Protocol of the Session on April 27, 2012

(Heiterkeit bei der CDU)

(Ursula Sassen)

nicht in zwei Welten zu Hause zu sein, hier Politik und tough, dort Geschäft und tough. Das Zweite ist zu manchen Zeiten nicht ganz so gut gelungen, weil hier doch schon sehr viel Energie verbraucht worden ist. Aber ich muss auch wieder lernen, in mich selbst hineinzuhorchen, schauen, gucken, was für mich gut ist und wo ich stehe.

Ich wünsche auch Ihnen allen, dass Sie Zeit dazu finden. Ich bedanke mich bei all denen, die Sie mir zwölf Jahre lang Gehör geschenkt haben, nicht nur hier im Plenarsaal, sondern auch privat und hier und da auf den Fluren.

Vielen Dank also und für Sie alle eine gute Zeit.

(Lang anhaltender Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Ursula Sassen, in diesem Sinne - Vorbereitung auf die neue Zeit - begrüße ich die Partner der Abgeordneten oben auf der Tribüne, die das gerade miterlebt haben und sich darauf freuen können.

(Beifall)

Wir fahren fort in der Debatte. Das Wort für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Siegrid TenorAlschausky.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Wille! Die SPD-Fraktion dankt Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herzlich für die geleistete hervorragende Arbeit.

Auch 2011 stieg die Anzahl der Eingaben zum wiederholten Male an; über 3.700 Hilfeersuchen zeigen einerseits die hohe Akzeptanz, die dem Amt der Bürgerbeauftragten entgegengebracht wird, andererseits wird aber auch erneut deutlich, dass zahlreiche Bürgerinnen und Bürger Probleme mit Entscheidungen von Behörden und Institutionen haben.

Welche Themen und Probleme haben nun die Bürgerinnen und Bürger im Jahre 2011 so beschwert, dass sie sich hilfesuchend an die Bürgerbeauftragte wandten? - 38 % der Eingaben betrafen den Bereich rund um das SGB II, die Grundsicherung für Arbeitssuchende, mit, wie Sie kommentieren, „seinen vielfältigen Missständen, Problemen und Schwierigkeiten“.

Nach wie vor beschweren sich viele Hilfesuchende über die Unübersichtlichkeit und den Sprachstil der

oft schwer verständlichen Bescheide. Auch sechs Jahre nach Einführung des SGB II scheine es für die Behörden eine unlösbare Aufgabe zu sein, die Bescheide bürgerfreundlicher, transparenter und selbsterklärend zu gestalten.

Auch überschritten, so der Bericht, die Jobcenter häufig die gesetzliche Rahmenfrist von drei Monaten bei der Bearbeitung von Widersprüchen, sodass zahlreiche Untätigkeitsklagen bei den Sozialgerichten eingereicht wurden. Dieser Zustand ist für uns nicht tragbar; denn viele Hilfesuchende, denen Leistungen zu Unrecht versagt wurden, geraten in wirklich existenzielle Not. Wir können nur hoffen, dass nach der Reform der Jobcenter ein Klima des Vertrauens und der Verlässlichkeit zwischen Behörden und Bürgerinnen und Bürgern entsteht, die Ämter für ihre Arbeit entsprechend ausgestattet und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter qualifiziert werden und auch dort prekäre Arbeitsverhältnisse endlich zur Ausnahme werden.

Zu einem weiteren Schwerpunkt des Berichts macht die Bürgerbeauftragte den Umgang mit dem Bildungs- und Teilhabepaket. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Regelsatzurteil entschieden, dass der die Menschenwürde achtende Sozialstaat nachrangig über das Fürsorgesystem Leistungen erbringen muss, die notwendig sind, damit insbesondere Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen Haushalten durch Entwicklung und Entfaltung ihrer Fähigkeiten in die Lage versetzt werden, ihren Lebensunterhalt später aus eigenen Kräften zu bestreiten.

Es ließe sich trefflich darüber streiten, ob ein Schulbedarfspaket von 100 € jährlich und zusätzlich 10 € monatlich für Beiträge für Sportverein oder die berühmten Musikschulen oder Nachhilfe wirklich ausreichen, um dieses vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Recht auf Teilhabe umzusetzen. Die SPD hält, wie übrigens viele Fachleute, den Verwaltungsaufwand für zu hoch. Nicht alle Kinder und Jugendlichen kommen in den Genuss einer Förderung, denn Anträge müssen von den Eltern gestellt werden, Angebote vor Ort auch verfügbar sein. Was nützt der Anspruch auf einen Zuschuss zum Mittagessen, wenn das Kind eine Schule besucht, in der es ein solches Angebot nicht gibt?

Das Bildungs- und Teilhabepaket sichert die konkreten Teilhabemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen nur unzureichend. Besser wäre es, eine für die Eltern kostenlose Infrastruktur zur Betreuung und Förderung von Kindern und Jugendlichen zur Verfügung zu stellen.

(Ursula Sassen)

(Beifall bei der SPD und des Abgeordneten Flemming Meyer [SSW])

Nur dann hätten auch sie bessere Chancen für ihr weiteres Leben.

Wie gehen wir als Parlament nun mit den jährlichen Berichten der Bürgerbeauftragten, aber auch mit ihren von uns erbetenen Stellungnahmen in Anhörungen um? Es soll ja auch zunächst immer einmal das Positive erwähnt werden - heute ganz besonders. Ich freue mich, dass der Tagesordnungspunkt „Bericht der Bürgerbeauftragten“ heute als gesetzter Tagesordnungspunkt behandelt und nicht kommentarlos überwiesen wird. Das wäre ja auch schwierig.

Wer sich allerdings einmal damit beschäftigt, welche Anregungen der Bürgerbeauftragten umgesetzt wurden, kann feststellen, dass ihre Anregungen an Behörden fast vollständig umgesetzt werden, ihre Anregungen an das Parlament, an die Parlamentarierinnen und Parlamentarier, allenfalls teilweise.

Da ist es dann schon ein großer Erfolg, wenn die sogenannten atypischen Bedarfe, nämlich orthopädische Schuhe - das hat vielleicht der eine oder die andere schon einmal gehört -, nun Bestandteil des SGB II sind. Schon 2006 forderte die Bürgerbeauftrage die Freistellung von Ansprüchen aus Sterbeversicherungen vom Einsatz als Vermögen in der Sozialhilfe. Die Umsetzung ist bisher nicht erfolgt. Das ist eine Regelung, die viele Menschen belastet, die nicht verstehen, warum sie nicht für ein würdiges Begräbnis vorsorgen können.

Wir Sozialdemokraten schätzen auch die klaren Aussagen der Bürgerbeauftragten in ihren Stellungnahmen. Beispielhaft möchte ich hier eine Anmerkung zur beruflichen Eingliederung Alleinerziehender, die die Bürgerbeauftragte zur Antwort der Landesregierung zu unserer Großen Anfrage abgegeben hat, zitieren:

„Offensichtlich hat eine Analyse der Angebote für Alleinerziehende im Hinblick auf Effektivität und Effizienz nicht stattgefunden. Dies muss nachgeholt werden. Ziel einer erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik muss die nachhaltige Integration in den ersten Arbeitsmarkt sein.“

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Ursula Sassen [CDU])

„Hiervon kann nach meiner Ansicht nur gesprochen werden, wenn dies zugleich bedeutet, dass keine staatlichen Hilfen mehr benötigt werden. Zu oft geben sich die Behörden zufrieden, wenn es ihnen gelungen ist, Al

leinerziehenden zum Beispiel einen 400-€Job zu verschaffen.“

Kurz, knapp, eindeutig!

Liebe Frau Wille, zum Schluss meiner Rede möchte ich Ihnen im Namen meiner Fraktion, aber vor allem auch ganz persönlich für Ihre Arbeit, für Ihren Sachverstand und für Ihr Engagement danken.

(Beifall)

Da dies auch meine letzte Rede ist, noch drei Anmerkungen. Der Worte sind genug gewechselt. Ich danke allen denjenigen, mit denen es sich trefflich streiten und konstruktiv diskutieren ließ, und wünsche Ihnen persönlich alles Gute und dem nächsten Landtag Ausschüsse, die ihre Arbeit zumindest zum Teil auch wieder als Fachausschüsse verstehen.

(Beifall)

Für die FDP-Fraktion hat Frau Abgeordnete Anita Klahn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Wille, im Namen der FDP-Fraktion spreche auch ich Ihnen und insbesondere Ihren Mitarbeitern unseren Dank aus für die im Jahr 2011 geleistete Arbeit; denn davon hatten Sie reichlich.

Frau Sassen hat es bereits gesagt: Sie hatten eine Steigerung von 3,3 % der Petitionen. Das bedeutet 3.713 Petitionen - so viele wie noch nie. Normalerweise freut man sich ja über Steigerungsraten, aber in diesem besonderen Fall und Aufgabengebiet eigentlich nicht, denn hier wären rückläufige Zahlen eher ein Erfolg für die Umsetzung des Dienstleistungsgedankens im Bereich der Verwaltung.

Zu verbessern ist nach wie vor die Bearbeitungsdauer sowie die Lesbarkeit der Bescheide - eine Klage, die sechs Jahre nach Einführung des SGB II eigentlich nicht mehr sein dürfte.

Wie in den Vorjahren lag der Aufgabenschwerpunkt im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende, wobei sich die Fallzahlen von 44 % im Vorjahr auf 38 % im Berichtsraum reduziert haben. Auch wenn die Bürgerbeauftragte dies skeptisch bewertet, ist positiv zu vermerken, dass nach mehreren Grundsatzentscheidungen des Bundessozialgerichts nun durch die Reform des SGB II hier Rechtssicherheit einkehrt. Auch die von Schwarz

(Siegrid Tenor-Alschausky)

Gelb durchgeführten Sozialreformen haben die Rechtssicherheit deutlich verbessert, wobei im Bereich des SGB II das zu berücksichtigende Einkommen inhaltlich weitgehend unverändert geblieben ist. Aber der Freibetrag für Erwerbseinkommen, welches 800 € übersteigt und nicht mehr als 1.000 € beträgt, wurde von 10 % auf 20 % erhöht und trägt damit zu einer verbesserten finanziellen Situation der Leistungsberechtigten bei. Damit Leistungsbezieher ihren Anspruch nicht verlieren, können einmalige Einnahmen auf sechs Monate verteilt werden.

Beispielhaft hervorzuheben sind auch die neuen Regelungen zur anteiligen Kostenübernahme von privaten Krankenversicherungen, denn bisher gab es hier eine Regelungslücke von 155 €, die dann die Betroffenen selbst tragen mussten

Erstmalig wurde die Finanzierung von orthopädischem Schuhwerk aufgenommen, Warmwasserkosten wurden Bestandteil der Leistung für Heizung und Unterkunft, und wer einen Mehrbedarf durch die Benutzung von Boilern oder Durchlauferhitzern hat, ist zukünftig abgesichert. Heizkosten, die über den kommunalen Richtwerten liegen, führten bislang zu unsäglichen Klageverfahren. Auch hier hat der Gesetzgeber für Klarheit gesorgt.

Notwendige Instandhaltung von selbstgenutztem Wohnungseigentum wird jetzt als Bedarf für Unterkunft anerkannt. Und ein weiterer Schritt zur zukünftigen Rechtssicherheit wird durch die Ermächtigung der Kommunen dort, wo es keinen Mietspiegel gibt, die Höhe der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung per Satzung festzulegen, erfolgen. Dies hatte ja auch die Kollegin Sassen schon angeführt.

In diesem Punkt - das will ich auch klar und deutlich sagen - teilen wir Liberale nicht die Auffassung der Bürgerbeauftragten, dass dies die Wesentlichkeitstheorie verletzt, sondern befinden uns in Übereinstimmung mit der Expertise aus dem Sozialgericht und den kommunalen Landesverbänden. Die fachlichen Stellungnahmen sowohl von der Präsidentin des Landessozialgerichts als auch vom stellvertretenden Direktor des Sozialgerichts in Schleswig sind eindeutig.

Ich rege daher an, dass die Bürgerbeauftragte die Entwicklung in diesem Bereich genau in den Blick nimmt, da durch die neue Satzungsermächtigung die Zahl der Klageverfahren in erheblichem Umfang reduziert werden soll.

Meine Damen und Herren, auch ich bin der Bürgerbeauftragten sehr dankbar für die erste Bilanz zur

Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets und ihre Einschätzung, dass die Probleme in der Einführungsphase jetzt weitgehend gelöst sind. Dennoch mahnen Sie, Frau Wille, zu Recht an, dass die kommunalen Leistungsträger in der Pflicht sind, Kinder und Jugendliche bei den Angeboten der gesellschaftlichen Teilhabe zu unterstützen.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

In diesem Zusammenhang empfehlen Sie die persönliche Beratung, an deren Ende die sofortige Antragstellung steht.

Zum jetzigen Zeitpunkt benutzen von circa 120.000 Anspruchsberechtigten etwa 30.000 das Bildungs- und Teilhabepakt. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, diese Zahl zeitnah deutlich zu erhöhen. Vorbildlich handhabt das die Freie- und Hansestadt Hamburg. Ich wünsche mir, dass sich die Kreise und kreisfreien Städte bei der Ausgestaltung der Leistungsgewährung hieran orientieren.