Protocol of the Session on December 14, 2011

Gesprächsangebote sollen nur von den Behörden ausgehen, die das übrigens auch jetzt schon tun.

Die Veranstalter einer Versammlung müssen aber nach dem Gesetzentwurf nicht kooperieren. Wie soll das denn funktionieren? Auch das Mittel des Konfliktmanagements, das die schleswig-holsteinische Polizei schon längst einsetzt, wird nur vom Staat, aber nicht vom Bürger gefordert. Wenn das mal keine Einbahnstraße ist!

Um die Teilnehmer auf Demonstrationen besser auf das vorzubereiten, was die Polizei taktisch plant, sollen die Landtagsabgeordneten künftig vorher die Einsatzstrategien und Maßnahmen erläutert bekommen. - Naja, hoffentlich plaudert da niemand!

(Heiterkeit bei der FDP - Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, ich spinne!)

- Na, Sie müssen sich nicht selber beleidigen.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Das Tollste an dem Entwurf sind aber die unabhängigen Versammlungsbeobachter. Zunächst habe ich in meiner Naivität gedacht, dass jeder sich so eine Demonstration anschauen dürfte. Wenn die nur im Geheimen ablaufen würden, würde das ja nicht viel Sinn ergeben. Die Grünen wollen aber organisierte, akkreditierte Demo-Besuchergruppen installieren und sogar die UNO einschalten. - Ich wusste gar nicht, dass Deutschland schon zu den Problemstaaten gehört.

Auch hier tauchen wieder unbestimmte Rechtsbegriffe auf. Wer akkreditiert hier wen, was sind die Voraussetzungen, was zivilgesellschaftliche Verbände? Warum soll der Justizminister diese Gruppen zulassen, warum nicht der Innnenminister? Schließlich spielt auch der Datenschutz bei den Grünen überhaupt keine Rolle mehr, denn die Demo-Beobachter dürfen unbeschränkt und sogar verdeckt filmen und fotografieren. - Das darf noch nicht einmal die Polizei! Schön ist immerhin - Herr Kollege Dolgner wies darauf hin -, dass diese Werke dann zur Strafverfolgung genutzt werden dürfen.

(Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das bürgerliche Recht, Herr Koch! Kennen Sie das bürgerliche Recht?)

- Ja, wahrscheinlich besser als Sie. Kurz: Hier sollen bestimmten Gruppen wieder einmal Sonderrechte eingeräumt werden, weil es für eine vermeintlich gute Sache ist.

Herr Kollege Koch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Andresen?

Nein, ich bin gleich am Ende meiner Rede angelangt. Ich glaube, das ist so ein schöner Bogen, den will ich nicht unterbrechen. - So geht das nicht. Wir wollen ein Gesetz, das für alle Bürger gleichermaßen da ist, das möglichst unbürokratisch ist, das Demonstranten nicht als potenzielle Gewalttäter sieht, das Naziaufmärsche verhindert und das unserer Polizei nicht misstraut.

Meine Damen und Herren, bei aller Kritik freue ich mich trotzdem auf die Diskussion im Ausschuss. Wir Liberalen sehen uns gemeinsam mit der CDU gut gerüstet. Im Gegensatz zu den Grünen hat Schwarz-Gelb bereits sowohl in Bayern als auch in Niedersachsen jeweils ein fortschrittliches Versammlungsgesetz verabschiedet. Ich würde mir wünschen, dass wir auch in Schleswig-Holstein mit breiter Mehrheit zu einem modernen Gesetz kommen, rechtssicher, rechtsstaatlich und liberal.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 1848, also seit 163 Jahren, ist die Versammlungsfreiheit ein wesentlicher Bestandteil aller demokratischen deutschen Verfassungen. Das Versammlungsrecht, das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, ermöglicht Bürgerinnen und Bürgern Kritik an den herrschenden politischen, sozialen, ökologischen und ökonomischen Verhältnissen. Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit von selbstbewussten Bürgerinnen und Bürgern finden im Versammlungsrecht ihren Ausdruck.

Wir erleben derzeit, dass viele Tausend Menschen in Russland und im arabischen Raum dieses Recht für sich in Anspruch nehmen. Wir erleben auch, welche Macht dieses politische Handeln der vielen und die Emanzipation jedes und jeder Einzelnen entwickeln. In vielen Ländern müssen die Menschen ihren Mut jedoch mit dem Leben bezahlen.

Die Versammlungsfreiheit ist die Grundlage des demokratischen Gemeinwesens. Das Bundesverfassungsgericht sagt in dem sogenannten Brokdorf-Urteil über die Versammlungsfreiheit:

(Gerrit Koch)

„Sie gilt als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt, welches für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierend ist; denn sie erst ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen als Lebenselement dieser Staatsform.“

Dem kann man eigentlich gar nichts mehr hinzufügen. Seit Inkrafttreten der Föderalismusreform 2006 ist die Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Versammlungsrechts auf die Länder übergegangen. Schleswig-Holstein hat davon bisher keinen Gebrauch gemacht.

Obwohl ich es grundsätzlich kritisch finde, dass wir in Deutschland zukünftig 16 verschiedene Versammlungsgesetze zu beachten haben werden, finde ich es gleichzeitig richtig, dass das bisher geltende Bundesversammlungsgesetz modernisiert wird und dass es freiheitlicher wird. Daher begrüße ich die Initiative von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Beifall des Abgeordneten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es ist richtig und wichtig, dass wir uns im Landtag und in den Ausschüssen der Frage stellen, wie wir das Versammlungsrecht stärken können. Abschreckende Beispiele für Versammlungsgesetze der Länder sind schon erwähnt worden. Ich möchte hier speziell Bayern und Sachsen anführen.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die LINKE will kein Versammlungsgesetz, das einen obrigkeitsstaatlichen Impetus trägt. Ich möchte davor warnen, in solch eine Richtung auch nur zu denken. Der grüne Entwurf tut das nicht.

Wer nicht überzeugt davon ist, der lese einmal die Grundrechte-Reporte der letzten Jahre, in denen auch auf die Gesetzgebungen der Länder, speziell auf die Gesetzgebung in Bayern, eingegangen wird.

Für DIE LINKE steht fest: Das Versammlungsfreiheitsgesetz muss einen ausgeprägten freiheitlichen Charakter haben, es muss das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit stärken und darf es auf keinen Fall infrage stellen. Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler haben immer wieder auf Schwierigkeiten im Bundesversammlungsgesetz hingewiesen. Kritisiert wurden dabei unter anderem verschiedene bürokratische Auflagen, das Fehlen von Bestimmungen über Spontanversammlungen und unzureichender Datenschutz für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Demonstrationen.

(Unruhe)

Diese und andere Regelungen können in der Praxis zu Einschränkungen der Versammlungsfreiheit führen. Es ist gut, dass der vorliegende Gesetzentwurf diese Punkte aufgreift und Neuregelungen vorschlägt. Wir müssen im Innen- und Rechtsausschuss ausführlich über den Entwurf sprechen. Einige Punkte möchte ich jedoch schon vorweg ansprechen.

(Unruhe)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Bemerkung an die lieben Zuhörerinnen und Zuhörer. Jeder Beitrag, der hier vorn gehalten wird, ist lohnend, angehört zu werden.

(Klaus Klinckhamer [CDU]: Mehr oder we- niger!)

- Jeder Beitrag, der hier vorn gehalten wird, ist lohnend anzuhören, für jeden Abgeordneten. Auch für den zwischenrufenden Abgeordneten geziemt es sich, dem Redner mit Aufmerksamkeit und Respekt zu begegnen. Ich bitte Sie um Aufmerksamkeit und Ruhe sowie Einstellung der Gespräche.

(Beifall bei der LINKEN und SSW)

Die Polizei hat eine wichtige Aufgabe bei Versammlungen. Es ist ihre Aufgabe, das Recht auf Versammlungsfreiheit zu gewährleisten. Immer wieder wird jedoch von Polizeieinsätzen berichtet, bei denen die Polizei nicht deeskalierend gewirkt haben soll, sondern im Gegenteil eskalierend. Sogar amnesty international hat wiederholt auf polizeiliches Fehlverhalten bei Demonstrationen hingewiesen. Es ist dringend geboten, dass wir jetzt Deeskalationsteams, unabhängige Demonstrationsbeobachterinnen und -beobachter sowie eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte einführen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der LINKEN)

Es ist wichtig, dass Polizistinnen und Polizisten als solche erkennbar und identifizierbar sind, um bei nachträglich auftretenden Rechtsstreitigkeiten auch bestimmbar zu sein und die große Masse der sich stets korrekt verhaltenen Polizistinnen und Polizisten zu schützen.

(Heinz-Werner Jezewski)

DIE LINKE setzt sich außerdem dafür ein, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wie bei Demonstrationen künftig stärker gewichtet wird. Ein Skandal, wie wir ihn in diesem Jahr in Dresden mit der Handy-Ortung erlebt haben, muss für Schleswig-Holstein ausgeschlossen sein.

(Beifall des Abgeordneten Björn Thoroe [DIE LINKE])

Auch das Anfertigen von Bild- und Tonaufnahmen ist faktisch ein Grundrechtseingriff. Er hat die Einschüchterung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur Folge. Deswegen sollte er von der Polizei nur im äußersten Fall angewendet werden.

Ich gebe noch zu bedenken, dass es Umstände gibt, in denen Demonstrationsteilnehmerinnen und -teilnehmer ein besonderes Interesse haben, ihre Identität zu verheimlichen. Wenn beispielsweise eine Leiharbeiterin, die bei der Einzelhandelskette Schlecker arbeitet, gegen die dortigen Arbeitsbedingungen auf die Straße gehen will, so kann das sehr wohl nachteilige Folgen für sie haben. Wir hören immer häufiger von Arbeitgebern, die Informationen über ihre Beschäftigten sammeln und sie danach drangsalieren. Wir sollten also darüber nachdenken, ob unter bestimmten Voraussetzungen das sogenannte Vermummungsverbot ausgesetzt werden kann.

(Beifall des Abgeordneten Björn Thoroe [DIE LINKE])

Schließlich greife ich noch einen Gedanken des Kollegen Kalinka aus dem letzten Innen- und Rechtsausschuss auf. Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir uns gemeinsam darauf einigen, dass Versammlungen, die die Verherrlichung oder die Billigung von Gewalt- und Willkürherrschaft zum Ziel haben oder menschenfeindlich sind, verboten werden können.

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist überschritten. Kommen Sie bitte zum Schluss!

Ich komme zum letzten Satz, Frau Präsidentin. - Es kann doch nicht angehen, dass wir in diesem Land einen breiten Konsens darüber haben, dass faschistische Parteien wie die NPD verboten werden müssen, wir den Behörden in Schleswig-Holstein aber keine Handhabe geben, deren Aufmärsche zu verbieten.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion des SSW erteile ich Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der Föderalismusreform fällt das Versammlungsrecht in die Kompetenz der Länder, die allerdings ohne eigenes Gesetz das Bundesgesetz weiter gelten lassen können. Das halten auch die allermeisten Bundesländer so, weil es das Versammlungsgesetz nämlich in sich hat. Die ersten Länder, die ein eigenes Versammlungsgesetz verabschiedeten, allen voran Bayern, holten sich vor Gericht eine blutige Nase.

Das Versammlungsrecht gehört zu den besonders schützenswerten Grundrechten. Darum sollten wir sorgfältig - ohne Zeitdruck und ideologische Scheuklappen - vorgehen. Der vorliegende Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN könnte Ausgangspunkt für ein schleswig-holsteinisches Versammlungsrecht sein. Es bedarf aber einer gründlicheren Diskussion, weil das Gesetz in der vorliegenden Fassung in erster Linie auf die Kontrolle der Polizei ausgerichtet ist. Da mögen individuelle Demonstrationserfahrungen eingeflossen sein. Das sollte man aber nicht verallgemeinern.