Protocol of the Session on April 27, 2012

Diese Debatte lässt sich aufgliedern in zwei große Themenkomplexe, die letztlich auf den gleichen Punkt zurückgehen. Wie organisieren wir Politik in einem vernetzten kooperierenden Lebensraum? Wie überwinden wir, dass jedes Land und jeder Nationalstaat seine eigene Suppe kocht?

Zunächst zur Frage der Zusammenarbeit mit unserem Nachbarland Hamburg. Klar ist: Wir wollen eine stärkere Partnerschaft. Aus unserer Sicht muss es dafür einen institutionellen Rahmen geben. Wie dieser Rahmen aber aussehen soll, darüber sind wir uns auch nach den Ausschussberatungen weiterhin nicht ganz einig in diesem Haus. Es gibt bereits einen regen Austausch und vielfältige Kooperationen zwischen Schleswig-Holstein und den anderen norddeutschen Ländern, die intensivsten mit Hamburg. Dieser findet allerdings nur unregelmäßig und punktuell und nur selten zwischen Parlamentariern statt.

Meine Kolleginnen und Kollegen aus den anderen norddeutschen Ländern - zum Beispiel Frau Veit habe ich auf den Ostseeparlamentarierkonferenzen in Skandinavien getroffen, aber nicht in Hamburg oder Hannover. Das ist doch verrückt. Wir brauchen ein Forum in einem größeren Rahmen, das Gelegenheit bietet, zusammenzukommen und den gegenseitigen Austausch und das gegenseitige Kennenlernen zu fördern.

Das bildet eine gute Basis, um gemeinsame Konzepte zu entwickeln. Dafür ist die spärlich besetzte Parlamentarierkonferenz, die von CDU und FDP vorschlagen wird, nicht weitgehend genug. Sie muss mehr als einen Vertreter einer Fraktion um

fassen, sonst wird es keine Parlamentarier- sondern nur eine Fraktionsvorsitzendenkonferenz. Und diese Konferenz kann nur der Anfang sein. Sie muss verbunden werden mit einem Arbeitsgremium, das in die parlamentarische Arbeit eingebunden ist. Ein Gemeinsamer Ausschuss ist dafür der richtige Weg, und er ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Gemeinsame Ausschuss bleibt immer nur unterstützendes Hilfsorgan wie jeder andere Landtagsausschuss auch. Er muss genauso demokratisch legitimiert sein wie das Parlament und die dort herrschenden Kräfteverhältnisse selbstverständlich entsprechend widerspiegeln. In den gemeinsamen Ausschüssen liegt eine ganz große Chance, dass ein gemeinsames Wir entstehen kann.

Themen gibt es genug: Verkehr, Wirtschaft, Schule, Hochschule und viele andere - sie sind alle im Bericht der Enquetekommission aufgeführt.

Weil CDU und FDP diesen Antrag heute ablehnen werden, wird es eine Aufgabe für uns im nächsten Landtag sein, das weiter zu verfolgen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Beim zweiten Punkt in dieser komplexen Debatte geht es um die demokratische Legitimation von Politik durch das wählende Volk und um einen stärkeren Akzent auf der parlamentarischen Arbeit in der Gewaltenbalance zur Exekutive. Mit der europäischen Integration haben sich die Zuständigkeiten der Europäischen Union zunehmend ausgeweitet, sodass es praktisch keinen Politikbereich mehr gibt, der von der europäischen Gesetzgebung nicht erfasst wird. Für uns als Landesparlament ist es wichtig, dass unsere Meinung auch im Bund klar wird. Das Instrument dafür ist der Bundesrat. In ihm sitzen aber die Landesregierungen und keine Parlamentsvertreter.

Um unsere Position im Bundesrat deutlich werden zu lassen, muss sie dort auch ankommen. Deshalb brauchen wir das Weisungsrecht des Landtags an die Landesregierung. Ein solches Weisungsrecht ist bereits wortgleich in Baden-Württemberg eingeführt worden.

Die Kernkompetenz der Exekutive bleibt unberührt, ein Weisungsrecht für sämtliche Regierungsangelegenheiten wird gerade nicht gefordert. Deshalb ist es auch verfassungsgemäß. Die rechtliche Verbindlichkeit dient der Klarheit im organisatorischen Institutionsgefüge. Gleiches wird auch in der Stutt

garter Erklärung der Parlamentspräsidenten gefordert. Vor dem Hintergrund einer sich verändernden Entscheidungsstruktur in Europa ist die alte Denkweise nicht länger hinnehmbar. Ebenso sehen dies der ehemalige Bundesverfassungsgerichtspräsident Professor Papier und der Landtagsdirektor Professor Schliesky.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, tun Sie doch nicht so, als wäre Ihnen das alles neu und die Verfassung würde im Eiltempo geändert. Die Ideen zu einer Reform der Parlamentsrechte sind zwei Jahre alt und werden selbst in ihren eigenen Reihen vertreten. Sie hatten also genügend Zeit, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Auch beim Thema Weisungsrecht des Landtags an die Landesregierung bei Verfassungsklagen braucht es eine neue Regelung. Da sind noch Nachjustierungen in unserem Antrag notwendig. Da arbeiten wir nach und werden das Thema in der nächsten Wahlperiode weiter verfolgen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski das Wort.

Vielen Dank! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer kleinen Fraktion zu sitzen, hat Vor- und Nachteile. Der Nachteil ist eindeutig, das meiste, was man sagen wollte, ist bereits vorher gesagt. Der Vorteil ist, man kann zu allem noch einmal seinen Senf dazugeben.

Frau Kollegin Brand-Hückstädt, natürlich habe ich mich gefragt, was denn die Parlamentspräsidentin der Hamburger Bürgerschaft zu den Zuständen bei uns hier sagen wird. Haben wir einen Wissenschaftlichen Dienst, der Vorlagen in Bausch und Bogen zerreißt? Das hat der Wissenschaftliche Dienst natürlich nicht getan, sondern der Wissenschaftliche Dienst hat - da stimme ich ihm inhaltlich zu - die Vorlagen, so wie es seine Aufgabe ist, juristisch bewertet und ist zu einer Stellungnahme gekommen. Er hat uns in seiner Weisheit die Möglichkeit gegeben, auf diese Bewertung einzugehen.

Kollege Habersaat, für meine Partei kann ich definitiv erklären, Bankräuber wählen in der Mehrheit

auch nicht DIE LINKE. Vielleicht erklärt das die derzeitigen Umfrageergebnisse im Land.

(Vereinzelte Heiterkeit)

Als wir mit dieser Debatte angefangen haben, habe ich mich gefragt, warum wir sie eigentlich führen. Was passiert hier eigentlich? Wir haben die Debatte vor zwei Monaten geführt, wir haben diese Debatte schon über Jahre geführt. Dann fiel mir ein, HeinzWerner, du hast immer schon gesagt, eine Plenarsitzung eineinhalb Wochen vor der Landtagswahl ist verkehrt. Es ist verkehrt, mit dieser Debatte Wahlkampf führen zu wollen. Davon bin ich überzeugt. Warum? - Wenn ich mir angucke, worüber wir diskutieren!

Im Hintergrund höre ich immer: Mitschwimmen Nordstaat, Nordstaat, Nordstaat. Ich finde, wir sollten über den Nordstaat nicht so diskutieren, wie wir über ihn diskutieren, nämlich mit der Motivation Haushalte zu entlasten, indem man größere Verwaltungseinheiten schafft. Wir können gern über andere Verwaltungseinheiten, über andere Formen der Zusammenarbeit in diesem Land diskutieren, wenn wir dabei die Motivation haben, damit Besseres für die Menschen in diesem Land zu bewirken.

Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gibt jedem Menschen das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen. Jetzt frage ich mich natürlich, ob ein Asylbewerber in diesem Land kein Mensch ist, oder ob wir gegen Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verstoßen, wenn wir Asylbewerber inhaftieren, die in Schleswig-Holstein registriert sind und sich nach Hamburg begeben, um dort zum Arzt zu gehen oder eine Arbeit zu suchen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wären Ansatzpunkte, wo nicht nur eine norddeutsche Kooperation, sondern eine Kooperation im gesamten Staat sinnvoll wäre. Darüber wäre ich gern bereit zu diskutieren. Ich bin nicht bereit, darüber zu diskutieren, ob es für uns sinnvoll ist, Länder zusammenzulegen, nur um vermeintlich damit einen Haushalt zu sanieren.

Die Angst, wenn wir über den Nordstaat diskutieren, ist immer: Ich habe ein Lieblingsland, dazu stehe ich, und ich habe Angst, man will dieses Lieblingsland abschaffen. Das hatten wir schon. Immerhin hat der Spitzenkandidat der SPD dieses Recht vehement gefordert, bevor er dann Spitzenkandidat wurde und zurückgerudert ist.

(Ines Strehlau)

Ich habe ohnehin immer Probleme damit, wenn jemand von seinem Lieblingsland redet und das so unreflektiert tut. Ich finde, man kann es da gut mit Gustav Heinemann halten, der sinngemäß gesagt hat: Ich liebe meine Frau und nicht mein Land. Menschen kann man lieben, bei Ländern sollte man vorsichtig sein. Wenn irgendjemand sagen würde, „Ich liebe die Menschen in diesem Land, und ich werde versuchen, etwas für die Menschen in diesem Land zu tun“, würde ich mich damit wesentlich mehr wohlfühlen als mit den Aussagen, die in diesem Wahlkampf gemacht werden.

(Zurufe von der SPD)

- Zu dieser Aussage werde ich mich heute nicht hinreißen lassen. Sie wissen ja, ich trinke keinen Alkohol, vielleicht liegt es daran.

Die Stärkung der Parlamente, über die wir hier ebenfalls diskutieren, ist richtig und wichtig. Ich finde, wir sollten mit dem Thema der Stärkung der Parlamente auch keinen Wahlkampf machen. Ich glaube, die nächsten Regierungsfraktionen werden die Chance haben, das, was jetzt gesagt worden ist, umzusetzen. Daran werden sie gemessen werden.

Aber Frau Kollegin Strehlau, ich warne Sie - ich möchte noch mit einem Zitat des Spitzenkandidaten der Sozialdemokratie in diesem Land schließen, der im Februar 2011 der „Welt“ gesagt hat; und das gilt für mich -:

„Alle Landesregierungen kümmern sich erst mal um ihre Interessen.“

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei der SPD und Beifall des Abgeordneten Gerrit Koch [FDP])

Für die Fraktion des SSW erteile ich der Frau Kollegin Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ohne Frage ist die Zusammenarbeit mit Hamburg eine ganz wesentliche strategische Perspektive für unser Land. Schleswig-Holstein ist keine Insel, die autark und abgeschnitten von der Außenwelt existiert. Wir sind aufs Engste mit unserem südlichen Nachbarn verflochten. Dies wird nicht zuletzt durch die täglichen Pendlerströme deutlich. Der SSW sieht insgesamt viele Bereiche, in denen SchleswigHolstein und Hamburg enger kooperieren sollten.

Die Enquetekommission zur norddeutschen Zusammenarbeit hat deutlich gezeigt, dass es noch erhebliches Kooperationspotenzial gibt. Im Abschlussbericht haben wir eine ganze Reihe von Ansatzpunkten für eine sinnvolle Verbreiterung und Vertiefung der Zusammenarbeit zusammengetragen. Wir bleiben dabei, dass diese Bestandsaufnahme eine gute Grundlage für Initiativen ist, die dabei helfen können, in die Zusammenarbeit mit Hamburg weiter zu intensivieren - nicht mehr und nicht weniger.

Anlass zu Höhenflügen geben die Ergebnisse der Enquetekommission sicherlich nicht. Auch die kaum wahrnehmbaren Reaktionen unserer Nachbarn verstärken diesen Eindruck und legen doch sehr nahe, den Ball flach zu halten. In der aktuellen Situation ist es unangemessen, die Einsetzung gemeinsamer Ausschüsse für die Zusammenarbeit Schleswig-Holsteins mit Hamburg oder mit anderen Ländern zu fordern. Es ist unschwer zu erkennen, dass die hamburgische Politik an einem derartigen Gremium schlicht und einfach kein Interesse hat. Im Übrigen läuft die Kontrolle gemeinsamer Einrichtungen, wie etwa von Dataport, reibungslos. Deshalb sehen wir überhaupt keinen Anlass, uns hier noch länger bei unseren Nachbarn anzubiedern.

Auch die Idee, sämtliche Gesetzesvorhaben des Landes auf Möglichkeiten der Arbeitsteilung zu überprüfen, hält der SSW für unangebracht. So schränken wir nur unsere Handlungsfähigkeit ein und machen uns das Leben unnötig schwer.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz im Ernst: Was folgt auf die Erkenntnis, dass wir diese oder jene Aufgabe durch Arbeitsteilung und/oder Kooperation erledigen könnten? - Rein gar nichts! Denn auch hieran haben unsere vermeintlichen Partner kein nennenswertes Interesse.

Dieser Denkfehler liegt im Übrigen allen hier vorliegenden Initiativen zugrunde. Sie setzen ein gewisses Mindestmaß an Interesse aufseiten Hamburgs oder anderer Länder voraus. Doch dies ist ganz offensichtlich nicht der Fall. Wir alle tun gut daran, diese Tatsache endlich anzuerkennen und für die Zukunft zu verinnerlichen.

Es ist ja kein Geheimnis, dass die vorliegenden Anträge und Gesetzentwürfe nicht zuletzt die Ergebnisse der Besuche von Landtagsfraktionen bei ihren Parteikollegen in der Hamburgischen Bürgerschaft sind. Wir halten es für bezeichnend, dass am Ende dieser Beratungen keine pragmatischen Vorstöße in konkreten länderübergreifenden Kooperationsfeldern stehen, sondern neue Gremien und schwerfäl

(Heinz-Werner Jezewski)

lige Prüfmechanismen. Deshalb sieht der SSW unverändert die Gefahr, dass bei diesem Thema für manch einen schleswig-holsteinischen Landespolitiker der Kooperations- beziehungsweise Fusionsgedanke zum Selbstzweck wird.

Für uns dagegen steht fest, dass die Interessen der Schleswig-Holsteiner ausschlaggebend sein müssen, wenn es um Inhalte und Ausgestaltung der norddeutschen Kooperation geht. Wie auch immer sich SPD, Grüne und CDU die zukünftige Struktur der Zusammenarbeit vorstellen - ich kann nur davor warnen, sich über die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger hinwegzusetzen.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Der SSW lehnt jeden Schritt in Richtung Nordstaat ab.