministerpräsidenten Koch ein Dorn im Auge.

(Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ist das!)

Hier organisierte Ministerpräsident Koch den direkten Zugriff der Staatsmacht auf den Rundfunk, der doch frei sein soll. Ich finde, Herr Koch hat nicht nur gegriffen, er hat sich dabei auch vergriffen. Dies darf nicht wieder passieren.

(Silke Hinrichsen)

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

„Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet, eine Zensur findet nicht statt.“ Diesen Satz aus dem Grundgesetz Art. 5 möchte ich Ihnen ins Gedächtnis rufen. Er garantiert die Staatsfreiheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Staatsfreiheit heißt, dass der Staat inhaltlich auf die Arbeit keinen beherrschenden Einfluss nehmen darf. Diese Garantie gilt und galt auch für das ZDF.

Staatlichen Übergriffen muss ein Riegel vorgeschoben werden. Wir fordern in unserem Antrag, dass die Landesregierung eine abstrakte Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht einreicht, um die Verfassungsgemäßheit des ZDF-Staatsvertrags zu überprüfen. Diese Möglichkeit besteht für die Landesregierung. Es reicht, wenn wir das hier so beschließen.

Die im ZDF-Staatsvertrag vorgesehene Machtverteilung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Vertretern ist schon lange in der Kritik. Dass Vertreter von Regierungen mit Sitz und Stimme die Berichterstattung über ihre eigene Politik beaufsichtigen sollen, das haben wir beim NDR schon lange hinter uns gelassen. Beim ZDF ist es leider immer noch Realität. Die Causa Brender hat gezeigt, dass hier nicht bloß ein rechtstheoretisches Problem liegt - für Juristen interessant -, der Einfluss der Regierung auf den Rundfunk muss gekappt werden. Deswegen wollten wir das ZDF-Gesetz verfassungsrechtlich überprüfen lassen.

Was kann kommen, wenn das Verfassungsgericht den ZDF-Staatsvertrag kippt, wovon ich überzeugt bin? Unsere Vorschläge legen wir heute auf den Tisch. Die Mitglieder in den Rundfunkgremien, die von Parteien entsandt werden, wollen wir deutlich reduzieren. Wir plädieren dafür, dass tatsächlich die Rundfunkteilnehmer, also die Menschen, die es nutzen, was da verbreitet wird, mehr Gewicht erhalten. Die Auswahl der Mitglieder des Fernsehrats sollte sich anlehnen an die Auswahl von Gerichtsschöffen.

(Zuruf von der CDU)

Wir nehmen den Norddeutschen Rundfunk von unseren Ideen nicht aus. Zwar ist die Zusammensetzung der Gremien eine andere, jedoch auch beim NDR können weitere Sicherungen eingebaut werden, damit die Staatsferne garantiert bleibt. Denn auch hier hat ein CDU-Ministerpräsident versucht, seinen Einfluss auf den NDR zu vergrößern, indem er die Anzahl der Rundfunkratsmitglieder nach sei