Wir verdanken es der Landesschülervertretung der Gymnasien in Schleswig-Holstein, dass der wundersame Sinnes- und Erkenntniswandel des Bildungsministers akribisch dokumentiert worden ist. Ich zitiere aus der Pressemitteilung der LSV:
im Dezember 2010 nicht sonderlich schwer’, schon damals war der LSV der Gymnasien … entsetzt. Im Oktober 2011 behauptete der Minister gar, die Versorgung der Schüler mit Lehrern sei besser denn je. Im Dezember 2011 lehnte er die Rücknahme der Streichung von 300 Lehrerstellen ab. Im Januar 2005 sagte er wiederum: ‚Von den ohnehin schon gestrichenen 3.650 Lehrerstellen sollten 453 zurückgenommen werden.’“
Den aktuellen Erkenntnisstand könnten wir eigentlich dem Papier des Bildungsministers entnehmen. Dort sind es nunmehr 628 Stellen, die fehlen. Doch halt: Zwischen diesem schriftlichen Bericht vom 25. Januar 2012 und dem mündlichen Bericht von heute liegen immerhin 29 Tage, ein Koalitionsausschuss und eine Meinungsumfrage.
(Beifall bei der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Anke Spoorendonk [SSW])
Was eine kleine Zeitspanne für die Menschen in Schleswig-Holstein ist, ist ein Riesenunterschied für die Positionierung von Ihnen und Ihrer Partei und typisch für die Halbwertzeit Ihrer Ankündigungen. Wir erinnern uns noch alle daran, wie Sie es schafften, einen Erlass für einen Tag, nämlich den 1. April, in und wieder außer Kraft zu setzen. Das kennen wir von Ihnen. Die Halbwertzeit Ihrer Ankündigung ist sehr kurz.
Herr Minister, dabei ist Ihr Papier gar nicht so schlecht, im Gegenteil. Sie haben viel Lesenswertes aufschreiben lassen, von dem wir uns einiges nach dem Regierungswechsel im Mai genauer ansehen werden.
Anderes aber ist so eindeutig und wird auch von Ihnen in einer solchen Dringlichkeit beschrieben, dass wir es schon heute auf den Weg bringen können und sollten.
Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Regierungsfraktionen ihren Bildungsminister nicht leichtfertig im Regen stehen lassen werden, denn auch Sie sehen das sicherlich so. Lassen Sie mich aber der Reihe nach vorgehen, denn Sie haben das so schön systematisch getan, das will ich auch.
Erstens. Sie analysieren, dass man mit 100 Stellen 20 gebundene Ganztagsschulen einrichten könne und dabei insbesondere Standorte zu berücksichtigen hätte, an denen die Schülerinnen und Schüler aufgrund des sozialen Umfelds für eine erfolgreiche Schulzeit besonders unterstützt werden müssten. Gut gebrüllt, Löwe! Auch wir Sozialdemokraten halten gebundene Ganztagsschulen für eine sinnvolle Einrichtung.
Wir werden nach dem Regierungswechsel bewerten, wie viele, wo und mit welcher Ausstattung nötig sind. Dafür haben Sie die richtige Feststellung getroffen.
Zweitens. Sie halten die Ausweitung der Sprachförderung auf die berufsbildenden Schulen für erforderlich und sehen dafür einen Bedarf. - Frau Präsidentin, die Kolleginnen und Kollegen da drüben sind sehr aufgeregt, ich schaffe das lauter als sie. Herr Minister Dr. Klug, ich zitiere Sie wörtlich, was Ihren Bedarf angeht. In Ihrem Papier heißt es:
„Um eine adressatengerechte Sprachförderung in allen berufsbildenden Schulen/Regionalen Berufsbildungszentren verwirklichen zu können, sind 30 zusätzliche Planstellen erforderlich.“
Diesen Punkt halten wir für nachvollziehbar und dringend erforderlich. Derzeit kommt rund ein Viertel der Schulanfänger aus Familien mit Migrationshintergrund, davon viele aus sozial benachteiligten Familien mit unzureichender sprachlicher Integration. Bildungsforscher sprechen sich für verstärkte Bemühungen um die Sprachförderung aus. Dies sollte sich in der Tat nicht auf die vorschulische Bildung und die Grundschule beschränken, sondern man sollte sich auch in späteren Bildungsphasen um die Beseitigung schwerwiegender Defizite bemühen einschließlich der berufsbildenden Schulen.
Ich bitte Sie von Union und FDP daher, die Position Ihres Bildungsministers in Wort und Tat zu unterstützen und unserem Antrag auf zweimal 15 zusätzliche Planstellen zuzustimmen.
Drittens. Sie schlagen vor, dass „wir“ - wer immer mit „wir“ in Ihrem Papier gemeint ist - die Zahl der Stellen für Schulpsychologen auf 34 Stellen ver
doppeln sollten, um Rat- und Hilfesuchenden schneller helfen zu können. Auch diesen Bedarf werden wir - und dieses „wir“ scheint mir erfolgversprechender - nach dem Regierungswechsel im Mai sorgfältig prüfen und, so gut es geht, umsetzen.
Viertens. Sie fordern, gestützt auf Evaluationsbefunde über den großen Erfolg der Projekte von „Niemanden zurücklassen“, 90 zusätzliche Stellen. Niemanden zurückzulassen, jedem Kind oder Jugendlichen zu einem Schulabschluss zu verhelfen, ist, wie Sie wissen, das zentrale Ziel der Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein.
Wir fordern daher die Regierungsfraktionen und die Landesregierung auf, den Bildungsminister auch hier zu unterstützen und die Projekte „Lesen macht stark“ und „Mathe macht stark“ zu verstetigen. Zu diesem Zweck sollen bei der Vorbereitung des Landeshaushalts für die Jahre 2013 und 2014 jeweils 45 zusätzliche Stellen vorgesehen werden. Die „Lübecker Nachrichten“ haben gestern über die positiven finanziellen Auswirkungen dieser Bildungsinvestition ausführlich berichtet. Stimmen Sie für unsere Anträge, stimmen Sie für Ihren Bildungsminister in dieser Frage!
Fünftens. Äußerst interessant ist der fünfte Punkt Ihres Berichts. Dort stellen Sie detailliert begründet dar, wo der Bedarf an Fachkräften besteht und dementsprechend mehr ausgebildet werden sollte. Dabei werden Sie sehr deutlich. Da ist nicht von wollen, sollte, hätte oder könnte die Rede, sondern ich zitiere Sie erneut wörtlich, Herr Minister -:
„Um die zusätzlich benötigten Fachkräfte ausbilden zu können, werden zusätzlich 10 Planstellen benötigt.“
Da ist kein Spielraum für Verhandlungen. Bei dieser Eindeutigkeit und Klarheit Ihrer Analyse bin ich besonders zuversichtlich, dass Ihr Bildungsminister auch Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, überzeugen kann, seinem Vorschlag zu folgen. Stimmen Sie mit uns dafür!
Sechstens. Für mehr Chancen auf dem Weg zum Abitur wollen Sie mit 100 Planstellen die Beruflichen Gymnasien stärken. Da sind wir zwar beim Ziel durchaus einig, wir sehen allerdings einen Weg nicht nur über die Beruflichen Gymnasien, sondern auch und vor allem über mehr Oberstufen an Gemeinschaftsschulen. Außerdem wollen wir eine
stärkere Kooperation mit den Oberstufen an Gymnasien. Deshalb werden wir auch diese Forderung von Ihnen, Herr Minister Dr. Klug, nach dem Regierungswechsel genau in den Blick nehmen.
Siebtens. Sie fordern die Entlastung der kleinen Schulstandorte. Dafür wollen Sie 50 Stellen nun doch nicht streichen. Auch das werden wir nach dem Regierungswechsel prüfen - wobei man aus Ihrem Papier auch herauslesen könnte, dass Sie am liebsten die ganzen 450 Stellen dort belassen möchten. Das ist ja sehr interessant, und das zeigt vor allem eines überdeutlich: Die komplette Streichung der sogenannten demografischen Rendite, also der durch den prognostizierten Schülerrückgang theoretisch frei werdenden Stellen, war nie und ist noch immer nicht verantwortbar.
Der Kompromiss von SPD und CDU von 2009, 50 % dieser Stellen zur Haushaltskonsolidierung und 50 % zur Verbesserung der Qualität bei längerem gemeinsamen Lernen, Integration, Ganztagsangeboten und so weiter einzusetzen, war dagegen sehr richtig. Deshalb sind wir konsequent bei dieser Haltung geblieben, und so können Sie es auch in unserem Regierungsprogramm nachlesen. Herr Bildungsminister, Ihr Bericht zeigt mehr als deutlich, wie fatal die Kehrtwende der CDU war, diesen klugen Kompromiss aufzukündigen.
Die fadenscheinige Begründung der Union für ihr Umfallen war ohnehin immer falsch, weil die Schuldenbremse, wie wir alle wissen, damals längst im Grundgesetz stand. Insofern war die Kehrtwende verlogen.
Herr Minister, Ihr Bericht zeigt aber auch, dass die diesbezügliche Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP gerade vor dem Hintergrund Ihrer lautstarken Kritik an 20 Jahren SPD-Bildungspolitik sträflich und fahrlässig war.
Herr Bildungsminister, es freut mich, dass Sie mit Ihrem Bericht diesen Fehler, den Sie so lange geleugnet haben, jetzt endlich anerkennen, auch wenn Sie sich mit Ihrer neuen Ehrlichkeit in Ihrer eigenen Partei und Ihrer eigenen Fraktion noch nicht durchgesetzt haben.
Achtens. Die fatale Halbierung der Differenzierungsstunden an Gemeinschafts- und Regionalschulen wollen Sie mit Ihrem Papier immerhin um eine Stunde wieder korrigieren und fordern dafür 125 Stellen mehr. Allerdings ist es schon seltsam,
wie Sie es schaffen, selbst dabei Ihre alte Anti-Gemeinschaftsschul-Attitüde zu bewahren. Fest im Ungeist des dreigliedrigen Schulwesens verhaftet wollen Sie die Gemeinschaftsschulen erneut schlechter stellen, indem Sie den Ausgleich kleiner machen als bei den Regionalschulen. Wir werden die Gemeinschaftsschulen nach dem Regierungswechsel im Mai wieder in die Lage versetzen, das längere gemeinsame Lernen auch umsetzen zu können.
Wir werden die Schikanen beenden. In Zukunft ist es klar: In Schleswig-Holstein kommt man entweder in acht Jahren auf dem Gymnasium zum Abitur oder flächendeckend in neun Jahren auf der Gemeinschaftsschule oder Beruflichen Schule. Die teuren Sackgassen und Sonderwege werden wir beenden, ohne die jetzt schon betroffenen Schülerinnen und Schüler für den Unsinn, den Sie angerichtet haben, zu bestrafen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Fazit: Das Papier ist ein Dokument des Scheiterns schwarz-gelber Bildungspolitik. Es gibt eklatante Defizite. Aufgrund Ihres Streichkonzerts fehlen überall Lehrerstellen. Ihr Papier ist die gedruckte Erklärung dafür, warum Sie alle an Schule Beteiligten, Schüler, Lehrer, Eltern und kommunale Schulträger, in kürzester Zeit gegen diese Landesregierung und sich persönlich aufgebracht haben, Herr Minister. Das ist die Bilanz.